Chronische Niereninsuffizienz (Katze)
Synonyme: Chronisches Nierenversagen, chronische Nierenerkrankung, CNI/CNE
Englisch: chronic renal insufficiency, CRI
Definition
Die chronische Niereninsuffizienz ist die häufigste Nierenerkrankung der Katze. Sie ist durch einen progressiven und irreversiblen Verlust der Nierenfunktion gekennzeichnet.
Vorkommen
Ätiologie
Es sind etliche Ursachen in der Literatur beschrieben, jedoch ist der tatsächliche Auslöser in den meisten Fällen nicht mehr feststellbar.
Primäre Auslöser | |
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tubulointerstitiell: |
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vaskulär: |
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glomerulär: |
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Sammelröhrchen/Nierenbecken: |
Pathophysiologie
Unabhängig vom Auslöser kommt es bei einer chronischen Nierenerkrankung in den meisten Fällen zu einer chronischen interstitiellen Nephritis, die zu einem Funktionsverlust einzelner Nephrone führt. Der Organismus reagiert darauf mit einer kompensatorischen Hypertrophie der noch verbleibenden und intakten Nephrone, sodass die typische Morphologie des Organs deutlich verloren geht. In weiterer Folge kommt es zu einer intraglomerulären Hypertension und Hyperfiltration. Diese erhält anfänglich die Nierenfunktion aufrecht, führt jedoch auch zu einer weiteren Schädigung der Niere und reduziert die glomeruläre Filtrationsrate deutlich (spontane Progression).
Sind mehr als zwei Drittel aller Nephrone beider Nieren nicht mehr funktionsfähig, kommt es zu einer verminderten Urinkonzentrierungsfähigkeit (spezifisches Harngewicht < 1.035) mit konsekutiver Polyurie und Polydipsie (PU/PD). Bei einer Zerstörung von mehr als 75 % aller Nephrone entwickelt sich eine Azotämie.
Klinik
Die chronische Niereninsuffizienz äußerst sich u.a. durch Anorexie, Polyurie und Polydipsie, Lethargie, Erbrechen und Gewichtsverlust.
Im Vergleich zu an chronischer Niereninsuffizienz erkrankten Hunden, wird bei Katzen eine PU/PD deutlich seltener beobachtet. Gleichzeitig zeigen viele erkrankte Katzen eine normale Wasseraufnahme sowie einen physiologischen Harnabsatz inkl. konzentriertem Urin (spezifisches Harngewicht > 1.035). Abhängig vom Schweregrad begleitender urämischer Komplikationen können betroffene Katzen an einer Vielzahl weiterer Symptome leiden, z.B. Ulzerationen in der Maulhöhle, Pankreatitis, Hypertension, Hypothermie, Perikarditis und Pleuritis.
Diagnose
Die Verdachtsdiagnose ergibt sich aus
- der typischen Klinik
- den Befunden der klinischen Untersuchung (Dehydratation, verminderter Ernährungszustand, Anämie, Ödeme, Foetor ex ore, Arrhythmien, Hypertension u.ä.)
- dem Ausschluss sämtlicher Differenzialdiagnosen (prä- sowie postrenale Ursachen einer Atozämie wie z.B. Ureterobstruktion)
- den Ergebnissen verschiedener Untersuchungsverfahren
Untersuchungsverfahren
Neben der Harnanalyse ist sowohl das Blutbild als auch die Serologie zu überprüfen. Zusätzlich sind mehrere Blutdruckmessungen sowie verschiedene bildgebende Untersuchungsverfahren (Röntgen, Ultraschall, CT) indiziert.
Untersuchung | Befunde |
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Harnanalyse: |
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Hämatologie: |
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Serologie: |
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Blutdruck: |
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Bildgebung: |
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Stadieneinteilung
Die International Renal Interest Society (IRIS) unterscheidet vier verschiedene Stadien der chronischen Niereninsuffizienz anhand
- der Schwere der Azotämie
- dem Schweregrad der Proteinurie (U-P/C)
- dem Vorhandensein von Hypertension
Grad der Azotämie | ||
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IRIS-Stadium | Kreatinin | Information |
I | < 140 mmol/l (< 1,6 mg/dl) |
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II | 140 bis 249 mmol/l (1,6 bis 2,8 mg/dl) |
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III | 250 bis 439 mmol/l (2,9 bis 5,0 mg/dl) |
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IV | > 440 mol/l (> 5 mg/dl) |
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Ausmaß der Proteinurie | |
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U-P/C | Information |
< 0,2 | nicht proteinurisch |
0,2 bis 0,4 | grenzwertig proteinurisch |
> 0,4 | proteinurisch |
Ausmaß der Hypertension | ||
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systolischer Blutdruck (mmHg) | diastolischer Blutdruck (mmHg) | Risiko für Zielorgan |
< 150 | < 95 | 0 (minimales Risiko) |
150 bis 159 | 95 bis 99 | 1 (ggr. Risiko) |
160 bis 179 | 100 bis 119 | 2 (mgr. Risiko) |
≥ 180 | ≥ 120 | 3 (hgr. Risiko) |
Die Stadieneinteilung darf nur bei stabilen Patienten vorgenommen werden. Da bei abnehmender Muskelmasse das Kreatinin alleine den Nierenfunktionsverlust unterschätzen kann, ist eine Fehleinteilung möglich. Deshallb muss das SDMA zusätzlich ermittelt werden.
- liegt bei IRIS-Stadium II das SDMA > 25 µg/dl, muss wie im IRIS-Stadium III behandelt werden
- liegt bei IRIS-Stadium III das SDMA > 45 µg/dl, muss wie im IRIS-Stadium IV behandelt werden
Therapie
Die Therapie gestaltet sich aufgrund der Komplexität der Erkrankung und der unterschiedlichen Symptome umfangreich und muss bei jedem Patienten individuell angepasst werden.
Proteinurie
Eine signifikante Proteinurie (U-P/C > 0,4) ist in jedem IRIS-Stadium behandlungswürdigt. Eine grenzwertige Proteinurie (U-P/C 0,2 bis 0,4) sollte hingegen unter engmaschiger Kontrolle überwacht werden. Die Behandlung erfolgt durch die Verabreichung eines RAAS-Inhibitors (ACE-Hemmer oder AT1-Rezeptorantagonisten) sowie durch die Fütterung einer Nierendiät. Mögliche Wirkstoffe sind z.B.:
- Benazepril (ACE-Hemmer)
- Telmisartan (AT1-Rezeptorantagonist)
Die Therapie mit RAAS-Inhibitoren darf nur bei stabilen Katzen und nur dann, wenn kein zusätzlicher Volumenverlust erfolgt (z.B. Erbrechen), durchgeführt werden.
Hypertonie
Da etwa zwei Drittel aller Katzen mit chronischer Niereninsuffizienz im Verlauf ihrer Erkrankung an Hypertonie leiden, laufen sie Gefahr, andere Organsysteme (z.B. Gehirn oder Augen) langfristig zu schädigen. Gleichzeitig kann eine Hypertension zur Progression der Nierenerkrankung führen, weshalb eine adäquate Therapie stets indiziert ist. Ziel der Therapie ist, den Blutdruck unter 160 mmHg zu halten.
Die erste Wahl bei der Therapie des Bluthochdrucks ist Amlodipin (Kalziumkanalblocker). Mithilfe von Amlodipin kann eine Senkung des Blutdrucks um 30 bis 49 mmHg erreicht werden. Bei persistierender Hypertension ist zusätzlich ein RAAS-Inhibitor einzusetzen. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass die Senkung des Blutdrucks einen Anstieg des Kreatinins um bis zu 50 µmol/l ermöglichen kann, weshalb ein Blutdruck unter 120 mmHg zu vermeiden ist.
Dehydratation
Die meisten Katzen leiden zusätzlich an einer ausgeprägten Dehydratation, die als Begleiterscheinung durch die Polyurie sowie verminderte Wasseraufnahme und Erbrechen entsteht. Neben einem unlimitierten Zugang zu Frischwasser ist die Wasseraufnahme zu erhöhen (z.B. Nassfutter anbieten) und bei Bedarf auch zusätzlich eine parenterale Infusionstherapie einzuleiten.
Die Wahl der geeigneten Infusionslösung inkl. Zusätze ist vom Säure-Basen-Haushalt, dem Dehydrationszustand sowie dem Elektrolythaushalt abhängig und muss engmaschig überwacht und gegebenenfalls angepasst werden.
Ernährung
Bei einer chronischen Niereninsuffizienz ist die frühzeitige Umstellung auf eine adäquate Nierendiät ausschlaggebend für den Therapieerfolg. Hierzu stehen am Markt verschiedene kommerzielle Futtermittel zur Verfügung. Die spezifische Nierendiät berücksichtigt i.d.R. folgende Faktoren:
- niedriger Proteingehalt
- niedriger Phosphor- und Natriumgehalt
- erhöhter Kaliumgehalt
- optimales Verhältnis an Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren
Um die Futteraufnahme positiv zu unterstützen, können Appetitstimulanzien wie z.B. Mirtazapin oder Cyproheptadin eingesetzt werden.
Gastrointestinale Beschwerden
Aufgrund der Urämie kommt es zu unterschiedlichen gastrointestinalen Begleiterscheinungen (Übelkeit, Erbrechen u.ä.), sodass eine gastroprotektive und antiemetische Behandlung indiziert ist:
- Omeprazol und Sucralfat
- Maropitant oder Ondansetron
Elektrolytverschiebungen
Eine Hyperphosphatämie ist ein unabhängiger Risikofaktor für die Progression der chronischen Niereninsuffizienz. Sie ist die Folge einer verminderten glomerulären Filtrationsrate und tritt meist erst ab IRIS-Stadium III auf (vorher wird die Ausscheidung über Parathormon kompensiert). Die Therapie erfolgt in erster Linie über eine Phosphatrestriktion in der Ernährung (Nierendiät). Bei ungenügendem Erfolg können zusätzlich Phosphatbinder (z.B. Aluminium- oder Kalziumsalze) eingesetzt werden.
Bei rund 20 bis 30 % der Katzen wird zusätzlich eine Hypokaliämie diagnostiziert. Die Behandlung erfolgt durch die Substitution von Kalium – häufig bereits im Rahmen der Nierendiät. Oftmals ist jedoch eine orale Supplementierung als Langzeittherapie notwendig.
Anämie
Aufgrund einer verminderten EPO-Produktion, gastrointestinalen Blutungen, verminderter Überlebenszeit der Erythrozyten sowie dem Effekt urämischer Toxine (z.B. PTH) auf die Erythropoese kommt es zur Ausbildung einer manifesten Anämie.
Eine Behandlung ist meistens dann notwendig, wenn der Hämatokrit unter 20 % fällt und die Katze klinische Symptome einer Anämie (z.B. Lethargie, pochender Puls) zeigt. Initial ist eine Bluttransfusion anzuraten. Parallel dazu kann Darbepoetin (0,25 bis 1 µg/kgKG 1x wöchentlich) verwendet werden. Zusätzlich ist eine Eisensubstitution einzuleiten und der Therapieerfolg wöchentlich zu kontrollieren.
Prognose
Die Überlebenszeit hängt von unterschiedlichen Faktoren (u.a. Grad der Azotämie, Proteinurie, dem Vorhandensein einer Anämie und der Compliance) ab.
Katzen mit IRIS-Stadium II leben im Durschnitt 38 Monate (zwischen 2 und 100 Monate), mit IRIS-Stadium III hingegen nur 23 Monate (zwischen 1 und 75 Monate). Liegt bereits ein IRIS-Stadium IV vor, so beträgt die mittlere Überlebenszeit nur mehr einen Monat (zwischen 0 und 46 Monate).
Literatur
- Schmidt V, Horzinek MC (Begr.), Lutz H, Kohn B, Forterre F (Hrsg.). 2015. Krankheiten der Katze. 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co KG. ISBN: 978-3-8304-1242-7
- Ettinger SJ, Feldman EC, Coté E. 2017. Textbook of Veterinary Internal Medicine. Diseases of the dog and cat. Eight edition. St. Louis, Missouri: Elsevier, Inc. ISBN: 978-0-3233-1211-0