Malignes neuroleptisches Syndrom
Synonym: malignes Neuroleptika-Syndrom
Englisch: neuroleptic malignant syndrome, NMS
Definition
Das maligne neuroleptische Syndrom, kurz MNS, ist ein seltenes, aber lebensbedrohliches Krankheitsbild, das durch Dopaminantagonisten (vor allem Neuroleptika), Lithium oder trizyklische Antidepressiva ausgelöst wird. Es tritt bei hoher Dosierung oder schneller Aufdosierung der genannten Medikamente meist in den ersten 4 Wochen nach Therapiebeginn bzw. -umstellung auf.
Auslöser
Folgende Stoffgruppen bzw. Arzneistoffe können ein malignes neuroleptisches Syndrom auslösen:
- Antikonvulsiva (z.B. Carbamazepin)
- Niederpotente Neuroleptika (z.B. Pipamperon, Chlorprothixen)
- Mittelpotente Neuroleptika (z.B. Perazin)
- Hochpotente Neuroleptika (z.B. Haloperidol, Fluphenazin)
- Atypische Neuroleptika (z.B. Risperidon, Quetiapin)
- Phasenprophylaktika (z.B. Lithium)
- Antidepressiva (z.B. Citalopram, Sertralin, Venlafaxin, Dosulepin, Desipramin)
- Antiemetika (z.B. Metoclopramid)
Pathogenese
Die genaue Pathogenese des malignen neuroleptischen Syndrom ist derzeit (2024) noch nicht eindeutig geklärt. Man vermutet, dass für die Erkrankung eine verminderte dopaminerge Transmission der Schaltkreise ursächlich ist, welche die Basalganglien mit dem thalamo-kortikalen Regelkreis verbinden. Zudem wird davon ausgegangen, dass die Hemmung von D2-Rezeptoren im Hypothalamus zu einer Dysregulation der Temperatur mit Fieber führt und die Hemmung von D2-Rezeptoren im Striatum die Muskelsteifheit zur Folge hat.[1][2]
Risikofaktoren
- Malignes neuroleptisches Syndrom in der Vorgeschichte
- Einnahme hochpotenter Neuroleptika
- schnelle Dosiserhöhung des Neuroleptikums
- hohe Dosierung des Medikaments
- vorbestehende Hirnschädigung
- Neuroleptikagabe bei Kindern oder Jugendlichen
- parenterale Applikation des Neuroleptikums
Klinik
- akute Hyperthermie mit Exsikkose ohne Infektionsnachweis
- Bewusstseinsstörung bis hin zu Koma
- Mutismus
- Inkontinenz
- generalisierter Rigor (Zahnradphänomen)
- extrapyramidalmotorische Störungen (Grimassieren, Tremor, Opisthotonus)
- vegetative Symptomatik (Schweißausbruch, Tachykardie, Hypertonie)
Labor
- CK-Erhöhung (oft > 1000 U/I)
- Leukozytose
- unter Umständen Myoglobinurie
Differentialdiagnose
- Malignes L-Dopa-Entzugssyndrom
- Perniziöse Katatonie (katatoner Stupor)
- Maligne Hyperthermie
- Serotoninsyndrom
- Akinetische Krise bei Morbus Parkinson
- Infektionen des ZNS
Die Differenzierung zwischen einem malignen neuroleptischen Syndrom und einer perniziösen Katatonie ist aufgrund der ähnlichen Symptomatik schwierig (früher als katatones Dilemma bezeichnet). Sie kann bei unklarer Medikamentenanamnese ein therapeutisches Dilemma zur Folge haben. Während beim malignen neuroleptischen Syndrom die Neuroleptikatherapie abgesetzt werden muss, wird sie bei einer perniziösen Katatonie fortgesetzt.
Komplikationen
Eine wichtige Komplikation des malignen neuroleptischen Syndroms ist die Rhabdomyolyse mit Myoglobinurie, die ein akutes Nierenversagen (Crush-Niere) verursacht. Die Hyperthermie kann zu einer Dehydratation führen, die wiederum Phlebothrombosen und eine Lungenembolie auslösen kann. Des Weiteren können Krampfanfälle auftreten. Möglicher Endpunkt der Komplikationen ist ein Multiorganversagen.
Therapie
Die Primärmaßnahme ist das sofortige Absetzen der verursachenden Neuroleptika. Weitere Maßnahmen umfassen:
- Monitoring (EKG, RR, Temperatur, CK, Myoglobin, BGA, Elektrolyte)
- Volumensubstitution
- Korrektur der metabolischen Azidose
- Fiebersenkung, medikamentös (z.B. mit Paracetamol) und physikalisch
- Thromboseprophylaxe (Heparin, Physiotherapie)
- Behandlung des dopaminergen Defizits mit Bromocriptin oder Amantadin
- Dantrolen in schweren Fällen bzw. bei ausbleibender Besserung nach 24 Stunden
- in manchen Fällen Elektrokrampftherapie (EKT)
Andere Pharmaka, die in Kombination eine Verbesserung der Symptome zeigen, sind Benzodiazepine und Clonidin.
Prognose
Eine frühzeitige Erkennung der Erkrankung ist besonders wichtig. Es muss intensivmedizinisch behandelt werden. Die Erkrankungsdauer beträgt meist bis zu zehn Tage. Die Letalität liegt bei 5 bis 10 %. Da die Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens deutlich erhöht ist, sollte der Neubeginn der neuroleptischen Therapie sehr sensibel angegangen werden. Günstiger sind atypische Neuroleptika und möglichst niedrige Dosierungen.
Quellen
- ↑ Assion et al. Malignes neuroleptisches Syndrom. Thieme-Verlag, 2004
- ↑ Desai et al. Malignant Catatonia Versus Neuroleptic Malignant Syndrome, Cureus, 2021
Literatur
- Wijdicks EFM, Ropper AH. Neuroleptic Malignant Syndrome. N Engl J Med. 2024
- Berman BD. Neuroleptic malignant syndrome: a review for neurohospitalists. Neurohospitalist. 2011 Jan;1(1)
- AWMF; S2k-Leitlinie „Notfallpsychiatrie (Stand: 13.04.2019); AWMF-Registernummer: 038-023
um diese Funktion zu nutzen.