Fentanyl
Handelsnamen: Abstral®, Actiq®, Durogesic SMAT®, Effentora®, FentaMat®, Fentapon®, Fentavera®, Fentinal®, Instanyl®, Matrifen®, PecFent®
Synonyme: Fentanil, Fentanylum, Phentanyl
Englisch: fentanyl
Definition
Fentanyl ist ein hochpotentes, synthetisches Analgetikum, das sich in seinen pharmakologische Eigenschaften vom Morphin ableitet und damit zu den Opioiden zählt. Im Vergleich zum Bezugsstoff Morphium weist das Fentanyl eine etwa 100-fache Wirkstärke auf.
Chemie
Fentanyl ist ein Analogon von Pethidin und ein Phenylpiperidin-Derivat. Die Summenformel lautet C22H28N2O. Der IUPAC-Name ist
- N-phenyl-N-[1-(2-phenylethyl)piperidin-4-yl]propanamid.
Die molare Masse beträgt 336,5 g/mol, der Oktanol-Wasser-Koeffizient (logP) 4,12. Die CAS-Nummer lautet 437-38-7. Die Substanz liegt bei Raumtemperatur als weißes Pulver vor, das in Wasser praktisch unlöslich ist. Als Arzneistoffe werden die Salze der Citronensäure Fentanylcitrat oder Fentanyldihydrogencitrat verwendet.
Wirkmechanismus
Fentanyl wirkt im Zentralnervensystem als Agonist an µ-Opioidrezeptoren, in geringerem Maße an δ- und κ-Opioidrezeptoren sedierend und analgetisch. Die wiederholte Anwendung führt rasch zur Toleranzentwicklung und zur physischen und psychischen Abhängigkeit.
Pharmakokinetik
Fentanyl wird nasal (Bioverfügbarkeit 89 %) sehr schnell, über die Mundschleimhaut (Bioverfügbarkeit 25 bis 54 %) schnell, aus dem Magen-Darm-Trakt (Bioverfügbarkeit ca. 50 %) aber langsam resorbiert. Bei dermaler Applikation kommt es zur Depotbildung in den oberen Hautschichten (Bioverfügbarkeit 92 %). Nach intravenöser Applikation verteilt sich Fentanyl mit einer Halbwertszeit von 6 bis 10 Minuten im Organismus, wird in der Lunge, in der Skelettmuskulatur und im Fettgewebe gespeichert und passiert die Blut-Hirn-Schranke. Die maximale atemdepressive Wirkung tritt nach 5 bis 15 Minuten ein. Das Verteilungsvolumen beträgt 3 bis 8 L/kgKG, die Plasmaproteinbindung bis 85 %. Durch rasche und extensive Biotransformation in der Leber durch das Cytochrom P450-Isoenzym CYP3A4 entstehen Norfentanyl und andere inaktive Metabolite. Die renale Exkretion erfolgt zu 75 % in Form von Metaboliten, zu weniger als 7 % unverändert. Die terminale Plasmahalbwertszeit nach intravenöser Gabe beträgt 3 bis 12 Stunden.
Indikationen
Fentanyl wird bei folgenden Indikationen eingesetzt:
- Neuroleptanalgesie und Neuroleptanästhesie
- Anästhesie mit endotrachealer Intubation und Beatmung
- Schmerzbehandlung in der Notfallmedizin und Intensivmedizin
- Behandlung starker chronischer Schmerzen (kontinuierliche Langzeitanwendung)
- Behandlung von Durchbruchschmerzen (Tumorschmerzen)
Fentanyl-haltige Arzneimittel sind in Deutschland für Kinder erst ab zwei Jahren zugelassen, werden aber auch bei Früh- und Neugeborenen sowie bei Säuglingen am häufigsten zur Analgosedierung verwendet. Für Früh- und Neugeborene liegen aussagekräftige pharmakokinetische Daten und valide Dosierungsvorschläge vor.[1]
Darreichungsform
Fentanyl steht in Form von Lutschtabletten, Buccaltabletten, Sublingualtabletten, als Nasenspray, Pflaster (TTS) und Injektionslösung zur Verfügung. Die angewendete Arzneiform wird durch die Indikation bestimmt.
Dosierung
Die Dosierung ist abhängig von der Indikation und muss individuell angepasst werden. Einflussfaktoren sind das Körpergewicht, der Allgemeinzustand, die Vorerkrankungen und die Begleitmedikationen.
In der Schmerztherapie werden Einzeldosen von 50 µg (intranasal oder i.m.) bis 1,6 mg (Lutschtablette) eingesetzt; zur transdermalen Anwendung stehen abgestufte Dosierungen von 12 bis 150 μg/h zur Verfügung. Bei einer Neueinstellung ist stets mit der niedrigsten Dosisstufe zu beginnen.
Bei der intranasalen Anwendung im Rahmen einer präklinischen Notfallbehandlung (Off-Label-Use) werden bei Erwachsenen initial 100 µg (bei einem Körpergewicht von 50–70 kg) bzw. 200 µg (über 70 kg), bei Kindern im Alter von 1 Monat bis 17 Jahren 0,5 bis 2 µg/kgKG (maximal 100 µg) empfohlen.[2]
In der Anästhesie werden beim spontan atmenden, erwachsenen Patienten als Initialdosis z.B. 50 bis 200 µg verabreicht, höhere Dosierungen können nur beim beatmeten Patienten verwendet werden. Je nach Schmerzhaftigkeit eines Eingriffs werden zwischen 2 und 50 µg/kgKG eingesetzt. Man unterscheidet dabei 3 Dosisbereiche:
- niedrige Dosis: 2 μg Fentanyl/kgKG
- mittlere Dosis: 2 bis 20 μg Fentanyl/kgKG
- hohe Dosis: 20 bis 50 μg Fentanyl/kgKG
Je umfangreicher die chirurgische Maßnahme, desto größer ist die erforderliche Dosis.
Bei kontinuierlicher Applikation wird die Dosierung bei Spontanatmung (0,05 - 0,08 µg/kg/min) niedriger gewählt als in Narkose. In der Herzchirurgie werden teils Dosierungen bis 3 µg/kg/min genutzt.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Die Nebenwirkungen richten sich nach der Applikationsform. Detaillierte Angaben zur jeweiligen Darreichungsform sind in den Fachinformationen verzeichnet. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen sind:
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Übelkeit, Erbrechen, spastische Obstipation
- Schwitzen
- Pruritus
- Somnolenz
- Miosis
- Harnverhalt
- Spasmen der Gallenwege
- Hautreaktionen bei Applikation transdermaler Pflaster
Die Verkehrstüchtigkeit der Patienten und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen ist eingeschränkt. Patienten mit intravenöser Fentanylbehandlung dürfen nicht am Straßenverkehr teilnehmen, eine Maschine führen oder ohne sicheren Halt arbeiten.
Wechselwirkungen
Fentanyl zeigt mit einer Reihe von Medikamenten relevante, teilweise vital bedrohliche Wechselwirkungen:
- Zentral dämpfend wirkende Arzneimittel und Alkohol verstärken die sedierende und atemdepressive Wirkung
- Bei gleichzeitiger Anwendung von selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) und Monaminoxidase(MAO)-Hemmern besteht die Gefahr der Auslösung eines Serotoninsyndroms.
- Bei gleichzeitiger Anwendung von Buprenorphin, Nalbuphin oder Naloxon können durch kompetitive Hemmung Entzugssymptome ausgelöst werden.
- Anticholinergika verstärken die Nebenwirkungen an der glatten Muskulatur (Harnverhalt, Obstipation).
- CYP3A4-Inhibitoren verstärken, CYP3A4-Induktoren vermindern die Wirkung.
Pharmazeutisch sind Thiopental, Methohexital, Pentobarbital und Nafcillin inkompatibel mit Fentanyldihydrogencitrat.
Kontraindikationen
Die Anwendung ist kontraindiziert bei:
- Überempfindlichkeit gegen Fentanyl oder andere Opioide oder sonstige Bestandteile der Arzneimittel
- schwere zentralnervös verursachte Störungen (Atem- und Kreislaufdepression, Krampfneigung, Hirndrucksteigerung)
- Herzrhythmusstörungen
- Phäochromozytom
Missbrauch
Wie andere Opioide wird Fentanyl wegen seiner euphorisierenden Wirkung als Rauschmittel missbraucht. Extrakte aus Matrixpflastern werden injiziert, geraucht, geschnupft oder geschluckt (Szene-Bezeichnung: "synthetisches Heroin"). Heroin wird mit Fentanyl "verschnitten", um die Wirkung zu steigern.
In den USA hat der Missbrauch von Fentanyl wesentlichen Anteil an der sogenannten Opioidkrise bzw. Opioid-Epidemie (englisch "opioid crisis" bzw. "opioid epidemic")[3], sodass die Fentanylintoxikation seit 1999 zur häufigsten Todesursache unter US-Amerikanern in der Altersgruppe zwischen 18 und 45 Jahren wurde.[4]
Inzwischen sind hochpotente Fentanylderivate in Umlauf, bei deren Konsum die erhöhte Gefahr einer Vergiftung mit tödlichem Verlauf besteht.[5]
Schwangerschaft und Stillzeit
Fentanyl darf nicht während der Schwangerschaft angewendet werden. Fentanyl passiert die Plazentaschranke. Es besteht das Risiko, dass sich beim Fetus Toleranz und Abhängigkeit ausprägen und sich postpartal beim Neugeborenen ein neonatales Abstinenzsyndrom ausprägt. Darüber hinaus sind im Tierexperiment reproduktionstoxische Wirkungen aufgetreten. Auch die Anwendung unter der Geburt wird nicht empfohlen, weil Fentanyl beim Fetus bzw. Neugeborenen eine Atemdepression verursachen kann.
Fentanyl tritt in die Muttermilch über und kann eine Sedierung und/oder Atemdepression beim gestillten Kind auslösen. Bis mindestens 24 Stunden nach der letzten intravenösen Applikation, mindestens 72 Stunden nach dem Entfernen eines transdermalen Pflasters und mindestens 5 Tage nach der letzten buccalen Applikation von Fentanyl darf nicht gestillt werden.
Toxizität
Gegenüber der Wirkung von Fentanyl entwickelt sich bei Dauertherapie typischerweise eine erhebliche Opioid-Toleranz. Der Dosisbereich der Schmerztherapie und der Dosisbereich, bei dem bei nicht an die Wirkung von Fentanyl gewöhnten Patienten schwere Vergiftungen auftreten, überschneiden sich. Bereits 2 mg Fentanyl gelten für einen opioidnaiven Erwachsenen als letale Dosis.[6]
Eine besondere Gefährdung besteht bei einer zu hohen Anfangsdosierung transdermaler Pflaster. Als spezifisches Antidot steht Naloxon zur Verfügung. Bei bekannter Opioidgewöhnung sollte initial mit einer niedrigen Dosis begonnen werden, um Entzugserscheinungen zu vermeiden. Präklinisch oder bei schlechten Venenverhältnissen kann Naloxon auch nasal verabreicht werden. Da die Naloxon-Wirkung nur bis maximal 2 Stunden anhält, kann bei einem Relaps der Atemdepression eine intravenöse Dauerinfusion erforderlich sein.
siehe Hauptartikel: Opiatintoxikation
Verschreibungspflicht
Das Fentanyl unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Sämtliche Fentanyl-Fertigarzneimittel müssen über ein BtM-Rezept verordnet werden.
ATC-Code
- N01AH01 - Allgemeinanästhetika - Fentanyl
- N01AH51 - Allgemeinanästhetika - Fentanyl, Kombinationen
- N02AB03 - Analgetika - Fentanyl
Quellen
- ↑ Die Problematik der Off-Label-Anwendung bei Kindern am Beispiel von Fentanyl. Arzneiverordnung in der Praxis 2023, abgerufen am 31.03.2023
- ↑ Ahne G et al. Intranasale Schmerzmittel in der Notfallmedizin – was ist die Evidenz? Teil 1 Fentanyl. Notarzt 2024
- ↑ Lyden J, Binswanger IA. The United States opioid epidemic. Semin Perinatol. 2019
- ↑ Han Y et al. The rising crisis of illicit fentanyl use, overdose, and potential therapeutic strategies. Transl Psychiatry. 2019
- ↑ Lutfy K. Opioid Crisis-An Emphasis on Fentanyl Analogs. Brain Sci. 2020
- ↑ Williamson J, Kermanizadeh A. A Review of Toxicological Profile of Fentanyl—A 2024 Update. MDPI Toxics 2024
Weblinks
- Fentanyl Drogenprofil EUDA, abgerufen am 28.10.2024
- Drugbank - Fentanyl, abgerufen am 31.03.2023
- Gelbe Liste Wirkstoffe - Fentanyl, abgerufen am 31.03.2023
- PharmaWiki - Fentanyl, abgerufen am 31.03.2023
- PubChem: 3345
- MeSH: D005283
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