Akutes Abdomen
Synonym: "akuter Bauch"
Englisch: acute abdomen
Definition
Beim akuten Abdomen handelt es sich um einen Symptomenkomplex, der sich durch starke abdominelle Schmerzen mit möglicher Lebensbedrohung auszeichnet. Das akute Abdomen kann durch verschiedene Baucherkrankungen ausgelöst werden und ist eine vorläufige Arbeitsdiagnose, die sofortiges diagnostisches und therapeutisches (meist chirurgisches) Handeln fordert.
Geschichte
Der Begriff "akutes Abdomen" wurde durch den Wiener Chirurgen Hubert Kunz (1895-1979) geprägt.
Einordnung
Superakutes Abdomen | Akutes Abdomen | Unklares Abdomen |
---|---|---|
Unmittelbare Lebensbedrohung | Potenzielle Lebensbedrohung | Regelmäßige Kontrollen erforderlich |
Ursachen
Das akute Abdomen kann durch verschiedene intra- oder extraabdominelle Erkrankungen ausgelöst werden. Dazu zählen unter anderem:
- Perforation oder Entzündung eines Hohlorgans, ggf. mit lokaler oder generalisierter Peritonitis
- Darmverschluss
- Mechanischer Ileus, Bride (Verwachsung)
- Tumorerkrankung (z.B. kolorektales Karzinom)
- inkarzerierte Hernie
- Invagination
- Morbus Crohn
- Divertikulitis
- Erkrankungen der Gallenwege
- Gynäkologische Erkrankungen
- Extrauteringravidität (EUG)
- Ovarialtorsion
- Komplikation eines Ovarialtumors
- Adnexitis
- Erkrankungen der Nieren und ableitenden Harnwege, z.B.
- Blutung im Bauchraum, ausgelöst z.B. durch ein rupturiertes Aortenaneurysma
- Akute Pankreatitis
- Intestinale Ischämie
- Torsion eines Darmabschnittes
- Mesenterialinfarkt
- Traumata (Abdominaltrauma, Wirbelfraktur)
- Infektionen
- Hämatologische Erkrankungen
- Intoxikationen (Blei, Arsen, Thallium, Quecksilber, Ergotamin, Tetrachlorkohlenstoff)
- Stoffwechselerkrankungen
- Diabetes mellitus (Ketoazidose, diabetische Pseudoperitonitis)
- Porphyrie (AIP)
- Thyreotoxikose
- Morbus Addison (Addison-Krise)
- Hyponatriämie
- Hyperurikämie
- Myokardinfarkt (v.a. Hinterwandinfarkt)
- Bandscheibenprolaps
Symptome
Zu den Leitsymptomen eines akuten Abdomens zählen (neben einem schlechten Allgemeinzustand) plötzliche, heftige abdominelle Schmerzen, Paralyse sowie Schock. Des Weiteren findet sich häufig eine Abwehrspannung des Abdomens. In vielen Fällen wird der Schmerz von Erbrechen begleitet, dabei können Konsistenz und Aussehen des Erbrochenen Hinweise auf die Ätiologie des Schmerzes geben.
Klinik bei Darmverschluss:
- Nausea
- Kolik
- Emesis
- Stuhlverhalt
- evtl. Miserere (Koterbrechen)
Differenzialdiagnose
Da sich hinter dem akuten Abdomen Erkrankungen verschiedenster Art verbergen können, muss eine weitere Differenzierung erfolgen. Diese erfolgt über Typ, Dauer und Lokalisation des Schmerzes.
Schmerztypen
Viszeraler Schmerz
Der sogenannte viszerale Schmerz zeichnet sich durch einen plötzlichen, krampfhaften, kurzfristig gut lokalisierbaren Schmerz aus, welcher dann diffus, also schwer lokalisierbar wird und als brennend und dumpf bezeichnet wird. Der Patient versucht sich durch Krümmen Erleichterung zu verschaffen und verhält sich dementsprechend sehr unruhig. Dieser Schmerz ist bei Entzündungen der Hohlorgane oder einer Ulkusperforation zu finden.
Kolikschmerz
Der Kolikschmerz ist dem viszeralen Schmerz untergeordnet und findet sich beim Ileus, sowie bei Gallensteinen und Uretersteinen. Er ist durch einen an- und abschwellenden, intermittierenden, krampfhaften Schmerzverlauf und ein Krümmen des Patienten gekennzeichnet.
Somatischer Schmerz
Der somatische Schmerz ist durch einen schneidenden, sich bei Bewegung stark verschlimmernden Schmerz gekennzeichnet, weshalb der Patient verhältnismäßig ruhig liegt. Zunächst ist auch er noch gut lokalisierbar, wird aber mit zunehmender Ausbreitung der Reizung bzw. Entzündung des Peritoneum parietale zunehmend diffus. Appendizitis, Pankreatitis und Cholezystitis sind typische Auslöser eines solchen Schmerzes.
Lokalisationen des Schmerzes
Gezieltes Abtasten des Abdomens lässt eine Orientierung über die genauere Schmerzlokalisation zu, was für eine weitere Differenzialdiagnose unerlässlich ist. Zu unterscheiden sind hierbei:
- Schmerzen im linken Oberbauch (z.B. bei Pankreatitis, Myokardinfarkt, Milzerkrankung)
- Schmerzen im rechten Oberbauch (z.B. bei Cholezystitis, Nierenkolik)
- Schmerzen im mittleren Oberbauch (z.B. bei Aneurysma dissecans, Pankreatitis)
- Schmerzen im Bereich des Nabels (z.B. bei Nabelhernie, Mechanischer Ileus)
- Schmerzen im Bereich des rechten Unterbauches (z.B. bei Appendizitis, Meckel-Divertikulitis, Zystitis)
- Schmerzen im Bereich des linken Unterbauches (z.B. bei Divertikulitis, Sigmakarzinom, Extrauteringravidität)
- diffuse intraabdominelle Lokalisation (z.B. bei Ileus, Aortendissektion bzw. Aortenruptur)
- diffuse extraabdominelle Lokalisation (z.B. bei Gallenkolik, Intoxikation mit Blei, Arsen)
Klinisch wird die Differentialdiagnose weiter von endoskopischen, laborchemischen und anderen Methoden unterstützt und vervollständigt.
Diagnostik
Zur Abklärung eines akuten Abdomens kommen folgende diagnostische Maßnahmen in Betracht:
Klinische Untersuchung
- Inspektion
- Auskultation
- "Grabesstille" bei paralytischem Ileus
- hochgestellte Darmgeräusche bei mechanischem Ileus
- Palpation (Abwehrspannung bei Peritonitis)
- Digital-rektale Untersuchung
Bei der klinischen Untersuchung sollte man die o.a. Reihenfolge dieser Maßnahmen beachten. Die Auskultation muss i.d.R. vor der Palpation erfolgen, damit die Darmgeräusche nicht iatrogen stimuliert werden. Unter bestimmten Umständen kann auch ein Vorgehen in anderer Reihenfolge angebracht sein.
Bildgebende Verfahren
- Sonografie des Abdomens (Oberbauchsonografie)
- Abdomenübersichtsaufnahme
- in Linksseitenlage (z.B. subphrenische Luftsichel bei Perforation)
- im Stehen (z.B. Spiegelbildungen bei Darmverschluss)
- Abdomen-CT
- Röntgen-Thorax
Labor
- Blutbild
- Blutzucker
- C-reaktives Protein (CRP)
- CK, CK-MB, GOT, GPT
- Lipase, Kreatinin
- Gerinnungswerte
- Urinstatus
- Blutgruppe (OP-Vorbereitung)
- Schwangerschaftstest
- iFOBT
Diese Aufzählung ist nicht vollständig und umfasst nur die Primärdiagnostik. Je nach Verdachtsdiagnose können weitere Untersuchungsverfahren (z.B. EKG, Endoskopie) zum Einsatz kommen.
Therapie
Sofortmaßnahmen
Grundsätzlich beginnt die Therapie mit der Stabilisierung der Vitalparameter. Beim akuten Abdomen ist es für den Patienten sehr erleichternd, mit dem Oberkörper leicht erhöht und mit den Beinen angewinkelt in Rückenlage zu liegen, solange kein Schock besteht. Diese Lagerung führt zu einer Entspannung der Bauchmuskulatur und so zu einer Minderung des abdominalen Drucks.
Proaktiv sollten zwei großlumige i.v.-Zugänge gelegt werden, um mit einer Volumengabe auf einen hypovolämischen Schock reagieren zu können.
Gegen die kolikartigen Schmerzen können dem Patienten leichte Spasmolytika und Analgetika verabreicht werden. Hier bietet sich unter den Opioiden aufgrund der geringen GI-Tonuserhöhung vor allem Pethidin an. Die Analgetikagabe sollte in Abhängigkeit von der Schmerzstärke, der Schmerzcharakteristik und der voraussehbaren Zeitspanne bis zur klinischen Untersuchung begonnen werden. Eine prädiagnostische Analgesie hat klinischen Studien zufolge keinen Einfluss auf den Diagnoseprozess bei akuten Abdominalschmerzen.[1] Sie wird jedoch kontrovers diskutiert, da eine zu frühe Gabe von Analgetika im Einzelfall die Symptomatik kaschieren kann.
Weitere Therapie
Die weitere Therapie ist abhängig von der auslösenden Ursache und kann chirurgisch oder konservativ sein.
Quelle
- ↑ S3-Leitlinie Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen (AWMF-Register Nr. 041/001) Stand: 21.05.2007 inkl. Änderungen vom 20.04.2009, abgerufen am 29.5.2022
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