Elektrokrampftherapie
Synonyme: Elektrokonvulsionstherapie, Elektroschocktherapie (obsolet)
Englisch: electroconvulsive therapy
Definition
Die Elektrokrampftherapie, kurz EKT, ist eine 1938 von den italienischen Ärzten Ugo Cerletti und Lucio Bini eingeführte Behandlungsmethode zur Behandlung therapieresistenter oder schwerer psychischer Störungen, bei der kurze Stromimpulse über Oberflächenelektroden auf der Kopfhaut appliziert werden, was ein generalisierten Krampfanfall auslöst.
Hintergrund
Die Elektrokrampftherapie ist nach einer wechselhaften Geschichte heute (2023) ein etabliertes Behandlungsverfahren. Jährlich werden in Deutschland etwa 2.000 bis 4.000 Patienten behandelt.
Indikationen
Hauptindikationen der EKT sind:
- endogene wahnbildende Depressionen mit oder ohne Suizidalität und/oder Nahrungsverweigerung
- Katatonien (katatoner Stupor, perniziöse Katatonie)
- Versagen der Neuroleptikatherapie bei psychotischen Störungen
- therapieresistente manische Störungen (seltener)
Der Einsatz der EKT ist erst nach sorgfältiger Überprüfung mehrerer Kriterien angezeigt. Dazu zählen u.a.:
- Schwere der Erkrankung
- Therapieresistenz
- Behandlungsvorgeschichte
- Nutzen-Risiko-Abwägung
- Berücksichtigung anderer Behandlungsoptionen
- Patientenwunsch
Bei der lebensbedrohlichen perniziösen Katatonie ist die Elektrokrampftherapie die einzige bekannte lebensrettende Behandlungsmaßnahme.
Insbesondere bei schweren, therapieresistenten Depressionen sollte die EKT aufgrund des hohen Risikos der Chronifizierung nicht als Ultima Ratio verstanden, sondern frühzeitig in Betracht gezogen werden. Der Behandlungserfolg liegt bei über 50%.
Wirkmechanismus
Der Wirkmechanismus ist nicht genau geklärt. Die Wirksamkeit beruht jedoch hoch wahrscheinlich auf der vorübergehenden koordinierten Aktivität der Neuronen. Eine Vermutung ist, dass es im Rahmen des Krampfanfalls zu einer Ausschüttung von Hormonen und Nervenwachstumsfaktoren kommt. Dabei werden neue synaptische Verbindungen hergestellt und eine Regeneration von Hirngewebe sowie die Wiederherstellung bislang eingeschränkter Funktionen erzielt ("Reset").
Durchführung
Die EKT darf nur von qualifizierten Fachärzten (aus Psychiatrie und Anästhesie) durchgeführt werden. Dies geschieht in der Regel stationär.
Da die Wirkung meist nicht von Dauer ist, sind wiederholte Anwendungen nötig. In der Regel erfolgen die Applikationen dreimal wöchentlich mit einem Mindestabstand von 48 Stunden. Insgesamt werden je nach Ansprechen durchschnittlich 10 Anwendungen durchgeführt.
Der Patient bzw. die Angehörigen muss umfangreich aufgeklärt werden und der Behandlung schriftlich zustimmen. Vor der Behandlung bleiben die Patienten nüchtern.
Vor der EKT wird durch einen Anästhesisten eine Kurznarkose (z.B. mittels Propofol oder Etomidat) mit Muskelrelaxation (z.B. Succinylcholin) und Sauerstoffgabe mittels Maske eingeleitet. Die Möglichkeiten zur Intubation und Reanimation sollten für den Notfall bereit stehen. Eine prophylaktische Intubation erfolgt nicht. Die Rate der unter einer Elektrokrampftherapie erfolgten Intubationen ist sehr selten. Zum Schutz der Zähne und der Lippen wird ein Zahnschutz verwandt. Das Monitoring umfasst EKG-Ableitungen, Blutdruckmessungen und Pulsoxymetrie.
Vor der Stromapplikation werden 5 EEG-Elektroden zur Auswertung angebracht und die Impedanz zwischen den stromapplizierenden Elektroden gemessen.
Die Elektroden werden in der Regel unilateral über der nicht-dominanten Gehirnhemisphäre platziert. Dabei treten nicht so viele Nebenwirkungen auf, wie bei der früher üblichen bilateralen Ableitung. Nur bei Schwerstkranken wird in einigen Fällen auf die bilaterale Applikation zurückgegriffen. Anschließend löst der Psychiater durch kurze Stromimpulse (600 mA, drei bis fünf Sekunden) einen generalisierten Krampfanfall aus.
Der Krampfanfall ist i.d.R. selbstlimitierend (30 bis 90 Sekunden).
Die Güte des Krampfanfalls wird mittels EEG-Ableitung objektiviert. Hierbei sind beispielsweise die Dauer, die Amplituden, die Synchronizität, durchschnittliche Energie und der abrupte Abbruch Gütekriterien.
Nach der EKT verweilen die Patienten unter kurzer Nachbeobachtung.
Die EKT ist als Teil eines Gesamtbehandlungskonzepts zusätzlich zu Psychotherapie und Psychopharmakotherapie zu verstehen.
Wirksamkeit
Die Erfolgsrate ist unter anderem abhängig vom genauen Krankheitsbild und von der Vorbehandlung. Bei depressiven Störungen wird grundsätzlich eine höhere Ansprechrate erzielt, als bei manischen und psychotischen Störungen.
Oft ist eine Erhaltungs-EKT mit längeren Intervallen zur Aufrechterhaltung der Besserung notwendig.
Nebenwirkungen
Nach der Behandlung kann es zu Nebenwirkungen kommen. Im Vordergrund stehen postiktale akute, reversible Verwirrtheitszustände und leichte Gedächtnisstörungen. Diese bilden sich in der Regel nach wenigen Stunden bis Tagen zurück. Auch Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen können auftreten und symptomatisch behandelt werden.
Seit die unilaterale Ableitung bevorzugt wird, haben die amnestischen Störungen stark abgenommen.
Das Mortalitätsrisiko beträgt 1:50.000 Einzelbehandlungen und ist somit mit dem allgemeinen Narkoserisiko zu vergleichen.
Kontraindikationen
- kürzlich überstandener Herzinfarkt (3 Monate)
- schwerste kardiopulmonale Funktionseinschränkungen
- hypertensive Krise
- erhöhter Hirndruck
- frischer Hirninfarkt (3 Monate)
- intrazerebrale Raumforderungen mit Begleitödem
- akuter Glaukomanfall
- zerebrales Aneurysma
- zerebrales Angiom
Vor der Behandlung sind deshalb entsprechende Untersuchungen notwendig.
Keine Kontraindikationen sind höheres Lebensalter (steigert i.d.R. sogar die Effizienz), Schwangerschaft und Herzschrittmacher.
Im Notfall bestehen für die EKT keine absoluten Kontraindikationen.
Diskussion
Die Elektrokrampftherapie ist in der Öffentlichkeit noch immer mit Vorurteilen behaftet. Auch viele Patienten stehen der EKT vor der Aufklärung sehr skeptisch gegenüber.
Die ersten Versuche der beiden italienischen Ärzte erfolgten an einem von der Polizei zur Verfügung gestellten psychisch gesunden Menschen gegen seinen Willen. Außerdem wurde die Elektrokrampftherapie zum Beispiel als "Therapie" der Homosexualität eingesetzt.
Die Darstellung in dem Film "Einer flog über das Kuckucksnest" zeigt, dass die Elektrokrampftherapie auch ohne Indikation und als Bestrafung eingesetzt wurde. Hierdurch wird das Bild vermittelt, dass dies der übliche Einsatz der Therapie ist.
Unter Fachleuten und in der Literatur herrscht allerdings breiter Konsens, dass die EKT eine wissenschaftlich erprobte (> 13.000 wissenschaftliche Untersuchungen) und sichere Methode ist, die bei richtiger Indikationsstellung Leben retten kann.
Literatur
- Folkerts, H.; Remschmidt, H.; Saß, H.; Sauer, H.; Schäfer, M.; Sewing, K.-Fr. Bekanntmachungen: Stellungnahme zur Elektrokrampftherapie (EKT) als psychiatrische Behandlungsmaßnahme Dtsch Arztebl 2003; 100(8): A-504 / B-432 / C-408
- Elektrokonvulsionstherapie (EKT), EKT in 24 Fragen Ein DGPPN-Ratgeber für Patienten und Angehörige, abgerufen am 18.9.2023