Polyzystisches Ovarialsyndrom
erstmals 1935 von Stein und Leventhal beschrieben
Synonyme: Polyzystisches Ovarialsyndrom, PCO-Syndrom (PCOS), Stein-Leventhal-Syndrom, chronische hyperandrogenämische Anovulation (CHA)
Englisch: polycystic ovary syndrome (PCOS), polycystic ovarian disease (PCOD)
Definition
Das polyzystische Ovarialsyndrom, kurz PCOS, ist eine endokrine Störung der Frau, die typischerweise durch Oligomenorrhö bis Amenorrhö, Hyperandrogenismus bzw. Hyperandrogenämie und multiple persistierende Follikel in den Ovarien gekennzeichnet ist.
- ICD10-Code: E28.2
Abgrenzung
Eine Unterform des PCOS ist das HAIR-AN-Syndrom. Das HAIR-AN-Syndrom ist eine seltene angeborene Erkrankung, die durch eine Hyperandrogenämie, Insulinresistenz und Acanthosis nigricans gekennzeichnet ist.[1]
Terminologie
Die Bezeichnung "polyzystisches Ovarialsyndrom" ist insofern irreführend, als dass es sich nicht um Zysten handelt, sondern um persistierende Follikel und "polyzystische" Ovarien auch bei gesunden Frauen (z.B. unter Einnahme der Pille) vorkommen können. Die Follikel weisen lediglich darauf hin, dass im aktuellen Zyklus kein Eisprung stattgefunden hat (anovulatorischer Zyklus). Auch bei weiblichen Teenagern finden sich oft polyzystische Ovarien als Ausdruck der noch häufig stattfindenen anovulatorischen Zyklen, ohne dass diese mit einem PCOS assoziiert sein müssen.
Epidemiologie
Das polyzystische Ovarialsyndrom betrifft weltweit 8 bis 13 % aller Frauen im gebärfähigen Alter. Es ist die häufigste Ursache für Anovulation und Infertilität.[2] Familiäre Häufungen sind beschrieben.
Das Syndrom manifestiert sich meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Häufig treten die ersten Symptome bereits in der Pubertät auf. Auch in der Peri- und Postmenopause ist aufgrund des Absinkens des Progesterons und später des Östradiols ein relativer Überschuss von Androgenen häufig. Entsprechend ist auch hier bei Vorliegen von prädisponierenden Faktoren die Ausbildung eines PCOS möglich.
Das PCOS bleibt häufig undiagnostiziert.[2]
Ätiologie
Trotz der hohen Prävalenz sind die Ursachen für das PCOS bisher (2025) nur unvollständig verstanden.
Genetische Faktoren spielen eine wichtige Rolle, wobei verschiedene Genloci identifiziert wurden, die mit dem PCOS assoziiert sind.[3] Die betroffenen Gene sind u.a. an der Steroidsynthese, der Thekazell-Funktion und der Sekretion von Hormonen der Hypothalamus-Hypophysen-Ovar-Achse beteiligt.
Darüber hinaus spielen epigenetische Faktoren eine wichtige Rolle. Embryos von Müttern mit PCOS sind intrauterin den erhöhten Androgenspiegeln ausgesetzt, wodurch möglicherweise epigenetische Veränderungen getriggert werden.
Auch Umweltfaktoren wie z.B. Essgewohnheiten begünstigen vermutlich das Auftreten eines PCOS.
Pathogenese
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass dem PCOS eine Störung des endokrinen hypothalamischen-hypophysären-ovariellen Regelkreises zugrunde liegt, wobei die genaue Lokalisation ungeklärt ist.
Störungen der GnRH-Sekretion führen zu einer erhöhten LH-Konzentration und einer relativ gesehen reduzierten FSH-Konzentration. In der Folge werden mehr Androgene gebildet.
Darüber hinaus werden beim PCOS vermehrt Androgene in der Nebennierenrinde produziert. Die Follikelreifung wird verhindert und der Eisprung bleibt aus. Gleichzeitig steigen die Östrogenlevel an, da Androgene durch die Aromatase im peripheren Fettgewebe zu Östrogen umgewandelt werden.
Die Thekazellen sezernieren beim PCOS vermehrt Androgene. Zudem produzieren Granulosazellen des Ovars vermehrt Anti-Müller-Hormon (AMH).
In bis zu 70 % der Fälle findet sich eine Assoziation mit einer Insulinresistenz.
Als Ursache für das mit dem PCOS einhergehende erhöhte Risiko für psychische Erkrankungen werden ebenfalls verschiedene Faktoren vermutet. Einerseits kann die Hyperandrogenämie mit den dazugehörigen Symptomen zu einer psychischen Belastung führen. Dabei spielt unter anderem die mögliche Stigmatisierung eine Rolle. Psychische Symptome gehen der Androgenisierung jedoch oft voraus und können auch dann vorliegen, wenn eine klinische Androgenisierung ausbleibt. Daher werden weitere Faktoren diskutiert:
- Reduktion der anxiolytischen Wirkung von Progesteron
- mögliche neuroinflammatorische Vorgänge
Symptomatik
Das PCOS ist ein sehr heterogenes Erkrankungsbild und kann viele verschiedene Symptome verursachsen.
- Zyklusstörungen: Dazu gehören Oligomenorrhö, Amenorrhö, Anovulation (Sterilität, Infertilität), aber auch eine Hypermenorrhö oder Menorrhagie sind möglich.
- Virilisierung durch Hyperandrogenämie mit:
- Hirsutismus: männlicher Behaarungstyp mit Terminalbehaarung der Brust, der Lumbosakralregion und der Oberschenkel, Haarwuchs im Gesicht
- tiefere Stimmlage
- androgenetische Alopezie
- Hyperseborrhö, Akne
- männliche Körperproportionen, Hypotrophie der Brustdrüse
Komorbiditäten
Verschiedene Komplikationen bzw. Komorbiditäten sind mit dem PCOS vergesellschaftet:
- Erhöhtes Risiko für ein metabolisches Syndrom mit
- Erhöhtes Risiko für verschiedene psychische Erkrankungen, z.B.
- Erhöhtes Risiko für Endometriumkarzinome (möglicherweise eher auf die metabolischen Risikofaktoren zurückzuführen)
Beim PCOS ist das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen erhöht. Dazu gehören:
Diagnosekriterien
PCOS ist ein heterogenes endokrines Störungsbild mit verschiedenen Symptomen, die in ihrer Ausprägung stark variieren können. Mehrere Organisationen haben Kriterien zusammengestellt, die das PCOS definieren.[4]
Die Diagnosekriterien des PCOS haben sich in den letzten Jahren mehrfach geändert und sind in der untenstehenden Tabelle aufgeführt.
In der revidierten internationalen Leitlinie von 2023 wurde erstmals die Bestimmung des AMH-Werts als diagnostisches Kriterium aufgenommen.[5]
NIH 1992 | Rotterdam-Kriterien 2003 | Internationale Leitlinie 2023 | |
---|---|---|---|
Kriterium 1 | Anovulatorische Zyklusstörung | Oligo-/Anovulatorische Zyklusstörung | Irreguläre Zyklen |
Kriterium 2 | Hyperandrogenämie (klinisch oder biochemisch nachgewiesen) | Hyperandrogenämie (klinisch oder biochemisch nachgewiesen) | Hyperandrogenämie (klinisch oder biochemisch nachgewiesen) |
Kriterium 3 | Polyzystische Ovarien in der Sonographie | Polyzystische Ovarien in der Sonographie oder AMH-Messung (CAVE: kein valides Kriterium während der Adoleszenz) | |
Beurteilung | Beide Kriterien müssen zutreffen; Ausschluss anderer Ursachen für die Hyperandrogenämie | 2 von 3 Kriterien müssen zutreffen; Ausschluss anderer Ursachen einer Hyperandrogenämie | 2 von 3 Kriterien müssen zutreffen; Ausschluss anderer Ursachen einer Hyperandrogenämie |
Diagnostik
Laboruntersuchung
Die Hormonkonzentrationen in Blut und Urin ergeben ein uneinheitliches Bild. Die Konzentration von FSH ist meist normal bis erniedrigt, während der LH/FSH-Quotient als Folge der chronischen Anovulation und der kontinuierlichen Östrogen-Wirkung an der Hypophyse oft größer als 2 bis 3 ist. Weiterhin sind Androgene wie Testosteron, Androstendion, DHEA und DHEAS stark erhöht.
Das Anti-Müller-Hormon ist häufig erhöht und kann im Erwachsenenalter als Marker für den ovariellen Follikelpool bestimmt werden. Erhöhte AMH-Werte alleine sind jedoch nicht ausreichend, um die Diagnose PCOS zu stellen.
Neben der Bestimmung der verschiedenen Hormone werden der Lipidstatus (Triglyceride, LDL, HDL) und der Blutzuckerstoffwechsel (z.B. mittels oralem Glukosetoleranztest) untersucht.
Bildgebung
Über die Sonographie des Ovars kann eine polyzystische Morphologie nachgewiesen werden. Nach den Rotterdam-Kriterien liegt diese vor, wenn ein Eierstock 12 oder mehr Follikel mit einem Durchmesser von 2 bis 9 mm enthält und/oder das Volumen des Eierstocks 10 ml übersteigt.[6] In der neueren Literatur wird ein Grenzwert von 20 oder mehr Follikeln je Ovar definiert.[7]
Eine negative Sonographie schließt ein PCOS nicht aus, da sich das Ovar in einigen Fällen auch regelrecht darstellen kann.
Histologie
Bei der histologischen Aufarbeitung eines Ovarbiopsats imponieren multiple Mikrozysten mit atretischen und unreifen Follikeln, außerdem eine fibrös verdickte Kapsel.
Differentialdiagnosen
Das PCOS ist eine Ausschlussdiagnose. Die wichtigste Differentialdiagnose sind androgenbildende Tumoren. Besonderes Augenmerk liegt auf dem Zeitraum und der Geschwindigkeit der Androgenisierung: Während sie beim PCOS meist milder und langsamer verlaufen, sind die Androgenisierungserscheinungen durch Tumoren üblicherweise ausgeprägter und entwickeln sich schneller. Bei sehr hohen Testosteron- und DHEAS-Werten sollte umgehend eine Tumorsuche eingeleitet werden.
Weitere Differentialdiagnosen sind:
- Adrenogenitales Syndrom (in etwa 9 %)
- Morbus Cushing
- Medikamentös bedingte Androgenisierungserscheinungen: z.B. Phenytoin, Minoxidil, Cyclosporin A, Anabolika, Androgene
- Hyperprolaktinämie/Prolaktinom
- Gonadotrope Hypophysenfunktionsstörung
- Androgenbildende Nebennierenadenome
- Androgenbildende Ovarialtumore
- Primäre Ovarialinsuffizienz
- Peri- oder postmenopausaler Hirsutismus
- Hypothyreose
- hypothalamische Amenorrhoe
Therapie
Die Behandlung des PCOS erfolgt entsprechend der Bedürfnisse und Beschwerden der Patientin. Neben der Symptomlast spielt das Vorhandensein oder Fehlen eines Kinderwunsches eine wichtige Rolle.
Behandlung der Zyklusbeschwerden
In Abwesenheit eines Kinderwunsches besteht die Erstlinientherapie in der Gabe von kombinierten oralen Kontrazeptiva. Dabei eignen sich insbesondere Präparate mit einem niedrigen Ethinylestradiol-Gehalt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine kausale Therapie. Ziel ist vor allem die Verbesserung von Zyklusunregelmäßigkeit und der Symptome der Androgenisierung.
Als Zweitlinientherapie kommt eine Therapie mit cyproteronacetathaltigen Ovulationshemmern in Betracht. Diese hemmen kompetitiv die Androgenrezeptoren und führen in Kombination mit Ethinylestradiol zur Senkung der LH- und FSH-Sekretion. Die Kombination von Cyproteronacetat und Ethinylestradiol sollte jedoch nur nach ausführlicher Nutzen-Risiko-Abwägung, z.B. bei schwerer therapieresistenter Akne oder starkem Hirsutismus eingesetzt werden.
Die Therapie mit Ovulationshemmern beim PCOS wird häufig kritisiert, da die Anovulation dadurch nicht behandelt wird und zudem das Risiko für Stimmungsschwankungen, Depressionen und Insulinresistenz weiter steigt. Das Absetzen der Pille kann zudem zu einer erneuten Androgenisierung führen, was teils auch als Post-Pill-PCOS bezeichnet wird.
Bei Kinderwunsch kann eine Follikelstimulation erfolgen, z.B. mit Letrozol oder Clomifen. Eine weitere Option ist das Ovarien-Drilling.
Eine Therapie mit Glukokortikoiden kann bei gleichzeitig vorliegender adrenaler Hyperandrogenämie die Produktion von Androgenen in der Nebennierenrinde hemmen. Dabei sind jedoch starke Nebenwirkungen möglich und die Therapie hat einen verstärkenden Effekt auf ein mögliches metabolisches Syndrom.
Behandlung der metabolischen Symptome
Bei Insulinresistenz wird Off-Label Metformin zur Senkung des Blutzuckerspieles eingesetzt. Metformin führt zudem zu einer Senkung der Androgenkonzentration in Ovar und Nebennierenrinde.
Prävention
Zur Prävention möglicher Komplikationen empfiehlt die internationale Leitlinie von 2023 verschiedene Maßnahmen. Unabhängig vom Alter und BMI wird bei PCOS-Patientinnen empfohlen, jährlich sowie während der Planung einer Schwangerschaft den Blutdruck zu messen und den Lipidstatus bei Diagnosestellung zu kontrollieren.[5]
Aufgrund des erhöhten Risikos für Glukoseintoleranz und Diabetes Typ 2 wird die Erfassung des glykämischen Status bei Erstdiagnose empfohlen, sowie eine Reevaluation alle 1 bis 3 Jahre. Zudem wird empfohlen, den glykämischen Status präkonzeptionell bzw. in der Frühschwangerschaft sowie zwischen der 24. und 28. SSW mittels OGTT zu überprüfen.[5]
Es gibt einen Fragebogen, mit dem die Lebensqualität von Patientinnen mit PCOS systematisch erfasst werden kann. Er enthält z.B. Fragen zum emotionalen Befinden, zur Körperbehaarung, Gewicht, Unfruchtbarkeit und Menstruationsstörungen.[8]
Zudem wird empfohlen, gezielt nach Symptomen von psychischen Begleiterkrankungen (v.a. Depressionen und Angsterkrankungen) zu fragen, insbesondere bei belastenden Situationen oder lebensverändernden Ereignissen (z.B. Geburt). Dadurch ist bei Bedarf eine schnelle psychologische Anbindung und Therapie möglich.[5]
Quiz
Bildquelle
- Bildquelle für Flexikon-Quiz: © Kelly Sikkema / unsplash
Literatur
- Teede et al., Recommendations from the 2023 International Evidence-based Guideline for the Assessment and Management of Polycystic Ovary Syndrome, Human Reproduction, 2023
Quellen
- ↑ Altmeyers Enzyklopädie - HAIR-AN-Syndrom, abgerufen am 08.11.2022
- ↑ 2,0 2,1 World Health Organization – Polycystic ovary syndrome, abgerufen am 7.1. 2025
- ↑ Welt CK et al. Genetics of polycystic ovary syndrome. Semin Reprod Med; 2014
- ↑ NIH-Report Evidence-based Methodology Workshop on Polycystic Ovary Syndrome; 2012
- ↑ 5,0 5,1 5,2 5,3 International Evidence-based Guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome 2023, abgerufen am 28.01.2025
- ↑ Rotterdam ESHRE/ASRM-Sponsored PCOS consensus workshop group Revised 2003 consensus on diagnostic criteria and long-term health risks related to polycystic ovary syndrome (PCOS). Hum Reprod; 2004
- ↑ Teede H.J., Misso M.L., Costello M.F., Dokras A., Laven J., Moran L., Piltonen T., Norman R.J. Recommendations from the international evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome. Hum. Reprod. 2018;33:1602–1618. doi: 10.1093/humrep/dey256
- ↑ Cronin et al., Development of a Health-Related Quality-of-Life Questionnaire (PCOSQ) for Women with Polycystic Ovary Syndrome (PCOS), Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, 1998