Tisagenlecleucel
Handelsname: Kymriah®
Englisch: tisagenleucel
Definition
Tisagenlecleucel ist eine CAR-T-Zell-Therapie zur Behandlung der akuten lymphatischen B-Zell-Leukämie (ALL) sowie des diffus großzelligen B-Zell-Lymphoms (DLBCL).
Herstellung
Tisagenlecleucel ist eine Individualtherapie. Zunächst werden dem Patienten T-Zellen entnommen. Diese werden ex vivo mithilfe eines lentiviralen Vektors verändert. Das inserierte Gen codiert für einen gegen CD19 gerichteten chimären Antigenrezeptor.
Der chimäre Antigenrezeptor (CAR) besteht aus einem murinen Einzelketten-Antikörperfragment, das CD19 erkennt und mit den Endodomänen 4-1BB (CD137) und CD3-zeta verbunden ist. Die Komponente CD3-zeta ist wichtig für die Einleitung der T-Zell-Aktivierung und die antitumorale Aktivität, während 4-1BB die Expansion und Persistenz von Tisagenlecleucel verbessert.
Die Herstellung der Therapie dauert zwischen 3 bis 4 Wochen. Anschließend werden die CAR-T-Zellen dem Patienten zurückinfundiert.
Wirkmechanismus
Die Wirkung von Tisagenlecleucel tritt dadurch ein, dass die CAR-T-Zellen CD19-exprimierende Zellen erkennen und sich an CD19-positive B-Lymphozyten binden. Durch die zytotoxische Aktivität der T-Zellen tritt anschließend eine Apoptose der B-Lymphozyten ein. Darüberhinaus wird die Vermehrung und Persistenz der CAR-T-Zellen gefördert.
Indikation
- Behandlung von Kindern, Jugendlichen und jungen erwachsenen Patienten im Alter bis zu 25 Jahren mit refraktärer oder rezidivierter (Rezidiv nach Transplantation oder zweites oder späteres Rezidiv) akuter lymphatischer B-Zell-Leukämie (ALL).
- Behandlung von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffus großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) nach zwei oder mehr Linien einer systemischen Therapie.
Darreichungsform
Dosierung
Kinder, Jugendliche und junge erwachsene Patienten mit B-Zell-ALL:
- Patienten mit einem Körpergewicht bis zu 50 kg: 0,2 bis 5 x 106 CAR-positive lebensfähige T-Zellen/kgKG
- Patienten mit einem Körpergewicht über 50 kg: 0,1 bis 2,5 x 108 CAR-positive lebensfähige T-Zellen (unabhängig vom Körpergewicht).
Erwachsene DLBCL-Patienten:
- 0,6 bis 6 x 108 CAR-positive lebensfähige T-Zellen (unabhängig vom Körpergewicht)
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Prämedikation
Um mögliche immunologische Reaktionen zu minimieren, erfolgt etwa 30 - 60 Minuten vor der CAR-T-Zell-Therapie die Gabe von Paracetamol und Dimenhydrinat oder anderen H1-Antagonisten.
Konditionierung
Vor der Gabe der CAR-T-Zellen muss eine Lymphozytendepletion durchgeführt werden. Bevorzugt werden hier Fludarabin und Cyclophosphamid eingesetzt. Ist die Applikation von Cyclophosphamid nicht möglich, stellen Cytarabin und Bendamustin die Alternative dar.
Nach der Konditionierung sollte innerhalb von 2 bis 14 Tagen mit der Übertragung der CAR-T-Zellen begonnen werden. Die Herstellungsdauer der CAR-T-Zellen und der Konditionierungszeitraum müssen demnach aufeinander abgestimmt werden.
Nebenwirkungen
Die häufigste und gravierendste Nebenwirkung bei dieser Therapie ist das Zytokin-Freisetzungssyndrom. Auch eine Graft-versus-Host-Reaktion kann auftreten. Im Falle des Auftreten eines Zytokin-Freisetzungssyndroms erfolgt eine symptomorientierte Therapie. Außerdem kann die Gabe von Tocilizumab erfolgen.
Weitere häufige (≥ 1/100, < 1/10) oder sehr häufige Nebenwirkungen (≥ 1/10) sind:
- Infektionen: Virale, bakterielle oder mykotische Infektionen
- Blut und Lymphsystem: Febrile Neutropenie, Leukopenie, Lymphopenie, Anämie, Thrombozytopenie, Disseminierte intravasale Gerinnung, Koagulopathie, Hämophagozytische Lymphohistiozytose, Panzytopenie
- Stoffwechsel: Inappetenz, Hypokaliämie, Hyper- oder Hypophosphatämie, Hypokalzämie, Hyper- oder Hypomagnesiämie, Hypoalbuminämie, Hyperurikämie, Hyperglykämie, Hypervolämie, Hyponatriämie, Tumor-Lyse-Syndrom
- Nervensystem: Kopfschmerzen, Enzephalopathie, Schwindel, Tremor, Periphere Neuropathie, Sprachstörungen, Krampfanfälle, Hirnblutung, Neuralgien, Ischämischer Hirninfarkt, Delirium, Angst, Schlafstörungen
- Herz-Kreislauf-System: Tachykardie, Herzversagen, Arrhythmie, Herzstillstand, Gefäßerkrankungen, Hypotonie, Hypertonie, Kapillarlecksyndrom, Hitzewallungen
- Atemwege: Husten, Hypoxie, Dyspnoe, Tachypnoe, Lungenödem, Pleuraerguss, Epistaxis, Lungeninfiltration
- Gastrointestinaltrakt: Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Abdominalschmerzen, trockener Mund, Mundblutungen, Stomatitis, Blähungen, Aszites, Abdominales Kompartmentsyndrom
- Haut: Exanthem, Pruritus, Erythem, Nachtschweiß, Petechien, Hyperhidrose
- Bewegungsapparat: Rückenschmerzen, Myalgie, Arthralgie
- Niere: Akute Nierenschädigung ggf. mit Niereninsuffizienz
- Sonstige: Fieber, Müdigkeit, Ödeme, Schmerzen, Schüttelfrost, Asthenie, Grippeähnliche Symptome, Multiorganversagen, Gewichtsverlust
- Labor: Hämoglobin↓, Lymphozyten↓, Leukozyten↓ Neutrophile↓, Thrombozyten↓, ASAT↑, ALAT↑, Bilirubin↑, INR↑, PTT↑, Fibrinogen↓, Serumferritin↑, AP↑, D-Dimer↑, Prothrombinzeit↑
Wechselwirkungen
Es wurden bisher noch keine Studien zu Wechselwirkungen mit weiteren Arzneimittel durchgeführt. Die Verwendung von Lebendimpfstoffen sollte mindestens 6 Wochen vor Beginn der Chemotherapie, während der gesamten Therapiedauer und bis zur immunologischen Regeneration unterbleiben.
Nutzenbewertung
Da es sich bei Tisagenlecleucel um ein Orphan Drug handelt, gilt nach § 35a Abs. 1 Satz 10 SGB V der medizinische Zusatznutzen bereits durch die Zulassung als belegt.[1] Der G-BA stuft den Zusatznutzen von Tisagenlecleucel als nicht quantifizierbar ein.[2]
Kosten
Die Jahrestherapiekosten von Tisagenlecleucel pro Patient liegen bei rund 320.000 €.[2] Der Hersteller (Novartis) hat 2019 in Deutschland mit einer Servicegesellschaft der Betriebskrankenkassen vertraglich ein neuartiges Erstattungsmodell vereinbart, das auf dem Prinzip des Pay for Outcome basiert.
Zertifizierung
Für den Einsatz von Tisagenlecleucel ist eine Zertifizierung der durchführenden Klinik notwendig. Zur Zeit (2019) verfügen in Deutschland 15 Kliniken über die Voraussetzungen, die Behandlung durchzuführen.
Quellen
- ↑ Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Bewertung von Arzneimitteln für seltene Leiden nach § 35a Absatz 1 Satz 11 i.V.m. 5. Kapitel § 12 Nr. 1 Satz 2 VerfO Wirkstoff: Tisagenlecleucel (ALL), 17. Dezember 2018, abgerufen am 7.3.2019
- ↑ 2,0 2,1 Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL): Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V – Tisagenlecleucel (akute lymphatische B-Zell- Leukämie) vom 7. März 2019, abgerufen am 7.3.2019
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