Mitochondriopathie
Synonym: mitochondriale Zytopathie
Englisch: mitochondriopathy
Definition
Der Begriff der Mitochondriopathie ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Syndrome, denen eine Funktionsstörung der mitochondrialen Atmungskette zu Grunde liegt. Es handelt sich um eine heterogene Erkrankungsgruppe mit einer Vielzahl an möglichen Symptomen, die meist mehrere Organsysteme betreffen.
- ICD-10: G31.81 Mitochondriale Zytopathie
Ätiopathogenese
Ursache der Erkrankungen sind Deletionen oder Mutationen in der mitochondrialen DNA (mtDNA) oder chromosomalen DNA, die zu einer Fehlexpression mit Ausfall von Enzymen der Atmungskette und resultierender Störung der mitochondrialen Funktionen führen. Es sind mittlerweile mehr als 300 Gene bekannt, die mit mitochondrialen Erkrankungen assoziiert sind.
Die Vererbung erfolgt in Abhängigkeit der Lokalisation der Mutation chromosomal (DNA) oder extrachromosomal (mtDNA).
Symptome
Die Symptome können sehr vielfältig sein, was die Diagnose erheblich erschweren kann. Neurologische Symptome stehen häufig im Vordergrund. Zuerst wurden neuromuskuläre Varianten beschrieben, allerdings müssen Betroffene keine muskulären Symptome zeigen.
Betroffen sind vor allem Organe, die auf einen hohen Energiebedarf angewiesen sind. Hierzu zählen u.a. die Skelettmuskulatur (mitochondriale Myopathie), das Gehirn und die Netzhaut. Ebenso können die Leber, das endokrine System (insbesondere die Nebennieren), die Reproduktionsorgane und die Herzmuskulatur (Kardiomyopathie und/oder Reizleitungsstörungen) betroffen sein.
Teils können die Enzymdefekte kompensiert werden, sodass keine Symptome in Erscheinung treten. Wird diese Kompensationssituation jedoch aus dem Gleichgewicht gebracht (z.B. durch eine weitere akute oder chronische Krankheit, oder andere externe Faktoren), kann es zu einer Dekompensation und einer Symptommanifestation kommen.
Für eine detailliertere Darstellung der einzelnen Symptome wird auf die Artikel der einzelnen Krankheitsbilder verwiesen.
Krankheitsbilder
Beispiele für Mitochondriopathien sind:
- Lebersche hereditäre Optikusneuropathie mit rasch progredientem, häufig beidseitigem Visusverlust
- Autosomal-dominante Optikusatrophie (ADOA) mit langsam progredientem, meist beidseitigem, zentralem Visusverlust
- Kearns-Sayre-Syndrom mit Überleitungsstörungen am Herz, degenerativen Veränderungen an der Retina und externer Ophthalmoplegie
- chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie, die eine unvollständige Form des Kearns-Sayre-Syndrom darstellt und durch eine externe Ophthalmoplegie imponiert
- MERRF-Syndrom mit zerebellärer Ataxie, Myokloni, generalisierten Krampfanfällen, Kleinwuchs und Demenz
- MELAS-Syndrom mit Krampfanfällen, Demenz und Kopfschmerzen
Neben den hier aufgelisteten Krankheitsentitäten existiert eine Vielzahl weiterer, teils sehr seltener Syndrome, die den Mitochondriopathien zuzurechnen sind, aber oft noch wenig erforscht oder noch nicht beschrieben wurden..
Daher kommt es vor, dass Patienten die typischen Symptome einer Mitochondriopathie zeigen, ohne dass eine spezifische Erkrankung diagnostiziert werden kann. In diesen Fällen erfolgt nach Ausschluss möglicher Differentialdiagnosen die Beschreibung des Syndroms im Sinne einer Arbeitsdiagnose.[1] Bei einem Betroffenen mit genetisch beeinträchtigtem Eisen- und gestörten aerobem Glucosestoffwechsel wird dann beispielsweise von einer “Eisen-Glykolyse-Zytopathie” gesprochen.
Diagnostik
Zunächst sollten eine ausführliche Anamnese und eine gründliche körperliche (insbesondere neurologische) Untersuchung erfolgen.
Basisdiagnostik
Im hausärztlichen Rahmen kann eine wiederholte Messung des Laktatwertes prä- und postprandial bei entsprechender Symptomatik bereits richtungsweisend sein. Vor allem bei Störungen des Pyruvatdehydrogenase-Komplexes kann der Laktatwert im Blut auf Werte zwischen 2,3 und 6 mmol/l ansteigen. Die Ursache dafür ist die Umstellung des Glucosemetabolismus vom Citratzyklus auf die Glykolyse. Postprandial steigt der Laktatwert beim Gesunden in der Regel nicht mehr als 20 % an.
Der Blutlaktatwert unterliegt interindividuellen Schwankungen und kann auch normwertig sein. Kommt es postprandial paradoxerweise zu einem Anstieg der Ketonkörper (normalerweise kommt zu einem Absinken), liegt wahrscheinlich eine mitochondriale Dysfunktion vor. Diese sollte dann weiter abgeklärt werden. Dies gilt auch bei wiederholt auftretenden postprandialen Laktatwerten > 4 mmol/l.
Um eine Mitochondriopathie von anderen Ursachen einer Laktatazidose abzugrenzen, kann der Laktat-Pyruvat-Quotient bestimmt werden. Eine deutliche Zunahme des Laktat-Pyruvat-Quotienten spricht dabei für eine Mitochondriopathie, ein nur leicht erhöhter Quotient zum Beispiel eher für einen Mangel an Pyruvatdehydrogenase.[2]
Weiterführende Diagnostik
Die weiterführende Diagnostik umfasst in Abhängigkeit des jeweiligen Symptombildes:
- Blutentnahme mit Bestimmung der Muskelenzyme: LDH, GOT, Myoglobin, Aldolase und CK
- Muskelbiopsie (bei hinreichender Indikation)
- Laktat-Ischämie-Test bzw. Laktatbestimmung nach Ergometerbelastung
- Apparative Diagnostik
- EKG (Hinweis auf verlängerte QT-Zeit, verbreiterten QRS-Komplex, Reizleitungsstörungen, Blockbilder)
- Echokardiographie (z.B. Anzeichen einer Kardiomyopathie, Abfall der linksventrikulären Ejektionsfraktion)
- EEG
- Bildgebung des Gehirns (CCT, MRT, transkranielle Sonografie)
- Augenärztliche Untersuchung
Molekulargenetische Untersuchung
Der sichere Erkrankungsnachweis ist molekulargenetisch mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und Sequenzanalyse der veränderten mtDNA oder DNA in der Blutprobe (5-10ml EDTA-Blut) oder im Muskelbiopsat zu stellen.
Therapie
Aufgrund fehlender kausaler Therapieoptionen erfolgt die Behandlung in der Regel rein symptomatisch.
Es werden verschiedene Präparate (z.B. Antioxidantien, Vitamine und Cofaktoren der Enzyme der Atmungskette) angewendet, ohne dass eine Evidenz für deren Einsatz vorliegt. Dazu gehören zum Beispiel
- Thiamin (Vitamin B1)
- Niacin (Vitamin B3)
- Vitamin C
- Vitamin E
- Alpha-Liponsäure
- Succinat
- Folinsäure
Für die Lebersche hereditäre Optikusneuropathie steht mit Idebenon als einzige Mitochondriopathie ein spezifisches Medikament zur Verfügung.
Literatur
- AWMF S1-Leitlinie – Mitochondriale Erkrankungen, 2021. Angerufen am 30.06.2023
Quellen
- ↑ Chinnery et al., Primary Mitochondrial Disorders Overview, Gene Reviews, 2000
- ↑ MVZ Dr. Eberhard & Partner Dortmund – Laktat/Pyruvat-Quotient, abgerufen am 30.06.2023