Fokal-segmentale Glomerulosklerose
Synonyme: Fokal sklerosierende Glomerulonephritis, fokal-segmental sklerosierende Glomerulonephritis, fokal-segmental sklerosierende Glomerulopathie, fokal sklerosierende Glomerulosklerose, fokale und segmentale Hyalinose und Sklerose, FSSGN
Englisch: focal segmental glomerulosclerosis, focal glomerular sclerosis, focal nodular glomerulosclerosis
Definition
Die fokal-segmentale Glomerulosklerose, kurz FSGS, beschreibt eine pathohistologische Form der Glomerulonephritis, bei der einige Glomeruli segmentale Vernarbungen aufweisen. Sie manifestiert sich i.d.R. als nephrotisches Syndrom.
Epidemiologie
Die Inzidenz der FSGS nimmt seit Jahren zu. Ungefähr ein Drittel aller nephrotischen Syndrome bei Erwachsenen und die Hälfte d.F. bei Menschen schwarzer Hautfarbe werden durch eine FSGS verursacht. Die fokal sklerosierende Glomerulonephritis tritt vor allem bei Personen unter 50 Jahren auf und betrifft vornehmlich Männer. Der Hälfte aller Glomerulonephritiden von Kindern und Jugendlichen unter Nierenersatztherapie liegt eine FSGS zugrunde.
Ätiologie
Je nach Ursache unterscheidet man zwischen:
- primärer FSGS: idiopathisch
- sekundärer FSGS: durch eine bekannte Grunderkrankung ausgelöst
Sekundäre FSGS
Zu den möglichen Grunderkrankungen bei einer sekundären FSGS zählen:
- Viruserkrankungen (HIV, Hepatitis B, Hepatitis C, Parvovirus-Infektion)
- Schistosomiasis
- hypertensive Nephropathie
- diabetische Nephropathie
- chronische Pyelonephritis
- ausgeprägte Adipositas (siehe: ORG)
- Refluxnephropathie
- Cholesterinembolie
- Sichelzellanämie
- Lymphome
- Strahlennephritis
- Antiphospholipid-Syndrom
- schwere Präeklampsie
- Drogen, Medikamente (Heroin, Ecstasy, Analgetika, Bisphosphonate, Ciclosporin, Interferon)
- Oligomeganephronie
- renale tubuläre Dysgenesie
- Alport-Syndrom
- Granulomatose mit Polyangiitis, mikroskopische Polyangiitis: Vaskulitis mit meist segmentaler nekrotisierender Glomerulonephritis und Halbmondbildung
- systemischer Lupus erythematodes (Lupusnephritis): eine fokale Sklerose wird als Klasse-III-Läsion bezeichnet; meist nephritisches Sediment.
- genetische Podozytopathien:
- NPHS1-Mutatation (Nephrin)
- NPH2-Mutatation (Podocin)
- TRPC6-Mutatation
- ACTN4-Mutatation (Alpha-Aktinin 4)
- CD2AP-Mutation (CD2-assoziiertes Protein)
- INF2-Mutation (Charcot-Marie-Tooth-Neuropathie)
- α-Galaktosidase-A-Mangel (Morbus Fabry)
- N-Acetylneuraminsäure-Hydrolasemangel (Nephrosialidose)
- LMX1B-Mutation (Nagel-Patella-Syndrom)
- WT1-Mutation (Frasier-Syndrom)
Pathogenese
Primäre FSGS
Die Pathogenese der primären fokal-segmentalen Glomerulosklerose ist derzeit (2020) nicht endgültig geklärt. Zu den möglichen Mechanismen zählen:
- T-Zell-vermittelter zirkulierender Permeabilitätsfaktor
- vermehrte lösliche Urokinase-Rezeptoren (suPAR): Das Protein findet sich physiologischerweise in niedrigen Konzentrationen im Plasma und spielt eine Rolle für die Migration von neutrophilen Granulozyten oder bei der Stammzellmobilisation. Bei zwei Drittel der Patienten kann ein deutlich erhöhter suPAR-Wert im Blut festgestellt werden. Dadurch soll es zu einer Aktivierung von podozytärem β3-Integrin kommen, das die epithelialen Fußfortsätze schädigt.
Polymorphismen am APOL1-Locus, der für das in Podozyten exprimierte Apolipoprotein L1 kodiert, erklären die höhere Krankheitslast durch FSGS bei Afroamerikanern. Diese Polymorphismen scheinen das Risiko einer Infektion u.a. mit Trypanosoma brucei rhodesiense zu reduzieren.
Sekundäre FSGS
Die sekundären Formen der FSGS entstehen durch
- primäre Schädigung der Podozyten (z.B. HIV-Nephropathie, lysosomale Speicherkrankheiten, Diabetes mellitus, genetische Podozytopathien, Toxine)
- als Folge funktioneller und struktureller Anpassungsvorgänge (diabetische Nephropathie, Adipositas, Morbus Fabry)
- oder aufgrund der Abnahme der Zahl funktionstüchtiger Nephrone (z.B. Nierenfehlbildungen, Refluxnephropathie, Analgetikanephropathie, Sichelzellanämie, Präeklampsie, Cholesterinembolie, arterielle Hypertonie).
Insgesamt sind die sekundären Formen der FSGS meist Folge der kompensatorischen glomerulären Hypertrophie und Hyperfiltration. Pathogenetisch spielen u.a. direkte Effekte eines erhöhten intraglomerulären Drucks, zirkulierende Zytokine (TGF-β), Angiotensin II und Infiltration von Makrophagen eine Rolle. Somit kann die FSGS letztlich eine Endstrecke von vielen Erkrankungen darstellen.
Klinik
Bei der fokal-segmentalen Glomerulosklerose sind Hämaturie, Hypertonie, alle Schweregrade von Proteinurie und Niereninsuffizienz möglich. Initial weisen die meisten Patienten lediglich Ödeme auf.
Bei Vorliegen von Risikofaktoren (Proteinurie im nephrotischen Bereich, afroamerikanische Herkunft, Niereninsuffizienz) entwickelt sich in 50 % d.F. ein terminales Nierenversagen innerhalb von 6-8 Jahren. Sekundäre Formen verlaufen meist nur langsam progredient. Spontanremissionen sind selten.
Diagnostik
Anamnestisch lassen sich häufig vorausgehende obere Atemwegserkrankungen feststellen. Die FSGS kann auch erstmalig in der Schwangerschaft auftreten oder sich während der Schwangerschaft verschlimmern.
Die Urindiagnostik zeigt eine Proteinurie, die meist im nephrotischen Bereich liegt. Weiterhin kann eine Mikro- oder Makrohämaturie, eine arterielle Hypertonie sowie eine Nierenfunktionseinschränkung auffallen. Die Diagnosesicherung erfolgt durch eine Nierenbiopsie.
Pathohistologie
Lichtmikroskopisch sind bei der FSGS einzelne Schlingenläppchen wegen Einlagerung eines PAS-positiven Materials hyalinisiert und enthalten endotheliale Schaumzellen. Immunhistochemisch entsprechen diese Depots einem unspezifischen, grob-granulären Ablagerungsmuster von "abgefangenem" IgM und/oder C3-Komplement. Die betroffenen Glomerulusschlingen sind z.T. mit der Glomeruluskapsel verwachsen (Synechie) und vernarben. Dabei sind jedoch nur einige Glomeruli ("fokal"), insbesondere am kortikomedullären Übergang, betroffen. Daher kann bei nur oberflächlicher Biopsie die Fehldiagnose einer Minimal-Change-Glomerulonephritis (MCGN) resultieren. Weiterhin sind auch nur einige Anteile der Glomeruluskapillare vernarbt ("segmental").
Die nicht betroffenen Glomeruli erscheinen histologisch normal, zeigen aber elektronenmikroskopisch wie auch bei einer MCGN eine Fußfortsatzverplattung der Podozyten (Podozytopathie). Im Verlauf kommt es zu einer Tubulusatrophie und interstitiellen Fibrose.
Subtypen
Man unterscheidet 5 Subtypen der FSGS, die eine prognostische Relevanz haben:
- FSGS mit Schlingenkollaps: schnelle Verschlechterung der Nierenfunktion, v.a. bei HIV-Infektion
- FSGS mit endokapillärer Hyperzellularität und ausgeprägter Proteinurie
- perihiläre FSGS
- FSGS mit sogenannten glomerulären Tip Lesions (Verklebung der Kapillarschlingen mit der Bowman-Kapsel): beste Prognose
- nicht weiter klassifizierbare FSGS
Therapie
Primäre FSGS
Patienten mit primärer FSGS werden mit RAAS-Inhibitoren (z.B. ACE-Hemmer, Sartane) und mit Glukokortikoiden (0,5-1 mg/kgKG/d Prednison) behandelt. Letztere führen nach sechs- bis neunmonatiger Gabe nur bei 20-45 % der Patienten zu einer Remission der Proteinurie ("steroidresistentes nephrotisches Syndrom"). In steroidrefraktären Fällen kann Ciclosporin oder ggf. Cyclophosphamid verabreicht werden, wobei es nach Absetzen häufig zu Rezidiven kommt. Die therapeutische Bedeutung von Rituximab, Tacrolimus oder Mycophenolatmofetil ist unklar.
Nach Nierentransplantation entsteht bei 25-40 % der Patienten ein Rezidiv, das in 50 % d.F. zu einem Transplantatverlust führt. Bei rezidivierender FSGS nach Transplantation kommt eine Plasmapherese in Frage.
Sekundäre FSGS
Bei einer sekundären FSGS steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund. Die Proteinurie sollte reduziert, der Blutdruck auf unter 125/75 mmHg eingestellt, Vasodilatatoren vermieden und RAAS-Hemmer bevorzugt eingesetzt werden. Weiterhin wird eine kochsalzarme und eiweißreduzierte Ernährung sowie die Einnahme eines Statins empfohlen. Der BMI sollte auf unter 25 gesenkt werden. Glukokortikoide und andere Immunsuppressiva spielen bei der sekundären FSGS keine Rolle.