Xylazin
Synonyme: Xylazinum, 2-(2,6-Dimethylphenylamino)-5,6-dihydro-4H-thiazin
Handelsname: Rompun®, Xylapan®, Xylasin®, Xylasol® u.a.
Englisch: xylazine
Definition
Xylazin ist ein Arzneistoff aus der Klasse der α2-Agonisten, der in der Veterinärmedizin eingesetzt wird.
Chemie
Xylazin hat die Summenformel C12H16N2S und ein Molekulargewicht von 220,33 g/mol. Es ist chemisch eng mit dem in der Humanmedizin verwendeten Clonidin verwandt.
In der Veterinärmedizin wird hauptsächlich das Derivat Xylazinhydrochlorid (C12H16N2SHCl) verwendet. Die im Handel erhältlichen Lösungen weisen einen pH-Wert von 5,5 auf, sind geruchs- und geschmackslos und in Wasser praktisch unlöslich.
Eigenschaften
Xylazin kann aufgrund seiner Eigenschaften sowohl als Analgetikum, als auch als Sedativum und Muskelrelaxans klassifiziert werden. Zusätzlich ist es antisekretorisch und antihypertensiv.
Wirkmechanismus
Die Substanz wirkt als α2-Agonist an den peripheren postsynaptischen und zentralen post- und präsynaptischen α2-Rezeptoren. Durch die Stimulierung der präsynaptischen α2-Rezeptoren kommt es zu einer Aktivierung eines G-Proteins, das die Adenylatzyklase hemmt. Dadurch fällt das intrazelluläre cAMP ab, was wiederum die Öffnung von Kaliumkanälen fördert und die Öffnung von Kalziumkanälen vermindert. In weiterer Folge entsteht bei einem Aktionspotenzial ein geringerer Kalziumeinstrom, wodurch die Transmitterfreisetzung sinkt. Durch die Stimulierung der postsynaptischen α2-Rezeptoren in den glatten Muskelzellen kommt es zu einer Öffnung der Kalziumkanäle mit gleichzeitigem Kalziumeinstrom aus dem Extrazellulär- in den Intrazellulärraum. Dadurch wird eine Kontraktion der Muskelzelle ausgelöst.
Da Xylazin zusätzlich eine α1-agonistische Wirkung besitzt, hat es auch einen vasokonstriktiven Effekt. Die rezeptorspezifische Bindung erfolgt dosisabhängig, sodass bei niedrigen Dosierungen vor allem α2-adrenerge Rezeptoren besetzt und in hohen Dosierungen zusätzlich die α1-Rezeptoren gebunden werden. Im direkten Vergleich mit anderen α2-Agonisten (z.B. Medetomidin und Detomidin hat Xylazin die geringste Rezeptoraffinität.
Bei den Haussäugetieren kann eine unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber Xylazin beobachtet werden. Wiederkäuer benötigen etwa ein Zehntel der Dosis die das Pferd, der Hund oder die Katze benötigen. Schweine hingegen brauchen mehr als das 20-fache an Xylazin, um eine gleichwertige Wirkung beobachten zu können.
Zentrales Nervensystem
- verminderte Freisetzung von Noradrenalin und Senkung der Aktionspotenzialfrequenz im Sympathikus führt zu einer Sedierung (α2-Agonismus im Hirnstamm)
- unabhängig der sedativen Wirkung auch axiolytischer Effekt
- analgetische Wirkung durch Aktivierung zentraler α2-Rezeptoren im Rückenmark und Gehirn (Wirkungsstärke vergleichbar mit Morphin)
- muskelrelaxierender Effekt durch Hemmung interneuronaler Impulse im Rückenmark
- verminderte Thermoregulation (Hypothermie) durch Aktivierung von α1-Rezeptoren
- emetische Wirkung bei Katzen durch Aktivierung zentraler α2-Rezeptoren in der Area postrema
Kardiovaskuläres System
- initial: Vasokonstriktion durch Stimulation peripherer postsynaptischer α2-Rezeptoren mit Tachykardie und Hypertension
- langfristig: Hemmung der Noradrenalin-Freisetzung und damit Senkung des Sympathikotonus mit langanhaltender Hypotension und verminderter Herzfrequenz mit AV-Block 2. Grades
Respirationstrakt
- in hohen Dosen kann Xylazin eine respiratorische Depression mit erniedrigtem Atemzugvolumen und erniedrigter Atemfrequenz verursachen
- Relaxation des Larynx und Unterdrückung des Hustenreflexes
- Dyspnoe bei brachycephalen Hunderassen und Pferden
Gastrointestinaltrakt
- α2-Agonisten hemmen Acetylcholinfreisetzung im Gastrointestinaltrakt und bewirken so eine parasympathischen Effekt mit verlangsamter Motilität
- Erniedrigung des gastroösophagealen Sphinktertonus und verstärkter Reflux aus dem Magen
- Aktivierung postsynaptischer α2-Rezeptoren der β-Zellen des Pankreas führt zu verminderter Sekretion von Insulin (Hyperglykämie)
Urogenitaltrakt
- Aktivierung der α2-Rezeptoren im Hypothalamus führt zu einer erniedrigten Freisetzung von Vasopressin (ADH, es kommt zu einem erhöhten Harnvolumen)
- Aktivierung der α2-Rezeptoren im Uterus führt bei trächtigen Tieren zu einer erhöhten Kontraktilität des Uterus (Abortgefahr)
Auge
- Aktivierung postsynpatischer α2-Rezeptoren im ZNS hemmt die parasympathischen Nervenfasern zur Iris (Dilatation der Pupille, Mydriasis)
Pharmakokinetik
Nach einer intramuskulären Injektion wird Xylazin rasch absorbiert - die Absorptionshalbwertszeit (Rind, Schaf, Pferd und Hund) liegt zwischen 2,7 und 5,4 Minuten. Aufgrund der unvollständigen Absorption liegt die Bioverfügbarkeit zwischen 40 und 74 %.
Xylazin wird rasch im gesamten Körper verteilt (binnen 6 Minuten) und in der Leber metabolisiert. Die Elimination erfolgt zum Großteil (rund 70 %) über die Niere. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 23 bis 50 Minuten.
Die sedative Wirkung nach einer intravenösen Applikation setzt nach 1 bis 3 Minuten ein und hält - dosisabhängig - bei Kleintieren rund 1 bis 2 Stunden an. Der analgetische Effekt hingegen hält nur 15 bis 30 Minuten an.
Indikation
Xylazin wird zur Sedierung nervöser Tiere oder zur Beruhigung bei klinischen Untersuchungen verwendet. Hierzu können verschiedene Wirkstoffe mit Xylazin kombiniert werden, um einen verstärkten sedativen und analgetischen Effekt zu erzielen (z.B. Xylazin-Opioide, Xylazin-Acepromazin).
Durch die reduzierte Freisetzung von Katecholaminen nach Applikation kann Xyalzin zur Prämedikation vor einer Anästhesie verwendet werden. α2-Agonisten erleichtern die Handhabung der Tiere in der Aufwachphase und verbessern die Anästhesieeinleitung. Durch die zentrale und periphere Wirkung eignet sich Xylazin für eine viszerale Analgesie, sodass es bei Pferden mit abdominalen Schmerzen gut eingesetzt werden kann (aufgrund hypotensiver Wirkung jedoch nicht bei Koliken). Durch die lokalanästhetische Wirkung kann Xyalzin auch für eine Epiduralanalgesie herangezogen werden.
Xylazin wurde früher zur Anästhesie verwendet. Hierbei wurde oft zu einer Xlyazin-Ketamin-Anästhesie gegriffen. Da Xylazin bei alten Tieren zu einer verlängerten Aufwachphase führen kann, ist diese Kombination obsolet und wurde bei Kleintieren durch geeignetere α2-Agonisten (z.B. Medetomidin) ersetzt.
Da Xylazin einen ausgeprägten emetischen Effekt aufweist, ist es vor allem bei Katzen das Emetikum der Wahl, um Erbrechen zu induzieren (z.B. bei Vergiftungen). Bei Hunden sollte aufgrund der verminderten Sensibilität Apomorphin verwendet werden.
Dosierung
Tier | Anwendung | Indikation | Dosis |
---|---|---|---|
Katze | intramuskulär | Sedierung | 1-3 mg/kgKG |
Analgesie | 0,4 mg/kgKG Xylazin und 0,05 mg/kgKG Morphin | ||
Emesis | 0,5-1 mg/kgKG (Wirkung nach 5-10 Minuten) | ||
intravenös | Sedierung | 0,3-0,7 mg/kgKG | |
Analgesie | 0,4 mg/kgKG Xylazin und 1 mg/kgKG Midazolam und 0,1 mg/kgKG Butorphanol | ||
Emesis | 0,4-0,5 mg/kgKG | ||
subkutan | Sedation | 0,7-1,3 mg/kgKG | |
Analgesie | 0,7-1,3 mg/kgKG | ||
Hund | extradural | Epiduralanästhesie | 0,25 mg/kgKG (Wirkung ca. 4 Stunden) |
intramuskulär | Sedierung | 1,1 mg/kgKG | |
Analgesie | 1,1 mg/kgKG | ||
intravenös | Sedierung | 0,3-0,7 mg/KG und 0,2-0,4 mg/kgKG Butorphanol | |
0,4 mg/kgKG und 1 mg/kgKG Midazolam und 0,1 mg/kgKG Butorphanol | |||
subkutan | Sedierung | 0,7-1,3 mg/kgKG (Wirkung ca. 1-2 Stunden) | |
Prämedikation | 0,4-2 mg/kgKG | ||
Analgesie | 0,7-1,3 mg/kgKG | ||
Pferd | intramuskulär | Sedierung | 1,0 mg/kgKG |
Prämedikation | 2,2 mg/kgKG | ||
intravenös | Sedierung | 0,5 mg/kgKG | |
Prämedikation | 0,5 mg/kgKG | ||
Analgesie | 1,1 mg/kgKG und 0,04 mg/kgKG Butorphanol |
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
- lokale Reizungen an der Injektionsstelle, Ulzeration, Nekrosen (bei Missbrauch)[1][2]
- Bradykardie und AV-Blöcke
- Hypertension und anschließend Hypotension
- Arrhythmien
- Atemdepression (erniedrigtes Atemzugvolumen, verminderte Atemfrequenz und tieferes Atemminutenvolumen) bis hin zur Apnoe
- Erbrechen
- Salivation
- reduzierte Pansen- bzw. Darmmotorik
- Hyperglykämie
- Penisvorfall
- Hypothermie
- Ataxie
- Erregungserscheinungen
Wechselwirkungen
Xyalzin sollte nicht zusammen mit Adrenalin appliziert werden, da das Auftreten von Arrhythmien begünstigt werden kann. Wird Xylazin mit folgenden Wirkstoffen kombiniert, ist unbedingt eine Dosisanpassung erforderlich (z.B. aufgrund verzögerter Ausscheidung, usw.):
- Barbiturate
- Guaifenesin
- Halothan
- Isofluran
- Ketamin
- Opioide
- Propofol
Kontraindikation
- kardiale Insuffizienzen (z.B. Arrhythmien)
- respiratorische Probleme (z.B. Obstruktionen)
- Larynxuntersuchungen (relaxiert die obere Atemwegsmuskulatur)
- Schock
- Hypovolämie
- Hypotension
- Dehydrierung
- Diabetes mellitus
- Trächtigkeit
- Harnwegsobstruktionen (z.B. Harnstein)
- Niereninsuffizienz
- Leberinsuffizienz
- Kolik (vermindert die Motilität des Darmes)
- radiologische Untersuchungen (Akkumulation von Gas im Darm)
- Obstruktionen im Gastrointestinaltrakt (verminderte Motilität)
- neurologische Probleme
- Hufrehe
- kranke, schwache Tiere
Missbrauch
Xylazin wird als Streckmittel für Fentanyl und Heroin missbraucht, weil es die Euphorie-Dauer verlängern soll.[3][4]
In einer multizentrischen US-amerikanischen Studie (September 2020 bis August 2021) wurden 321 Patienten mit einer Opioid-Überdosis untersucht, von denen 90 (39 %) positiv auf ein illegales Opioid (Heroin, Fentanyl, Fentanyl-Analogon oder ein anderes neues synthetisches Opioid) und Xylazin getestet wurden. Patienten, die zusätzlich Xylazin konsumiert hatten, waren seltener von einem Herzstillstand mit kardiopulmonaler Reanimation oder einem länger als 4 Stunden anhaltenden Koma nach der stationären Einweisung betroffen.[5]
Im Drogenscreening wird Xylazin nicht nachgewiesen. Durch Naloxon kann die Wirkung von Xylazin nicht aufgehoben werden.
Toxikologie
Die Symptomatik einer Vergiftung ist durch die oben beschriebenen Nebenwirkungen charakterisiert. Sie ist u.U. von einer Opioidvergiftung schwer abzugrenzen, da die Trias Miosis, Bradykardie und Atemdepression (Apnoe) auftreten kann. Häufig wird auch eine Hyperglykämie beobachtet.[6][7] Als für den Menschen toxische Dosis werden 40 bis 2.400 mg angegeben.[8] Die Therapie ist symptomatisch. Ein spezifisch wirkendes Antidot ist bisher nicht bekannt.
Quellen
- ↑ Malayala SV et al. Xylazine-Induced Skin Ulcers in a Person Who Injects Drugs in Philadelphia, Pennsylvania, USA. Cureus. 2022
- ↑ O'Neil J, Kovach S. Xylazine-Associated Skin Injury. N Engl J Med. 2023
- ↑ Ruiz-Colón K et al. Xylazine intoxication in humans and its importance as an emerging adulterant in abused drugs: A comprehensive review of the literature. Forensic Sci Int. 2014
- ↑ FDA alerts health care professionals of risks to patients exposed to xylazine in illicit drugs. FDA 2022-11-08, abgerufen am 15.04.2023
- ↑ Love JS et al. Opioid overdoses involving xylazine in emergency department patients: a multicenter study. Clin Toxicol (Phila). 2023
- ↑ Ball NS et al. Xylazine poisoning: a systematic review. Clin Toxicol (Phila). 2022 Aug;60(8):892-901
- ↑ Hentschel H. Vergiftungen mit dem Tierarzneimittel Xylazin beim Menschen. Vortrag Jahrestagung Gesell. f. Klin. Toxikologie Wien 2002
- ↑ Mittleman RE, Hearn WL, Hime GW. Xylazine toxicity--literature review and report of two cases. J Forensic Sci. 1998 Mar;43(2):400-2
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