(Weitergeleitet von ITP)
Synonyme: Morbus Werlhof, Werlhof-Krankheit, Purpura haemorrhagica, Autoimmunthrombozytopenie, idiopathische thrombozytopenische Purpura, idiopathische Thrombozytopenie
Englisch: immune thrombocytopenic purpura, idiopathic thrombocytopenic purpura, idiopathic immune thrombocytopenia, primary immune thrombocytopenia, idiopathic thrombocytopenic purpura, primary immune thrombocytopenic purpura, autoimmune thrombocytopenic purpura
Unter der Immunthrombozytopenie, kurz ITP, versteht man eine erworbene Thrombozytopenie aufgrund einer Autoimmunreaktion gegen Thrombozyten und Megakaryozyten. Dabei liegt die Thrombozytenzahl per definitionem wiederholt unter 100.000/µl.
Der frühere Begriff idiopathische thrombozytopenische Purpura sollte nicht mehr verwendet werden, da die ITP aufgrund der Erkenntnisse zur ursächlichen Immundysregulation nicht als idiopathisch bezeichnet werden kann. Außerdem tritt eine Purpura nicht bei allen ITP-Patienten auf.
Die Inzidenz der Immunthrombozytopenie liegt bei Erwachsenen bei etwa 0,2-0,4 Neuerkrankungen pro 10.000 Einwohner pro Jahr. Die Prävalenz beträgt 0,9-2,6 pro 10.000.
Bei Kindern und Jugendlichen beträgt die Inzidenz 0,2-0,7/10.000/Jahr und die Prävalenz 0,4-0,5/10.000. Die geringere Prävalenz liegt darin begründet, dass die ITP bei Kindern nur in 20-30 % d.F. chronisch verläuft; bei Erwachsenen hingegen in 60 %.
Das mittlere Erkrankungsalter beträgt zwischen 50-55 Jahren, wobei zunehmend ältere Personen an einer ITP erkranken. Mädchen und Frauen sind grundsätzlich häufiger betroffen, ab dem 60. Lebensjahr überwiegt dann jedoch das männliche Geschlecht.
Bei Kindern tritt eine akut verlaufende ITP häufiger im Frühjahr auf, vermutlich da sie oft durch Infekte im Winter getriggert wird.
Bei der ITP unterscheidet man zwischen zwei Formen:
Form | Ursache |
---|---|
Primäre ITP (80%) | keine auslösende Ursache erkennbar |
Sekundäre ITP (20%) |
|
Das gleichzeitige Vorliegen einer ITP und einer autoimmunhämolytischen Anämie wird als Evans-Syndrom bezeichnet.
Eine ITP ist weiterhin mit einer Helicobacter-pylori-Infektion der Magenschleimhaut assoziiert, insbesondere bei Patienten in Asien. Die pathogenetische Bedeutung ist derzeit (2020) unklar, trotzdem sollten erwachsene ITP-Patienten auf Helicobacter untersucht werden und ggf. eine Eradikationstherapie erhalten.
Die ITP ist eine erworbene Thrombozytopenie, die durch eine Autoimmunreaktion gegen Thrombozyten und Megakaryozyten entsteht. Dabei spielen verschiedene Pathomechanismen eine entscheidende Rolle:
Patienten mit ITP besitzen Autoantikörper gegen Oberflächenproteine von Thrombozyten (z.B. Glykoprotein Ib/IX oder Glykoprotein IIb/IIIa). Diese Antikörper-markierten Thrombozyten binden an Fc-Rezeptoren von Makrophagen und dendritischen Zellen in Milz und Leber und werden vermehrt abgebaut. Außerdem können die Antikörper Thrombozyten über eine Komplementaktivierung schädigen. Geschädigte Thrombozyten binden vermehrt an Ashwell-Morell-Rezeptoren in der Leber und werden abgebaut.
Des Weiteren können die Autoantikörper auch zur Thrombozytopathie führen, was eine verstärkte Blutungsneigung zur Folge hat.
Bei der ITP findet sich eine verminderte Zahl an regulatorischen T-Lymphozyten (TREGs), sodass eine Immundysregulation die Folge ist. Die Ursache dieses Ungleichgewichts ist derzeit (2020) unklar. Möglicherweise spielen mesenchymale Stammzellen hierbei eine Rolle, die bei ITP-Patienten vermindert und funktionsgestört sind. T-Lymphozyten können weiterhin direkt Thrombozyten und Megakaryozyten schädigen.
Autoantikörper schädigen nicht nur Thrombozyten, sondern auch Megakaryozyten. Hierbei binden die Antikörper insbesondere an GP Ib/IX. Auch Antikörper gegen Thrombopoietin können vorkommen. Daneben findet sich häufig ein relativer Thrombopoietinmangel, also ein nicht ausreichend hoher Spiegel, vermutlich weil Thrombopoietin an Thrombozyten bindet und folglich vermehrt abgebaut wird. Auch die reaktiv erhöhte Zahl an Megakaryozyten im Knochenmark führt zur Bindung von Thrombopoietin. Zuletzt führen Antikörper gegen Glykoprotein Ib zur reduzierten Thrombopoietinsynthese in der Leber.
Eine ITP manifestiert sich primär in Form einer erhöhten Blutungsneigung.
Typische blutungsbedingte Symptome bei ITP-Patienten sind:
Eher untypisch sind flächenhafte Hämatome (Ekchymosen bzw. Sugillationen) sowie Gelenkblutungen.
Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung haben 10 % der pädiatrischen und 20-30 % der erwachsenen Patienten keine Blutungssymptome. Im chronischen Stadium finden sich Blutungssymptome bei 60-70 % der Patienten. Grundsätzlich ist die Blutungsneigung bei ITP relativ gering, im Vergleich zu einer vergleichbaren Thombozytopenie anderer Ursache.
Als Folge des vermehrten Blutverlustes kann es weiterhin zu Symptomen einer Eisenmangelanämie kommen.
ITP-Patienten haben ein erhöhtes Infektionsrisiko, da Thrombozyten auch eine Rolle bei der Infektabwehr spielen. Außerdem beklagen viele Betroffene Erschöpfungssymptome, Fatigue, kognitive Funktionseinschränkungen und depressive Störungen. Die Ursache hierfür ist derzeit (2020) unklar und vermutlich mutlifaktoriell bedingt (Einschränkungen der körperlichen Aktivität und der sozialen Teilhabe, Schlafstörungen etc.)
Eine ITP führt zu einem zweifach erhöhten Risiko von venösen und arteriellen Thromboembolien. Ausgenommen sind Patienten mit einer Thrombozytenzahl < 50.000/µl. Der Grund für die Thrombophilie ist derzeit (2020) unklar. Besonders hoch ist das Risiko:
Bei der ITP handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Sie manifestiert sich labordiagnostisch in Form einer Thrombozytopenie (bei der ITP als < 100.000/µl definiert) bei sonst normalem peripherem Blutbild und Blutausstrich.
Zur Basisdiagnostik sollten folgende Aspekte evaluiert werden:
Die Einteilung in Stadien ist von therapeutischer Relevanz. Man unterscheidet in Abhängigkeit von der Diagnosestellung (und unabhängig vom Symptombeginn):
Zur Einschätzung der klinischen Blutungsneigung wird bei ITP-Patienten eine Stratifizierung entsprechend der Blutungsgrade nach WHO vorgenommen:
WHO-Blutungsgrad | Beschreibung |
---|---|
0 |
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I |
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II |
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III |
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IV |
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Für pädiatrische Patienten eignet sich der modifizierte Buchanan-Score:[1]
Grad | Beschreibung |
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0 |
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1 |
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2 |
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3a |
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3b |
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4 |
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5 |
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Der TH2-Score dient der Beurteilung des Thrombose- und Blutungsrisikos, um festzustellen, ob der ITP-Patient ggf. eine Antikoagulation benötigt:
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+ 1 |
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+ 1 |
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- 1 |
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- 1 |
Bei einem TH2-Score von 0-2 ist das Thromboserisiko höher, bei Werten von -2 bis -1 überwiegt das Blutungsrisiko.
Die ITP muss von anderen Ursachen einer Thrombozytopenie abgegrenzt werden. Beispielsweise kann pathogenetisch eine verminderte Thrombozytenbildung zu Grunde liegen. Mögliche Ursachen dafür sind:
Immunologisch bedingte Thrombozytopenien finden sich auch nach Einnahme von Heparin (HIT) oder Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten sowie bei posttransfusioneller Purpura, Schwangerschafts-assoziierter Thrombozytopenie sowie der neonatalen Alloimmunthrombozytopenie (NAIT).
Nicht immunologisch bedingte Ursachen eines erhöhten Thrombozytenverbrauchs finden sich bei mikroangiopathischen hämolytischen Anämien (z.B. TTP, HUS), Verbrauchskoagulopathie, Willebrand-Jürgens-Syndrom Typ IIb, massiver Lungenembolie, großen Hämangiomen (z.B. Kasabach-Merritt-Syndrom) und Aneurysmen.
Weitere Formen der Thrombozytopenien treten im Rahmen einer Splenomegalie (Hypersplenismus), bei massiver Blutung und bei schweren Infektionen auf.
Zuletzt muss auch an eine Pseudothrombozytopenie gedacht werden.
Bei Vorliegen von palpablen Petechien muss eine Vaskulitis erwogen werden. Flächenhafte Hämatome oder Gelenkblutungen lassen an eine plasmatische Gerinnungsstörung (z.B. Hämophilie A oder B) denken. Die wichtigste Differenzialdiagnose einer neu-diagnostizierten ITP im Kindesalter ist eine akute lymphatische Leukämie (ALL).
ITP | TTP | DIC |
---|---|---|
IgG-Antikörper gegen Thrombozyten | Endotheldefekt | Überschuss/Aktivierung von Thrombin |
INR und PTT normal | INR und PTT normal | INR und PTT erhöht |
Fibrinogen und D-Dimer normal | Fibrinogen und D-Dimer normal | Fibrinogen erniedrigt, D-Dimer erhöht |
weniger symptomatisch | stärker symptomatisch | stärker symptomatisch |
Die Therapie der ITP ist abhängig von der Blutungsneigung, der Thrombozytenzahl, dem Krankheitsstadium und -verlauf sowie von weiteren individuellen Faktoren. Es existiert kein Schwellenwert der Thrombozytenzahl, bei dessen Unterschreiten eine Behandlung grundsätzlich indiziert ist.
Außerdem sollten Einschränkungen der Lebensqualität erfasst und auf Fatigue-Symptome geachtet werden. Patienten mit ITP können Sport machen; bei Thrombozytenzahlen < 50.000/µl sollten Kampf- und Kontaktsportarten vermieden werden.
Eine Therapie ist bei folgenden Patienten mit neu-diagnostizierter ITP zu erwägen:
In anderen Fällen kann auch abgewartet werden (Watchful Waiting).
Zur Erstlinienthereapie eignen sich Glukokortikoide. Sie wirken immunsuppressiv und sollen die Bildung der Autoantikörper hemmen. Nach Absetzen der Steroide fallen die Thrombozytenwerte jedoch häufig wieder ab, sodass dauerhafte Remissionen eher selten sind.
Die Therapiedauer sollte mindestens drei Monate betragen, wobei deutlich längere Therapien keine Verbesserung der Ansprechrate erbringen. Außerdem müssen vorbeugende Maßnahmen zur Reduktion von Nebenwirkungen beachtet werden (z.B. Osteoporoseprophylaxe).
Bevorzugt wird Dexamethason eingesetzt, jedoch ist auch die Gabe von Prednisolon oder Methylprednisolon möglich.
Pädiatrischen Patienten mit chronischer ITP sollten in speziellen Zentren betreut werden, da bisher kein Therapiestandard definiert ist. Zur Erstlinientherapie werden ebenfalls häufig Glukokortikoide eingesetzt, jedoch kann in vielen Fällen auf eine Therapie verzichtet werden.
Bei schweren oder lebensbedrohlichen Blutungen werden zusätzlich intravenöse Immunglobuline (IVIG) verabreicht. Sie blockieren die Phagozytose von antikörperbeladenen Thrombozyten und führen zu einem schnellen Anstieg der Thrombozytenzahl, jedoch ohne eine anhaltende Remission zu erzielen. Anti-D-Immunglobulin führt zur limitierten Hämolyse mit Absättigung der Fc-Rezeptoren durch antikörperbeladene Zellen und bewirkt damit die Hemmung der Fc-Rezeptorfunktion. Es ist jedoch nur bei Rhesus-positiven Patienten mit erhaltener Milzfunktion wirksam. Die in Deutschland erhältlichen Präparate (z.B. Rhophylax®, Rhesonativ®) sind nur für die Prophylaxe des Morbus haemolyticus neonatorum zugelassen. Rozrolimupab, eine Mischung aus 25 rekombinanten monoklonalen Anti-D-Immunglobulinen, ist derzeit (2020) noch nicht zugelassen.[2]
Bei schweren Blutungen können weiterhin Thrombozytenkonzentrate zum kurzfristigen Anstieg der Thrombozytenzahl und Sistieren der Blutung eingesetzt werden. Sie bergen jedoch das Risiko einer Induktion von Auto- oder Alloantikörpern.
Auch der zusätzliche Einsatz von Rituximab oder Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten (TRA) kann notwendig sein. Rituximab induziert eine Depletion von B-Zellen, sodass weniger Autoantikörper gebildet werden. TRA sind nur für die chronische ITP zugelassen, jedoch können auch Patienten mit neu-diagnostizierter oder persistierender ITP im Notfall von der Gabe profitieren. Meist werden die TRA dann mit Glukokortikoiden kombiniert. Romiplostim (Nplate®) ist seit 2009, Eltrombopag (Revolade®) seit 2010 in der EU zugelassen.
In seltenen Fällen ist bei einer schweren Blutung eine Notfallsplenektomie indiziert.
Eine Zweitlinientherapie kann eingeleitet werden, wenn:
Dabei ist die Indikation zur Behandlung immer eine individuelle Entscheidung. Kommt es beispielsweise nach 6 Monaten zu einem Rezidiv, kann nochmal eine Erstlinientherapie versucht werden. Eine medikamentöse Zweitlinientherapie kann bei Patienten mit WHO-Blutungsneigung 0° bis II° erwogen werden. Bei schweren Blutungen (III-IV°) besteht immer eine Therapieindikation.
Thrombopoietin-Rezeptor-Agonisten (TRAs) führen bei über 90 % der Patienten zu einem kurzfristigen, bei 30-90 % der Patienten zu einem langfristigen Ansprechen. Der Zielbereich der Thrombozytenzahl liegt bei 50.000-150.000/µl; eine Normalisierung wird nicht angestrebt. Eltrombopag und Romiplostim sind nicht kreuzresistent, d.h. wenn der eine TRA nicht ausreichend wirksam ist, kann durchaus der andere noch ansprechen. Während Eltrombopag per os appliziert wird, muss Romiplostin subkutan gegeben werden. Die Wirkstoffe besitzen weitgehend ähnliche Nebenwirkungen und unterscheiden sich kaum in der Wirksamkeit.
Nach dem Absetzen von TRAs finden sich anhaltende Remissionen bei 13-30 % der Patienten. Entsprechend kann bei Thrombozytenzahlen, die sich längere Zeit im Zielbereich befinden, ein Absetzversuch unternommen werden, jedoch ist ein langsames Ausschleichen über Monate notwendig.
Weitere bisher (2020) in Europa nicht zugelassene TRAs sind:
Sprechen Patienten unter TRA-Monotherapie nicht an, kann die Kombination mit einem niedrig dosierten Steroid erwogen werden.
Weitere Optionen der Zweitlinientherapie sind:
Behandlungsmöglichkeiten in der Drittlinientherapie sind:
Die einzelnen Arzneistoffe müssen z.T. off label eingesetzt werden und können auch untereinander kombiniert werden.
Ungefähr ⅓ bis ⅔ der Patienten mit chronischer ITP erreichen z.T. noch nach mehreren Jahren eine partielle oder komplettte Remission. Dabei gibt es jedoch keinen Marker, der verlässlich einen chronischen Verlauf vorhersagen kann. Für einen selbstlimitierenden Verlauf sprechen:
Ein chronischer Verlauf findet sich hingegen häufiger bei:
Angaben zum Blutungsrisiko und zur Mortalität basieren meist auf alten Studien und sind aufgrund von veränderten Therapiemaßnahmen wenig aussagekräftig. Die Mortalität liegt in aktuellen pädiatrischen Studien bei 0 %, bei Erwachsenen bei 0-7 %.
Zur Einschätzung des Grades der Behinderung (GdB) nach SGB IX ist lediglich die Beurteilung der Blutungsneigung ausschlaggebend.
Fachgebiete: Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie
Diese Seite wurde zuletzt am 18. November 2020 um 18:39 Uhr bearbeitet.
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