Anaphylaxie
Englisch: anaphylaxis
Definition
Die Anaphylaxie ist eine potentiell lebensbedrohliche systemische Immunreaktion, die auf einer Allergie beruht. Die auslösenden Antigene werden dabei an Immunglobulin E (IgE) gebunden.
Nomenklatur
Anaphylaxie bedeutet Schutzlosigkeit, das Gegenteil von Immunität. Der Begriff ist für den experimentellen Kreislaufkollaps durch Injektion von artfremdem Serum und Extrakten aus Tentakeln der Seeanemone geprägt worden.
Von der Anaphylaxie abgegrenzt werden Überempfindlichkeitsreaktionen, die nicht IgE-vermittelt sind. Diese bezeichnet man als anaphylaktoide Reaktionen.
Pathophysiologie
Eine Anaphylaxie wird durch Immunreaktionen vom Typ I und Typ III hervorgerufen (Immunreaktionen nach Gell und Coombs). Bei einer Allergie durch eine Typ-III-Reaktion bilden sich im Blut zirkulierende Antigen-Antikörper-Komplexe Aggregate, die Leukozyten und Thrombozyten einschließen und sich in den Kapillaren verschiedener Gewebe ablagern. Insbesondere an Basalmembranen (z.B. am Glomerulum) kommt es dadurch zu ausgeprägten Entzündungsreaktionen mit Aktivierung des Komplementsystems. Die Kapillaren können durch die Immunkomplexe verschlossen werden. Als körpereigene Gegenregulation werden Entzündungsmediatoren (z.B. Histamin) freigesetzt. Sie vermitteln unter anderem folgende Wirkungen:
- Öffnung von Arteriolenshunts
- Kontraktion der glatten Muskulatur (z.B. Asthma bronchiale)
- Erhöhung der Gefäßpermeabilität
- vermehrte Chemotaxis von neutrophilen und eosinophilen Granulozyten
- Erhöhung der Schleimproduktion (z.B. in den Bronchien)
Durch eine Anaphylaxie werden einerseits die Kapillaren verlegt, andererseits werden dem intravasalen Raum bis zur Hälfte des Volumens und der Proteine entzogen. Infolge der Verlegung des Lungenkreislaufes erhält das linke Herz nicht mehr genügend Volumen und der Kreislauf kann innerhalb einer Minute zusammenbrechen, sodass ein anaphylaktischer Schock entsteht. Durch die Öffnung der Arteriolenshunts wird das Blut in Fluss gehalten.
Ursachen
Als Auslöser einer Anaphylaxie kommen unter anderem in Frage:
- Medikamente (insbesondere bei parenteraler Applikation)
- Nahrungsmittel
- Röntgenkontrastmittel
- Pollenextrakte (z.B. zur Hyposensibilisierung gegen Heuschnupfen)
- Insektenstiche, Skorpionstiche
- Schlangengift
- Gabe von Antiserum
Symptome und Schweregrade
Das sofortige Erkennen der Symptome einer Anaphylaxie und die Kenntnis von Pathophysiologie und Therapie des anaphylaktischen Schocks sind lebensrettend. Das Ausmaß der Anaphylaxie wird in vier Graden angegeben:
- I: Niesen, Husten, Quaddeln, Juckreiz, Hautrötung, Ödeme, Tachykardie
- II: Beklemmung, Dyspnoe, Bauchkrämpfe, gestaute Halsvenen, Blutdruckabfall
- III: Schwere Luftnot, Krampfanfälle, Durchfall, Eintrübung, starker Blutdruckabfall
- IV: Bleiche oder livide Haut, Verlust des Bewusstseins, Pulse nicht tastbar, Herz-Kreislauf-Stillstand
Therapie
In der aktuellen AWMF-Leitlinie von 2021 zur Therapie des anaphylaktischen Schocks wird empfohlen:[1]
Maßnahme | Durchführung |
---|---|
Lagerung | Nach Wunsch des Patienten: Schocklage (bei Hypotension), Flachlagerung oder Oberkörper hoch (bei Dyspnoe) |
Sauerstoff | meist über Maske mit Reservoir, 2-15 Liter/min |
Allergen | Entfernung bzw. Abstellen der Zufuhr |
Adrenalin | Nasenspray: 2 mg/0,1 ml; Höchstdosis 4 mg Injektion: 0,5 ml i.m., bzw. 10 μg/kg in einer Verdünnung von 1:1.000 alle 5 bis 10 Minuten |
Antihistaminika | H1-Rezeptorantagonisten (z.B. Dimetinden) 0,1 mg/kg i.v., evtl. auch H2-Rezeptorantagonisten (Ranitidin) i.v. |
Glukokortikoide | z.B. 250 bis 1000 mg Prednisolon i.v. |
Volumengabe | 0,5 bis 3 Liter schnell i.v. (balancierte Vollelektrolytlösung) |
Inhalative Beta-2-Mimetika | wenn Bronchospasmus trotz Adrenalin persisitiert |
Intubation | frühzeitig, wenn indiziert |
Reanimation | nach ERC-Standard-Reanimations-Algorithmus |
Hinweise: Adrenalin i.v. sollte nur in besonders schweren Fällen und mit Reanimationsbereitschaft in einer Verdünnung von 1:10.000 gegeben werden.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Die intravenöse Anwendung von Adrenalin beim anaphylaktischen Schock ist umstritten. Einige Autoren weisen darauf hin, dass Adrenalin die Öffnung der Arteriolenshunts konterkariert, die ein körpereigener Schutzmechanismus ist, um das Blut in Fluss zu halten. Adrenalin i.v. kann bereits in minimaler Dosis die leerschlagende linke Herzkammer in unbeherrschbares Flimmern bringen und Herzinfarkte induzieren. Als wichtigste Maßnahme wird hier die rasche Infusion von 500 bis 3000 ml kristalloider Lösungen vorgeschlagen. So soll das in den Kapillaren stagnierende Blut wieder in Fluss gebracht und damit der Kreislauf wiederhergestellt werden. Da nach der europäischen Arzneimittelbehörde kolloide Lösungen (z.B. HAES-Lösung) bei kritisch Kranken kontraindiziert sind, gibt es dafür keine Empfehlung in der Therapie des anaphylaktischen Schocks.
Anaphylaktische Reaktionen mit andauernder Antigenexposition (z.B. nach Giftschlangenbiss oder durch Trophoblastzellen unter der Entbindung - HELLP-Syndrom, Eklampsie, Fruchtwasserembolie) werden nur durch Dextran behoben, welches die Thrombozyten ummantelt und eine Verbrauchskoagulopathie verhindert.
Quellen
- ↑ S2k-Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie – Update 2021, abgerufen am 14.10.2021
Literatur
- Waldhausen E., Therapie der Anaphylaxie und ein neues pathophysiologisches Konzept. In W. Jorde, Allergologie für die Praxis 5: 81-89. Dustri-Verlag, München-Deisenhofen 1996
- Waldhausen E. Colloids, anaphylaxis and the heart. The Lancet 1988 II: 22
- Waldhausen E, Keser, G, Marquardt B. Der anaphylaktische Schock. Seine Behandlung auf pathophysiologischer Grundlage. Deutsches Ärzteblatt. 1988; 85: 683-688.
- www.johanna-etienne-krankenhaus.de Kliniken, Anästhesie Wissenschaftliche Beiträge: Anaphylaxie, Gestosen, Giftschlangenbisse
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