Morbus Waldenström
nach dem Erstbeschreiber und schwedischen Internisten Dr. Jan Gösta Waldenström (1906-1996)
Synonyme: Lymphoplasmozytisches Lymphom, Immunozytom, MW, Waldenströms Makroglobulinämie
Englisch: Waldenström macroglobulin(a)emia
Definition
Der Morbus Waldenström ist ein indolentes Non-Hodgkin-Lymphom und zeichnet sich durch monoklonale Vermehrung einer einzelnen entarteten B-Zelle aus. Die Zellklone produzieren große Mengen an Immunglobulin M (IgM) und infiltrieren das Knochenmark. Der klinische Verlauf ähnelt dem sehr seltenen IgM-Myelom, jedoch unterscheiden sich die Therapieoptionen.
ICD10-Code: C88.0
Epidemiologie
Es handelt sich um eine seltene Erkrankung und macht ungefähr 1 bis 3 Prozent aller Non-Hodgkin-Lymphome aus. Das mediane Alter bei Diagnosestellung liegt bei ungefähr 75 Jahren, nur selten sind Patienten unter 40 Jahren betroffen.
Die Inzidenz in Europa wird auf 4 bis 7 Neuerkrankungen pro 1 Million Einwohner pro Jahr geschätzt.[1] Die Erkrankung betrifft eher Männer und Kaukasier.
Pathogenese
Bei über 90% der Patienten findet sich eine MYD88-L265P-Mutation. Sie triggert die IRAK (Interleukin-1 Receptor-Associated Kinase) und BTK (Bruton's Tyrosinkinase), die wiederum NF-κB aktivieren. Weiterhin spielen bei ungefähr 25-30% der Patienten CXCR4-Mutationen (Chemokine receptor type 4) eine Rolle.
Zu den Risikofaktoren gehören:
- Genetische Faktoren: Verwandte ersten Grades von Patienten mit Morbus Waldenström haben ein zwanzigfach erhöhtes Risiko selbst zu erkranken und ein drei- bis fünffach erhöhtes Risiko für die Entwicklung anderer Non-Hodgkin-Lymphome, einer chronischen lymphatischen Leukämie oder eines MGUS. Die Ursache ist jedoch unklar.
- Erworbene Faktoren: In Kohortenstudien zeigt sich anamnestisch eine erhöhte Rate an Infektionen oder Autoimmunphänomenen
- MGUS: Patienten mit einer MGUS haben ein erhöhtes Erkrankungsrisiko
Pathophysiologie
Eine ungehemmte klonale Vermehrung von B-Lymphozyten führt zu einer Infiltration verschiedener Organe und zur Überproduktion von funktionslosen IgM-Antikörpern (Paraproteinämie). Die Infiltration betrifft primär das Knochenmark mit der Folge einer hämatopoetischen Insuffizienz. Außerdem können die Milz, Leber und Lymphknoten, seltener auch andere Organe (Augen, ZNS) betroffen sein. Die Überproduktion von IgM kann sich als Hyperviskositätssyndrom manifestieren. Durch die veränderte Hämorheologie kommt es zu Durchblutungsstörungen. Weitere mögliche Folgen sind eine Kryoglobulinämie und eine Leichtketten-Amyloidose. Das IgM reagiert bei einigen Patienten spezifisch mit dem myelinassoziierten Glykoprotein (MAG), welches mit demyelinisierenden Erkrankungen des peripheren Nervensystems assoziiert ist. Aufgrund der Größe des IgM wird dieses nur in geringem Umfang renal ausgeschieden. Im Gegensatz zum Myelom kommt es daher nur selten zu Nierenfunktionseinschränkungen. Auch scheiden nur ungefähr 20% der Patienten Leichtketten aus, hierbei meist vom Isotyp κ.
Symptome
Die häufigsten Symptome sind Müdigkeit und die unspezifischen B-Symptome (Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust).
Bei vielen Patienten ergeben sich erste Hinweise zufällig durch das Routinelabor. Hierbei kann sich eine normochrome, normozytäre Anämie, seltener eine Neutropenie oder Thrombozytopenie zeigen. Im Gegensatz zum multiplen Myelom kommt es durch die Knochenmarkinfiltration nur selten zur Hyperkalzämie oder Zerstörung des Knochens mit daraus resultierenden Schmerzen. Die Infiltration anderer Organe kann sich als sicht- bzw. tastbare Splenomegalie, Hepatomegalie oder Lymphadenopathie bemerkbar machen. Nur selten kommt es zu großen Lymphknoten-Konglomeraten (bulky disease), wie z.B. beim Hodgkin-Lymphom.
Das Hyperviskositätssyndrom tritt meist erst ab einem IgM-Spiegel von über 5 g/dl auf. Es führt zu einer erhöhten Blutungsneigung bei gleichzeitig erhöhten Risiko von Thrombembolien. Weitere Komplikationen sind kardiale Symptome (Angina pectoris), neurologische Symptome (Schwindel, Ataxie, Vigilanzstörungen), Sehstörungen bis hin zum Visusverlust und Hörstörungen. Bei bis zu 20% der Patienten verhält sich das monoklonale IgM wie ein Kryoglobulin Typ 1, wobei Symptome bei weniger als 5% der Patienten auftreten. Hierbei ist vor allem das Raynaud-Syndrom typisch.
Bei unter 3% der Patienten entwickelt sich eine Leichtketten-Amyloidose mit vielfältigen Symptomen (z.B. Belastungsdyspnoe, sensomotorische Polyneuropathie, nephrotisches Syndrom). Das monoklonale IgM kann außerdem als Autoantikörper wirken und so unter anderem zu einer autoimmunhämolytischer Anämie oder einer peripheren Neuropathie (z.B. bei MAG-Autoantikörper) führen.
Diagnostik
Diagnose-Kriterien
Laut der WHO ergibt sich die Diagnose durch den histopathologischen Nachweis eines lymphoplasmozytischen Lymphoms mit monoklonaler IgM-Gammopathie und einer Infiltration des Knochenmarks.
Anamnese
Eine ausführliche Anamnese kann bereits erste Hinweise auf die Erkrankung liefern. Insbesondere das Auftreten von Müdigkeit, Epistaxis, Sehstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen, transiente Paresen und B-Symptomen sollte zu einer weitergehenden Diagnostik veranlassen.
Körperliche Untersuchung
Eine gründliche körperliche Untersuchung kann Zeichen einer Organinfiltration (Splenomegalie, Hepatomegalie, Lymphadenopathie), fokal-neurologische Defizite oder ophthalmologische Veränderungen (Gefäßsegmentierung, Erweiterung der Retinavenen) aufdecken.
Labor
- Differenzialblutbild: normochrome, normozytäre Anämie, seltener eine Thrombozytopenie oder Neutropenie. Im peripheren Blutausstrich zeigt sich ein Bild, das dem des multiplen Myeloms sehr ähnlich ist. Durch die IgM-Paraproteinämie kann es zu einem verwaschenen Hintergrund sowie zur Geldrollenbildung (Rouleau-Phänomen) der Erythrozyten kommen.
- Serumelektrophorese: Die quantitative Bestimmung von Immunglobulinen im Serum liefert durch das übermäßige Vorhandensein von Immunglobulinen den entscheidenden Hinweis. Durch eine Immunelektrophorese (Serum und Urin) wird bestätigt, dass es sich um eine IgM-Vermehrung handelt.
- Beta2-Mikroglobulin↑
- ESR↑, LDH↑, Harnsäure↑
- GOT, GPT, AP, γ-GT (Leberinifiltration)
- Quick-Wert, PTT (Gerinnung)
- 24-Stunden-Sammelurin: Quantifizierung der Eiweiß- und Leichtkettenausscheidung.
Ein Hyperviskositätssyndrom zeigt sich in einem erhöhten ESR- und verminderten Hämatokrit-Wert. Es kann durch die Bestimmung der Plasmaviskosität objektiviert werden.
Durch die starke Antikörpervermehrung und die hohe Plasmaviskosität können verschiedene Laboruntersuchungen gestört werden.
Knochenmarkspunktion
Ein Knochenmarkbiopsie ist zur initialen Diagnosesicherung durch den Nachweis von lymphoplasmozytischen Zellen obligat.
Pathohistologie
Der Morbus Waldenström ist morphologisch durch eine Proliferation kleiner B-Lymphozyten gekennzeichnet. Diese an Plasmazellen erinnernden Zellen haben einen breiten Zytoplasmasaum und einem kompakten, lymphozytenähnlichen Kern. In den Zellen finden sich Dutcher- und Russell-Körperchen.
In den Lymphknoten erkennt man keine Follikel mehr, das Befallsmuster ist meist interfollikulär und von einer nahezu monomorphen Zellpopulation gekennzeichnet. Locker eingestreut findet man Immunoblasten und Epitheloidzellen.
Molekulargenetik
Die Bestimmung des Mutationsstatus (MYD88-L265P und CXCR4) ist hilfreich bei unklarem Befund und zur Differenzierung zu anderen Non-Hodgkin-Lymphomen. Der MYD88-Mutationsstatus ist außerdem bei geplanter Therapie mit Ibrutinib notwendig.
Bildgebung
Bildgebende Verfahren werden angewendet, um das Ausmaß der Organinfiltration zu bestimmen. Beurteilt werden vor allem Lungeninfiltrate (CT-Thorax), die Hepatosplenomegalie und die intestinalen Lymphknoten (CT-Abdomen, Abdomensonografie). Eine Echokardiographie wird bei einer zur Amyloidose passenden kardialen Klinik durchgeführt.
Ann-Arbor-Klassifikation
Bei Lymphomen wird grundsätzlich die Klassifikation nach Ann-Arbor angewandt. Aufgrund des obligaten Knochenmarkbefalls ergibt sich per definitionem das Stadium IV.
Therapie
Da bisher keine Heilungsmöglichkeit besteht und keine Daten vorliegen, die eine Verbesserung der Prognose bei frühzeitiger Therapie zeigen, wird ein abwartendes Vorgehen empfohlen (Watchful Waiting). Das heißt, dass Patienten mit Morbus Waldenström unter Abwägung von Nutzen und Risiken nur beim Auftreten von Symptomen oder bei einem IgM-Spiegel von über 6 g/dl (Risiko Hyperviskositätssyndrom) behandelt werden. Wenn möglich, sollten die Patienten in klinische Studien eingeschlossen werden, da randomisierte Daten nicht ausreichend vorhanden sind. Bei einem Hyperviskositätssyndrom ist die Therapie der Wahl eine Plasmapherese. Sie wirkt effektiv, jedoch nur kurzzeitig. Je nach Allgemeinzustand und anderen Komorbiditäten kommen verschiedene systemische Therapien in Betracht.
...bei gutem Allgemeinzustand
Die Standardtherapie für Patienten mit gutem Allgemeinzustand ist eine Kombination aus Chemotherapie mit Rituximab: Hierbei ist die erste Wahl Bendamustin mit Rituximab (R-Bendamustin, 4 bis 6 Zyklen) oder Dexamethason, Cyclophosphamid und Rituximab (DCR) in 6 Zyklen. Aufgrund des Nebenwirkungsprofils sind R-FC (Rituximab, Fludarabin, Cyclophosphamid) und R-CHOP (Rituximab, Cyclophosphamid, Hydroxydaunorubicin, Vincristin, Prednisolon) nur zweite Wahl.
...bei schlechtem Allgemeinzustand
Bei älteren komorbiden Patienten wird meist eine Monotherapie mit Rituximab durchgeführt, jedoch mit dem Nachteil einer niedrigeren Ansprechrate. Außerdem kann es zum Flare-Phänomen kommen, einem vorübergehenden IgM-Anstieg mit der Gefahr eines Hyperviskositätssyndroms. Für Patienten, die weder für eine Chemotherapie noch für die Gabe von Rituximab geeignet sind, kommt Ibrutinib in Betracht.
Bortezomib
Die Kombination aus Bortezomib (off-label) und Rituximab erhöht die Ansprechrate und ist besonders wirksam bei Patienten mit hoher Paraproteinkonzentration im Serum. Begleitend wird hierbei eine Herpes zoster-Prophylaxe empfohlen.
Remissionskriterien
Bei der Bewertung der Remission ist zu beachten, dass das Therapieansprechen erst Monate nach Therapieende auftreten kann.
Untersuchung | Bedingungen |
---|---|
Komplette Remission (CR) |
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Sehr gute partielle Remission (VGPR) |
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Partielle Remission (PR) |
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Minor Response (MR) |
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Stabile Erkrankung (SD) |
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Progress (PD) |
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Therapie bei Rezidiv/Refraktarität
Je nach Ansprechen auf die Erstlinientherapie kommen mehrere Therapieoptionen in Frage. Bei Remissionsdauer über 24 Monaten wird eine Wiederholung mit demselben Schema empfohlen. Bei unter 24 Monaten soll auf eine Alternative zurückgegriffen werden, z.B. Bortezomib + Rituximab oder DCR bei Bendamustin + Rituximab als initiale Therapie. Bei Rezidiv bzw. refraktären Patienten zeigt Ibrutinib als Monotherapie eine Ansprechrate von rund 90%.[2] Während man bisher davon ausgegangen ist, dass Ibrutinib nur bei MYD88-Mutation wirkt, zeigen einige Studien, dass Ibrutinib in Kombination mit Rituximab auch unabhängig vom MYD88-Mutationsstatus wirken kann.[3][4]
Weiterhin kann auch im Rezidiv die Kombination aus Bortezomib (off-label) und Rituximab angewendet werden. Bei jüngeren Patienten mit klinisch aggressivem Verlauf ist in der Rezidivsituation eine myeloablative Hochdosistherapie mit nachfolgender autologer Stammzelltransplantation eine Möglichkeit.[5]
Amyloidose
Bei Auftreten einer Amyloidose werden meist Bortezomib-basierte Therapien mit oder ohne Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation oder eine Therapie mit Rituximab angewandt.
Verlaufskontrolle, Nachsorge
Unter laufender Therapie werden neben Anamnese und körperlicher Untersuchung bestimmte Laborparameter regelmäßig bestimmt. Dazu zählen Differentialblutbild und LDH, Leber- und Nierenfunktionsparameter. Zur Bewertung der Therapie nach der Hälfte der Zyklen und nach Abschluss einer Therapie sowie bei Verdacht auf Progression sind zusätzlich je nach klinischem Verdacht eine Bildgebung sowie gegebenenfalls weiterführende Diagnostik indiziert. Die Nachsorge erfolgt in Abständen von 3 Monaten, ab dem dritten Jahr in Abständen von 6 bis 12 Monaten.
Prognose
Die Prognose hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert. Die 5-Jahres-Überlebensrate wird auf ungefähr 80% geschätzt. Die wichtigsten prognostischen Faktoren wurden im International Prognostic Scoring System for Waldenström's Macroglobulinemia (IPSSWM) zusammengefasst. Die fünf Risikofaktoren sind:
- Alter ab 65 Jahre
- Hämoglobin unter 11,5 g/dl
- Thrombozytenzahl unter 100.000 pro µl
- β2-Mikroglobulin über 3 mg/l
- IgM (monoklonale Proteinkonzentration) über 7 g/dl
Der Risikoscore unterscheidet drei Risikogruppen mit unterschiedlicher Prognose, wobei er auf Daten basiert, die vor der Einführung von Rituximab erhoben wurden:
Anzahl von Risikofaktoren | Rezidivrisiko | 5-Jahres-Überlebensrate |
---|---|---|
0-1 (außer Alter) | Niedrig | 87 % |
2 oder Alter über 65 Jahre | Intermediär | 68 % |
mindestens 3 | Hoch | 36 % |
Literatur
- Waldenstrom J: Incipient myelomatosis or 'essential' hyperglobulinemia with fibrinognenopenia-a new syndrome?. Acta Med Scand 1944; 117: 216-247.
- Rajkumar V, Dispenzieri A, Kyle R: Monoclonal gammopathy of undetermined significance, waldenstrom macroglobulinemia, AL Amyloidosis, and related plasma cell disorders: diagnosis and treatment. Mayo Clin Proc 2006; 81(5): 693-703.
- Morbus Waldenström bei Onkopedia
Quellen
<references>
- ↑ Phekoo KJ et al. The incidence and survival of Waldenström's Macroglobulinaemia in South East England, Leukemia Research Volume 32, Issue 1, January 2008, Pages 55-59, abgerufen am 17.06.2019
- ↑ Dimopoulos MA et al. Survival trends in Waldenstrom macroglobulinemia: an analysis of the Surveillance, Epidemiology and End Results database Blood 123:3999-4000, 2014, abgerufen am 17.06.2019
- ↑ Dimopoulos MA et al. Phase 3 Trial of Ibrutinib plus Rituximab in Waldenström's Macroglobulinemia N Engl J Med. 2018 Jun 21;378(25):2399-2410, abgerufen am 17.06.2019
- ↑ Treon SP et al. Ibrutinib in previously treated Waldenstrom's macroglobulinemia N Engl J Med 372:1430-1440, 2015, abgerufen am 17.06.2019
- ↑ Kyriakou C et al. High-dose therapy and autologous stem-cell transplantation in Waldenstrom macroglobulinemia: the Lymphoma Working Party of the European Group for Blood and Marrow Transplantation J Clin Oncol 28: 2227-2232, 2010, abgerufen am 17.06.2019
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