Tumorschmerz
Definition
Der Begriff Tumorschmerz beschreibt akute oder chronische Schmerzzustände, die durch Raumforderungen, im engeren Sinne durch Krebserkrankungen, ausgelöst werden. Im weiteren Sinne zählen auch therapiebedingte Schmerzen hierzu.
Epidemiologie
Mittlere bis starke Tumorschmerzen treten bei 70 - 80 % der Patienten im fortgeschrittenen Stadium einer Krebserkrankung auf. Dabei können Tumorschmerzen bei fast allen Patienten reduziert werden.[1]
Schmerzursachen
Ein Tumorschmerz im eigentlichen Sinne wird durch das Krebsgeschwür direkt ausgelöst. Je nach Lokalisation im menschlichen Körper gibt es eine mehr oder weniger große Dichte an Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren). Befindet sich der Tumor in einer Region mit hoher Anzahl an Schmerzsensoren, so entsteht durch sein Wachstum ein entsprechend starker Schmerzzustand. Innerhalb der inneren Organe und im Gehirn existieren gar keine Schmerzrezeptoren, sodass Tumoren dort lange unerkannt bleiben. Tumorschmerzen können neben dem Primärtumor auch von vorliegenden Metastasen ausgelöst werden. Hauptursachen von tumorbedingten Schmerzen sind:
- Knochen- und Weichteilinfiltration
- Kompression und Infiltration von Nerven, Blutgefäßen, Lymphgefäßen
- Tumornekrose an Haut oder Schleimhaut
- Hirnödem
- Tumorassoziierte Ursachen: Post-Zoster-Neuralgie, Thrombosen, Embolien, Dekubitus, Infektionen
Zu den therapiebedingten Ursachen zählen insbesondere:
- Operation: Nervenläsion, Vernarbung, Ödem, Muskelverspannung
- Radiatio: Fibrose, Neuropathie, Mukositis
- Chemotherapie: Entzündung, Mukositis, Neuropathie
Neben der physischen Komponente spielen psychische und soziale Dimensionen eine Rolle bei Tumorschmerzen.
Schmerztypen
Je nach pathophysiologischem Mechanismus können drei unterschiedliche Schmerztypen unterschieden werden. Die Differenzierung ist entscheidend für den Erfolg einer Schmerztherapie.
Somatischer Schmerz
Somatische Schmerzen entstehen durch Nozizeptoraktivierung in Haut, Bindegewebe, Muskeln oder Periost. Sie können typischerweise als spitz, stechend und gut lokalisierbar beschrieben werden. Beispiele für somatische Schmerzen sind:
- Knochen- und Periostschmerz: Gut lokalisierbar, bewegungsabhängig
- Weichteilschmerz: Bohrender Dauerschmerz oder blitzartige Attacken
- Ischämieschmerz: Bei Bewegung verstärkt, bläulich-livide Hautverfärbung
Viszeraler Schmerz
Die viszeralen Schmerzen entstehen durch Nozizeptoraktivierung in sympathisch innervierten Organen. Sie sind eher dumpf, kolikartig und schlecht abgrenzbar. Oft werden die Schmerzen an anderer Stelle bemerkt (übertragener Schmerz). Zum Teil sind sie begleitet von einer vegetativen Symptomatik. Zu den viszeralen Schmerzursachen zählen:
- Infiltration von inneren Organen mit Ulzeration, Stenose, Perforation
- Tumorwachstum in gekapselten Organen (Leber, Milz, Niere) mit Drucksteigerung
- Infiltration von Pleura parietalis oder Peritoneum parietale
Neuropathische Schmerzen
Durch Tumorinfiltration bzw. Tumorkompression von Nerven entstehen stechende, brennende, elektrisierende neuropathische Schmerzen. Sie können sowohl als Dauerschmerz als auch attackenweise vorkommen. Meist gehen sie mit Allodynie, Hyperalgesie und/oder Hyperästhesie einher. Pathogenetische Ursachen sind:
- Infiltration von Nerven und Nervenwurzeln
- Infiltration des Plexus brachialis oder Plexus lumbosacralis
- Infiltration des Rückenmarks
Schmerzqualitäten
Tumorschmerzen können wie folgt erlebt werden:
- heiß
- brennend
- pulsierend
- krampfend
- dumpf
- stechend
- ziehend
- bohrend
- drückend
Diagnostik
Eine Basisdiagnostik zur Schmerzanalyse ist die entscheidende Voraussetzung für eine Schmerztherapie. Zur Schmerzerfassung zählen:
- Schmerzanamnese
- Erfassung der Ausbreitung und Dynamik der Schmerzen, der Schmerzursache und des Schmerztyps
- Einschätzung der Schmerzintensität nach Möglichkeit durch den Patienten selbst, zum Beispiel mithilfe von Schmerzskalen und Schmerztagebüchern.
- Schmerzbezogene klinische Untersuchung: Insbesondere im Hinblick auf Bewegungsdefizite, pathologische Frakturen, Pluszeichen (Hyperalgesie, Allodynie), Minuszeichen (Hypästhesie, Paresen), Reflexstatus
- McGill-Pain-Questionnaire: Validierter multidimensionaler Fragebogen zur neurophysiologischen Evaluation von Schmerzen mit nozizeptivem und/oder neuropathischem Charakter[2][3]
- Bei Verdacht auf neuropathische Schmerzen kann auch ein Screening-Fragebogen (z.B. DN4[4], painDETECT[5] angewendet werden
- Screening mit einem Symptomfragebogen, der auch andere körperliche und psychosoziale Probleme erfasst, z.B. HOPE[6], Palliative Care Outcome Scale[7][8]
Therapie
Behandlungsgrundlage ist ein multimodales Vorgehen bestehend aus Schmerztherapie, Psychotherapie und psychosomatischer Behandlung, Patientenschulung, Entspannungsmethoden, Selbsthilfegruppen sowie gegebenenfalls physikalischer Therapie.
Die Schmerztherapie basiert auf dem WHO-Stufenschema. Es umfasst eine möglichst orale Therapie ("by the mouth"), nach Stufenplan ("by the ladder") und in festen Intervallen ("by the clock"). Als Basismedikation zur Behandlung des Dauerschmerzes (Background Cancer Pain) werden langwirkende Präparate mit fester Dosierung und Zeiteingabe verwendet. Bei Durchbruchschmerzen (Breakthrough Cancer Pain) dienen rasch wirkende Präparate der Bedarfsmedikation. Koanalgetika wie zum Beispiel trizyklische Antidepressiva oder Antikonvulsiva können bei neuropathischen Schmerzen helfen. Glukokortikoide werden bei Nervenkompression und Hirndruck eingesetzt. Bei schmerzorientierter Opioidgabe ist eine klinisch relevante Atemdepression unwahrscheinlich.
Weblinks
- S3-Leitlinie Palliativmedizin Mai 2015, abgerufen am 08.07.2019
Quellen
<references>
- ↑ Ventafridda V et al. A validation study of the WHO method for cancer pain relief, Cancer. 1987 Feb 15;59(4):850-6, abgerufen am 08.07.2019
- ↑ Kiss I et al. The McGill Pain Questionnaire-German version. A study on cancer pain, Pain. 1987 May;29(2):195-207, abgerufen am 08.07.2019
- ↑ Stein C, Mendl G. The German counterpart to McGill Pain Questionnaire, Pain. 1988 Feb;32(2):251-5, abgerufen am 08.07.2019
- ↑ Bouhassira D et al. Comparison of pain syndromes associated with nervous or somatic lesions and development of a new neuropathic pain diagnostic questionnaire (DN4) Pain. 2005 Mar;114(1-2):29-36. Epub 2005 Jan 26, abgerufen am 08.07.2019
- ↑ Freynhagen R et al. painDETECT: a new screening questionnaire to identify neuropathic components in patients with back pain, Curr Med Res Opin. 2006 Oct;22(10):1911-20, abgerufen am 08.07.2019
- ↑ Stiel S et al. Validation of the Symptom and Problem Checklist of the German Hospice and Palliative Care Evaluation (HOPE), J Pain Symptom Manage. 2012 Mar;43(3):593-605. doi: 10.1016/j.jpainsymman.2011.04.021. Epub 2011 Nov 8., abgerufen am 08.07.2019
- ↑ Hearn J, Higginson IJ. Development and validation of a core outcome measure for palliative care: the palliative care outcome scale, Qual Health Care. 1999 Dec; 8(4): 219–227, abgerufen am 08.07.2019
- ↑ Bausewein C et al. Validation and clinical application of the german version of the palliative care outcome scale.J Pain Symptom Manage. 2005 Jul;30(1):51-62, abgerufen am 08.07.2019
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