Levothyroxin
Handelsnamen: Euthyral®, Euthyrox®, Jodthyrox®, L-Thyrox®, L-Thyroxin®, Levothyroxin® u.v.a.
Synonyme: L-Thyroxin, Tetrajodthyronin, 3,3’,5,5'-Tetraiod-L-thyronin, T4
Englisch: levothyroxine, thyroxine
Definition
Levothyroxin, kurz L-Thyroxin, ist die synthetische Form des natürlichen Schilddrüsenhormons Thyroxin (T4). L-Thyroxin wird vor allem zur Behandlung der Hypothyreose eingesetzt.
Chemie
Levothyroxin ist das L-Enantiomer von Thyroxin. Chemisch handelt es sich um ein 2-Halogenphenol (Iodphenol) und ein L-Phenylalanin-Derivat. Die Summenformel ist C15H11I4NO4. Der chemische Name ist
- (2S)-2-Amino-3-[4-(4-hydroxy-3,5-diiodophenoxy)-3,5-diiodophenyl]propansäure (IUPAC)
Die molare Masse beträgt 776,87 g/mol, der Oktanol-Wasser-Koeffizient (logP) 3,73. Die CAS-Nummer lautet 51-48-9. Als Arzneistoff wird Levothyroxin-Natrium eingesetzt, ein schwach bräunlich-gelbes, feines, kristallines Pulver, das in Wasser sehr schwer löslich ist.
Biochemie
Levothyroxin wird peripher in das wirksamere Schilddrüsenhormon T3 (3,5,3'-T3) umgewandelt. Dabei kommt es zur Abspaltung eines Iodatoms (Deiodierung) an Position 5 des äußeren Ringsystems von Levothyroxin. Durch die Deiodierung an Position 5 des inneren Ringsystems entsteht gleichfalls reverses T3 (rT3; 3,3',5'-T3), das als T3-Inhibitor wirkt. Beide Reaktionen werden durch Deiodinasen katalysiert. T3 und rT3 entstehen dabei etwa zu gleichen Teilen.[1] Darüber hinaus bilden sich aus Levothyroxin noch weitere Metabolite, meist durch Glucuronidierung und Sulfatierung.[1]
T3 entfaltet seine Wirkungen über nukleäre T3-Rezeptoren (TRα, TRβ), die als ligandenmodulierte Transkriptionsfaktoren die Expression viele Gene regulieren.
Physiologie
Die Regulation der Biosynthese und Sekretion der Schilddrüsenhormone erfolgt durch das hypothalamisch-hypophysäre System (Thyreotropin-Releasing-Hormon, TRH) des Hypothalamus und das Thyroidea-stimulierende Hormon (TSH) der Hypophyse. T3 und T4 steuern im Organismus Entwicklungs- und Wachstumsprozesse, die Zelldifferenzierung und die meisten anabolen und katabolen Stoffwechselwege sowie eine Reihe von Prozessen des Struktur- und Funktionsstoffwechsels. Sie sind selbst starke Inhibitoren der Synthese und der Sekretion von TRH und TSH (Feedback-Inhibition).
Pharmakokinetik
Levothyroxin wird nach oraler Aufnahme langsam zu 40 bis 80 % resorbiert. Die Resorption ist von der Nahrungsaufnahme abhängig. Maximale Plasmaspiegel werden nach 2 bis 6 Stunden, das Wirkmaximum nach 9 Stunden erreicht. Die Plasmaproteinbindung beträgt 99 %, vor allem an Thyroxinbindendes Globulin (TBG) sowie an Transthyretin (TTR) und an Albumin (TBA).
Das Verteilungsvolumen beträgt 0,1 bis 0,5 l/kgKG. T4 wird zu 70 % durch enzymatische reduktive Monodeiodierung in der 5'-Position des phenolischen Rings in T3 und rT3 umgewandelt. T4 und T3 werden durch hepatische Biotransformation glucuronidiert und sulfatiert. Diese Metabolite unterliegen einem enterohepatischen Kreislauf. T4 wird überwiegend mit dem Urin und nur zu 20 % mit den Fäzes ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt 6 bis 7 Tage.
Indikationen
Levothyroxin wird bei folgenden Indikationen eingesetzt:[2]
- Therapie der benignen Struma mit euthyreoter Funktionslage
- Prophylaxe einer Rezidivstruma nach Resektion einer Struma mit euthyreoter Funktionslage, abhängig vom postoperativen Hormonstatus
- Suppressionstherapie bei Schilddrüsenkarzinom
- Begleittherapie bei thyreostatischer Behandlung einer Hyperthyreose
- Angeborene Hypothyreose[3]
- Schilddrüsenagenesie, -dysgenesie
- Atop gelegene Schilddrüse (Zungengrundstruma, Struma ovarii)
- Enzymdefekte (z.B. der Schilddrüsenperoxidase)
- TSH-Rezeptormutation
- Schilddrüsenhormon-Transporter-Defekte (z.B. MCT-8)
- Schilddrüsenhormonresistenz
- Erworbene Hypothyreose[3]
- Autoimmunthyreoiditis
- Morbus Basedow mit blockierenden TSH-Rezeptor-Antikörpern (TRAK)
- Zustand nach Schilddrüsenresektion
- Zustand nach Radiotherapie
- Zustand nach thermoablativen Verfahren (selten)
- Subakute Thyreoiditis (selten)
- Medikamenteninduzierte Hypothyreose[3]
- Sekundäre Hypothyreose[3]
- Hypophysenadenome (meist Makroadenome)
- Kraniopharyngeome
- Empty-Sella-Syndrom
- Hypothalamustumore
- Bestrahlungen im Hypothalamus-/Hypophysenbereich
- Hypophysitis
- diagnostischer Schilddrüsensuppressionstest
siehe auch: Hypothyreose
Darreichungsform
Levothyroxin steht in Form von Tabletten, Weichkapseln und Lösung zur oralen Anwendung zur Verfügung.
Dosierung
Aufgrund der geringen therapeutischen Breite muss die Einstellung der Dosierung unter Berücksichtigung des TSH-Spiegels (therapeutischer Bereich 0,4–4,0 mIU/L) titriert werden, um einen euthyreoten Zustand zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Eine Indikation für die Behandlung mit T4 besteht fast allen internationalen Fachgesellschaften zufolge bei TSH-Werten > 10 mIU/L.[3]
Aufgrund der relativ schlechten Resorption sollte die Einnahme im nüchternen Zustand oder mindestens 2 Stunden vor einer Mahlzeit erfolgen. Die Resorption nimmt mit dem Alter ab.
Die initiale Dosierung bei primärer Hypothyreose bei Patienten ohne Begleiterkrankungen beträgt 1,5 bis 1,8 µg/kgKG (bei 70 kgKG 100 bis 125 µg) pro Tag.[3]
Bei älteren Patienten (> 65 Jahre) und/oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollte die Behandlung mit einer Initialdosis bei 25 bis 50 µg begonnen und langsam in Dosisschritten von 12,5 bis 25 µg pro Tag alle 6 bis 8 Wochen gesteigert werden.[3]
Schwangere mit neu diagnostizierter Hypothyreose sollten initial mit 1,8 µg/kgKG pro Tag erhalten. Die Dosis kann nach Bedarf alle vier Wochen angepasst werden. Nach der Schwangerschaft sollte die Dosis auf 1,6 µg/kgKG pro Tag reduziert werden.[4]
Nebenwirkungen
Bei Anwendung in angepasster Dosierung treten keine Nebenwirkungen auf. Nur bei unangepasster zu hoher Dosis kommt es zu Symptomen wie bei einer Hyperthyreose.
siehe auch: Hyperthyreose
Wechselwirkungen
Bei der Behandlung mit Levithyroxin sind folgende Arzneimittelinteraktionen zu beachten:[2][3]
Malabsorption, Sojabohnen, Milch und Milchprodukte, Ballaststoffe, Protonenpumpenhemmer, Orlistat, Wirkstoffe, die Gallensäuren binden (z.B. Cholestyramin, Colestipol, Sevelamer), Aluminium-, Calcium-, Eisen- und Magnesiumpräparate vermindern die Levithyroxin-Aufnahme. Es soll deshalb ein Intervall von mindestens 4 Stunden bis zur Einnahme von Levothyroxin eingehalten werden.[2][3] Fasten steigert hingegen die Levothyroxin-Aufnahme.
Propylthiouracil, Glukokortikoide, Betablocker, Amiodaron und iodhaltige Kontrastmittel hemmen die Umwandlung von Levothyroxin in T3.
Die Wirksamkeit von Levothyroxin wird auch durch Chloroquin/Proguanil, Sertralin, Tyrosinkinaseinhibitoren vermindert.
Unter oralen Kontrazeptiva und bei Hormonersatztherapie ist der T4-Bedarf erhöht.
Durch die gleichzeitige Therapie mit Phenytoin, Carbamazepin, Rifampicin, Johanniskrautpräparate und Proteaseinhibitoren (z.B. Ritonavir, Lopinavir) kann es durch eine Beschleunigung der Elimination zum Wirkungsverlust kommen.
Salicylate, Dicumarol, Furosemid, Clofibrat und Phenytoin können durch Verdrängung von Levothyroxin aus der Plasmaproteinbindung zur Wirkungsverstärkung führen
Levothyroxin kann die Wirksamkeit von oralen Antidiabetika vermindern. Durch Verdrängung aus der Plasmaeiweißbindung steigt das Blutungsrisiko unter oralen Antikoagulanzien (Vitamin-K-Antagonisten, Cumarin-Derivate).
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegen Levothyroxin oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels
- Unbehandelte Nebennierenrindeninsuffizienz, unbehandelte Hypophyseninsuffizienz und unbehandelte Hyperthyreose[2]
- akuter Myokardinfarkt, akute Myokarditis, akute Pankarditis[2]
Schwangerschaft und Stillzeit
Levothyroxin ist nicht teratogen.[5] Eine erforderliche Behandlung mit Levothyroxin ist während der Schwangerschaft und Stillzeit konsequent durchzuführen. Während der Schwangerschaft kann eine Dosisanpassung erforderlich sein, wenn erhöhte Serum-TSH-Werte auftreten. Nach der Geburt ist die Dosis auf die vor der Schwangerschaft zu reduzieren. Der TSH-Spiegel sollte 6 bis 8 Wochen nach der Geburt kontrolliert werden.[2][4]
T4 tritt in die Muttermilch über. Die Behandlung der Mutter mit T4 beeinflusst die Schilddrüsenfunktion eines gesunden Kindes nicht. Es besteht keine Gefährdung für den Säugling.[2][5]
Labormedizin
Die labormedizinische Bestimmung des T4-Spiegels erfolgt meist durch Enzymimmunoassay (ELISA) oder Radioimmunoassay (RIA). Für diagnostische Zwecke ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Bestimmung des freien Thyroxins (fT4) sinnvoller als die des Gesamthormons, da der Spiegel des letzteren nicht nur durch die Aktivität der Schilddrüse, sondern auch durch die Plasmaproteine bestimmt wird.
Material
Für die Bestimmung des freien T4 und des Gesamt-T4 wird 1 ml Blutserum benötigt.
Referenzwerte
Bei Erwachsenen gelten folgende Referenzwerte:
Die Normwerte in bestimmten Altersklassen sind den jeweiligen Detailartikeln zu entnehmen. Die Referenzwerte sind methodenabhängig. Ausschlaggebend ist der vom ausführenden Labor angegebene Wert.
Interpretation
Die Interpretation erfolgt in Zusammenschau mit den Werten für fT3 und TSH.
Biotin kann Immunassays zur Beurteilung der Schilddrüsenfunktion, die auf einer Biotin-Streptavidin-Wechselwirkung basieren, beeinflussen und damit zu fälschlicherweise verringerten oder erhöhten Testergebnissen führen. Das Risiko einer Interferenz steigt bei höheren Dosen von Biotin.[2]
Toxizität
Die Symptomatik einer Überdosierung oder Vergiftung entspricht der einer Hyperthyreose bzw. einer thyreotoxischen Krise. Es besteht u.U. eine vitale Bedrohung durch Tachykardie, Hypertonie, Herzrhythmusstörungen, Myokardinfarkt und erhöhten Hirndruck (Pseudotumor cerebri), vor allem wenn ein agitiertes Koma in ein schlaffes Koma mit Adynamie und Reflexlosigkeit übergeht.
Besonders gefährdet sind Patienten mit kardiovaskulären Grunderkrankungen. Eine primäre Giftentfernung durch Verabreichung von Aktivkohle kann innerhalb einer Stunde nach der Ingestion erfolgen. Durch die Behandlung mit Propranolol kann die Umwandlung von T4 zu T3 durch eine Hemmung der Deiodierung blockiert werden. Die weitere Behandlung erfolgt in jedem Fall symptomatisch. Eine Behandlung mit Thyreostatika ist nicht indiziert. Aufgrund seiner pharmakokinetischen Eigenschaften (hohe Plasmaproteinbindung) ist eine sekundäre Giftentfernung durch Hämodialyse nicht effektiv.
ATC-Code
- H03AA01 - Systemische Hormonpräparate, exkl. Sexualhormone und Insuline - Schilddrüsentherapie - Schilddrüsenpräparate - Schilddrüsenhormone
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Peeters RP, Visser TJ. Metabolism of Thyroid Hormone. [Updated 2017 Jan 1]. In: Feingold KR, Anawalt B, Blackman MR, et al., editors. Endotext [Internet]. South Dartmouth (MA): MDText.com, Inc.; 2000-
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Euthyrox, Merck Fachinformation Stand 03/2023, abgerufen am 07.05.204
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 3,7 3,8 Feldkamp J. Schilddrüsenerkrankungen: L-Thyroxin sinnvoll einsetzen. Dtsch Arztebl 2024
- ↑ 4,0 4,1 Führer D et al. Schilddrüsenfunktionsstörungen in der Schwangerschaft. Deutsch Med Wschr 2014
- ↑ 5,0 5,1 Thyroxin. embryotox.de, abgerufen am 07.05.2024
Literatur
- Köhrle J et al. Schilddrüsenhormone. In: Heinrich PC et al. (Hrsg.) Löffler/Petrides Biochemie und Pathobiochemie. 10. Aufl., Berlin : Springer 2022
- Gärtner R (Hrsg.) Schilddrüsenerkrankungen. Stuttgart : Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2004 - Inhaltsverzeichnis
Weblinks
- Drugbank - Levothyroxine, abgerufen am 07.05.2024
- Pharmazeutische Zeitung Levothyroxin, abgerufen am 07.05.2024
- Gelbe Liste Wirkstoffe - Levothyroxin, abgerufen am 07.05.2024
- PharmaWiki - Levothyroxin, abgerufen am 07.05.2024
- PubChem: 5819
- MeSH: 68013974
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