Porphyrie
von altgriechisch: πορφύρα ("porphýra") - Purpurfarbe
Synonym: Porphyria
Englisch: porphyria
Definition
Porphyrien sind eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, bei der die Hämsynthese gestört abläuft. Es kommt zu einer Akkumulation von Stoffwechselintermediaten (Porphyrinogenen) mit daraus resultierenden Symptomen.
ICD-Klassifikation
Im ICD-10 wird zwischen erythropoetischen und sonstigen Formen der Porphyrie unterschieden.
Code | Bezeichnung |
---|---|
E80.0 | Hereditäre erythropoetische Porphyrie (inkl. kongenitale erythropoetische Porphyrie und erythropoetische Porphyrie) |
E80.1 | Porphyria cutanea tarda |
E80.2 | Sonstige Porphyrie (inkl. akute hepatische Porphyrie und akute intermittierende Porphyrie) |
Epidemiologie
Die Häufigkeit von Porphyrien unterscheidet sich je nach Typ der Porphyrie. Neben verbreiteten Formen wie der Porphyria cutanea tarda mit einer Prävalenz von 1:2.000 bis 1:5.000, gibt es extrem seltene Porphyrien, wie z.B. die kongenitale erythropoetische Porphyrie (CEP), die eine Prävalenz von 1:2.000.000 hat.
Ätiologie
Häm wird im menschlichen Organismus aus Succinyl-CoA und Glycin gebildet. Dabei finden 8 enzymatisch katalysierte Reaktionsschritte statt. Die beteiligten Enzyme können durch Gendefekte in ihrer Funktion gestört sein. Dadurch häufen sich Zwischenprodukte der Häm-Biosynthese vor dem Enzymblock an und führen zu Krankheitserscheinungen.
Einteilung
Porphyrien können anhand mehrerer Kriterien eingeteilt werden, wobei sich die Einteilungen stark überschneiden.
Erythropoetische und hepatische Porphyrien
Nach dem vorwiegenden Expressionsmuster der Enzyme in verschiedenen Geweben werden erythropoetische Formen von hepatischen Formen der Porpyhyrie unterschieden:
- Erythropoetische Porphyrien
- Hepatische Porpyhrien
- ALA-Dehydrasemangel-Porphyrie (ADP)
- Akute intermittierende Porphyrie (AIP)
- Porphyria cutanea tarda (PCT) und Hepatoerythropoetische Porphyrie (HEP)
- Porphyria variegata (PV)
- Hereditäre Koproporphyrie (HCP)
Das enzymatische Expressionsmuster gibt jedoch nur eine Tendenz zu klinischem Organschwerpunkt an; z.B. können sich auch erythropoietische Porphyrien durch Leberschädigungen äußern.
Akute und nicht akute Porphyrien
Nach der zeitlichen Art der Manifestation der Erkrankung werden akute und nichtakute Formen unterschieden. Den akut auftretenden Formen der Porphyrien liegen Enzymdefekte zugrunde, die erst bei Enzyminduktion des hepatischen Hämsynthese-Schrittmacherenzyms δ-ALA-Synthetase 1 zur Porphyrinogenakkumulation führen. Es kommt dabei zu akuten neuroviszeralen Symptomen. Nur hepatische Porphyrieformen verlaufen akut:
- Akute Porphyrien
- ALA-Dehydrasemangel-Porphyrie
- Akute intermittierende Porphyrie
- Porphyria variegata
- Hereditäre Koproporphyrie
- Nicht akute Porphyrien
- Porphyria cutanea tarda
- Hepatoerythropoetische Porphyrie
- Kongenitale erythropoetische Porphyrie
- Erythropoetische Protoporphyrie
- X-chromosomal dominante Protoporphyrie
Kutane und nicht kutane Porphyrien
Nach Vorhandensein von Manifestationen an der Haut (kutane Photosensitivität) werden kutane und nicht kutane Formen der Porphyrie unterschieden:
- Kutane Porphyrien
- Porphyria cutanea tarda und Hepatoerythropoetische Porphyrie
- Porphyria variegata
- Hereditäre Koproporphyrie
- Kongenitale erythropoetische Porphyrie
- Erythropoetische Protoporphyrie
- X-chromosomal dominante Protoporphyrie
- Nicht kutane Porphyrien
- ALA-Dehydrasemangel-Porphyrie
- Akute intermittierende Porphyrie
Sekundäre Porphyrien
Störungen der Hämsynthese können auch sekundär ohne Gendefekte auftreten. Ursachen dieser sekundären Porphyrien können sein:
- Schädigung der Leberfunktion (z.B. durch Alkohol, Vergiftungen mit Chemikalien, Medikamente)
- Bleivergiftung
- Hämochromatose
- Hämolytische Anämien (vermehrte Hämsynthese)
- Leukämien
- Bilirubintransportstörungen (Rotor-Syndrom, Dubin-Johnson-Syndrom)
Klinik
Die Klinik ist abhängig vom jeweils vorliegenden Porphyrie-Typ und zeigt ein weites Spektrum möglicher Verläufe, von subklinischen Beschwerden bis hin zu akuten Krankheitsschüben mit heftigen Krisen, die von symptomfreien Intervallen unterbrochen werden. Mögliche Symptome einer akuten neuroviszeralen Attacke bei akuten Porphyrien sind:
- kolikartige Bauchschmerzen
- Erbrechen
- Nausea
- Obstipation
- Krämpfe
- akute neurologische Ausfälle, periphere Paresen, bis hin zur Tetraplegie und/oder Koma
- psychiatrische Symptome
- Fotodermatosen
- Tachykardie
- Hypertonie
- Hyponatriämie
- nicht abdominale Schmerzen
- evtl. rotgefärbter und nachdunkelnder Urin (nur im akuten Stadium)
Mögliche kutane Symptome sind:
- Hypersensibilität der Haut
- Photodermatosen
- Hypertrichose
- Pigmentstörungen
- Blasenbildung der Haut
Krankheitsverlauf und Symptomkomplex, in Vergesellschaftung mit psychiatrischen Symptomen, machen bei einigen Prophyrieformen die diagnostische Abgrenzung zu somatoformen Störungen und anderen psychischen Erkrankungen mit hoher Komorbidität schwierig. Auch das klassische Labor zum Ausschluss akuter organischer Störungen bei Verdacht auf eine endogene psychische Störung erfasst Porphyrien nicht. Das Blutbild ist unspezifisch.
Allgemein gilt: Bei der Trias Abdominalschmerzen, Lähmungen/Psychosen und Tachykardie sollte man an eine Porphyrie denken.
Die Erstmanifestation sowie Krisen werden häufig durch Medikamente (Metamizol, Barbiturate, Diazepam, Sulfonamide, Enalapril u.a.) ausgelöst. Auf der Homepage der Europäischen Porphyrie-Initiative EPI findet man eine Liste der verträglichen Medikamente. Auch Infekte, Operationen, Hormone (orale Kontrazeptiva!), Alkohol und Fasten sind mögliche Auslöser.
Labordiagnostik
Bei Verdacht auf Porphyrie werden die Porphyrinvorläufer δ-Aminolävulinsäure und Porphobilinogen im Spontanurin überprüft. Im Rahmen der erweiterten Diagnostik können weitere Stoffwechsel-Zwischenprodukte bestimmt werden (s. Tabelle). Für eine definitive Diagnose ist der molekularbiologische Nachweis eines Gen-Defekts notwendig.
Bei der Diagnostik treten die absoluten Erhöhungen der Ausscheidungswerte der Porphyrine in den Hintergrund. Sie liefern zwar Informationen zur Einschätzung der klinischen Auswirkungen, für die Beurteilung der zugrundeliegenden Ursache ist jedoch die Verschiebung der einzelnen Metabolit- bzw. Isomeranteile zu untersuchen.
Da der vorherrschende Ausscheidungsweg vom jeweiligen Porphyrin-Vorläuferstoff abhängt, ist es sinnvoll, sowohl den renalen als auch den fäkalen Exkretionsweg in die diagnostische Abklärung miteinzubeziehen. Die höhercarboxylierten Fraktionen wie Uro- und Heptacarboxyporphyrin werden überwiegend über den Urin ausgeschieden. Die Gruppe der Tri- und Dicarboxyporphyrine ist in diagnostisch relevanten Mengen im Wesentlichen im Stuhl der Betroffenen vorhanden. Das amphiphile Koproporphyrin findet sich in vergleichbarem Umfang in beiden Ausscheidungswegen.
Die Metaboliten in Blutserum oder Blutplasma reflektieren sehr präzise den aktuellen Stoffwechselstatus, sind aber aufgrund fehlender Anreicherung relativ niedrig und mit größerer analytischer Ungenauigkeit behaftet.
Material
Für die labormedizinische Untersuchung werden 50 ml Sammelurin, eine Stuhlprobe sowie 10 ml EDTA-Blut benötigt.
Lichtgeschützt sind Urin- und Blutproben über mehrere Tage hinreichend stabil. Bei Stuhlproben kann das Analyseergebnis durch mikrobielle Umwandlungsprozesse beeinflusst werden.
Referenzbereiche
Die Referenzbereiche für Erwachsene in den jeweiliegen Proben sind in den folgenden Tabellen angegeben.
Nachweis im 24-h-Sammelurin
Parameter | Normbereich |
---|---|
Basisdiagnostik | |
Gesamtporphyrine | < 100 µg/24 h |
δ-Aminolävulinsäure | 250 bis 6.400 µg/24 h |
Porphobilinogen | 100 bis 1.700 µg/24 h |
Erweiterte Diagnostik | |
Uroporphyrin | 3 bis 24 µg/24 h |
Heptacarboxyporphyrin | 0 bis 3 µg/24 h |
Hexacarboxyporphyrin | 0 bis 2 µg/24 h |
Pentacarboxyporphyrin | 0 bis 4 µg/24 h |
Koproporphyrin | 14 bis 78 µg/24 h |
Tricarboxyporphyrin | 0 bis 2 µg/24 h |
Protoporphyrin | 0 bis 1 µg/24 h |
Nachweis im Stuhl
Die Angaben beziehen sich auf das Trockengewicht des Stuhls.
Parameter | Normbereich |
---|---|
Gesamtporphyrine | < 85 µg/g |
Uroporphyrin | < 6 µg/g |
Heptacarboxyporphyrin | < 2 µg/g |
Hexacarboxyporphyrin | < 1 µg/g |
Pentacarboxyporphyrin | < 3 µg/g |
Koproporphyrin | 3 bis 24 µg/g |
Protoporphyrin | 12 bis 85 µg/g |
Nachweis im Blut
Parameter | Normbereich |
---|---|
Erythrozyten | |
Protoporphyrin | < 360 µg/l Ery |
Koproporphyrin | < 20 µg/l Ery |
Blutplasma | |
Protoporphyrin | 0,1 bis 0,8 µg/dl |
Koproporphyrin | 0 bis 0,2 µg/dl |
Uroporphyrin | 0 bis 0,1 µg/dl |
Interpretation
Ein Anstieg der Gesamtporphyrine bis zur sechsfachen Referenzbereichsgrenze (ca. 800 µg/24 h) ist eine häufige Folge verschiedener anderweitiger Grunderkrankungen. Eine Porphyrinurie ist daher nicht gleichbedeutend mit einer Porphyrie. Erhöhungen der Gesamtporphyrine bei gleichzeitigem Anstieg der Porphyrinvorläufer geben jedoch einen Hinweis auf das Vorliegen z.B. einer akuten hepatischen Porphyrie oder eines akuten toxischen Porphyriesyndroms. Die erhaltenen Wertkonstellationen der Metaboliten sind dabei stark abhängig von der jeweiligen Erkrankungsphase.
Folgende tabellarische Übersicht des Metabolitennachweises aus dem 24-h-Sammelurin kann bei der Diagnosefindung richtungsweisend sein:
Erkrankung | Stadium | Gesamtporphyrine | δ-Aminolävulinsäure | Porphobilinogen | Uroporphyrin | Koproporphyrin |
---|---|---|---|---|---|---|
Akute intermittierende Porphyrie | akut | ↑↑ | ↑↑ | ↑↑ | ↑↑ | ↑↑ |
latent | n bis ↑ | n bis ↑ | n bis ↑ | n bis ↑ | n bis ↑ | |
Porphyria variegata | akut | ↑(↑) | ↑(↑) | ↑↑ | ↑(↑) | ↑(↑) |
latent | n | n | n | n | n bis ↑ | |
Hereditäre Koproporphyrie | akut | ↑(↑) | ↑(↑) | ↑ | ↑ | ↑ |
latent | n bis ↑ | n bis ↑ | ↑↑ | n bis ↑ | ↑↑ | |
Chronische hepatische Porphyrie | n bis ↑ | n | ↑↑ | ↑(↑) | ↑ | |
Sekundäre Koproporphyrinurie | n bis ↑ | n | ↑↑ | ↑(↑) | ↑ | |
Bleivergiftung | akut | ↑↑ | n bis ↑ | ↑↑ | n bis ↑ | ↑↑ |
chronisch | ↑ | n | ↑ | n bis ↑ | ↑ | |
Kongenitale erythropoetische Porphyrie | n | n | ↑↑ | ↑↑ | ↑↑ | |
Erythrohepatische Portoporphyrie | n | n | n bis ↑ | n bis ↑ | n bis ↑ |
n: normal; ↑: erhöht; ↑(↑): deutlich erhöht; ↑↑: exzessiv erhöht; ↓: erniedrigt; ↓(↓): deutlich erniedrigt; ↓↓: exzessiv erniedrigt
Literatur
- Laborlexikon.de, abgerufen am 20.04.2021
- Stöcker W: Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik. Springer, Berlin, Heidelberg. 2019
- European Porphyria Network – The porphyrias, abgerufen am 22.05.2023
- Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin, Thieme Verlag, 20. Auflage, 2020
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