Arzneimittelallergie
Synonym: Medikamentenallergie
Englisch: drug allergy, drug hypersensitivity
Definition
Unter einer Arzneimittelallergie versteht man jede Form der spezifischen Immunantwort auf ein verabreichtes Arzneimittel. Die allergische Reaktion kann durch den Wirkstoff selbst oder andere Bestandteile des Arzneimittels hervorgerufen werden. Die Sensibilisierung kann sich auch auf Arzneimittel mit ähnlichen Wirk- bzw. Inhaltsstoffen erstrecken.
Nomenklatur
Die Arzneimittelallergie ist eine Form der Arzneimittelüberempfindlichkeit. Der Begriff "Arzneimittelüberempfindlichkeit" ist jedoch weiter gefasst, da er auch Arzneimittelreaktionen beschreibt, die nicht immunologisch bedingt sind. Letztere bezeichnet man auch als pseudoallergische Reaktionen oder Intoleranzreaktionen.
Epidemiologie
Die Inzidenz allergischer Arzneimittelreaktion wird etwa mit 1:10.000 angegeben. Bei etwa 26 % aller Erwachsenen kommt es im Verlauf des Lebens zu einer Allergie gegen ein Arzneimittel.
Die Behandlung mit Penicillinen führt bei 0,7 bis 10 % der Patienten zu einer Penicillinallergie.
Eine durch Metamizol verursachte Agranulozytose betrifft 1:100.000 bis 1:1.000.000 Behandlungsfälle.
Lebensbedrohliche Reaktionen (z.B. Anaphylaxie, Agranulozytose, Thrombozytopenie, Autoimmunerkrankung) sind selten.
Auslöser
Eine Arzneimittelallergie kann grundsätzlich durch jedes Arzneimittel ausgelöst werden.
Je nach Applikationsform kann es zu unterschiedlich starken Reaktionen kommen. Vor allem bei Arzneimitteln, die dermal appliziert werden, kommt es weitaus häufiger zu allergischen Reaktionen als bei intravenöser oder oraler Verabreichung. Nach intramuskulärer Injektion besteht eine mittlere Häufigkeit. Die lokale Anwendung von Penicillinen, Sulfonamiden oder Streptomycin ist wegen der großen Häufigkeit allergischer Reaktionen kontraindiziert.
Die Immunogenität von Arzneistoffen ist von der Größe der Wirkstoffmoleküle abhängig. Bei der Anwendung von Makromolekülen (z.B. monoklonale Antikörper) ist die Wahrscheinlichkeit einer Immunreaktion größer als bei niedermolekularen Wirkstoffen (< 700 bis 800 Dalton). Die kleinsten immunogenen Peptide bestehen aus 7 Aminosäuren. Damit ein kleines Arzneistoffmolekül (Hapten) immunogen wird, muss es kovalent an ein Tägerprotein (Carrier) gebunden werden. Haptene können z.B. während der Biotransformation des Arzneimittels entstehen. Die Bindung muss bei der Proteolyse des Carriers erhalten bleiben. Der Hapten-Peptid-Komplex wird an antigenpräsentierende Zellen gebunden und von T-Helfer-Lymphozyten erkannt, wenn die Peptide aus 12 bis 15 Aminosäuren bestehen.
Von einer Arzneimittelallergie abzugrenzen sind pseudoallergische Reaktionen, die durch Histaminfreisetzung oder Histaminintoleranz ausgelöst werden.
Systemische Anwendung
Die folgenden Wirkstoffgruppen bzw. Arzneistoffe sind wichtige Auslöser bei systemischer Verabreichung:
Dermale Anwendung
Die folgenden Wirkstoffgruppen bzw. Arzneistoffe sind wichtige Auslöser bei dermaler Verabreichung:
Wirkstoffklasse | Arzneistoffe |
---|---|
Antibiotika | Neomycin Gentamicin Penicilline Streptomycin |
Antihistaminika | H1-Rezeptorantagonisten |
Chemotherapeutika | Sulfonamide Chinoline Imidazole |
Lokalanästhetika | Procain Lidocain |
Symptome
Die Symptome einer Arzneimittelallergie betreffen die gleichen Gewebe und Organe wie bei Allergien durch andere Auslöser. Folgende Organmanifestationen sind möglich:
- Haut
- Urtikaria
- Angioödem (Quincke-Ödem)
- makulopapulöse Exantheme
- Erythema-multiforme-ähnliche Exantheme
- Stevens-Johnson-Syndrom
- fixe Exantheme
- Purpura
- Vasculitis allergica
- vesikulo-bullöse Exantheme
- Ekzematische Reaktionen
- Erythrodermie
- Dermatitis exfoliativa
- Lyell-Syndrom (toxische epidermale Nekrolyse)
- Kontaktdermatitis
- photoallergische Dermatitis
siehe auch: DRESS-Syndrom
- Respiratorisches System
- Rhinitis
- Larynxödem
- Asthma bronchiale
- infiltrative Lungenerkrankungen (z.B. Alveolitis)
siehe auch: medikamenteninduzierter Lupus erythematodes
Allergietypen
Die Arzneimittelallergie kann wie andere Allergien in verschiedene Typen unterteilt werden.
siehe auch Allergie
Typ | Klinik | Auslöser |
---|---|---|
Typ-I-Allergie (Sofort-Typ) | Urtikaria, Angioödem und/oder Anaphylaxie |
|
Typ-II-Allergie (Zytotoxischer Typ) | Agranulozytose, Leukopenie, thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, hämolytische Anämie | |
Typ-III-Allergie (Immunkomplex-Typ) | Serumkrankheit, Vasculitis allergica |
|
Typ-IV-Allergie (Spättyp) | Arzneimittelexantheme, photoallergische Dermatitis, Symmetrical drug related intertriginous and flexural exanthema (SDRIFE) |
Diagnostik
Die allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel unterscheidet sich je nach Allergietyp und umfasst:[1]
Allergietyp | Diagnostische Methode |
---|---|
Typ-I-Allergie |
|
Typ-II-Allergie |
|
Typ-III-Allergie |
|
Typ-IV-Allergie |
|
Therapie
Bei Verdacht auf eine Arzneimittelallergie sollte (wenn möglich) das Arzneimittel sofort abgesetzt werden. Je nach Schwere stellt die Allergie eine Kontraindikation für die weitere Anwendung dar und es muss eine lebenslange strikte Karenz eingehalten werden. Der Patient muss mit einem Allergie-Notfallset ausgestattet werden und einen Allergiepass erhalten. Das therapeutische Vorgehen bei den einzelnen Allergietypen entspricht ansonsten den Maßgaben wie bei Allergien durch andere Auslöser.
siehe auch: Allergie
Quellen
- ↑ S2k-Leitlinie Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimitteln. AWMF Registernummer 061 – 021, abgerufen am 29.04.2024
Literatur
- Aktories K et al, Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 13. Aufl., München: Elsevier 2022
- Freissmuth M, Offermanns S, Böhm S. Pharmakologie und Toxikologie. 3. Aufl., Berlin : Springer 2020
- Geisslinger G et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen: Pharmakologie - Klinische Pharmakologie - Toxikologie. 11, Aufl., Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2020
Weblinks
- PharmaWiki - Arzneimittelallergie, abgerufen am 29.04.2024