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Immunvermittelte Nebenwirkung

Synonyme: immunmediierte Nebenwirkung, immunbedingte Nebenwirkung
Englisch: immune related adverse effect, irAE

1. Definition

Als immunvermittelte Nebenwirkung, kurz irAE, bezeichnet man Autoimmunphänomene, die als unerwünschte Arzneimittelwirkung einer Immuntherapie mit Checkpointinhibitoren auftreten.

2. Einteilung

IrAEs werden analog zu anderen unerwünschten Arzneimittelwirkungen nach den CTCAE-Kriterien des National Cancer Institute in fünf klinische Schweregrade eingeteilt.[1] Die Kriterien für diese Einteilung unterscheiden sich nach betroffenem Organsystem und können beispielsweise den Tabellenwerken der ASCO oder ESMO entnommen werden.[2][3] Allgemein gilt folgende Graduierung:[4]

  • Grad I: milde Nebenwirkung
  • Grad II: moderate Nebenwirkung
  • Grad III: schwere Nebenwirkung
  • Grad IV: lebensbedrohliche Nebenwirkung
  • Grad V: tödliche Nebenwirkung

3. Epidemiologie

Immunvermittelte Nebenwirkungen sind eine sehr häufige Folge einer Checkpointinhibition. Etwa 70 bis 90 % der mit CTLA-4- und 66 bis 70 % der mit PD-1-/PD-L1-Antikörpern behandelten Patienten entwickeln eine irAE. Ungefähr 15 bis 30 % der mit Checkpointinhibitoren behandelten Personen erleiden dabei eine schwere oder lebensbedrohliche immunmediierte Nebenwirkung.[4][5] Eine kombinierte Immuntherapie (KIT) mit beiden Antikörpertypen birgt ein höheres Risiko für die Entwicklung von irAEs als Einzeltherapien.[2][4][5][6][7]

4. Ätiologie und Pathogenese

Ursache von immunvermittelten Nebenwirkungen ist eine Disinhibition von Lymphozyten durch CTLA-4- und/oder durch PD-1/PD-L1-Inhibitoren. Hierdurch kommt es zum Verlust der Immuntoleranz nicht nur gegenüber dem zu behandelnden Tumor, sondern auch gegenüber regulärem Körpergewebe.

Die genauen Mechanismen sind dabei derzeit (2025) nicht vollständig bekannt. Im Vordergrund steht wahrscheinlich eine direkte T-Zell-Aktivierung, eventuell auch von bereits vorhandenen CD4+-Gedächtniszellen, durch das betroffene Gewebe. Die Checkpointblockade scheint dabei die T-Zell-Differenzierung in Richtung von T-Effektorzellen und zulasten von Treg-Zellen zu verschieben.[4] Ein relevanter Teil der Patienten entwickelt unter der Therapie außerdem Autoantikörper (z.B. anti-TPO, anti-TG), was für eine pathologische B-Zell-Aktivierung spricht.[4]

5. Klinik

Immunvermittelte Nebenwirkungen können prinzipiell jedes Organsystem betreffen und sind sehr variabel. Die Art der irAE scheint dabei sowohl von der behandelten Tumorerkrankung als auch von der verwendeten Substanz abhängig zu sein. So findet sich beispielsweise bei Behandlung von Melanomen eine erhöhte Häufigkeit einer Vitiligo oder anderer kutaner Nebenwirkungen.[7] CTLA-4-Inhibitoren verursachen häufiger eine Kolitis oder Hypophysitis, PD-1-/-L1-Inhibitoren hingegen häufiger Pneumonitiden. Bemerkenswert ist dabei, dass auch Substanzen mit demselben Wirkmechanismus (z.B. die PD-1-Inhibitoren Pembrolizumab und Nivolumab) sehr unterschiedliche Toxizitätsprofile aufweisen können.[4]

Ebenso variiert die Schwere der Nebenwirkungen je nach Substanz. So verlaufen beispielsweise gastrointestinale Manifestationen oder Hepatitiden unter CTLA-4-Inhibitoren meist schwerer als unter PD-(L)1-Inhibitoren.[7] Kombinationstherapien führen in vielen Fällen zu schwereren irAEs als Monotherapien.[2][4][7] Einige irAEs zeigen außerdem in Schwere und Häufigkeit eine Dosisabhängigkeit.[4]

Auch die Latenz zum Therapiebeginn kann unterschiedlich ausfallen. Insgesamt treten irAEs im Median etwa 40 Tage nach erstmaliger Anwendung von Checkpointinhibitoren auf, bei kombinierter Immuntherapie nach median 14 Tagen.[2][6][7] In einigen Fällen ist ein Auftreten aber auch noch Jahre später möglich.[6] Diese Latenzen unterscheiden sich sowohl interindividuell als auch in Abhängigkeit vom betreffenden Organ.[7]

Mögliche irAEs sind:[2][4][6][7][8][9]

Organ(-system) Immunmediierte Nebenwirkung Häufigkeit Typischer Auslöser und Risikofaktoren Latenz zum Therapiebeginn
Haut Kutane irAEs (irCAE) variabler Gestalt, z.B.: häufigste irAE-Form (bis zu 71,5 % der Checkpoint-Blockaden) KIT, anti-CTLA-4, seltener anti-PD-(L)1

gehäuft bei Melanomen oder NSCLC

median 4 Wochen (zwischen 2 und 150 Wochen)
GI-Trakt Sehr häufig KIT, anti-CTLA-4, seltener bei anti-PD-(L)1 meist 5 bis 10 Wochen, z.T. auch Monate
Leber 2% bis 10% der Checkpoint-Blockaden insb. KIT, ähnlich häufig unter anti-CTLA-4- und anti-PD-(L)1-Monotherapie meist 6 bis 12 Wochen
Respirations-trakt 2,7 % der anti-PD-(L)1-Therapien anti-PD-(L)1

gehäuft bei NSCLC oder Nierenzell-karzinomen

median nach 5 Wochen, meist innerhalb der ersten 3 Monate
Endokrinium 10 % der Checkpoint-Blockaden Thyreoiditis und Autoimmun-adrenalitis bei anti-CTLA-4 und anti-PD-(L)-1;
Hypophysitis häufiger bei KIT und anti-CTLA-4;
CIADM fast ausschließlich unter anti-PD-(L)1
median 14,5 Wochen (zwischen 1,5 bis 130 Wochen)
Bewegungs-apparat Arthromyalgien bis zu 40 % der Checkpoint-Blockaden,

schwerere irAEs selten

anti-PD-(L)1 und KIT, seltener anti-CTLA-4 median 38 Wochen (zwischen 1 und 127 Wochen)
Nieren 10 bis 29 % der Checkpoint-Blockaden anti-PD-(L)1 und KIT, seltener anti-CTLA-4

gehäuft bei Urothelkarzinomen

median 13 Wochen (zwischen 3 und 35 Wochen)
Nerven-system 4 bis 6 % bei Mono- und 12 % bei Kombinations-therapien anti-PD-(L)1 und KIT, seltener anti-CTLA-4 median 4 Wochen (zwischen einer und 68 Wochen)
Blut über 10 % der Checkpoint-Blockaden anti-PD-(L)1 und anti-CTLA-4 median 6 Wochen (zwischen einer und 84 Wochen)
Herz-Kreislauf-System unter 0,1 % der Checkpoint-Blockaden KIT, seltener anti-PD-(L)1- und anti-CTLA-4-Monotherapien median 6 Wochen (zwischen 2 und 54 Wochen)
Augen etwa 1 % der Checkpoint-Blockaden KIT, seltener anti-CTLA-4 und anti-PD-(L)1 median 5 Wochen (zwischen einer und 72 Wochen)

6. Diagnostik

Die Diagnostik richtet sich nach dem betroffenen Organsystem bzw. der vorliegenden Erkrankung. Ziel der Diagnostik ist neben der Abklärung der irAE auch deren Schweregraduierung sowie die Abgrenzung infragekommender Differenzialdiagnosen wie Infektionen, Tumorprogresse oder Therapiekomplikationen. Detaillierte Empfehlungen für die jeweiligen Krankheitsbilder sind den Leitlinien der ASCO bzw. ESMO zu entnehmen.[2][9]

7. Therapie

Abgesehen von einer (ggf. stationären) Überwachung und einer der Symptomatik entsprechenden Supportivtherapie besteht die Behandlung von immunmediierten Nebenwirkungen in den meisten Fällen in einer Immunsuppression. Basistherapeutikum stellen Kortikosteroide dar, in einigen Fällen können auch andere immunsuppressive Substanzen angewendet werden (bspw. Vedolizumab bei Kolitiden oder Infliximab bei Pneumonitis). In schweren oder therapierefraktären Fällen ist außerdem die Unterbrechung oder Beendigung der Checkpointinhibition zu bedenken, KIT können auf Monotherapien umgestellt werden.[2][4][9] Eine Dosisreduktion wird hingegen nicht empfohlen.[2]

Als generelle, orientierende Therapieprinzipien gilt in Abhängigkeit vom Schweregrad:[2][4][9]

Schweregrad Immunsuppression Checkpointinhibition
Grad I i.d.R. keine meist Fortsetzung
Grad II moderat dosierte Kortikosteroide (Initialdosis meist 0,5 bis 1mg/kg Prednisolonäquivalent per diem) bis zur Symptomreduktion auf Grad I, anschließend Ausschleichen über 4 bis 6 Wochen evtl. Pausierung, Wiederaufnahme bei Restitution von Symptomen und/oder Laborwerten
Grad III Hochdosierte Kortikosteroide (Initialdosis 1 bis 2 mg/kg Prednisolonäquivalent per diem) bis zur Symptomreduktion auf Grad I, anschließend Ausschleichen über 4 bis 6 Wochen

ggf. weitere Immunsuppressiva

Pausierung mit Wiederaufnahme bei Restitution von Symptomen und/oder Laborwerten; bei einigen irAEs (z.B. Pneumonitis, neurologische, okuläre und einige hämatologische irAEs) Beendigung der Therapie
Grad IV Hochdosierte Kortikosteroide wie bei Grad III

ggf. weitere Immunsuppressiva

meist dauerhafte Beendigung der Therapie

Detaillierte Handlungsalgorithmen in Einzelsituationen sind den Leitlinien der ASCO bzw. ESMO zu entnehmen.[2][9]

Eine Ausnahme stellen irAEs des Endokrinums dar. Da hier - abgesehen von der Hyperthyreose - meist ein unwiederbringlicher Verlust eines Hormons im Vordergrund steht, wird hier das jeweilige Hormon substituiert. Eine Pausierung der Immuntherapie kann je nach Schwere infrage kommen, generell sollte die Therapie jedoch auch bei Grad-IV-irAEs nicht beendet werden. Eine Immunsuppression ist eher von nachrangiger Bedeutung.[2][9]

8. Prognose

Die Prognose von immunvermittelten Nebenwirkungen ist schwer vorhersagbar. Generell lässt sich sagen, dass sich die meisten nicht-endokrinologischen irAEs unter leitliniengerechter Therapie innerhalb von 4 bis 8 Monaten entweder vollständig oder auf ein klinisch gut kontrolliertes Niveau zurückbilden.[4] Endokrinologische Nebenwirkungen mit Ausfall eines Hormons erfordern hingegen oft eine lebenslange Substitutionstherapie.[4]

Todesfälle als Folge einer immunmediierten Nebenwirkungen sind eher selten. Je nach verwendeter Substanzgruppe versterben etwa 0,4 % (anti-PD-1/-L1), 1 % (anti-CTLA4) oder 1,23 % (KIT) der behandelten Patienten an Nebenwirkungen der Checkpointblockade.[10] Todesfälle sind häufig auf Kolitiden, Pneumonitiden, Myokarditiden, schwere Myositiden mit Rhabdomyolyse oder auf ein Leberversagen zurückzuführen.[7]

9. Leitlinien

10. Einzelnachweise

  1. National Cancer Institute, Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE), Version 5.0. Cancer Therapy Evaluation Program, 2017. Aufgerufen am 05.01.2025.
  2. 2,00 2,01 2,02 2,03 2,04 2,05 2,06 2,07 2,08 2,09 2,10 Schneider et al., Management of Immune-Related Adverse Events in Patients Treated With Immune Checkpoint Inhibitor Therapy: ASCO Guideline Update. Journal of Clinical Oncology, 2021.
  3. Haanen et al., Management of toxicities from immunotherapy: ESMO Clinical Practice Guideline for diagnosis, treatment and follow-up - Supplemental material. Annals of Oncology, 2022. Siehe Tabelle S1, Seite 17ff.
  4. 4,00 4,01 4,02 4,03 4,04 4,05 4,06 4,07 4,08 4,09 4,10 4,11 4,12 Yin et al., Immune-related adverse events of immune checkpoint inhibitors: a review. Frontiers in immunology, 2023.
  5. 5,0 5,1 Xu et al., Comparative safety of immune checkpoint inhibitors in cancer: systematic review and network meta-analysis. British Medical Journal, 2018.
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 Buchtele et al., Nebenwirkungen nach Immuncheckpointinhibitortherapie. Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin, 2023.
  7. 7,0 7,1 7,2 7,3 7,4 7,5 7,6 7,7 Martins et al., Adverse effects of immune-checkpoint inhibitors: epidemiology, management and surveillance. Nature Reviews - Clinical Oncology, 2019.
  8. Barroso-Sousa et al., Incidence of Endocrine Dysfunction Following the Use of Different Immune Checkpoint Inhibitor Regimens. JAMA Oncology, 2018
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 9,4 9,5 Haanen et al., Management of toxicities from immunotherapy: ESMO Clinical Practice Guideline for diagnosis, treatment and follow-up. Annals of Oncology, 2022.
  10. Wang et al., Fatal Toxic Effects Associated With Immune Checkpoint Inhibitors. JAMA Oncology, 2018.

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