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Alitretinoin

(Weitergeleitet von 9-cis-Retinsäure)

Handelsnamen: Alitrederm®, Panretin®, Toctino®
Synonyme: BAL4079, 9-cis-Retinsäure, 9-cis-Tretinoin
Englisch: alitretinoin, 9 cis retinoic acid

1. Definition

Alitretinoin ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Retinoide, der oral für die Behandlung des therapierefraktären Handekzems verwendet wird.

2. Chemie

Alitretinoin ist als Retinoid ein Derivat von Vitamin A. Seine Summenformel ist C20H28O2. Der chemische Name lautet

  • (2E,4E,6Z,8E)-3,7-Dimethyl-9-(2,6,6-trimethylcyclohexen-1-yl)nona-2,4,6,8-tetraenolsäure (IUPAC)

Die molare Masse beträgt 300,4 g/mol, der Oktanol-Wasser-Koeffizient (logP) 5,01. Die CAS-Nummer ist 5300-03-8. Die Substanz liegt bei Raumtemperatur als gelbes Pulver vor, das in Wasser unlöslich ist.

Strukturformel von Alitretinoin

3. Wirkmechanismus

Alitretinoin ist ein endogener, agonistisch wirkender Ligand am Retinsäurerezeptor (RAR) und Retinoid-X-Rezeptor (RXR). Die aktivierten Rezeptoren wirken als Transkriptionsfaktoren auf die Genexpression. Dadurch steuern sie die Zelldifferenzierung und -proliferation in gesunden und neoplastischen Zellen. Alitretinoin wirkt durch die Hemmung der Zytokinproduktion entzündungshemmend und immunmodulierend. Der genaue Wirkmechanismus von Alitretinoin beim chronischen Handekzem ist bisher (2024) noch nicht bekannt.

4. Pharmakokinetik

Alitretinoin wird nach oraler Aufnahme mit geringer und variabler Bioverfügbarkeit resorbiert. Bei gleichzeitigem Verzehr einer fettreichen Mahlzeit wird die Resorption mehr als verdoppelt. Nach topischer Anwendung wird Alitretinoin praktisch nicht resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden nach 4 Stunden erreicht, wenn gleichzeitig eine Mahlzeit mit 40 % Fettgehalt eingenommen wird. Die Plasmaproteinbindung beträgt 99 %, das Verteilungsvolumen 14 Liter (ca. 0,2 l/kgKG).

Die Biotransformation in der Leber erfolgt durch die Cytochrom-P450-Isoenzyme CYP2C9, CYP2C8 und CYP3A4. Der Metabolit 4-oxo-Alitretinoin ist die hauptsächliche Wirkungsform von Alitretinoin, die nach Glucuronidierung mit dem Urin eliminiert wird. Da Alitretinoin ein endogenes Retinoid ist, kann eine Eliminationshalbwertszeit im eigentlichen Sinn nicht angegeben werden. Der Alitretinoinspiegel sinkt innerhalb von 2 bis 3 Tagen nach Behandlungsende auf die endogene Konzentration ab. Bei der Untersuchung der Elimination mit radioaktiven Tracern wurde eine Eliminationshalbwertszeit von etwa 9 Stunden bestimmt.[1]

5. Indikationen

Die systemische Anwendung von Alitretinoin ist zur Behandlung schwerer chronischer Handekzeme zugelassen, die auf topische Kortikosteroide nicht ansprechen.[1]

Off-Label wird der Arzneistoff zur Behandlung von Hautläsionen im Zusammenhang mit AIDS-bedingten Kaposi-Sarkomen eingesetzt.

6. Darreichungsform

Alitretinoin steht in Form von Weichkapseln zur oralen Anwendung zur Verfügung.

7. Dosierung

Eine Dosis von 10 mg oder 30 mg einmal täglich wird empfohlen. Sie sollte zusammen mit einer Hauptmahlzeit jeweils zur gleichen Tageszeit eingenommen werden.[1]

Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.

8. Nebenwirkungen

Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Alitretinoin sind:[1]

Als weitere häufige Nebenwirkungen können auftreten:[1]

Unter der Behandlung mit Alitretinoin wurde über Depressionen, Angst, Aggressivität, Stimmungsschwankungen, psychotische Symptome und in sehr seltenen Fällen über Suizidgedanken, Suizidversuche und Suizide berichtet.

Unter systemischer Behandlung mit Retinoiden sind pathologische Veränderungen des Skelettsystems (z.B. vorzeitiger Epiphysenschluss, Hyperostose, Kalzinose von Sehnen und Bändern) und der Skelettmuskulatur (z.B. Myalgien, Arthralgien, Anstieg der Kreatinphosphokinase) aufgetreten.

9. Wechselwirkungen

Aufgrund des Risikos einer Hypervitaminose darf Alitretinoin nicht zusammen mit Vitamin A oder anderen Retinoiden eingenommen werden.

Die Wirkung von UV-Strahlung wird durch Retinoide verstärkt. Übermäßige Exposition mit Sonnenlicht (Verwendung von Sonnenschutzmittel mit einem Lichtschutzfaktor von mindestens 15) oder die Nutzung von Solarien sind zu vermeiden.

Wechselwirkungen können mit allen Wirkstoffen auftreten, die auch über die Cytochrom-P450-Isoenzyme CYP2C9, CYP2C8 und CYP3A4 metabolisiert werden. Starke Inhibitoren von CYP3A4 (z.B. Ketoconazol), CYP2C9 (z.B. Fluconazol, Miconazol, Oxandrolon) oder CYP2C8 (z.B. Gemfibrozil) lassen den Alitretinoin-Plasmaspiegel ansteigen und machen eine Dosisreduktion erforderlich. Andererseits kann Alitretinoin die Wirkung von CYP2C8-Substraten (z.B. Amiodaron Paclitaxel, Rosiglitazon, Repaglinid) verstärken, sodass eine gleichzeitige Anwendung nicht empfohlen wird.

10. Kontraindikationen

11. Schwangerschaft und Stillzeit

Alitretinoin hat wie alle Retinoide während der Schwangerschaft eine starke teratogene Wirkung und kann während der Organogenese multiple Missbildungen (Retinoid-Syndrom) des Zentralnervensystems, der Augen, des Herz-Kreislaufs und des Endokriniums auslösen. Daher ist die systemische Anwendung während der gesamten Schwangerschaft absolut kontraindiziert.

Patientinnen müssen einen Monat vor der Behandlung, während der Behandlung und einen Monat nach Behandlungsende eine Schwangerschaft verhindern, indem sie mindestens eine, vorzugsweise zwei wirksame Methoden der Empfängnisverhütung anwenden. Patientinnen, die mit Alitretinoin behandelt werden, müssen einen Monat vor der Behandlung, während der Behandlung und fünf Wochen nach Behandlungsende Schwangerschaftstests durchführen lassen.[2]

Aufgrund der physikochemischen Eigenschaften ist von einem Übertritt in die Muttermilch auszugehen. Die Anwendung von Alitretinoin während der Stillzeit ist wegen möglicher Risiken für den Säugling kontraindiziert.

12. Toxizität

Die akute Toxizität ist in Tierexperimenten an Mäusen und Ratten gering (LD50 bei intraperitonealer Applikation > 4.000 mg/kgKG nach 24 Stunden bzw. 1.400 mg/kgKG nach 10 Tagen; LD50 nach oraler Applikation 3.000 mg/kgKG). Die Symptome einer Vergiftung entsprechen einer Vitamin-A-Hypervitaminose. Bei mehr als einer 10-fachen Überdosierung traten starke Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit, Erbrechen (Hirndruckzeichen), Diarrhö, Gesichtsröte und Hypertriglyzeridämie auf. Nach Ingestion einer exzessiv hohen Dosis sind Alopezie, Leberschädigung und Hyperkalzämie zu erwarten.

Eine primäre Giftentfernung durch Verabreichung von Aktivkohle kann innerhalb einer Stunde nach der Ingestion erfolgen. Die weitere Behandlung erfolgt in jedem Fall symptomatisch. Ein spezifisches Antidot ist derzeit (2024) nicht verfügbar. Aufgrund der pharmakokinetischen Eigenschaften (hohe Plasmaproteinbindung) ist eine sekundäre Giftentfernung durch Hämodialyse nicht effektiv.

13. Zulassung

Alitretinoin wurde im Jahr 2000 durch die EMA zugelassen.[3] Die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Panretin® wurde auf Antrag des Inhabers der Genehmigung für das Inverkehrbringen zurückgenommen.

14. ATC-Code

  • D11AH04 - Mittel zur Behandlung der Dermatitis, exkl. Corticosteroide

15. Quellen

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Toctino. Fachinformation GlaxoSmithKline November 2015, abgerufen am 05.05.2024
  2. 2,0 2,1 Anwendungsrichtlinien und Therapieleitfaden für Ärztinnen/Ärzte und Apothekerinnen/Apotheker zur Verordnung und Abgabe von Toctino®, GSK Leitfaden SCHWANGERSCHAFTSVERHÜTUNGS-PROGRAMM, abgerufen am 04.05.2024
  3. Panretin (Alitretinoin). EMA/229702/2018, abgerufen am 04.05.2024

16. Weblinks

Stichworte: Arzneistoff, Ekzem, MeSH, Retinoid
Fachgebiete: Dermatologie, Pharmakologie

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06.05.2024, 15:10
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