Prämedikation
Englisch: premedication
Definition
Unter Prämedikation versteht man die Gabe anästhesiebezogener Medikamente vor einer Operation. Sie dient u.a. der Anxiolyse und Sedierung des Patienten, der vegetativen Dämpfung sowie der Reduktion von Komplikationen.
Hintergrund
Im klinischen Sprachgebrauch wird auch das vorbereitende Gespräch vor einer Regionalanästhesie oder Vollnarkose verkürzt als "Prämedikation" bezeichnet. Der Anästhesist setzt hier unter Berücksichtigung der individuellen Krankengeschichte des Patienten, des geplanten Eingriffs und anästhesiologischen Gesichtspunkten das geeignete Anästhesieverfahren für den Patienten in Abstimmung mit ihm und dem Operateur fest. Zudem erfolgt im Prämedikationsgespräch die Aufklärung über das geplante Anästhesieverfahren.
Ziele
Die Prämedikation dient vor allem der Reduktion von Angst, Unruhe und vegetativen Stressreaktionen vor einer Anästhesie. Neben der psychologischen Prämedikation durch das ärztliche Gespräch ermöglicht die pharmakologische Prämedikation eine ruhigere Narkoseeinleitung, eine geringere intraoperative Stressantwort sowie einen potenziell reduzierten Anästhetikabedarf. Weitere mögliche Ziele sind z.B.:
- Analgesie
- Hemmung der Speichel- und Bronchialsekretion
- Aspirationsprophylaxe
- Prophylaxe von postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV)
- Schutz vor autonomen Reflexreaktionen
Durchführung
Anxiolyse und Sedierung
Zur Anxiolyse und Sedierung werden vor allem Benzodiazepine verwendet. Sie werden heutzutage jedoch nicht routinemäßig eingesetzt, sondern vor allem bei ängstlichen Patienten. Aufgrund seines raschen Wirkungseintritts und der guten Steuerbarkeit wird häufig Midazolam verwendet. Länger wirksame Benzodiazepine (z.B. Lorazepam, Diazepam oder Dikaliumclorazepat) können bei ausgeprägter Angst auch schon am Vorabend verabreicht werden.
α2-Agonisten wie Clonidin und Dexmedetomidin werden vereinzelt alternativ genutzt, wenn eine Dämpfung kardiovaskulärer Stressreaktionen erwünscht ist oder Benzodiazepine kontraindiziert sind. Sie können den Bedarf an Anästhetika reduzieren und die hämodynamische Stabilität verbessern, verursachen jedoch häufiger Hypotonie oder Bradykardie. Außerdem wirken sie primär sedierend, nicht anxiolytisch. Einige Anästhesisten nutzen sie vor allem zur Prämedikation von Suchtpatienten. Ihr Nutzen ist aktuell (2025) umstritten und muss sorgfältig gegen mögliche Nebenwirkungen abgewogen werden.
Barbiturate und Neuroleptika haben in der modernen Prämedikation keinen Stellenwert mehr.
Analgesie
Im Rahmen der Prämedikation kann ein NSAR wie Diclofenac, Ibuprofen oder Paracetamol verabreicht werden, um eine frühzeitige postoperative Grundanalgesie zu erzielen und den (postoperativen) Bedarf an Opioiden zu senken.
Opioide werden nur dann präoperativ eingesetzt, wenn bereits Schmerzen vorliegen oder Patienten opioidabhängig sind. Als reine Sedativa oder Beruhigungsmittel sind sie nicht indiziert, da sie keine sichere Anxiolyse erzeugen und gleichzeitig das Risiko einer Atemdepression erhöhen.
Anticholinergika
Anticholinergika wie Atropin, Scopolamin oder Glycopyrroniumbromid werden gezielt eingesetzt, etwa zur Prophylaxe starker Speichel- oder Bronchialsekretion bei Mund- und Atemwegseingriffen. Eine routinemäßige Gebäudereinigung erfolgt nicht mehr, da moderne Anästhesieverfahren keine exzessive Sekretsteigerung oder relevante vagale Reaktionen auslösen.
Aspirationsprophylaxe
Die medikamentöse Aspirationsprophylaxe zielt darauf ab, das Magensaftvolumen zu reduzieren und den pH-Wert anzuheben. Sie wird nur bei entsprechendem Risiko verabreicht. Am häufigsten wird Natriumcitrat verwendet. Es hebt den pH-Wert des bereits vorhandenen Mageninhalts innerhalb weniger Minuten an und eignet sich daher für kurzfristige Maßnahmen direkt vor Narkoseeinleitung.
H2-Rezeptor-Antagonisten wie Cimetidin oder Ranitidin senken die Säureproduktion und erhöhen den pH-Wert. Protonenpumpenhemmer (PPI) wie Omeprazol oder Pantoprazol hemmen die Säuresekretion noch effektiver, benötigen jedoch eine Einnahme am Vorabend und OP-Tag, um optimal wirksam zu sein.
PONV-Prophylaxe
Für die Prophylaxe von postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV) spielen einerseits die Minimierung anästhesiologischer Risikofaktoren, andererseits die Gabe antiemetischer Medikamente eine Rolle. Zu den wirksamsten Substanzen zählen 5-HT3-Antagonisten (z.B. Ondansetron oder Granisetron) und Dexamethason. Viele Anästhesisten verabreichen die PONV-Prophylaxe jedoch nicht als Prämedikation, sondern während der Narkose.
Einschränkungen
Obwohl die Prämedikation lange als routinemäßiger Bestandteil jeder anästhesiologischen Vorbereitung betrachtet wurde, zeigen neuere Daten, dass ihr Nutzen stark von der Patientengruppe, der Art des Eingriffs und der individuellen psychischen Belastung abhängt. Besonders bei kurzen, minimal-invasiven oder diagnostischen Eingriffen mit zügiger Anästhesieeinleitung kann eine standardisierte Prämedikation entbehrlich sein, da der zeitliche Abstand zwischen Medikamentengabe und Narkose oft zu kurz ist, um eine relevante anxiolytische Wirkung zu erzielen. In solchen Situationen kann eine unnötige Sedierung sogar nachteilig sein, etwa wenn der Patient für organisatorische Abläufe, Aufklärungsgespräche oder Transportwege noch kooperativ und orientiert bleiben soll. Außerdem können sich die Narkoseausleitung und die Liegezeit im Aufwachraum durch eine Prämedikation verlängern.
Zudem lässt sich eine ausgeprägte Angst in manchen Fällen ebenso effektiv durch ein aufklärendes Gespräch oder ein angepasstes perioperatives Management beeinflussen, sodass eine medikamentöse Anxiolyse nicht zwingend erforderlich ist.
Ältere Patienten reagieren häufig überempfindlich auf Benzodiazepine, was zu Verwirrtheitszuständen, Delir, verzögerter Mobilisation oder Stürzen führen kann.
Literatur
- Wilhelm: Praxis der Anästhesiologie. Springer, Berlin, 2018
- Larsen: Anästhesie, 12. Auflage. Urban & Fischer, München, 2022