Endokrine Orbitopathie
Synonyme: endokriner Exophthalmus, endokrine Ophthalmopathie
Englisch: endocrine ophthalmopathy, Graves' ophthalmopathy, thyroid eye disease
1. Definition
Unter einer endokrinen Orbitopathie, kurz EO, versteht man eine immunologisch bedingte Entzündung des Orbitainhalts. Hierbei sind die Augenmuskeln, das retrobulbäre Gewebe der Orbita und die Lider mitbetroffen. Meist liegt eine hyperthyreote Stoffwechsellage vor (z.B. im Rahmen eines Morbus Basedow, selten auch bei anderen Autoimmunthyreopathien).
2. Pathogenese
Im Falle eines Morbus Basedow besetzen TSH-Rezeptorautoantikörper (TRAK) auch Epitope außerhalb der Schilddrüse, insbesondere auf Fibroblasten des Retroorbitalraumes, die (aus noch unbekannten Gründen) TSH-Rezeptoren exprimieren. In der Folge kommt es zu einer chronischen Entzündungsreaktion, die fibrosierende Veränderungen mit massiver Produktion von Kollagen und Mukopolysacchariden nach sich ziehen kann.
Aufgrund der lymphozytären Infiltrate, Ödeme und Muskelschwellungen sowie durch eine Überproduktion von Glykosaminoglykanen nimmt das retroorbitale Volumen zu und der Bulbus wird nach vorne getrieben. Das Volumen der Augenmuskeln kann sich dabei um das 2- bis 3-fache steigern.
Sekundär kommt es zu einer Kompression orbitaler Venen, welche die Ödembildung und Entzündungsreaktion verstärkt.
3. Klinik
Kennzeichnend ist für einen zugrundeliegenden Morbus Basedow ist die Merseburger Trias, bestehend aus Exophthalmus, Struma und Tachykardie. Als weitere Befunde können vorliegen:
- Lidveränderungen (Dalrymple-Zeichen, von-Graefe-Zeichen, Gifford-Zeichen, Stellwag-Zeichen)
- Augenmuskelbeteiligung und -paresen mit Doppelbildern (Möbius-Zeichen, Pseudoparese der Muskulatur durch Verdickung)
- Maligner Exophthalmus (Keratitis e lagophthalmo, Chemose, Konjunktivitis, Fremdkörpergefühl, unvollständiger Lidschluss, retrobulbäres Druckgefühl)
Die individuelle Symptomatik ist variabel, die Veränderungen treten in der Regel beidseitig auf.
3.1. Begleitsymptome
Bei etwa 5% der EO-Patienten liegen zusätzlich entzündliche Schwellungen im Bereich des Unterschenkels oder des Vorfußes vor, die als prätibiales Myxödem bezeichnet werden. Darüber hinaus kann es zu klobigen Auftreibungen der Finger- und Zehenendglieder kommen (Akropachie).
4. Komplikationen
Die schwerwiegendste Komplikation ist die Kompression des Nervus opticus mit Einschränkung des Farbensehens, Gesichtsfeldausfällen und Visusminderung bis zur Erblindung. Weiterhin kann es zu durch den mangelnden Lidschluss zu einer Keratitis und Hornhautdefekten kommen.
5. Diagnostik
Die Diagnose wird in der Regel klinisch aufgrund der typischen Symptome gestellt und durch die Bestimmung der Schilddrüsenwerte inkl. Antikörperdiagnostik ergänzt. Mithilfe der MRT kann die Entzündungsaktivität eingeschätzt werden.
Das Krankheitsstadium bzw. der Schweregrad der EO kann mithilfe des NOSPECS-Schema und der LEMO-Klassifikation eingeordnet werden. Ferner steht für die klinische Schweregradbeurteilung der Clinical Activity Score (CAS) zur Verfügung.
6. Differentialdiagnose
Besonders bei einer einseitigen Orbitopathie muss an Tumoren der Orbita gedacht werden. Weitere Differentialdiagnosen sind nicht endokrin bedingte Orbitopathien, wie die idiopathische Orbitaentzündung (IOE), die IgG4-assoziierte Orbitopathie oder spezifische orbitale Entzündungen im Rahmen von Autoimmunerkrankungen (z.B. Sjögren-Syndrom, Sarkoidose).
7. Therapie
Die wichtigste Maßnahme ist das Erreichen einer euthyreoten Stoffwechsellage. Ist die Orbitopathie trotz normaler Stoffwechsellage progredient, ist eine Eindämmung der entzündlichen Reaktion mit Glukokortikoiden oder in seltenen Fällen die retrobulbäre Röntgenbestrahlung erfolgversprechend.
Eine weitere medikamentöse Therapieoption ist der IGF-Rezeptor-Inhibitor Teprotumumab.
Bei akuter Gefährdung der Sehfähigkeit sind nach Misserfolg der Glukokortikoidstoßtherapie Operationen zur Entlastung notwendig. Hier kommen die laterale Orbitadekompression oder die endonasale Orbitadekompression in Frage.
8. Prognose
Bei rechtzeitig eingeleiteter Therapie bestehen sehr gute Heilungsaussichten, wenngleich der Exophthalmus meist irreversibel ist. Rauchen verschlechtert Verlauf und Prognose erheblich, ebenso kann sich eine endokrine Orbitopathie unter Radiojodtherapie verschlechtern.