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Anticholinerges Syndrom

1. Definition

Unter dem Begriff anticholinerges Syndrom subsumiert man Symptome, die durch eine Überdosis anticholinerg wirkender Arzneistoffe oder Pflanzengifte hervorgerufen werden. Dabei kommt es zur weitgehenden Ausschaltung des Parasympathikus.

2. Epidemiologie

Das anticholinerge Syndrom tritt häufig nach Vollnarkosen (2 bis 9 % der Fälle) auf. Ebenfalls sind mehr als 5 % der Intensivpatienten betroffen.

3. Ätiologie

Das anticholinerge Syndrom wird meist durch anticholinerg wirkende Medikamente hervorgerufen.

Direkt anticholinerg wirkende Substanzen blockieren die Neurotransmission an muskarinischen Acetylcholinrezeptoren. Dazu zählen z.B. Atropin, Skopolamin, Neuroleptika, trizyklische Antidepressiva und Lachgas.

Indirekt anticholinerg wirkende Medikamente führen zu einem relativen Mangel an Acetylcholin an den cholinergen Rezeptoren und verschieben das Gleichgewicht der Transmittersysteme. Das trifft unter anderem für Benzodiazepine, Propofol, Antihistaminika, Opiate und Anästhetika zu.

Darüber hinaus kann ein anticholinerges Syndrom durch Ingestion von Pflanzen verursacht werden, die entsprechende Substanzen enthalten. Hierzu zählen vor allem Nachtschattengewächse wie Tollkirsche, Engelstrompete, Bilsenkraut und Stechapfel.

4. Klinik

In den meisten Fällen sind nur einzelne Symptome und nicht das Vollbild des anticholinergen Syndroms zu beobachten. Man unterscheidet ein peripheres anticholinerges Syndrom von einem zentralen anticholinergen Syndrom.

4.1. Peripheres anticholinerges Syndrom

Das periphere anticholinerge Syndrom imponiert durch Obstipation, Harnverhalt, Tachykardie und Hypertonie und eine Mydriasis. Die Haut ist trocken und gerötet. Schweiß und Speichelsekretion sind vermindert. Weitere mögliche Symptome sind:

4.2. Zentrales anticholinerges Syndrom

Zu den möglichen Symptomen des zentralen anticholinergen Syndroms gehören eine Minderung der Vigilanz, Aggressivität, Agitiertheit, Halluzinationen, Koma aber auch Schwindel und Dysarthrie. Es ist möglich, dass eine Vigilanzminderung das einzige Symptom eines zentralen anticholinergen Syndroms ist.

Das zentrale anticholinerge Syndrom lässt sich nach seinem Verlauf weiter in eine delirante und eine somnolente Form differenzieren:

4.2.1. Delirante Form

Bei der deliranten Form dominieren Angst und Unruhe, es kommt zur Verwirrtheit und Desorientierung mit visuelle und/oder auditive Halluzinationen. Zusätzlich können Bewegungsstörungen wie Myoklonien und Dysarthrie sowie Krampfanfälle auftreten.

4.2.2. Somnolente Form

Die somnolente Form zeigt sich durch eine Bewusstseinsstörung, die von einer Somnolenz bis hin zum Koma reichen kann. Im Extremfall kommt es zum Atemstillstand.

5. Differenzialdiagnose

Da die Symptome des anticholinergen Syndroms relativ unspezifisch sind, ist an zahlreiche Differenzialdiagnosen zu denken. Dazu gehört z.B. eine intrakranielle Raumforderung, eine Hirnblutung, eine Ischämie des Gehirns, ein Hydrozephalus, eine Enzephalitis oder auch ein non-konvulsiver Status epilepticus.

6. Diagnostik

Die dem Patienten verabreichten Medikamente können einen Hinweis auf die Erkrankung geben. Da die Symptome jedoch so unspezifisch sind, erfolgt meist eine breitgefächerte Diagnostik. Dazu gehören in der Regel ein Computertomogramm oder ein Magnetresonanztomogramm des Schädels, eine Lumbalpunktion, sowie ein EEG.

Wenn der Verdacht auf ein anticholinerges Syndrom geäußert wird, kann dieses mit dem Physostigmin-Test nachgewiesen werden. Dabei wird probatorisch Physostigmin verabreicht. Wenn dieses zu einer erhöhten Vigilanz führt, weist dies auf ein anticholinerges Syndrom hin.

7. Therapie

Medikamente, die zum anticholinergen Syndrom geführt haben, sollten ausgeschlichen oder ganz abgesetzt werden. Gegebenenfalls kann zusätzlich kurzfristig Physostigmin über einen Perfusor verabreicht werden.

8. Prognose

Die Prognose ist gut. Bei korrekter Diagnose und entsprechender Therapie ist eine Restitutio ad integrum möglich. Es sollte daran gedacht werden, dass in Zukunft auf anticholinerge Medikamente verzichtet wird, um ein erneutes Aufflammen der Symptome sowie eine Sedierung und Vigilanzminderung zu verhindern.

9. Quelle

Stichworte: Anticholinergikum, Koma
Fachgebiete: Intensivmedizin, Neurologie

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