Pulmorenales Syndrom
Synonym: Pulmorenales vaskulitisches Syndrom
Definition
Die Bezeichnung pulmorenales Syndrom umfasst einen Krankheitskomplex meist autoimmuner Genese, der durch eine alveoläre Hämorrhagie in Kombination mit einer Rapid progressiven Glomerulonephritis (RPGN) charakterisiert ist.
Bei Verdacht auf ein pulmorenales Syndrom muss aufgrund der meist ausgeprägten Lungenbeteiligung sofort gehandelt werden, weshalb eine rechtzeitige Diagnosestellung einen hohen Stellenwert hat.
Ätiologie
Das pulmorenale Syndrom ist ein klinisch definierter Begriff, unter dem verschiedene Krankheitsbilder zusammengefasst werden. Zu den Ursachen im engeren Sinne zählen:
- Goodpasture-Syndrom (Anti-GBM-Vaskulitis): verursacht durch antiglomeruläre Basalmembran-Antikörper (Anti-GBM)
- ANCA-assoziierte Vaskulitis der kleinen Gefäße:
- Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, Morbus Wegener)
- Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA, Churg-Strauss-Syndrom)
- mikroskopische Polyangiitis (MPA)
- ANCA-negative Vaskulitis der kleinen Gefäße:
- systemischer Lupus erythematodes (SLE)
- Purpura Schönlein-Henoch
- essentielle kryoglobulinämische Vaskulitis
- Vaskulitis bei rheumatoider Arthritis
- Vaskulitis bei Virusinfekten
Ein pulmorenales Syndrom (im engeren Sinne) muss von Krankheiten mit pulmonalen Infiltraten und begleitender Niereninsuffizienz (ohne primäre Vaskulitis) abgegrenzt werden. Dazu zählen typischerweise folgende Situationen:
- septisches Geschehen: z.B. Pneumonie und prärenales Nierenversagen
- primäre Nierenschädigungen mit Hypervolämie und Lungenödem (z.B. akute Tubulusnekrose mit Anurie)
- Kardiorenales Syndrom
- Infektionserkrankungen (z.B. Legionellen, Mykoplasmen, Hantavirus, Leptospiren)
- vasookklusives Geschehen mit Lungenembolie und Nierenbeteiligung (z.B. im Rahmen eines Antiphospholipid-Syndroms oder einer HIT Typ II)
- malignomassoziierte Lungen- und Nierenschädigung (z.B. Bronchialkarzinom mit Nierenmetastasen)
- inzidentelle simultane Lungen- und Nierenschädigung
Symptome
Die alveoläre Hämorrhagie manifestiert sich mit Dyspnoe, Husten und Hämoptysen. Die RPGN zeigt sich mit einer Hämaturie und ggf. Oligurie bzw. Anurie. Typisches Zeichen einer Vaskulitis der kleinen Gefäße ist eine palpable Purpura. Je nach Grunderkrankung treten weitere Begleitsymptome auf, z.B. Fieber.
Diagnostik
Bei einem Patienten mit akuter Niereninsuffizienz, Husten, Dyspnoe und Hämoptysen besteht die Basisdiagnostik aus Anamnese, körperlicher Untersuchung, Aufzeichnung eines Elektrokardiogramms und einem internistischen Routinelabor.
Diagnostik der Lungenschädigung
Im Röntgenbild der Lunge zeigen sich unspezifische, variabel konfigurierte pulmonale Infiltrate als Ausdruck einer alveolären Hämorrhagie. Noduli, Kavernen, alveoläre und subpleurale Infiltrate können dabei als Ausdruck einer granulomatösen Erkrankung sein (z.B. Granulomatose mit Polyangiitis oder Tuberkulose).
Im Gegensatz zum konventionellen Röntgen lassen sich mit einer hochauflösenden Computertomographie vaskulitische Veränderungen darstellen. Im Falle einer ANCA-assoziiertes Vaskulitis zeigen sich meist diffuse milchglasartige Verdichtungen. Bei der GPA finden sich zusätzlich bilaterale, noduläre Verdichtungen und z.T. Kavitäten, bei der MPA interstitielle Veränderungen oder Läsionen der Atemwege wie eine Bronchiolitis. Die Differenzierung zu einer Pneumonie, septischen Embolie oder Metastasen kann erschwert sein.
Diagnostik der Nierenschädigung
Mittels Sonographie des Abdomens können extrarenale Ursachen der Nierenschädigungen ausgeschlossen werden. Sind die Nieren verkleinert, deutet dies auf eine vorbestehende chronische Nierenschädigung hin. Vergrößerte Nieren sind ein Zeichen der Glomerulonephritis.
Des Weiteren sollte der Urin mikroskopisch, laborchemisch und mikrobiologisch untersucht werden. Mithilfe der Analyse der Urinbestandteile und der Eiweißausscheidung kann die Ursache genauer eingegrenzt werden. Bei einer Vaskulitis zeigt sich i.d.R. ein nephritisches Sediment (Mikrohämaturie, dysmorphe Erythrozyten bzw. Akanthozyten oder Erythrozytenzylinder). Bei ausgeprägtem glomerulären Schaden kann zusätzlich eine nephrotische Proteinurie vorliegen. Ein blander Urinstreifentest bzw. ein unauffälliges Urinsediment schließen eine akute Glomerulonephritis weitgehend aus.
Laboruntersuchungen
Zur weitergehenden Diagnostik werden die Autoantikörper ANCA, ANA und Anti-GBM bestimmt. Des Weiteren sollte eine Messung der Komplementfaktoren C3 und C4 erfolgen, wobei niedrige Werte v.a. beim SLE beobachtet werden. Eine Serologie auf Virushepatitiden und ein Test auf Kryoglobuline kann erwogen werden.
ANCA
Antineutrophile zytoplasmatische Antikörper (ANCA) sind i.d.R. Antikörper der Klasse IgG, die gegen spezifische Bestandteile von neutrophilen Granulozyten gerichtet sind. Mittels indirekter Immunfluoreszenz unterscheidet man zwischen zytoplasmatischen (cANCA) und perinukleären ANCAs (pANCA). Der ELISA-Test dient dem Nachweis von Antikörpern gegen Proteinase 3 (i.d.R. cANCA) oder gegen Myeloperoxidase (i.d.R. pANCA).
ANCAs finden sich bei:
- 90 % der Patienten mit GPA (v.a. cANCA, Proteinase 3)
- 70 % der Patienten mit MPA (v.a. pANCA, Myeloperoxidase)
- 50 % der Patienten mit EGPA (v.a. pANCA, Myeloperoxidase)
Ein negativer ANCA-Nachweis schließt eine ANCA-assoziierte Vaskulitis nicht aus. Umgekehrt weist der Nachweis von ANCAs zwar stark auf eine ANCA-assoziierte Vaskulitis hin, dient jedoch nicht der Diagnosesicherung.
ANA
Bei Nachweis von antinukleären Antikörpern (ANA) scheint die Diagnose eines systemischen Lupus erythematodes oder einer anderen Kollagenose wahrscheinlich, wobei diese Patienten auch ANCA-Antikörper aufweisen können.
Anti-GBM-Antikörper
Diese Serumantikörper vom IgG-, seltener vom IgA-Typ gegen Kollagen Typ IV werden mittels ELISA-Test nachgewiesen. Bei ca. 10 bis 30 % der Patienten mit Goodpasture-Syndrom können gleichzeitig ANCA (meist pANCA bzw. Anti-Myeloperoxidase) positiv sein.
Gewebebiopsie
Eine Biopsie beim pulmorenalen Syndrom dient der definitiven Diagnosesicherung und kann grundsätzlich an der Haut, der Nasenschleimhaut, der Lunge oder der Niere durchgeführt werden. In der Praxis hat sich dabei die Nierenbiopsie durchgesetzt, da sie mit weniger falsch negativen Befunden einhergeht und eine Lungenbiopsie mit einem erhöhten Blutungsrisiko assoziiert ist.
Für die Nierenbiopsie werden i.d.R. mehrere Stanzzylinder unter Lokalanästhesie entnommen. Diese werden dann lichtmikroskopisch, immunhistochemisch und elektronenmikroskopisch untersucht:
- GPA, MPA, EPGA: Halbmondnephritis als Ausdruck der RPGN, keine Immunablagerungen (Pauci-Immun-Glomerulonephritis)
- Goodpasture-Syndrom: immunhistochemische IgG-Färbung linear entlang der Basalmembran
- Immunkomplex-RPGN (z.B. subendotheliale Ablagerungen bei diffuser Lupusnephritis, mesangiales IgA bei IgA-Nephropathie und Purpura Schönlein-Henoch, Antistreptokokkenantikörper bei postinfektiöser Glomerulonephritis)
Differenzialdiagnostik
- GPA und MPA: Meist sind ältere Personen betroffen, wobei die Symptome über lange Zeit schleichend verlaufen können oder sich innerhalb weniger Tage demaskieren können. Begleitsymptome wie Fieber und Gewichtsverlust finden sich häufig. Beide Erkrankungen können eine pulmonale Beteiligung aufweisen, ein blutig-borkiger Schnupfen tritt v.a. bei der GPA auf. Eine Nierenbeteiligung ist vermutlich bei der MPA häufiger. Weitere Organmanifestationen betreffen die Haut (z.B. leukozytoklastische Vaskulitis) und die Augen (Episkleritis). Die eindeutige Differenzierung ist nur histopathologisch anhand der granulomatösen Veränderungen möglich, die sich nur bei der GPA finden.
- EGPA: ebenfalls nekrotisierende Vaskulitis, jedoch assoziiert mit periphere Eosinophilie, Asthma bronchiale und allergischer Rhinitis
- Goodpasture-Syndrom: Hauptmanifestation als Glomerulonephritis mit akuter Nierenschädigung (Anti-GBM-Vaskulitis), bei 70 % der Patienten zusätzliche alveoläre Hämorrhagien (Goodpasture-Syndrom), wobei häufig eine pulmonale Vorschädigung vorliegt (z.B. bei Nikotinabusus).
Therapie
Die Therapie des pulmorenalen Syndroms basiert auf:
- supportiven Maßnahmen (Intensivstation, Dialyse, Beatmung): je nach Ausmaß der Symptome
- Immunsuppression (z.B. Prednison, Cyclophosphamid, Azathioprin): abhängig von der Grunderkrankung
- Plasmapherese mit Humanalbumin als Substitutionslösung: immer bei Hämoptysen
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