IgG4-assoziierte Erkrankung
Englisch: IgG4-Related Disease
Definition
IgG4-assoziierte Erkrankungen, kurz IgG4-RD, sind eine Gruppe von immunologischen Systemerkrankungen mit einer Tendenz zur Fibrosierung und Bildung tumorartiger Läsionen. Ihre gemeinsamen Merkmale sind ein erhöhter Serumspiegel von IgG4 und IgG4-positive Plasmazellen in der Biopsie.
Hintergrund
Die Ätiologie der IgG4-assoziierten Erkrankungen ist weitgehend ungeklärt. Der Definitionsprozess der Krankheitsgruppe ist daher zur Zeit (2025) noch nicht abgeschlossen.
Einteilung
Organsystem | Spezifische Bezeichnung | Charakteristika |
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Pankreas |
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Leber und Gallenwege |
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Speicheldrüse, Tränendrüse, Auge |
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Schilddrüse |
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Niere und Harnwege |
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Gefäße |
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Retroperitonealraum, Mesenterium, Mediastinum |
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ZNS |
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Genitalien |
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Lunge und Pleura |
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Haut |
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HNO |
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Lymphknoten |
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Epidemiologie
Insgesamt gibt es nur wenige epidemiologische Studien zu IgG4-RD. Japanische Arbeiten geben eine Prävalenz von ungefähr 100 Fällen auf 1 Million Einwohner und eine Inzidenz von 1:100.000 pro Jahr an.[1][2] Vermutlich werden Inzidenz und Prävalenz unterschätzt. Die IgG4-RD betreffen häufiger Männer mittleren oder höheren Alters. Besonders deutlich wird dies bei der IgG4-assoziierten tubulointerstitiellen Nephritis und der IgG4-assoziierten Retroperitonealfibrose. Manifestationen an Kopf und Hals betreffen jedoch beide Geschlechter gleich häufig.
Am häufigsten finden sich pankreatikobiliäre Manifestationen gefolgt von einem Befall der Tränen- und Speicheldrüsen.
Pathophysiologie
Die genaue Pathophysiologie wird aktuell (2025) nur unzureichend verstanden. Bisher ist nicht geklärt, ob IgG4-assoziierte Erkrankungen zum Atopiespektrum oder zu den Autoimmunerkrankungen gezählt werden können.
Die normale Konzentration von IgG4-Antikörper im peripheren Blut liegt bei 0,35 bis 0,51 mg/ml. Die Bildung erfolgt als Antwort auf die Langzeitexposition gegenüber Nahrungs- und Umweltantigenen. Immunglobuline der Klasse IgG4 besitzen einzigartige Eigenschaften: Sie können antigenbindende Fab-Fragmente untereinander austauschen, binden Antigene nur locker und besitzen nur eine niedrige Affinität zu Fc-Rezeptoren und C1q. Sie führen dadurch weder zur Phagozytoseinduktion, noch zur Auslösung einer antikörperabhängigen Zytotoxizität oder einem komplementvermittelten Schaden. Entsprechend gelten IgG4 als nicht entzündungsfördernde Immunglobuline.
Möglicherweise spielt eine molekulare Mimikry eine Rolle: So könnte z.B. die Ubiquitinligase von Helicobacter pylori die Bildung von Autoantikörpern bzw. eine Th1-Immunantwort triggern.[3] Die Persistenz des auslösenden Pathogens könnte dann zu einer Th2- und Treg-vermittelten Immunantwort führen. Die dabei freigesetzten Zytokine (z.B. Interleukin-4, TGF-β1) wären dann für die Fibrose verantwortlich.[4] Dies würde bedeuten, dass die akkumulierten IgG4-positiven Plasmazellen und der Anstieg des IgG4-Serumspiegels nur das Ergebnis von immunologischen Signalwegen wären.
Symptome
Die klinischen Manifestationen sind variabel und vom betroffenen Organsystem abhängig (siehe Tabelle). Besonders häufig sind Gallenwege, Speicheldrüsen, Pankreas, periorbitale Gewebe, Nieren, Lunge, Lymphknoten und das Retroperitoneum involviert. Die Erkrankungen führen typischerweise zu tumorartigen Läsionen, die Malignome vortäuschen. Oft kommen allergieartige Aspekte hinzu: Viele IgG4-RD-Patienten haben eine Atopie, ein Ekzem, Asthma, Nasenpolypen, Sinusitiden und eine mäßig starke periphere Eosinophilie.
Verlauf
Der Beginn ist meist subakut ohne schwere Allgemeinsymptome, wie zum Beispiel Fieber. Zum Teil kommt es innerhalb mehrerer Monate zu einem starken Gewichtsverlust. Bei einigen Patienten entwickelt sich die Krankheit über Jahre, bis sie klinisch auffällig wird, bei anderen klingen Symptome immer wieder ab und in einigen Fällen liegt ein kontinuierlich progredienter Verlauf vor. Die Erkrankung kann sich jahrelang auf ein Organ beschränken, bei anderen besteht schon früh eine Multiorganerkrankung.
Komplikationen
Da gerade bei IgG4-assoziierten Pseudotumoren initial der Verdacht einer malignen Erkrankung besteht, werden bei einigen Patienten große Eingriffe durchgeführt (z.B. Whipple-Operation, totale Thyreoidektomie), bevor die korrekte Diagnose gestellt wird.
Je nach Befallsmuster der Erkrankung unterscheiden sich auch die potenziellen Komplikationen. Bei HNO-Befall sind destruktive Knochenläsionen in Nasennebenhöhlen, Kopf und Mittelohr möglich. Die Abgrenzung zur Granulomatose mit Polyangiitis ist dann entscheidend. Im Retroperitonealraum liegt bei Diagnosestellung meist eine erhebliche Fibrose vor, sodass es zur Kompression des Ureters mit Hydronephrose, Nierenatrophie und chronischen Schmerzen kommen kann. Die Ureterstenosen müssen dann oft längerfristig mittels Schienung versorgt werden. Eine unbehandelte IgG4-assoziierte Cholangiopathie kann zur Entwicklung einer Leberzirrhose führen. Bei IgG4-assoziierter Pankreatitis kann sich in Folge der chronischen Entzündung und Fibrosierung ein pankreopriver Diabetes mellitus entwickeln. Risiken der IgG4-assoziierten Aortitis sind Aneurysmen und Dissektionen. Bei der IgG4-assoziierten tubulointerstitiellen Nephritis können ein akutes oder auch chronisches Nierenversagen auftreten.
Diagnose
Histopathologie
Bei IgG4-RDs zeigen sich dichte lymphoplasmazytäre Infiltrate, die sowohl aus B-Lymphozyten als auch aus T-Lymphozyten bestehen. Bei den T-Lymphozyten handelt es sich überwiegend um CD4+-T-Zellen, die diffus verteilt vorkommen. Die B-Zellen sind hingegen in Keimzentren organisiert, von denen CD19+-, CD138+- und IgG4+-Plasmablasten radiär ausgehen. Die Fibrose hat eine charakteristische storiforme (korbgeflechtartige, bastmattenartige) Anordnung. Typisch ist der Befall von Blutgefäßen, v.a. in Form einer Obliteration von Venen ("obliterative Phlebitis").
Weiterhin liegt ein leichtes bis mittelstarkes eosinophiles Infiltrat vor. Insgesamt kommt es zur Aggregation einer tumorartigen Masse, die das umgebende Gewebe zerstört. Nicht zur Diagnose passende histologische Befunde sind ausgeprägte neutrophile Infiltrate, granulomatöse Entzündungen, mehrkernige Riesenzellen oder fibrinoide Nekrosen. Zwar ist das histologische Bild typisch, die Diagnose muss aber immunhistochemisch mit einer IgG4-Färbung bestätigt werden. Die Zahl der IgG4-positiven Plasmazellen wird durch Zählen der Zellen pro Gesichtsfeld (HPF) oder durch Berechnung des Quotienten aus IgG4- und IgG-tragenden Plasmazellen ermittelt. Im späteren Verlauf der Erkrankung steht die Fibrose im Vordergrund, sodass sich ein relativ azelluläres Bild zeigt.
Laborbefunde
Zwar sind bei den meisten Patienten die IgG4-Serumspiegel erhöht, das Ausmaß variiert jedoch stark. Bei ungefähr 30 % der Patienten liegt der Spiegel im Normalbereich, vor allem bei Patienten mit einer IgG4-assoziierten Retroperitonealfibrose. Außerdem korrelieren die Werte nur wenig mit der Krankheitsaktivität. Zwar fallen die Serumwerte oft rasch nach Therapiebeginn, jedoch normalisieren sie sich meist nicht vollständig. Zudem können auch viele andere Erkrankungen (nahezu jede entzündliche Erkrankung, Asthma, Allergien, Lebererkrankungen) zu einer unspezifischen Erhöhung des Serum-IgG4 führen.
Eine klinische Remission kann auch trotz erhöhter Spiegel vorliegen und umgekehrt können trotz normalem Spiegel Rezidive auftreten. Der Serumspiegel wird mittels Nephelometrie gemessen, wobei aufgrund des Prozonenphänomens falsch normale Spiegel auftreten können. Dies lässt sich durch Verdünnung der Serumprobe vermeiden. Als Grenzwerte zur Diagnose wurden Serumspiegel > 135 mg/dl und eine IgG4/IgG-Ratio > 8 % festgelegt. In einigen Arbeiten wird eine IgG4/IgG1-Ratio von > 0,25 zur serologischen Differenzierung einer primär sklerosierenden Cholangitis und einer IgG4-assoziierten Cholangiopathie vorgeschlagen.
Polyklonale Hypergammaglobulinämie, IgE-Vermehrung und Komplementverbrauch können vorkommen, besitzen aber nur eine geringe Sensitivität.
Diagnosekriterien
Bisher gibt es kein einheitliches Diagnosesystem. Im Jahr 2012 wurde in Japan folgende Kriterien publiziert:[5]
- Charakteristische Organschwellung oder Raumforderung in der klinischen Untersuchung oder Schnittbildgebung
- Erhöhte IgG4-Serumspiegel (> 135 mg/dl)
- Charakteristische Histologie mit IgG4/IgG > 40 % und IgG4-Plasmazellen > 10 HPF
Die Diagnose gilt nach diesem Schema bei Erfüllung aller drei Hauptkriterien als "gesichert". Liegen nur das klinische Bild und die passende Histologie vor, ist die Diagnose "wahrscheinlich". Bei typischer Klinik und erhöhten Serumspiegeln gilt die Diagnose als "möglich".
2019 wurden in Zusammenarbeit zwischen dem American College of Rheumatology (ACR) und European League Against Rheumatism (EULAR) weitere Klassifikationskriterien definiert. Eine IgG4-assoziierte Erkrankung sollte nach diesen Kriterien dann erwogen werden, wenn charakteristische klinische oder radiologische Befunde an typischen Organen oder passende histopathologische Befunde in Biopsien vorliegen. Zudem wurde eine ganze Reihe von Ausschlusskriterien definiert, die das Vorliegen einer anderen Erkrankung wahrscheinlich machen. Als klassisch für IgG4-assoziierte Erkrankungen wird neben einer hohen Anzahl von IgG4-positiven Plasmazellen im Biopsat (je nach Organ gelten andere Grenzwerte) u.a. auch ein gutes und rasches Ansprechen der Symptome auf eine Therapie mit Glukokortikoiden beschrieben. Im Gegenzug macht ein fehlendes Ansprechen auf Glukokortikoide das Vorliegen einer IgG4-assoziierten Erkrankung sehr unwahrscheinlich.
Für die Autoimmunpankreatitis Typ I und die IgG4-assoziierte Cholangiopathie liegen spezifische Diagnosekriterien vor.
Therapie
Nicht jede Manifestation muss direkt behandelt werden, da sie oft indolent verläuft. Bei Beteiligung lebensnotwendiger Organe ist eine Therapie jedoch notwendig. Zur Induktion sind Glukokortikoide Mittel der Wahl. In der Regel wird mit 30 bis 40 mg Prednisolon pro Tag begonnen und die Dosis über 3 Monate ausgeschlichen oder auf eine Erhaltungstherapie von 2,5 bis 5 mg pro Tag reduziert und für 6 bis 12 Monate fortgesetzt. Meist sprechen die Patienten schnell und gut an, jedoch treten häufig Rezidive auf. Unabhängige Faktoren, die ein Rezidiv begünstigen, sind männliches Geschlecht, junges Alter bei Krankheitsbeginn und niedrige IgG4-Spiegel bei fortgeschrittener Erkrankung in der Bildgebung.
Bei rezidivierender oder glukokortikoidresistenter Erkrankung kann als Zweitlinientherapie off-label Rituximab eingesetzt werden (2 x 1 g i.v. alle 14 Tage). Azathioprin, Mycophenolat, Tacrolimus und Methotrexat werden ohne formalen Wirksamkeitsnachweis ebenfalls vewendet.
Peer-Review durch Bijan Fink |
Literatur
- Suttorp et al., Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage. Berlin. ABW Wissenschaftsverlag; 2016
- Kleger et al. IgG4-associated autoimmune diseases - polymorphous presentation complicates diagnosis and treatment. Dtsch Arztebl Int 2015
- Della-Torre et al., Methotrexate for maintenance of remission in IgG4-related disease, Rheumatology, 2015
- Desphande et al., Consensus statement on the pathology of IgG4-related disease, Mod Pathol, 2012
- Khosroshahi et al. International consensus guidance statement on the management and treatment of IgG4-related disease, Arthritis Rheumatol ,2015
- Okazaki et al., Japanese clinical guidelines for autoimmune pancreatitis, Pancreas, 2009
- The 2019 American College of Rheumatology/European League Against Rheumatism Classification Criteria for IgG4-Related Disease - PubMed (Klassifikationskriterien)
- Thiele und Witte, Immunglobulin-G4(IgG4)-assoziierte Erkrankungen, Z Rheumatol, 2022
Quellen
- ↑ Umehara et al., A novel clinical entity, IgG4-related disease (IgG4RD): general concept an details, Mod Rheumatol, 2012
- ↑ Uchida et al., Prevalence of IgG4-Related Disease in Japan Based on Nationwide Survey in 2009, International Journal of Rheumatology, 2012
- ↑ Kountouras et al.. [pmid:15784177 A concept on the role of Helicobacter pylori infection in autoimmune pancreatitis], J Cell Mol Med, 2005
- ↑ Wynn, Fibrotic disease and the Th1/Th2 Paradigm, Nat Rev Immunol, 2004
- ↑ Okazaki und Umehara, Are Classification Criteria for IgG4-RD Now Possible? The Concept of IgG4-Related Disease and Proposal of Comprehensive Diagnostic Criteria in Japan, International Journal of Rheumatology, 2012