Kutane leukozytoklastische Vaskulitis
Synonyme: kutane leukoklastische Vaskulitis, kutane leukozytoklastische Angiitis, kutane IgM-/IgG-Immunkomplexvaskulitis, Hypersensitivitätsangiitis, allergische Vaskulitis (veraltet)
Englisch: cutaneous leukocytoclastic vasculitis (CLV), cutaneous leukocytoclastic angiitis (CLA)
Definition
Die kutane leukozytoklastische Vaskulitis, kurz CLV, ist eine Immunkomplexvaskulitis, die vorrangig postkapilläre Venolen in der Haut betrifft (Einzelorganvaskulitis).
- ICD-10-Code: M31.0
Terminologie
Die CLV wird von einigen Autoren als "allergische Vaskulitis" bezeichnet. Diese Begrifflichkeit ist jedoch irreführend, da keine IgE-vermittelten Reaktion auf ein Allergen vorliegt. Teilweise werden unter dem Begriff "allergische Vaskulitis" auch mehrere Erkrankungen zusammengefasst, darunter z.B. die Purpura Schoenlein-Henoch.[1] In der Chapel-Hill-Consensus Conference Nomenklatur (CHCC-Nomenklatur) der primären Vaskulitiden kommt der Begriff der allergischen Vaskulitis nicht mehr vor.
Im dermatologischen Addendum zur CHCC-Klassifikation von 2018 wird die CLV wiederum als "kutane IgM-/IgG-Immunkomplexvaskulitis" bezeichnet.[2]
In der Literatur wird aktuell (2024) weiterhin der CLV-Begriff am häufigsten angewendet und daher auch in diesem Artikel genutzt.[3]
Einteilung
In der CHCC-Nomenklatur der primären Vaskulitiden wird die CLV als "kutane leukozytoklastische Angiitis" den Einzelorganvaskulitiden zugeordnet.[4]
Epidemiologie
Die jährliche Inzidenz wird auf 4,5 Fälle pro 100.000 Einwohner beziffert. Frauen sind etwas häufiger betroffen. Eine Manifestation ist in jedem Alter möglich, Kinder sind jedoch seltener betroffen.[5]
Ätiologie
Zahlreiche Umstände können eine CLV auslösen. In bis zu 50 % der Fälle tritt die Erkrankung ohne identifizierbaren Auslöser auf.[3] Insbesondere Pharmaka und Infekte der oberen Atemwege sind häufige Ursachen. Möglich sind:[3][5][6]
- Infektionen, u.a.:
- obere Atemwegsinfekte, insb. durch Streptokokken, Adenoviren, SARS-CoV-2, Chlamydien
- Hepatitis B und C
- HIV, Syphilis
- Mykobakterien
- Parvovirus B19
- Enteroviren
- Pharmaka (10 bis 15 % der Fälle), oft auch als Dosiserhöhung, neben zahlreichen anderen:
- NSAR
- Allopurinol
- Diuretika, z.B. Furosemid, Thiazide, Spironolacton
- Antiarrhythmika, z.B. Diltiazem, Betablocker
- Antihypertensiva, z.B. Captopril
- Antikoagulantien, z.B. Heparin, Warfarin
- Antiinfektiva, z.B. Penicillin, Cefalosporine, Sulfonamide, Makrolide, Doxycyclin, Vancomycin, Cotrimoxazol, Rifampicin, Isoniazid, Aciclovir
- Kontrazeptiva
- Röntgen-Kontrastmittel
- Neoplasien, z.B.:
- immunologische Erkrankungen, z.B.:
Pathogenese
Ursache der CLV ist die Bildung von IgG- oder IgM-Immunkomplexen, z.B. mit verabreichten Medikamenten. Sie lagern sich an der Basalmembran von Gefäßendothelien ab (Typ-III-Reaktion). Dabei sind primär postkapilläre Venolen, aber auch kleine Venen oder Arteriolen der Haut betroffen.[3]
Die Immunkomplexablagerung führt zur Aktivierung des Komplementsystems. Hierauf wandern Immunzellen (z.B. Granulozyten, Makrophagen) in die Gefäßwand ein und versuchen, die Immunkomplexe abzubauen. Dabei setzen sie entzündliche Mediatoren frei, die die Permeabilität der betroffenen Hautgefäße stark erhöht. Aufgrund der Größe der Immunkomplexe ist die Phagozytose oft frustran, die Immunzellen gehen hierdurch unter (Leukozytoklasie). Durch Schädigung der Gefäßwand kann es zu Mikrothrombosierungen mit nachfolgender ischämischer Nekrose der Haut kommen.[3]
Symptome
Als Einzelorganvaskulitis äußert sich die CLV selbst per definitionem ausschließlich an der Haut, jedoch können zusätzlich weitere Symptome einer auslösenden Grunderkrankung vorliegen.
Die Latenzzeit zum Auslöser beträgt nach Erstexposition meist 8 bis 13 Tage, nach Reexposition auch wenige Stunden. Klinische Anzeichen sind:[3][6]
- palpable Purpura (Leitsymptom)
- Raynaud-Phänomen
- hämorrhagische Blasen
- Ulzera, Nekrosen
Gelegentlich können Schmerzen oder Juckreiz auftreten.
Die ersten Hautläsionen erscheinen stasebedingt an den Beinen oder z.B. an durch Verbände oder Kleidungsstücke abgeschnürten Körperregionen. Im Verlauf können die Läsionen aufsteigen, auch eine digitale Gangrän ist möglich. Sie verschwinden typischerweise nach 3 bis 4 Wochen unter Zurücklassen von Hämosidinablagerungen oder Hyperpigmentationen.[6]
Als Komplikation kann es zur bakteriellen Infektion der Nekrosen kommen.
Diagnostik
Bei der Anamnese sind insbesondere Atemwegsinfektionen und Medikamenteneinnahmen (auch Dosiserhöhungen oder mögliche Interaktionen) zu erfragen.
Labordiagnostisch können je nach Kontext verschiedene Untersuchungen wegweisend sein, dazu gehören:
- Blutbild
- Blutsenkungsgeschwindigkeit
- CRP
- Leber- und Nierenfunktion
- Serumelektrophorese
- Hepatitis-B-/C-Serologie
- Urinmikroskopie
Histopathologie
Eine Hautbiopsie sollte nach Möglichkeit innerhalb von 48 Stunden nach Auftreten der Hautläsionen erfolgen.[5]
Histopathologisch finden sich leukozytäre Infiltrate und Nekrosen der Gefäßwände, insbesondere der postkapillären Venolen. Die Infiltrate bestehen vornehmlich aus Neutrophilen, bei medikamentöser Triggerung sind häufig auch Eosinophile nachweisbar. In den Infiltraten ist eine Leukozytoklasie zu beobachten. Im Gewebe finden sich Extravasate von Erythrozyten. Mittels Immunhistochemie oder -fluoreszenz lassen sich IgG-/IgM-Immunkomplexe sowie Komplementablagerungen nachweisen.[3][5]
Differentialdiagnostik
Differentialdiagnostisch müssen u.a. bedacht werden:
- IgA-Vaskulitis (insb. bei Kindern)
- rheumatoide Vaskulitis
- Kryoglobulinämische Vaskulitis
- ANCA-assoziierte Vaskulitiden im generalisierten Stadium
- Antiphospholipidsyndrom
Da es bei den genannten Erkrankungen häufig zur Nierenbeteiligung kommt, sollte in der Ausschlussdiagnostik deren Funktion überprüft werden. Eine Nierenbeteiligung kommt bei CLV definitionsgemäß nicht vor.[4]
Therapie
Falls möglich, sollten auslösende Pharmaka abgesetzt und noch bestehende Infektionen behandelt werden. Es empfiehlt sich die Dokumentation auslösender Pharmaka für die ärztliche Weiterbehandlung (z.B. in einem Allergiepass).
Ansonsten erfolgt meist nur eine supportive Therapie. Bei Schmerzen sind NSAR möglich (sofern nicht auslösend), bei Juckreiz Antihistaminika. Bei schweren Verläufen werden auch systemische Glukokortikoide oder andere Immunsuppressiva eingesetzt, hierzu existiert jedoch nur wenig Evidenz.[5]
Prognose
Einzelnachweise
- ↑ Kaufmann, Hein, Stein, Hypersensitivitätsvaskulitis. Medizinische Klinik - Intensiv- und Notfallmedizin, 2003.
- ↑ Sunderkötter et al., Nomenclature of Cutaneous Vasculitis: Dermatologic Addendum to the 2012 Revised International Chapel Hill Consensus Conference Nomenclature of Vasculitides. Arthritis & Rheumatology, 2018.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 3,7 Lutze et al., Vasculitis allergica – ein nicht-IgE-vermitteltes Hypersensitivitätssyndrom. Phlebologie, Thieme Verlag Stuttgart, 2019.
- ↑ 4,0 4,1 Jenette et al. Revised International Chapel Hill Consensus Conference Nomenclature of Vasculitides. Arthritis & Rheumatology, 2012.
- ↑ 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 Martins-Martinho et al., Localized Forms of Vasculitis. Current Rheumatology Reports, 2021.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Unger, Baerwald, Kutane leukozytoklastische Vaskulitis, Purpura Schönlein-Henoch und kryoglobulinämische Vaskulitis. Aktuelle Rheumatologie, 2013.
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