Therapie des Magenkarzinoms
Definition
Die Therapie des Magenkarzinoms umfasst alle kurativen und palliativen Maßnahmen zur Behandlung des Magenkarzinoms.
Hintergrund
Das Magenkarzinom ist das häufigste Malignom des Magens. Aufgrund von fehlenden Frühsymptomen wird es häufig erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert. Für die Therapie entscheidend ist die TNM- sowie die Laurén-Klassifikation. Letztere unterteilt die Magenkarzinome in drei Formen:
- intestinaler Typ: polypöses Wachstum, meist klar begrenzt
- diffuser Typ: infiltratives Wachstum, schlecht differenziert, frühere Metastasierung
- Mischtyp
Adenokarzinome des gastroösophagealen Übergangs (AEG-Karzinome) weisen diagnostische und therapeutische Besonderheiten auf. Sie werden nach Siewert topografisch in drei Typen eingeteilt.
Magenkarzinome können endoskopisch oder chirurgisch in kurativer Intention entfernt werden. In einigen Fällen kommt eine perioperative (Radio-)Chemotherapie in Frage. In palliativen Situationen kann u.a. eine Chemotherapie erwogen werden.
Endoskopische Resektion
Eine endoskopische Resektion wird empfohlen bei intraepithelialen Neoplasien jeglicher Größe sowie bei Magenfrühkarzinomen vom intestinalen Typ. Ausnahmen stellen ulzerierte T1a-Karzinome über 3 cm sowie bestimmte T1b-Karzinome dar. Diese werden genau wie Magenfrühkarzinome vom diffusen Typ i.d.R. chirurgisch behandelt.
Die endoskopische Resektion erfolgt in kurativer Zielsetzung als endoskopische Submukosa-Dissektion (ESD). Bei sehr kleinen Läsionen kann auch eine endoskopische Mukosaresektion (EMR) erfolgen. Diese ist mit einer niedrigen Komplikationsrate verbunden, erlaubt jedoch bei größeren Läsionen häufig keine En-bloc-Resektion. Stattdessen ist oft nur eine Resektion in mehreren Fragmenten möglich (Piece-meal-Technik).
Typische Komplikationen nach endoskopischer Resektion sind Blutungen (2-23 % d.F.) und Perforationen (0,5-10 % d.F.) mit einer Latenzzeit von bis zu 10 Tagen. Sie können jedoch i.d.R. endoskopisch bzw. konservativ behandelt werden. Postinterventionell werden Protonenpumpenhemmer (PPIs) verabreicht. Des Weiteren erfolgt eine Testung auf Helicobacter pylori und ggf. eine Eradikationstherapie.
Bei inkompletter Resektion sollte eine postinterventionelle Endoskopie und Biopsie sowie ggf. eine chirurgische Therapie erfolgen. Rezidive treten v.a. innerhalb des 1. Jahres auf und können erneut endoskopisch reseziert werden.
Kurative chirurgische Resektion
Neben einer endoskopischen Resektion von geeigneten Frühkarzinomen stellt die chirurgische Resektion die einzige Möglichkeit zur kurativen Behandlung dar. Sie kommt grundsätzlich bei allen T-Stadien in Betracht, vorausgesetzt der Patient ist funktionell operabel. Ziel ist dabei die vollständige Entfernung des Tumors und der regionären Lymphknoten (R0-Resektion). Nicht operiert werden Patienten mit T4b-Tumoren, die nicht-resektable Strukturen betreffen sowie Patienten mit Fernmetastasen.
Bei Frühkarzinomen kann sowohl eine laparoskopische subtotale distale Resektion oder Gastrektomie als auch eine offene Resektion durchgeführt werden. Bei anderen Magenkarzinomen werden laparoskopische Verfahren derzeit (2020) nicht empfohlen.
Standardverfahren ist die radikale Gastrektomie mit D2-Lymphadenektomie:
- Resektion von Omentum minus und majus, radikale Lymphadenektomie der Kompartimente I und II, ggf. auch des Kompartiments III (D3-Lymphadenektomie)
- Splenektomie nur bei pathologischen Lymphknoten im Milzhilus und/oder Karzinomen, welche die Milz berühren oder penetrieren
- Entfernung von tumoradhärenten Anteilen des Zwerchfells
- Pankreaslinksresektion bei Penetration oder Kontakt zum Pankreas
- Sicherheitsabstand nach proximal: 8 cm (diffuser Typ) bzw. 5 cm (intestinaler Typ)
- Passagewiederherstellung meist durch Roux-Y-Anastomose: proximales Jejunum wird kurz unterhalb des Duodenums durchtrennt und mit dem Ösophagus (Ösophagojejunostomie) oder ggf. vorhandenem Restmagen (Gastrojejunostomie) End-zu-End anastomosiert. Der verbleibende Jejunalstumpf wird distal End-zu-Seit mit einer weiter distal liegenden Jejunumschlinge verbunden. Dadurch entsteht ein Schutz vor Gallereflux mit reduziertem Risiko für Ulcus ventriculi und Magenstumpfkarzinom.
- Zumindest gleichwertige Alternative: Pouchbildung an Ösophagojejunostomie, vermutlich bessere postoperative Lebensqualität (weniger Dumping-Syndrome).
Unter Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsabstände kann bei Karzinomen des unteren Magendrittels sowie bei Karzinomen vom intestinalen Typ des mittleren Drittels eine subtotale Gastrektomie mit Lymphadenektomie ausreichen.
Bei AEG-Tumoren gelten folgende operative Therapieempfehlungen:
- AEG Typ I: transthorakale subtotale Ösophagektomie mit Resektion des proximalen Magens und anschließendem Magenhochzug und intrathorakaler Anastomose
- AEG II: transthorakale Ösophagektomie und obere Magenresektion oder transhiatal erweiterte Gastrektomie mit distaler Ösophagusresektion
- AEG Typ III: transhiatal erweiterte Gastrektomie und distale Ösophagusresektion, z.T. Ösophagogastrektomie und Rekonstruktion durch Koloninterposition.
Bei R1- und R2-Resektion kann in kurativer Intention eine Nachresektion oder eine postoperative Radiochemotherapie durchgeführt werden. Sind diese Therapieoptionen nicht möglich, liegt eine palliative Situation vor. Bei isoliertem Lokalrezidiv kann eine erneute Operation durchgeführt werden.
Perioperative Therapie
Eine perioperative, d.h. präoperativ begonnene (neoadjuvante) und postoperativ fortgesetzte (adjuvante) Chemotherapie wird in folgenden Situationen empfohlen:
- fakultativ: lokalisierte Adenokarzinome des Magens oder ösophagogastralen Übergangs im Stadium cT2
- lokalisierte Magenkarzinome im Stadium cT3
- resektable Magenkarzinome im Stadium cT4
Bei AEG kann neben einer perioperativen Chemotherapie auch eine neoadjuvante Radiochemotherapie durchgeführt werden.
Der Standard in der perioperativen Chemotherapie besteht aus der Dreierkombination FLOT (5-Fluoruracil mit Folinsäure, Oxaliplatin, Docetaxel). Alternative Therapieprotokolle sind:
- ECF: Epirubicin, Cisplatin, 5-Fluoruracil (5-FU)
- PLF: Cisplatin, 5-FU: anthrazyklinfreie Alternative (z.B. bei Herzinsuffizienz)
- FLO: Oxaliplatin, 5-FU: anthrazyklinfreie Alternative
- EOX: Epirubicin, Oxaliplatin, Capecitabin: weniger toxisch, einfachere Anwendung
Der Einsatz von Antikörper und small molecules zur perioperativen Therapie wird derzeit (2020) in Studien untersucht.
Nach neoadjuvanter Therapie wird ein Restaging mittels Computertomographie (CT) und Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) durchgeführt. Bei Tumorprogress sollte die präoperative Therapie abgebrochen, eine frühzeitige Operation angestrebt und keine postoperative Therapie durchgeführt werden.
Adjuvante Therapie
Bei Patienten mit R0-Resektion und Lymphadenektomie, die keine präoperative Chemotherapie erhalten haben, kann bei Vorliegen von bestimmten Risikofaktoren eine postoperative Radiochemo- oder Chemotherapie erwogen werden.
Palliative Therapie
Eine palliative Situation liegt vor bei:
- Fernmetastasen
- fortgeschrittenem Stadium mit nicht resektablem Tumor
- funktionell inoperablen Patienten
Pallative Chemotherapie
Bei funktioneller Inoperabilität oder Irresektabilität eines lokal begrenzten Adenokarzinoms kann eine meist platinbasierte Radiochemotherapie analog zum Ösophaguskarzinom durchgeführt werden. Patienten, die eine Operation ablehnen oder funktionell inoperabel sind, besitzen unter Radiochemotherapie ein medianes Überleben von ca. 3 Jahren (2-Jahres-Überlebensrate von 50-70 %). Bei irresektabler Erkrankung beträgt das mediane Überleben ca. 1,5 Jahre (2-Jahres-Überlebensrate von 20 %).
Bei palliativen Patienten sollte frühestmöglich eine Chemotherapie angeboten werden, vorausgesetzt der Patient befindet sich in gutem Allgemeinzustand (ECOG 0-1). Die Chemotherapie kann die Überlebenszeit verlängern und die Lebensqualität verbessern.
Vorher sollte jedoch der HER2-Status bestimmt werden: Bei Tumoren ohne HER-2-Überexpression besteht die Erstlinientherapie aus dem ECF-Schema. Dies führt zur Verlängerung der Überlebenszeit um durchschnittlich 6,7 Monate (medianes Gesamtüberleben von 8-19 Monaten). Alternativen sind:
- EOX
- DCF: Docetaxel, Cisplatin, 5-FU: vergleichsweise hohe Toxizität, v.a. bei sehr gutem Allgemeinzustand
- FLOT: Oxaliplatin besser verträglich als Cisplatin, v.a. für ältere Patienten
- Cisplatin + Capecitabin: v.a. bei alters- oder ernährungsbedingt eingeschränkten Patienten
- FOLFIRI: Irinotecan + 5-FU: platinfreie Alternative, v.a. bei hochgradiger Niereninsuffizienz
Bei HER2-positiven Tumoren kann durch die zusätzliche Gabe von Trastuzumab eine Verbesserung der Überlebenszeit um ca. 2 Monate erreicht werden. In klinischen Studien werden außerdem Cetuximab, Panitumumab und Bevacizumab getestet.
Als Zweitlinientherapie kommen Irinotecan, Docetaxel, Paclitaxel oder Ramucirumab in Frage. Zugelassen ist nur Ramucirumab alleine oder in Kombination mit Paclitaxel. Diese Substanzen können eine Verbesserung des medianen Überlebens um ca. 2 Monate bewirken (im Vergleich zur alleinigen supportiven Behandlung).
Weitere palliative Therapien
Neben einer palliativen Chemotherapie existieren weitere palliative Therapieoptionen:
- symptomatische Tumorstenose im Magen: Stentimplantation oder Gastroenterostomie, ferner jejunale Ernährungsfistel oder palliative Bestrahlung
- symptomatische Tumorstenose im Bereich des ösophagogastralen Übergangs: selbstexpandierende Metallstents (SEMS), intraluminale Brachytherapie, perkutane Radiotherapie
- tumorbedingte Blutung: endoskopische Blutstillung, angiographische Embolisation, als Ultima Ratio auch palliative Resektion, außerdem pallative Radiotherapie bei chronischer Sickerblutung
- symptomatischer, chemotherapie-refraktärer Aszites: Parazentese, in Einzelfällen intraperitoneale Chemotherapie (z.B. mit Cisplatin), ggf. Catumaxomab, HIPEC wird nicht empfohlen
- limitierte Peritonealkarzinose: evtl. Peritonektomie und HIPEC oder PIPAC im Rahmen von Studien
- Chemotherapie-assoziierte Diarrhö: Loperamid, ggf. Octreotid
Immuncheckpoint-Inhibitoren (Pembrolizumab, Nivolumab, Avelumab, Atezolizumab, Durvalumab) werden derzeit (2020) in klinischen Studien bei selektierten Patienten (z.B. mit nachgewiesener Mikrosatelliteninstabilität nach Ausschöpfung zugelassener Therapien) getestet. In den USA ist Pembrolizumab seit 2017 für Patienten mit PD-L1-positiven Adenokarzinomen (AEG-Tumoren und Magenkarzinom) in der Drittlinientherapie zugelassen. In Asien ist es sogar unabhängig von der PD-L1-Expression zugelassen.
Ernährungstherapie
Bei jedem Tumorpatienten sollte ab Diagnosestellung der Ernährungszustand regelmäßig beurteilt und frühzeitig Interventionen eingeleitet werden. Dabei ist auch auf eine ausreichende Vitamin-D- und Vitamin-B12-Versorgung zu achten. Nicht empfohlen ist die Supplementation von Vitamin C, Selen und Zink. Die Datenlage zu Omega-3-Fettsäuren ist widersprüchlich.
Präoperativ ist bereits eine adäquate Ernährungstherapie einzuleiten, da eine Mangelernährung die postoperative Morbidität und Letalität negativ beeinflusst. Postoperativ kann innerhalb von 24 Stunden mit einer enteralen Substratzufuhr begonnen weden. Die frühzeitige Ernährung reduziert die Infektionsrate und Krankenhausverweildauer. Daher kann intraoperativ eine Ernährungssonde gelegt werden (nasojejunale Sonde oder Feinnadelkatheter-Jejunostomie).
Weiterhin ist auf ausreichende körperliche Aktivität und/oder Bewegungstraining zu achten.
Komplementäre Therapie
Komplementäre Therapieansätze können ggf. zusätzlich zu oben genannten Behandlungsoptionen angewendet werden:
- Misteltherapie: kann Lebensqualität, aber nicht Überlebenszeit verbessern
- Probiotika: bei Diarrhö einsetzbar, vereinzelte Sepsisfälle unter Chemotherapie bzw. Immunsuppression, daher unter strenger Indikationsstellung
- Akupunktur: zur Linderung tumorbedingter Schmerzen im Rahmen eines multimodalen Konzepts sowie zur Linderung therapiebedingter Nebenwirkungen im palliativen Setting
- Achtsamkeitsbasierte Verfahren (Mind-Body-Medizin, Meditation, MBSR, Yoga): zur Verbesserung der Lebensqualität und Linderung u.a. von Ängsten und Stress
Bei folgenden Substanzen bzw. Maßnahmen ist eine Wirksamkeit bei anderen Entitäten nachgewiesen, jedoch kann aufgrund unzureichender Datenlage keine Empfehlung für das Magenkarzinom ausgesprochen werden:
- Massage, Aromatherapie
- Hypnose
- sekundäre Pflanzenstoffe: Flavonoide (z.B. EGCG aus grünem Tee, Curcumin, Quercetin), Terpene
Nicht empfohlen aufgrund von unzureichender Datenlage oder potentiellen Nebenwirkungen sind:
- chinesische Kräutermischungen
- Homöopathie
- Thymustherapie (gereinigte Thymusextrakte, synthetische Thymuspeptide)
- Immunstimulantien (Echinacin, Aloe, Noni, fermentierte Weizenkeimextrakte, Milzpeptide etc.)
um diese Funktion zu nutzen.