Immunonkologie
Synonym: Krebsimmuntherapie
Englisch: immuno-oncology, cancer immunotherapy
Definition
Die Immunonkologie ist ein Teilgebiet der Onkologie, das Komponenten oder Mechanismen des Immunsystems für die Behandlung maligner Tumoren nutzt. Ihre verschiedenen Behandlungsmethoden nennt man Krebsimmuntherapien.
Eine Chemoimmuntherapie ist eine Krebsimmuntherapie, die mit einer Chemotherapie kombiniert wird.
Hintergrund
Das menschliche Immunsystem tötet beim Gesunden wahrscheinlich kontinuierlich maligne Zellen ab und schützt den Körper so vor einem unkontrollierten Tumorwachstum. Immundefekte begünstigen die Entstehung von Krebserkrankungen.
Neben kongenitalen Keimbahnmutationen, die Patienten schon von Geburt an zur Tumorentstehung prädisponieren, kann auch eine prolongierte Immunsuppression zu einer erhöhten Inzidenz von Tumoren führen. Dies sieht man zum Beispiel bei Patienten mit langzeitiger medikamentöser Immunsuppression nach Organtransplantationen oder bei unbehandelten HIV-Patienten.
Ein elementares Problem der Tumorabwehr ist, dass Tumoren aus körpereigenen Zellen entstehen. Zur Vermeidung von Autoimmunität werden autoreaktive T-Zellen im Thymus eliminiert (zentrale Toleranz) oder im Gewebe supprimiert (periphere Toleranz), wodurch keine Aktivität gegen gesunde körpereigene Zellen oder gering veränderte Tumorzellen vorhanden ist.
Tumorantigene
Die antitumorale Immunantwort ist erheblich von fremden oder irregulären Oberflächenmerkmalen der Krebszellen abhängig, die eine Aktivierung des Immunsystems hervorrufen. Diese Merkmale nennt man Tumorantigene. Tumorantigene lassen sich in tumorspezifische Antigene (TSA), tumorassoziierte Antigene (TAA) und virale Antigene unterteilen. Tumorspezifische Antigene entstehen meist durch mutierte Proteine oder Fusionsproteine. Tumorassoziierte Antigene zeigen eine hohe Expression bei Tumorzellen, sind aber nicht tumorspezifisch, da sie auch im gesunden Organismus vorkommen. Virale Antigene sind Antigene von onkogenen Viren.
Je nach Tumorentität zeigt sich ein unterschiedlich hoher Anteil an Mutationen des Tumorgenoms. Sie bilden die sogenannte Tumormutationslast ("tumor mutational burden"). Vereinfacht gesagt, weisen Tumoren mit einer hohen Mutationslast eine erhöhte Immunogenität auf. Beispiele sind das maligne Melanom, Plattenepithelkarzinome der Haut oder Lunge sowie Kopf-Hals-Tumoren.
Im Laufe der Tumorerkrankung passt sich der Tumor an das Immunsystem an. Durch die Angriffe des Immunsystems werden Tumorzellen selektiert, welche die Immunmechanismen unterlaufen, z.B. indem sie die entlarvenden Antigene nicht mehr exprimieren. Dadurch kommt es im Laufe der Zeit zu einer verminderten Immunzellaktivität.
Therapieprinzip
Die Tumorantigene und die damit verbundene Immunogenität der Tumorzellen lassen sich therapeutisch nutzen. Grundprinzipien sind dabei eine Verstärkung der körpereigenen Immunantwort auf den Tumor und eine spezifische Adressierung der Tumorzellen, um sie gezielt zu zerstören. Die Therapiemethoden verfolgen verschiedene Strategien und umfassen u.a. Zytokine, Checkpoint-Inhibitoren oder stimulierte Immunzellen. In Kombination mit anderen Therapiemaßnahmen können sie zu einer deutlichen Remission des Tumors führen, indem sie die Krebszellen in die Apoptose treiben. Nicht jeder Patient profitiert von diesen Immuntherapeutika. Prädiktive Faktoren, die ein Therapieansprechen voraussagen, fehlen bislang weitgehend.
Einteilung
Die verfügbaren Therapiemethoden können nach mehreren Aspekten eingeteilt werden:
...nach Spezifität
- spezifische Immuntherapie: richtet sich gegen spezifische Eigenschaften der Tumorzellen, z.B. gegen ein bestimmtes Tumorantigen
- unspezifische Immuntherapie: führt zu einer allgemeinen, aber ungerichteten Stimulation des Immunsystems
...nach Wirkprofil
- aktive Immuntherapie: Aktivierung des patienteneigenen Immunsystems, z.B. mit Tumorvakzinen, Checkpoint-Inhibitoren oder onkolytischen Viren
- passive Immuntherapie: Unterstützung des patienteneigenen Immunsystems mit genetisch veränderten Immunzellen, monoklonalen Antikörpern oder Zytokinen
...nach Wirkträger
- zelluläre Immuntherapie: Behandlung mit Immunzellen
- humorale Immuntherapie: Behandlung mit Antikörpern oder Zytokinen
Die immunonkologischen Verfahren können dabei jeweils in mehrere Kategorien eingeordnet werden. Monoklonale Tumorantikörper sind zum Beispiel eine spezifische und passive Immuntherapie.
Therapieformen
Zelluläre Immuntherapien
Bei zellulären Immuntherapien werden meist patienteneigene Effektorzellen (T-Zellen, NK-Zellen, dendritische Zellen) durch Leukozytapherese gewonnen. Diese Zellen werden aktiviert und/oder genetisch modifiziert, in einem Zellkultursystem vermehrt und im Sinne eines adoptiven Zelltransfers wieder reinfundiert. Zelluläre Immuntherapien sind Individualtherapien, d.h. die Zellen werden spezifisch für einen Patienten aufbereitet. Neben patienteneigenen Zellen werden gelegentlich auch allogene Immunzellen verwendet.
Zu den zellulären Immuntherapien zählen:
- CAR-T-Zellen (CAR-T): Diese Zellen werden bereits klinisch eingesetzt. Sie sind mit chimären Antigen-Rezeptoren (CAR) ausgestattet, die spezifische Proteine auf der Oberfläche von Tumorzellen erkennen. CAR-T-Zellen werden u.a. bei Patienten mit multiplem Myelom, bestimmten B-Zell-Lymphomen und rezidivierter oder refraktärer akuter lymphatischer Leukämie (ALL) eingesetzt. Beispiele sind Tisagenlecleucel, Axicabtagen-Ciloleucel, Idecabtagen-Vicleucel und Lisocabtagen-Maraleucel. CAR-T-Zellen erkennen allerdings nur relativ große Oberflächenproteine der Tumorzellen (Cluster of Differentiation).
- Dendritische Zelltherapie (DCT): Die dendritsche Zelltherapie bedient sich antigenpräsentierender dendritischer Zellen, um eine Immunanwort gegen den Tumor zu provozieren. Dazu werden aus dem Patientenblut gewonnene dendritische Zellen in der Zellkultur Tumorantigenen ausgesetzt. Ein Beispiel für diese Therapiemethode ist Sipuleucel-T.
- T-Zellen mit tumorspezifischen T-Zellrezeptoren (TCR-Ts): Sie besitzen Rezeptoren, die tumorassoziierte Antigene (TAAs) mit hoher Spezifität erkennen. Die T-Zell-Rezeptoren werden mit Hilfe viraler Vektoren auf die gewonnenen T-Zellen des Patienten übertragen. TCR-Ts binden nicht an Oberflächenproteine, sondern an Polypeptide, die vom MHC-Klasse-I-Komplex der Tumorzelle präsentiert werden – daher können sie auch gegen intrazelluläre Tumorantigene ausgerichtet werden. CAR-T-Zellen und TCR-T-Zellen sind theoretisch als komplementäre Therapieansätze nutzbar. TCR-Ts sind jedoch zur Zeit (2022) noch nicht zugelassen.
- Zytokin-induzierte Killerzellen (ZIK, CIK): Patienteneigene T-Zellen werden extrakorporal vermehrt und durch verschiedene Zytokine induziert. Mit ZIK-Zellen konnten im Rahmen klinischer Studen bei verschiedenen Tumoren, u.a. bei Nierenkarzinomen, Magenkarzinomen, Mammakarzinomen und Leukämien, Remissionen erreicht werden. Eine Vorgängertherapie der ZIK-Zellen sind die Lymphokin-aktivierten Killerzellen (LAK).
- Tumorinfiltrierende Lymphozyten (TIL): Sie werden in Zellkulturen auf gleiche Weise vermehrt wie ZIK-Zellen. Die T-Zellen werden jedoch nicht aus dem peripheren Blut, sondern aus reseziertem Tumorgewebe gewonnen. Dadurch lässt sich theoretisch eine T-Zell-Population mit größerer Tumorspezifität gewinnen. Dieser Ansatz wird zur Zeit (2022) bereits experimentell in spezialisierten Zentren durchgeführt, befindet sich aber ebenfalls noch in klinischer Prüfung.
Die gleichzeitige Verwendung von Interferon verstärkt die Expression von MHC-Antigenen auf Tumorzellen und steigert dadurch die Zerstörung von Tumorzellen durch die infundierten Effektorzellen.
Tumorspezifische Antikörper
Tumorspezifische Antikörper adressieren bestimmte Tumorantigene, um eine antineoplastische Wirkung zu erzielen. Ihre Effektivität ist u.a. vom Bindungsvermögen der Antikörper und der Erreichbarkeit der Tumorzellen abhängig. Je klarer das Antigen-Profil der Tumorzellen ist und je besser die Tumorzellen von den Antikörpern erreicht werden können, desto prägnanter ist ihre Wirkung. Bei großen soliden Tumoren kann oft keine ausreichende Konzentration im Tumorgewebe erreicht werden.
- Immunkonjugate nutzen monoklonale Antikörper gegen bestimmte Tumorantigene, um die Tumorzellen spezifisch mit zytotoxischen Substanzen oder Radionukliden zu konfrontieren. Diese Substanzen sind durch einen Linker mit dem Antikörper verbunden. Zur Anwendung kommen Chemoimmunkonjugate (z.B. Belantamab-Mafodotin) und Radioimmunkonjugate (z.B. 90Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan). Mithilfe dieser "bewaffneten Antikörper" lassen sich hochpotente Wirkstoffe verwenden, die bei systemischer Gabe aufgrund ihrer hohen Toxizität zu erheblichen Nebenwirkungen führen würden.
- Bispezifische Antikörper sind zwei miteinander verknüpfte Antikörper, von denen einer mit der Tumorzelle reagiert und ein zweiter mit einer zytotoxischen Effektorzelle. Beispiele sind BiTE-Antikörper wie Blinatumomab oder DART-Antikörper wie Flotetuzumab. Diese Verfahren bringen die Effektorzelle nahe an die Tumorzelle und führen so zu einer Erhöhung der immunologischen Aktivität gegen die Tumorzellen.
Checkpoint-Inhibitoren
Checkpoint-Inhibitoren sind monoklonale Antikörper, die sogenannte Immuncheckpoints hemmen. Sie modifizieren dadurch die immunologische Eigentoleranz und triggern damit eine Abwehrreaktion des Immunsystems auf das Tumorgewebe. Etablierte Checkpoint-Inhibitoren richten sich u.a. gegen CTLA-4, PD-1 und PD-L1. Entsprechend unterscheidet man
Beispiele sind Alemtuzumab, Dostarlimab, Durvalumab, Ipilimumab, Nivolumab, Pembrolizumab und Rituximab. Checkpoint-Inhibitoren können allerdings zahlreiche Nebenwirkungen auslösen, da sie die immunologische Eigentoleranz verändern und dadurch eine Autoaggression gegen normales Gewebe auslösen.
Zytokine
Zytokine beinflussen die Aktivität der Immunzellen und führen so zu einer unspezifischen Immunmodulation. Sie können einen verstärkenden oder supprimierenden Effekt auf die Immunantwort haben. In der Immunonkologie werden Zytokine eingesetzt, welche die Antwort von T-Zellen und NK-Zellen auf maligne Körperzellen steigern. Dazu zählen vor allem Interferon-alpha und Interleukin-2.
Onkolytische Viren
Mit onkolytischen Viren lassen sich bei malignen Tumoren mehrere Therapieeffekte erzielen. Sie können Krebszellen infizieren und über die Virusreplikation zu einer Zytolyse der Zellen führen. Darüber hinaus verstärken sie durch die Freisetzung tumorspezifischer Antigene die Immunreaktion auf den Tumor und beeinflussen seine Mikroumgebung. Um eine bevorzugte Infektion von Tumorzellen zu erzielen, werden die Viren (z.B. Adenoviren oder Herpesviren) genetisch modifiziert. Die erste zugelassene Tumortherapie auf der Basis onkolytischer Viren ist Talimogen-Laherparepvec.
Tumorvakzinen
Tumorvakzinen verfolgen den Ansatz, unter Beteiligung von zytotoxischen T-Zellen eine zelluläre Immunität gegen einen Tumor zu induzieren. Die Immunantwort kann durch Gabe von Proteinen, Proteinfragmenten oder DNA des Tumors sowie durch modifizierte Tumorzellen selbst getriggert werden. Der Erfolg der Entwicklung von Tumorvakzinen hängt wie bei der Entwicklung tumorspezifischer Antikörper vom Vorhandensein tumorspezifischer Antigene ab. Hierzu gehören tumorassoziierte Autoantigene, Neoantigene aus tumorspezifischen Mutationen oder onkovirale Antigene.
Da Tumoren mit zunehmender Krankheitsdauer meist entdifferenzieren, sind Tumorvakzinen potentiell eher im Frühstadium der Tumorerkrankung wirksam.
Resistenz
Wie bei der Chemotherapie können Tumoren resistent gegenüber einer Immuntherapie sein. Dabei wird zwischen primärer und erworbener Resistenz unterschieden.
Primäre Resistenz
Die primäre bzw. intrinsische Resistenz ist bei manchen Tumoren für bis zu 60% der Fälle eines Versagens der Immuntherapie verantwortlich.[1] Eine Sonderform der primären Resistenz ist die Hyperprogression.
Erworbene Resistenz
Bei der erworbenen Resistenz bedienen sich Tumorzellen wie Mikroorganismen verschiedener Strategien der Immunevasion. Diese können die Tumorzellen selbst oder die Tumormikroumgebung (TMU) betreffen.[2]
Im Verlauf der Therapie wird beispielsweise durch ein Antigen-Shedding oder einen mutationsbedingten "Antigenshift" der Tumorzellen die Wirksamkeit tumorspezifischer Antikörper und Immunzellen eingeschränkt. Darüber hinaus können Signalwege, von denen eine Immunreaktion abhängt, verändert oder herunterreguliert werden. Ein Beispiel ist der Interferon-γ-abhängige Signalweg.
Tumorzellen schaffen durch ihren erhöhten Stoffwechsel eine hypoxische und azide Tumormikroumgebung, welche die Aktivität von Immunzellen hemmt. Hinzu tritt ein erhöhter Tryptophanabbau der malignen Zellen, der T-Zellen in der TMU Tryptophan entzieht, das sie zu ihrer Aktivierung benötigen. Ein weiterer Faktor ist die Sekretion von Exosomen mit inhibitorischen Liganden wie PD-L1, welche die T-Zell-Aktivität beeinträchtigen.
Wirksamkeit
Die Wirksamkeit einer immunonkologischen Therapie ist von vielen Faktoren anhängig und daher nicht vorhersagbar. Im Einzelfall kann sie die Lebenserwartung eines Tumorpatienten signifikant verlängern, sie kann aber auch versagen. Es ist Aufgabe des behandelnden Arztes, die Krankheitssituation einzuschätzen und im Hinblick auf die Therapieeffekte eine realistische Erwartungshaltung aufzubauen.
Fortbildung
Quellen
- ↑ Sharma P, Hu-Lieskovan S, Wargo JA, Ribas A. Primary, adaptive, and acquired resistance to cancer immunotherapy. Cell. (2017) 168:707–23. 10.1016/j.cell.2017.01.017
- ↑ Bai L et Al.: Mechanisms of Cancer Resistance to Immunotherapy Front Oncol. 2020; 10: 1290. Published online 2020 Aug 6. doi: 10.3389/fonc.2020.01290 PMCID: PMC7425302 PMID: 32850400