Promethazin
Handelsnamen: Atosil®, Proneurin®, Prothazin®
Synonym: 3.277 R.P.
Englisch: promethazine
Definition
Promethazin ist ein älterer Arzneistoff aus der Gruppe der Phenothiazine. Er wird als Sedativum und Anxiolytikum sowie als Antihistaminikum eingesetzt.
Chemie
Promethazin ist ein N-Dimethylaminopropyl-Derivat des Phenothiazins. Die Summenformel ist C17H20N2S. Der chemische Name ist
- N,N-Dimethyl-1-phenothiazin-10-ylpropan-2-amin (IUPAC)
Die molare Masse beträgt 284,4 g/mol, der Oktanol-Wasser-Koeffizient (logP) 4,52. Die CAS-Nummer lautet 60-87-7. Promethazinhydrochlorid ist ein weißes, kristallines, praktisch geruchloses und hygroskopisches Pulver, das in Wasser sehr leicht löslich ist.
Wirkmechanismus
Promethazin ist ein stark wirksamer Antagonist an Histamin-H1-Rezeptoren. Er wirkt auch antiadrenerg an Alpharezeptoren, anticholinerg an Muskarinrezeptoren sowie schwach antiserotonerg und antipsychotisch. Die Affinität zu Dopamin-D2-Rezeptoren ist sehr gering. Die antiemetische Wirkung wird auf den Antagonismus an Histamin-H1-, Muskarin- und Dopamin-D2-Rezeptoren im medullären Brechzentrum zurückgeführt. Der Antagonismus an Muskarin- und NMDA-Rezeptoren wirkt sedierend bis hypnotisch, aber auch anxiolytisch.
Pharmakokinetik
Promethazin wird nach oraler Aufnahme nahezu vollständig resorbiert. Aufgrund eines ausgeprägten First-Pass-Effektes beträgt die Bioverfügbarkeit jedoch nur ca. 25 %. Maximale Plasmaspiegel werden nach 1,5 bis 3 Stunden erreicht. Die Plasmaproteinbindung beträgt 90 %, das Verteilungsvolumen 13 bis 15 l/kgKG. Durch die Biotransformation entstehen pharmakologisch inaktive Metaboliten, vor allem Promethazinsulfoxid und in geringerem Maße Desmethylpromethazin. Über das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP2D6 wird ein Hydroxymetabolit gebildet. Die Metaboliten werden überwiegend mit dem Urin ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 12 bis 15 Stunden.[1][2]
Indikationen
Promethazin ist indiziert zur Behandlung von
- Unruhe- und Erregungszuständen im Rahmen psychiatrischer Grunderkrankungen[1][3]
- akuten allergischen Reaktionen vom Soforttyp, wenn gleichzeitig eine Sedierung notwendig ist[3]
Die Verwendung als Antihistaminikum hat nur noch bei parenteraler Applikation eine gewisse Berechtigung.[3]
Promethazin kann auch bei Erwachsenen indiziert sein, wenn therapeutische Alternativen nicht möglich sind oder nicht erfolgreich waren, bei:[1]
Wegen der geringen therapeutischen Breite, zahlreicher Nebenwirkungen und des großen Interaktionsrisiko ist Promethazin als Sedativum und Hypnotikum nur ein Mittel der zweiten Wahl. Es besitzt praktisch keine antipsychotische Wirksamkeit.[4] Für eine Monotherapie von Psychosen ist Promethazin ungeeignet, da seine neuroleptische Potenz zu schwach ist (ca. 0,5).
Darreichungsform
Promethazin steht in Form von Tabletten und Lösung zur oralen Anwendung und als Injektionslösung zur intramuskulären Injektion zur Verfügung.
Dosierung
Unruhe- und Erregungszustände
Bei Unruhe- und Erregungszuständen wird bei Erwachsenen mit einer Dosierung von 20 bis 30 mg p.o. oder 25 mg i.m. begonnen. Die Dosis kann individuell auf bis zu 200 mg p.o. oder i.m. pro Tag gesteigert werden.[1][3]
Bei Kindern ab 2 Jahren und Jugendlichen wird mit einer Dosierung von 10 mg p.o. begonnen. Die Dosis kann individuell bis zu einer Tagesgesamtdosis von 0,5 mg/kgKG gesteigert werden.[1]
Akute allergische Reaktion vom Soforttyp
Bei akuten allergischen Reaktionen vom Soforttyp wird bei Erwachsenen mit einer Dosierung von 25 mg i.m. begonnen, die alle 2 Stunden wiederholt und bis zu einer Dosis von maximal 100 mg pro Tag gesteigert werden kann.[3]
Bei Kindern ab 2 Jahren und Jugendlichen wird mit einer Dosierung von 12,5 bis 25 mg i.m. begonnen. Sie kann bis zu einer maximalen Tagesgesamtdosis von 0,5 mg/kgKG i.m. gesteigert werden.[3]
Übelkeit und Erbrechen
Bei Übelkeit und Erbrechen wird bei Erwachsenen mit einer Dosierung von 20 bis 30 mg p.o. begonnen und mit einer Dosis von 30 bis 60 mg p.o. pro Tag fortgeführt.[1]
Bei Kindern älter als 2 Jahre und Jugendlichen wird mit einer Dosierung von 10 mg p.o. begonnen. Die Dosis kann maximal auf 0,5 mg/kgKG i.m. pro Tag gesteigert werden.[1]
Schlafstörungen
Bei Erwachsenen mit Schlafstörungen wird mit einer Dosierung von 20 bis 50 mg p.o. zur Nacht begonnen, die auf maximal 1 mg/kgKG gesteigert werden kann.[1]
Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollen bei Schlafstörungen nicht mit Promethazin behandelt werden.[1]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Promethazin darf nach längerer Anwendung nicht abrupt abgesetzt werden, es ist ein Ausschleichen notwendig.[1]
Nebenwirkungen
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Promethazin sind:[1][3]
- Sedierung
- Anticholinerge Symptome: Haut- und Mundtrockenheit, Obstipation, Temperaturerhöhung durch gestörte Schweißbildung, Miktionsstörungen, Inkontinenz, Libidoverlust, Impotenz; bei höherer Dosierung auch Tachykardie, vermehrtes Durstgefühl, Sehstörungen, erhöhter Augeninnendruck
siehe auch: Anticholinerges Syndrom Darüber hinaus können folgende Nebenwirkungen auftreten, die teilweise dosisabhängig sind: [1][3][4]
- Schlafstörungen, Verwirrtheit, Unruhe, Krampfanfälle
- Früh- und Spätdyskinesien
- pharmakogenes Parkinson-Syndrom
- Blutbildveränderungen (Leukopenie, Agranulozytose)
- EKG-Veränderungen (verlängertes QT-Intervall, Herzrhythmusstörungen)
- Hypotonie, orthostatische Dysregulation (Schwindel), reflektorische Tachykardie – insbesondere zu Beginn der Behandlung
- Gewichtszunahme, Cholestase
- phototoxische Reaktionen, kutane Photosensibilisierung, allergische Hauterscheinungen
- Atemdepression
- Porphyrie
- Thrombose, Thromboembolien
- Galaktorrhö
Im Senium und bei Kindern kann es zu einer paradoxen zentralen Stimulation kommen, bei der Tremor, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit und Affektstörungen auftreten.[4] In einer Studie eines Promethazin-Herstellers wurde ein hohes Risiko für psychiatrische und zentralnervöse Nebenwirkungen bei Kindern im Alter zwischen 2 und 5 Jahren festgestellt. Zusätzlich zu den bekannten unerwünschten Wirkungen in dieser Altersgruppe wurden psychomotorische Hyperaktivität, aggressives Verhalten und Halluzinationen beschrieben. Bei hoher Dosierung kam es zu kognitiven Störungen. Aufgrund dieser Risiken wurden in Neuseeland 2024 die Indikationen für Promethazin auf Kinder ab 6 Jahren und Erwachsene eingeschränkt.[5]
Sehr selten kann ein malignes neuroleptisches Syndrom auftreten.[4]
Bei bekannter Leber- bzw. Niereninsuffizienz sollte je nach Schweregrad eine Dosisanpassung erfolgen.
Wechselwirkungen
Folgende Interaktionen sind bei der Anwendung von Promethazin zu beachten:[1][3][4]
Die bewusstseinseinschränkenden Wirkungen anderer Arzneimittel (z.B. Anticholinergika, Antidepressiva, Antikonvulsiva, Neuroleptika, Hypnotika, andere Sedativa und H1-Antihistaminika) sowie von Alkohol werden durch Promethazin verstärkt. Die Wirkungsverstärkung von Opioiden kann zu starker Sedierung mit Atemdepression führen.
Die Plasmakonzentration von trizyklischen Antidepressiva und deren Metaboliten wird durch die gleichzeitige Einnahme von Promethazin stark erhöht. Es besteht die Gefahr anticholinerger Wirkungen, einer Senkung der Krampfschwelle und kardiotoxischer Effekte (Long-QT-Syndrom). Letzteres gilt auch für die gleichzeitige Anwendung anderer QT-Intervall-verlängernder Wirkstoffe (z. B. Antiarrhythmika Klasse IA oder III, Makrolidantibiotika, Malariamittel, Antihistaminika).
Eine Kombination mit MAO-Hemmern sollte wegen eines möglichen Blutdruckanstiegs und der Verstärkung extrapyramidalmotorischer Effekte unterlassen werden.
Bei der Anwendung von Epinephrin kann es aufgrund der antiadrenergen Promethazinwirkung zum paradoxen Blutdruckabfall („Adrenalinumkehr“) kommen. Die blutdrucksenkenden Wirkungen anderer Arzneimittel (z.B. Betablocker, ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptorblocker (ARB), Calciumantagonisten (CCA), Diuretika, Vasodilatatoren) werden durch Promethazin verstärkt.
Kontraindikationen
Die Anwendung von Promethazin ist kontraindiziert bei[1][3][4]
- Überempfindlichkeit gegen Promethazin oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
- Kindern unter 2 Jahren aufgrund einer erhöhten Gefährdung durch tödliche Atemdepression (siehe auch: Plötzlicher Kindstod)
- akuten Intoxikationen mit zentral dämpfend wirkenden Arzneimitteln und Alkohol
- schwerer Schädigung des hämatopoetischen Systems
- Kreislaufschock oder Koma
- malignem Neuroleptika-Syndrom in der Anamnese
Als relative Kontraindikationen gelten:[4]
- Epilepsie
- Parkinson-Syndrom
- subkortikale Hirnschäden
- Engwinkel- und Winkelblockglaukom
- Harnretention, Prostatahyperplasie
- Leber- und Nierenerkrankungen
- Pylorusstenose
- Hypotonie, orthostatische Dysregulation, Bradykardie, Hypokaliämie, hereditäres Long-QT-Syndrom, koronare Herzkrankheit und Herzrhythmusstörungen
Bei älteren Patienten sollte Promethazin nur unter strenger Indikationsstellung angewendet werden. Besondere Vorsicht ist bei manifesten kardialen Vorerkrankungen, insbesondere bei Herzinsuffizienz und Orthostaseneigung, Hypotonie, Hypertonie, Bradykardie und Hypokaliämie sowie bei vorbestehender QTc-Zeit-Verlängerung und Risikofaktoren für Thromboembolie geboten.[4]
Missbrauch
Promethazin wird missbräuchlich zur Verstärkung der psychotropen Wirkung von Opioiden konsumiert. Unter dem Namen "Purple Drank" wurde eine Mischung aus Limonade (z.B. Sprite), Hustensaft auf der Basis von Codein, Dihydrocodein oder Hydrocodon mit Promethazin in den 1960er und 1970er Jahren im Süden der USA (Houston, Texas) kreiert, die in den 1990er und 2000er Jahren populär wurde. Codeinsirup verleiht dem Getränk die violette Farbe, das von vielen Rappern in ihren Texten und Musikvideos beworben wurde. Weitere Bezeichnungen der Mischung sind Syrup, Sizzurp, Lean, the barre oder auch Texas tea. Durch den Mischkonsum mit Alkohol, Cannabis oder anderen Rauschmitteln steigt die Intoxikationsgefahr.[2]
Schwangerschaft und Stillzeit
Es gibt keine Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko bei der Anwendung von Promethazin in der Schwangerschaft. Promethazin passiert die Plazenta, sodass es nach der Geburt im Neugeborenen nachweisbar ist und innerhalb der ersten Tage zu Anpassungsstörungen führen kann. Deshalb sollte ca. eine Woche vor der Entbindung eine Dosisreduktion erwogen werden.[6]
Es ist nicht bekannt, ob Promethazin in die Muttermilch übertritt. Zur Anwendung in der Stillzeit liegen keine Angaben vor.[6]
Toxizität
Die Symptomatik einer Überdosierung oder Vergiftung mit Promethazin ist durch ein anticholinerges Syndrom gekennzeichnet, bei dem Verwirrtheit, Halluzinationen, Mydriasis, Tachykardie, heiße und trockene Haut, Gesichtsrötung, trockene Schleimhäute und Harnverhalt im Vordergrund stehen. Bei Kindern äußert sich das Syndrom vor allem durch Hyperthermie, Krampfanfälle und Koma.
Bei Erwachsenen können sich Phasen starker psychomotorischer Erregung mit komatösen Zuständen mit Atem- und Kreislaufdepression abwechseln. Der Übergang von anticholinergen Nebenwirkungen zur Intoxikation ist fließend und bei jeder Überschreitung der therapeutischen Dosierung möglich.[1][2][3][4] Ein tödlicher Verlauf ist nicht auszuschließen. Eine primäre Giftentfernung durch Verabreichung von Aktivkohle kann innerhalb einer Stunde nach der Ingestion erfolgen. Ist bereits eine Vigilanzstörung eingetreten, besteht Aspirationsgefahr und es ist Intubationsschutz erforderlich.
Als spezifisches Antidot steht bei ausgeprägtem anticholinergen Syndrom Physostigminsalicylat zur Verfügung. Die weitere Behandlung erfolgt in jedem Fall symptomatisch. Aufgrund seiner pharmakokinetischen Eigenschaften (hohe Plasmaproteinbindung) ist eine sekundäre Giftentfernung durch Hämodialyse nicht effektiv.
ATC-Code
- D04AA10 - Dermatika - Antipruriginosa, inkl. Antihistaminika, Anästhetika etc. - Antihistaminika zur topischen Anwendung
- R06AD02 - Respirationstrakt - Antihistaminika zur systemischen Anwendung - Phenothiazin-Derivate
Zulassung
Promethazin wurde 1946 als Phenergan® bei Rhône-Poulenc in Frankreich entwickelt und heute (2024) unter dieser Warenbezeichnung von Sanofi vermarktet. Es ist ein Antihistaminikum der ersten Generation, das 1951 von der FDA zugelassen wurde.
Quellen
- ↑ 1,00 1,01 1,02 1,03 1,04 1,05 1,06 1,07 1,08 1,09 1,10 1,11 1,12 1,13 1,14 Promethazin Filmtabletten, Fachinformation neuraxpharm 08/2022, abgerufen am 13.05.2024
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Baud F, Garnier R. Toxicologie clinique. 6 ed., Paris : Lavoisier 2017
- ↑ 3,00 3,01 3,02 3,03 3,04 3,05 3,06 3,07 3,08 3,09 3,10 Promethazin Injektionslösung, Fachinformation neuraxpharm 08/2022, abgerufen am 13.05.2024
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 4,7 4,8 Benkert O, Hippius H. Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie, 14. Aufl., Berlin : Springer 2023
- ↑ Promethazine (oral): Do not use in children under 6 years of age due to the risk of psychiatric and central nervous system side effects. Medsafe New Zealand 13.05.2024, abgerufen am 13.05.2024
- ↑ 6,0 6,1 Promethazin. embryotox.de, abgerufen am 14.05.2024
Weblinks
- Drugbank - Promethazine, abgerufen am 13.05.2024
- Gelbe Liste Wirkstoffe - Promethazin, abgerufen am 13.05.2024
- PharmaWiki - Promethazin , abgerufen am 13.05.2024
- PubChem: 4927
- MeSH: 68011398