Endokrine Orbitopathie
Synonyme: endokriner Exophthalmus, endokrine Ophthalmopathie
Englisch: endocrine ophthalmopathy, Graves' ophthalmopathy, thyroid eye disease
Definition
Unter einer endokrinen Orbitopathie versteht man eine immunologisch bedingte Entzündung des Orbitainhalts. Hierbei sind auch die Augenmuskeln, das Gewebe der Orbita und die Lider mitbetroffen. Meist liegt eine hyperthyreote Stoffwechsellage vor (z.B. im Rahmen eines Morbus Basedow, selten auch bei anderen Autoimmunthyreopathien).
Pathogenese
Im Falle eines Morbus Basedow besetzen TSH-Rezeptorautoantikörper auch Epitope außerhalb der Schilddrüse, insbesondere auf Fibroblasten des Retroorbitalraumes, die (aus noch unbekannten Gründen) TSH-Rezeptoren exprimieren. In der Folge kommt es zunächst zu einer andauernden Inflammation, die schließlich in fibrosierende Veränderungen münden kann. Aufgrund von lymphozytären Infiltraten, Ödemen und Muskelschwellungen sowie durch eine Überproduktion von Glykosaminoglykanen, ergibt sich eine Zunahme des retroorbitalen Volumens.
Klinik
Kennzeichnend ist für einen zugrundeliegenden Morbus Basedow ist die Merseburger Trias, bestehend aus Exophthalmus, Struma und Tachykardie. Als weitere Befunde können vorliegen:
- Lidveränderungen (Dalrymple-Zeichen, von-Graefe-Zeichen, Gifford-Zeichen, Stellwag-Zeichen)
- Augenmuskelbeteiligung und -paresen mit Doppelbildern (Möbius-Zeichen, Pseudoparese der Muskulatur durch Verdickung)
- Maligner Exophthalmus (Keratitis e lagophthalmo, Chemose, Konjunktivitis, Fremdkörpergefühl, unvollständiger Lidschluss, retrobulbäres Druckgefühl)
- Kompression des Nervus opticus mit Einschränkung des Farbensehens und Visusminderung bis zur Erblindung
Differentialdiagnose
Besonders bei einer einseitigen Orbitopathie muss an Tumoren der Orbita gedacht werden.
Einteilung
Der Schweregrad einer endokrinen Orbitopathie wird nach dem NOSPECS-Schema oder der LEMO-Klassifikation eingeteilt. Für die klinische Schweregradbeurteilung steht der Clinical Activity Score (CAS) zur Verfügung.
Therapie
Die wichtigste Maßnahme ist das Erreichen einer euthyreoten Stoffwechsellage. Ist die Orbitopathie trotz normaler Stoffwechsellage progredient, ist eine Eindämmung der entzündlichen Reaktion mit Glukokortikoiden oder in seltenen Fällen die retrobulbäre Röntgenbestrahlung erfolgversprechend.
Eine weitere medikamentöse Therapieoption ist der IGF-Rezeptor-Inhibitor Teprotumumab.
Bei akuter Gefährdung der Sehfähigkeit sind nach Misserfolg der Glukokortikoidstoßtherapie Operationen zur Entlastung notwendig. Hier kommen die laterale Orbitadekompression oder die endonasale Orbitadekompression in Frage.
Prognose
Bei rechtzeitig eingeleiteter Therapie bestehen sehr gute Heilungsaussichten, wenngleich der Exophthalmus meist irreversibel ist. Rauchen verschlechtert Verlauf und Prognose erheblich, ebenso kann sich eine endokrine Orbitopathie unter Radiojodtherapie verschlechtern.