IgG4-assoziierte Erkrankung
Englisch: IgG4-Related Disease
Definition
IgG4-assoziierte Erkrankungen, kurz IgG4-RD, sind eine Gruppe von immunologischen Systemerkrankungen mit einer Tendenz zur Fibrosierung und Bildung tumorartiger Läsionen. Ihre gemeinsamen Merkmale sind ein erhöhter Serumspiegel von IgG4 und IgG4-positive Plasmazellen in der Biopsie.
Hintergrund
Die Ätiologie der IgG4-assoziierten Erkrankungen ist weitgehend ungeklärt. Der Definitionsprozess der Krankheitsgruppe ist daher zur Zeit (2023) noch nicht abgeschlossen.
Einteilung
Organsystem | Spezifische Bezeichnung | Charakteristika |
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Pankreas |
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Leber und Gallenwege |
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Speicheldrüse, Tränendrüse, Auge |
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Schilddrüse |
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Niere und Harnwege |
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Gefäße |
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Retroperitonealraum, Mesenterium, Mediastinum |
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ZNS |
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Genitalien |
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Lunge und Pleura |
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Haut |
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HNO |
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Lymphknoten |
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Epidemiologie
Insgesamt gibt es nur wenige epidemiologische Studien zu IgG4-RD. Japanische Arbeiten geben eine Prävalenz von ungefähr 100 Fällen auf 1 Million Einwohner und eine Inzidenz von 1:100.000 pro Jahr an.[1][2] Vermutlich werden Inzidenz und Prävalenz unterschätzt. Die IgG4-RD betreffen häufiger Männer mittleren oder höheren Alters. Besonders deutlich wird dies bei der IgG4-assoziierten tubulointerstitiellen Nephritis und der IgG4-assoziierten Retroperitonealfibrose. Manifestationen an Kopf und Hals betreffen jedoch beide Geschlechter gleich häufig.
Am häufigsten finden sich pankreatikobiliäre Manifestationen gefolgt von einem Befall der Tränen- und Speicheldrüsen.
Pathophysiologie
Die genaue Pathophysiologie wird aktuell (2023) nur unzureichend verstanden. Bisher ist nicht geklärt, ob IgG4-assoziierte Erkrankungen zum Atopiespektrum oder zu den Autoimmunerkrankungen gezählt werden können.
Die normale Konzentration von IgG4-Antikörper im peripheren Blut liegt bei 0,35 bis 0,51 mg/ml. Die Bildung erfolgt als Antwort auf die Langzeitexposition gegenüber Nahrungs- und Umweltantigenen. Immunglobuline der Klasse IgG4 besitzen einzigartige Eigenschaften: Sie können antigenbindende Fab-Fragmente untereinander austauschen, binden Antigene nur locker und besitzen nur eine niedrige Affinität zu Fc-Rezeptoren und C1q. Sie führen dadurch weder zur Phagozytoseinduktion, noch zur Auslösung einer antikörperabhängigen Zytotoxizität oder einem komplementvermittelten Schaden. Entsprechend gelten IgG4 als nicht entzündungsfördernde Immunglobuline.
Möglicherweise spielt eine molekulare Mimikry eine Rolle: So könnte z.B. die Ubiquitinligase von Helicobacter pylori die Bildung von Autoantikörpern bzw. eine Th1-Immunantwort triggern.[3] Die Persistenz des auslösenden Pathogens könnte dann zu einer Th2- und Treg-vermittelten Immunantwort führen. Die dabei freigesetzten Zytokine (z.B. Interleukin-4, TGF-β1) wären dann für die Fibrose verantwortlich.[4] Dies würde bedeuten, dass die akkumulierten IgG4-positiven Plasmazellen und der Anstieg des IgG4-Serumspiegels nur das Ergebnis von immunologischen Signalwegen wären.
Symptome
Die klinischen Manifestationen sind variabel und vom betroffenen Organsystem abhängig (siehe Tabelle). Besonders häufig sind Gallenwege, Speicheldrüsen, Pankreas, periorbitale Gewebe, Nieren, Lunge, Lymphknoten und das Retroperitoneum involviert. Die Erkrankungen führen typischerweise zu tumorartigen Läsionen, die Malignome vortäuschen. Oft kommen allergieartige Aspekte hinzu: Viele IgG4-RD-Patienten haben eine Atopie, ein Ekzem, Asthma, Nasenpolypen, Sinusitiden und eine mäßig starke periphere Eosinophilie.
Verlauf
Der Beginn ist meist subakut ohne schwere Allgemeinsymptome, wie zum Beispiel Fieber. Zum Teil kommt es innerhalb mehrerer Monate zu einem starken Gewichtsverlust. Bei einigen Patienten entwickelt sich die Krankheit über Jahre, bis sie klinisch auffällig wird, bei anderen klingen Symptome immer wieder ab und in einigen Fällen liegt ein kontinuierlich progredienter Verlauf vor. Die Erkrankung kann sich jahrelang auf ein Organ beschränken, bei anderen besteht schon früh eine Multiorganerkrankung.
Komplikationen
Aufgrund von Fehldiagnosen werden bei einigen Patienten große Eingriffe durchgeführt (z.B. Whipple-Operation, totale Thyreoidektomie), bevor die korrekte Diagnose gestellt wird. Die IgG4-RD können zum Organversagen führen, meist verlaufen sie jedoch subakut. Destruktive Knochenläsionen in Nasennebenhöhlen, Kopf und Mittelohr sind möglich. Die Abgrenzung zur Granulomatose mit Polyangiitis ist dann entscheidend. In den anderen Organen verlaufen die Erkrankungen meist weniger aggressiv.
Im Retroperitonealraum liegt bei Diagnosestellung meist eine erhebliche Fibrose vor, sodass es zur Kompression des Ureters mit Hydronephrose, Nierenatrophie und chronischen Schmerzen kommen kann. Eine unbehandelte IgG4-assoziierte Cholangiopathie kann innerhalb kurzer Zeit zum Leberversagen führen. Risiken der IgG4-assoziierten Aortitis sind Aneurysmen und Dissektionen. Bei der IgG4-assoziierten tubulointerstitiellen Nephritis ist mit einem akuten oder chronischem Nierenversagen zu rechnen.
Diagnose
Histopathologie
Bei IgG4-RDs zeigen sich dichte lymphoplasmazytäre Infiltrate, die sowohl aus B-Lymphozyten als auch aus T-Lymphozyten bestehen. Bei den T-Lymphozyten handelt es sich überwiegend um CD4+-T-Zellen, die diffus verteilt vorkommen. Die B-Zellen sind hingegen in Keimzentren organisiert, von denen CD19+-, CD138+- und IgG4+-Plasmablasten radiär ausgehen. Die Fibrose hat eine charakteristische storiforme (korbgeflechtartige, bastmattenartige) Anordnung. Typisch ist der Befall von Blutgefäßen, v.a. in Form einer Obliteration von Venen ("obliterative Phlebitis").
Weiterhin liegt ein leichtes bis mittelstarkes eosinophiles Infiltrat vor. Insgesamt kommt es zur Aggregation einer tumorartigen Masse, die das umgebende Gewebe zerstört. Nicht zur Diagnose passende histologische Befunde sind ausgeprägte neutrophile Infiltrate, granulomatöse Entzündungen, mehrkernige Riesenzellen oder fibrinoide Nekrosen. Zwar ist das histologische Bild typisch, die Diagnose muss aber immunhistochemisch mit einer IgG4-Färbung bestätigt werden. Die Zahl der IgG4-positiven Plasmazellen wird durch Zählen der Zellen pro Gesichtsfeld (HPF) oder durch Berechnung des Quotienten aus IgG4- und IgG-tragenden Plasmazellen ermittelt. Im späteren Verlauf der Erkrankung steht die Fibrose im Vordergrund, sodass sich ein relativ azelluläres Bild zeigt.
Laborbefunde
Zwar sind bei den meisten Patienten die IgG4-Serumspiegel erhöht, das Ausmaß variiert jedoch stark. Bei ungefähr 30 % der Patienten liegt der Spiegel im Normalbereich, vor allem bei Patienten mit einer IgG4-assoziierten Retroperitonealfibrose. Außerdem korrelieren die Werte nur wenig mit der Krankheitsaktivität. Zwar fallen die Serumwerte oft rasch nach Therapiebeginn, jedoch normalisieren sie sich meist nicht vollständig.
Eine klinische Remission kann auch trotz erhöhter Spiegel vorliegen und umgekehrt können trotz normalem Spiegel Rezidive auftreten. Der Serumspiegel wird mittels Nephelometrie gemessen, wobei aufgrund des Prozonenphänomens falsch normale Spiegel auftreten können. Dies lässt sich durch Verdünnung der Serumprobe vermeiden. Als Grenzwerte zur Diagnose wurden Serumspiegel > 135 mg/dl und eine IgG4/IgG-Ratio > 8 % festgelegt. In einigen Arbeiten wird eine IgG4/IgG1-Ratio von > 0,25 zur serologischen Differenzierung einer primär sklerosierenden Cholangitis und einer IgG4-assoziierten Cholangiopathie vorgeschlagen.
Polyklonale Hypergammaglobulinämie, IgE-Vermehrung und Komplementverbrauch können vorkommen, besitzen aber nur eine geringe Sensitivität.
Diagnosekriterien
Bisher gibt es kein einheitliches Diagnosesystem. Eine japanische Studiengruppe hat 3 Hauptkriterien vorgeschlagen:[5]
- Charakteristische Organschwellung oder Raumforderung in der klinischen Untersuchung oder Schnittbildgebung
- Erhöhte IgG4-Serumspiegel (> 135 mg/dl)
- Charakteristische Histologie mit IgG4/IgG > 40 % und IgG4-Plasmazellen > 10 HPF
Die Diagnose gilt als "gesichert" bei Erfüllen aller drei Hauptkriterien. Liegen nur das klinische Bild und die passende Histologie vor, ist die Diagnose "wahrscheinlich". Bei typischer Klinik und erhöhten Serumspiegeln gilt die Diagnose als "möglich".
Für Autoimmunpankreatitis Typ I und IgG4-assoziierte Cholangiopathie liegen spezifische Diagnosekriterien vor.
Therapie
Nicht jede Manifestation muss direkt behandelt werden, da sie oft indolent verläuft. Bei Beteiligung lebensnotwendiger Organe ist eine Therapie jedoch notwendig. Zur Induktion sind Glukokortikoide Mittel der Wahl. In der Regel wird mit 30 bis 40 mg Prednisolon pro Tag begonnen und die Dosis über 3 Monate ausgeschlichen oder auf eine Erhaltungstherapie von 2,5 bis 5 mg pro Tag reduziert und für 6 bis 12 Monate fortgesetzt. Meist sprechen die Patienten schnell und gut an, jedoch treten häufig Rezidive auf. Unabhängige Faktoren, die ein Rezidiv begünstigen, sind männliches Geschlecht, junges Alter bei Krankheitsbeginn und niedrige IgG4-Spiegel bei fortgeschrittener Erkrankung in der Bildgebung.
Bei rezidivierender oder glukokortikoidresistenter Erkrankung kann als Zweitlinientherapie Rituximab off-label eingesetzt werden (2 x 1 g i.v. alle 14 Tage). Azathioprin, Mycophenolat, Tacrolimus und Methotrexat werden ohne formalen Wirksamkeitsnachweis ebenfalls vewendet.
Peer-Review durch Bijan Fink |
Literatur
- Suttorp N et al., Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage. Berlin. ABW Wissenschaftsverlag; 2016
- Kleger A et al. IgG4-associated autoimmune diseases - polymorphous presentation complicates diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 128–35. (auch auf Deutsch verfügbar, frei zugänglich, abgerufen am 25.06.2019)
- Della-Torre E et al. Methotrexate for maintenance of remission in IgG4-related disease. Rheumatology (Oxford) 54(10: 1034-6, 2015
- Desphande V et al. Consensus statement on the pathology of IgG4-related disease. Mod Pathol 25(9):1181-92, 2012, abgerufen am 25.06.2019
- Khosroshahi A et al. International consensus guidance statement on the management and treatment of IgG4-related disease. Arthritis Rheumatol 67(7):1688-99, 2015, abgerufen am 25.06.2019
- Okazaki et al. Japanese clinical guidelines for autoimmune pancreatitis Pancreas. 2009 Nov;38(8):849-66, abgerufen am 25.06.2019
Quellen
<references>
- ↑ : Umehara H et al. A novel clinical entity, IgG4-related disease (IgG4RD): general concept an details, Mod Rheumatol 2012; 22:1-14, abgerufen am 25.06.2019
- ↑ : Uchida K et al. Prevalence of IgG4-Related Disease in Japan Based on Nationwide Survey in 2009, International Journal of Rheumatology Volume 2012, Article ID 358371, 5 pages, abgerufen am 25.06.2019
- ↑ : Kountouras J et al. A concept on the role of Helicobacter pylori infection in autoimmune pancreatitis, J Cell Mol Med. 2005 Jan-Mar;9(1):196-207., abgerufen am 25.06.2019
- ↑ : Wynn TA. Fibrotic disease and the Th1/Th2 Paradigm, Nat Rev Immunol. 2004 Aug; 4(8): 583-594, abgerufen am 25.06.2019
- ↑ : Okazaki K, Umehara H Are Classification Criteria for IgG4-RD Now Possible? The Concept of IgG4-Related Disease and Proposal of Comprehensive Diagnostic Criteria in Japan, International Journal of Rheumatology Volume 2012, Article ID 357071, 9 pages, abgerufen am 25.06.2019