Schilddrüsenkarzinom
Synonyme: Struma maligna, Schilddrüsenkrebs
Englisch: thyroid carcinoma
Definition
Als Schilddrüsenkarzinom bezeichnet man maligne Neoplasien des Epithels der Schilddrüse. Schilddrüsenkarzinome machen 95 % der malignen Neoplasien der Schilddrüse aus.
Epidemiologie
Jährlich erkranken in Deutschland ca. 6/100.000 Einwohnern neu (Inzidenz) an einem Schilddrüsenkarzinom. Das Schilddrüsenkarzinom ist demnach ein seltener Krebs und macht ca. 1 % der Krebsfälle in Deutschland aus. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Das Schilddrüsenkarzinom tritt gehäuft zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr auf. Zwischen 1999 und 2015 hat sich die Erkrankungsrate verdoppelt.[1] Für 2018 wird eine Erkrankungsrate von 15/100.000 prognostiziert.
Ätiologie
Eine Bestrahlung des Halses im Kindesalter erhöht das Risiko für die Entstehung eines papillären Schilddrüsenkarzinoms erheblich. Dabei ist entscheidend, in welchem Lebensalter die Bestrahlung stattfindet. Kinder (besonders unter 4 Jahren) reagieren um ein Vielfaches empfindlicher als Erwachsene. Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl hat die Aufnahme von radioaktivem Jod in den Sowjetrepubliken die Rate an Schilddrüsenkarzinomen erhöht. Aber auch in Europa erhöhte sich die Erkrankungsrate. Der Zeitraum von der Bestrahlung bis zur Karzinomentstehung dauert durchschnittlich 10 - 15 Jahre.
Ein Jodmangel begünstigt die Entstehung eines follikulären Schilddrüsenkarzinoms. In einem Teil der follikulären Schilddrüsenkarzinome ist eine Chromosomentranslokation vorhanden, die zur Fusion von zwei Genen (PAX8 und PPARγ1) mit einem daraus resultierenden onkogenen Produkt führt.
Das im Rahmen eines MEN auftretende medulläre Schilddrüsenkarzinom ist auf eine (erbliche) Mutation des RET-Protoonkogens zurückzuführen. Ähnliche Mutationen (somatisch) sind auch bei einem Teil der papillären Schilddrüsenkarzinome zu finden.
Risikofaktoren
- Bestrahlung der Kopf-Hals-Region (gesichert)
- Aufnahme von radioaktivem Jod (gesichert)
- weibliches Geschlecht (ungeklärt)
- Jodmangel, Struma, Schilddrüsenadenom (klinisch relevant)
- genetische Disposition (familiäre Häufung bei 1/5 der medullären Schilddrüsenkarzinome und vermutlich bei papillären Schilddrüsenkarzinomen)
Einteilung
Schilddrüsenkarzinome werden nach Histologie und Ursprungsgewebe eingeteilt. Zu unterscheiden sind:
- Papilläres Schilddrüsenkarzinom (65 %)
- Follikuläres Schilddrüsenkarzinom (25 %)
- Medulläres Schilddrüsenkarzinom (5 %)
- Andere (5 %) wie z.B. anaplastisches Schilddrüsenkarzinom, Hürthle-Zell-Karzinom, Metastasen
Klinik
Schilddrüsentumoren werden durch ihr verdrängendes Wachstum auffällig. Die Schilddrüse hat enge Lagebeziehungen zu Trachea, Ösophagus und Larynx. Symptome eines Schilddrüsenkarzinoms können daher sein:
- Dysphagie
- Dyspnoe
- Heiserkeit und Husten (Nervus laryngeus recurrens)
- vergrößerte Lymphknoten im Halsbereich
Die Schilddrüse ist vergrößert und enthält derbe und schlecht verschiebliche Knoten. Alarmzeichen sind innerhalb weniger Wochen schnell wachsende Knoten harter Konsistenz und plötzlich schnell wachsende Knoten in einer vorbestehenden Struma.
Weit fortgeschrittene Schilddrüsenkarzinome bewirken Stridor, Horner-Syndrom und/oder eine obere Einflussstauung.
Diagnostik
Die Diagnostik bei Verdacht auf Schilddrüsenkarzinom sollte sorgfältig und beharrlich betrieben werden, da eine frühe Diagnose und Therapie entscheidend für den weiteren Verlauf der Erkrankung sind.
Anamnese und körperliche Untersuchung
In der Anamnese sollte die Vorgeschichte des Patienten erfragt werden:
- Hat eine Bestrahlung stattgefunden? Wann?
- Sind in der Familie ähnliche Fälle bekannt? (MEN?)
- Bestand vorher eine Struma?
Eine sorgfältige Palpation der Schilddrüse sollte wegweisend für die Sonographie der Beurteilung von harten Knoten und vergrößerten Lymphknoten dienen.
Sonographie
Mit der Sonographie kann die Schilddrüse sehr gut untersucht werden. Beurteilt werden Größe, Art und Ausmaß der knotigen Veränderungen, Beschaffenheit der Lymphknoten. Ein so genannter "Halosaum" ist ein Hinweis auf einen benignen Knoten.
- Autonomes Adenom: meist echoarm, Halosaum
- Karzinom: echoarm, kein Halosaum, schlecht abgrenzbare Ränder
Szintigraphie
Bei der Szintigraphie wird radioaktiv markiertes Jod bzw. Natrium-99mTechnetium-Pertechnetat injiziert, welches sich im Schilddrüsengewebe anreichert. Schilddrüsenkarzinome reichern in der Regel kein oder wenig Radiopharmakon an (kalter Knoten).
Histopathologie
Mit einer Feinnadelbiopsie kann ein kleines Stück Schilddrüsengewebe zur Untersuchung in der Pathologie gewonnen werden. Dadurch ist eine genauere Aussage zur Art und Differenzierungsstufe des Schilddrüsenkarzinoms möglich.
Bildgebende Verfahren
Durch Röntgenaufnahmen der Trachea und Speiseröhre kann eine eventuell vorhandene Einengung festgestellt werden. Genauere Aussagen über das Schilddrüsenkarzinom und feinste Lagebeziehungen erlaubt die MRT oder auch das CT.
Laryngoskopie
Zur Beurteilung der Funktion des Kehlkopfes dient die Laryngoskopie. Sie kann durch eine diagnostische Spiegelung des Ösophagus und der Trachea ergänzt werden.
Therapie
Die Therapie eines Schilddrüsenkarzinoms besteht zunächst in der Operation mit anschließender Radioiodtherapie. Eine Chemotherapie ist beim Schilddrüsenkarzinom nicht vergleichbar erfolgreich.
An die Therapie sollte sich auch bei vollständiger Remission eine Tumornachsorge mit Nachuntersuchungen in festgelegten Intervallen anschließen.
Bei einem strukturell nicht geheilten differenzierten (metastasierten) Schilddrüsenkarzinom empfiehlt sich die Gabe von Levothyroxin in einer Dosierung von 2,0 bis 2,5 µg/kgKG, um eine TSH-Suppression zu erreichen.[2]
Operation
In den meisten Fällen ist die möglichst vollständige Resektion der Schilddrüse (Thyroidektomie) notwendig. Bei kleineren, nicht weit fortgeschrittenen Prozessen (z.B. bei kleinen papillären Karzinomen) ist jedoch auch eine Teile des Organs erhaltende Lobektomie (Lappenentfernung) möglich. Eine Halsdissektion zur Entfernung von metastatisch befallenen Lymphknoten ergänzt das Vorgehen.
Nach der vollständigen Entfernung der Schilddrüse müssen Schilddrüsenhormone substituiert werden.
Die Nebenschilddrüsen sollten nach Möglichkeit geschont werden, was bei Belassen der dorsalen Kapsel der Schilddrüse meistens möglich ist. Bei Mitentfernung der Nebenschilddrüsen (z.B. bei ausgedehntem Karzinombefund) müssen dem Patienten postoperativ zur Vermeidung einer Tetanie Calcium und gegebenenfalls Vitamin D verabreicht werden.
Bestrahlung
An eine operative Therapie kann zur Beseitigung von verbliebenem Schilddrüsengewebe (Karzinomreste) oder entstandenen Metastasen eine Radioiodtherapie angeschlossen werden. Prinzipiell wird dabei Jod-131 verabreicht, welches sich in verbliebenen Schilddrüsenzellen (auch Metastasen) anreichert und dort durch die freigesetzte Strahlung zum Untergang des Gewebes führt. Die Radioiodtherapie ist also an die Fähigkeit der Jodaufnahme gebunden und ist daher bei einem medullären Schilddrüsenkarzinom kontraindiziert.
Eine äußere Bestrahlung ist beim Schilddrüsenkarzinom nur indiziert, wenn Tumorreste durch Operation und Radioiodtherapie nicht entfernt werden können oder aber der Tumor anaplastisch und somit therapierefraktär ist.
Prognose
Die Prognose eines Schilddrüsenkarzinoms hängt im Wesentlichen von zwei Kriterien ab:
- dem histologischen Subtyp des Karzinoms
- dem Zeitpunkt der Diagnose und Therapieeinleitung
Weitere Kriterien sind das Alter des Patienten und das Vorliegen von Fernmetastasen. Die schlechteste Prognose haben die glücklicherweise seltenen anaplastischen Schilddrüsenkarzinome. Sie sprechen kaum auf eine Therapie an. Die meisten Patienten versterben einige Monate nach Diagnosestellung.
Bei den anderen Formen des Schilddrüsenkarzinoms ist die Prognose weitaus besser.
Folgende 5-Jahres-Überlebensraten gelten bei leitliniengerechter Behandlung:
- Papilläres Karzinom: 80-90 %
- Follikuläres Karzinom: 80 %
- Medulläres Karzinom: 60-70 %
- Anaplastisches Karzinom: unter 10 %
Die relativen 10-Jahres-Überlebensraten des papillären Schilddrüsenkarzinoms betragen:
- Männer: 84 (75-93) %
- Frauen: 92 (94-98) %
Quellen
- ↑ Krebsdaten.de: Krebs in Deutschland 2013/2014. S. 112
- ↑ Feldkamp J. Schilddrüsenerkrankungen: L-Thyroxin sinnvoll einsetzen. Dtsch Arztebl 2024
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