IgA-Nephritis
Synonyme: IgA-Nephropathie, Morbus Berger, mesangioproliferative Glomerulonephritis
Definition
Bei der IgA-Nephritis - auch Morbus Berger genannt - handelt es sich um eine Immunkomplex-vermittelte Glomerulonephritis unklarer Ursache.
Epidemiologie
Die IgA-Nephritis ist weltweit gesehen die häufigste Form einer Glomerulonephritis. Ihr Anteil an allen Formen der primären Glomerulonephritis beträgt in Südeuropa etwa 20 %, in asiatischen Regionen wie Japan oder Korea etwa 30-50 %. In Nordeuropa und Nordamerika ist die IgA-Nephritis seltener.
Männer sind von der IgA-Nephritis 2-3 mal häufiger betroffen als Frauen. Das Erkrankungsalter der Patienten ist weit gestreut (Richtwert 6 bis 60 Jahre). Erkrankungsgipfel bestehen im 2. und 3. Lebensjahrzehnt. Selten wird eine familiäre Häufung beobachtet.[1]
Ätiopathogenese
Die genaue Ursache der IgA-Nephritis ist bis heute (2020) unklar. Sie tritt meist sporadisch nach einem Atemwegsinfekt auf.
Die familiäre IgA-Nephritis ist mit bestimmten Polymorphismen der Gene DEFA4, MYCT1, CARD9 und ZNF543 assoziiert. Auch bei den sporadischen Fällen scheint eine genetische Prädisposition vorzuliegen, die sich auch in der geographischen Verteilung der Krankheit zeigt. Dabei scheinen ebenfalls DEFA-Gene eine Rolle zu spielen, die für Defensine kodieren und an der mukosalen Immunreaktion beteiligt sind.
Pathophysiologie
Pathophysiologisch geht man bei der IgA-Nephritis modellhaft von einer Multi-Hit-Hypothese aus:[2][3]
- polygenetisch determinierte Produktion von galaktosedefizientem IgA1 (Gd-IgA1)
- Bildung von IgA- oder IgG-Autoantikörpern gegen Gd-IgA1
- Bildung von Immunkomplexen
- Ablagerung der Immunkomplexe im Mesangium der Niere mit Aktivierung des Komplementsystems und des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS)
Jede der vier Schritte wird sowohl durch genetische als auch exogene Faktoren beeinflusst.
Bildung von Gd-IgA1
Das bei Patienten mit IgA-Nephritis gefundene IgA weist häufig strukturelle Veränderungen auf. Hierbei ist gegenüber normalem IgA eine Störung der O-Glykosylierung zu beobachten: IgA1 besitzt normalerweise im Bereich der Gelenkregion (hinge region) der schweren Kette drei bis sechs O-Glykane. Das hauptsächlich vorkommende O-Glykan besteht aus einem Disaccharid aus N-Acetylgalactosamin (GalNAc) und Galaktose.
Bei der IgA-Nephritis besitzen die O-Glykane weniger Galaktose. Der Bildung von Gd-IgA1 liegt eine gestörte Expression und Aktivität von Glykosyltransferasen in sonst normalen Plasmazellen zugrunde. Hauptsächlich findet sich hierbei eine verminderte Aktivität von C1GALT1 (Core 1 Synthase, Glycoprotein-N-Acetylgalactosamine 3-Beta-Galactosyltransferase) und eine verstärkte Expression von ST6GALNAC2 (N-Acetylgalactosaminide Alpha-2,6-Sialyltransferase 2).
Vermutlich unterliegt die Bildung von Gd-IgA1 einem autosomal-dominanten Erbgang mit unterschiedlicher Penetranz, wobei mehrere Gene eine Rolle spielen. Des Weiteren können chronische Infektionen zu einer Überproduktion von IgA führen, also die genetische Anlage zur atypischen IgA-Bildung verstärken.[4]
Bildung von Autoantikörper
IgA1- und v.a. IgG-Autoantikörper erkennen Gd-IgA1 und bilden zusammen Immunkomplexe. Der Serumspiegel der Autoantikörper korreliert außerdem mit der Erkrankungsaktivität sowie mit der Krankheitsprogression.
Der Ursprung der IgG-Autoantikörper ist noch (2020) nicht geklärt. Vermutlich stammen sie aus B-Zellen des lymphatischen Gewebes der Schleimhäute (MALT). Beispielsweise könnten virale oder bakterielle Infekte über eine molekulare Mimikry die Bildung der Anti-Glykan-Autoantikörper induzieren.
Immunkomplexe
Die Immunkomplexe lagern sich an die Mesangiumzellen der Niere und lösen eine glomeruläre Entzündung und eine mesangiale Proliferation aus. Wie genau die Immunkomplexe an Mesangiumzellen binden, ist derzeit unklar. CD71 (Transferrin-Rezeptor 1) kann vermutlich polymere Gd-IgA1 und Gd-IgA1-Immunkomplexe binden. Ob auch sCD89 (löslicher Fcα-Rezeptor) und Transglutaminase 2 eine Rolle spielen, ist derzeit (2020) umstritten.
Die Bindung von Immunkomplexen an Mesangiumzellen induziert die lokale Freisetzung von Zytokinen (v.a. TNF, TGF-β). Ferner erhöht sie die Synthese von Extrazellularmatrix, aktiviert das Komplementsystem über den alternativen und Lektin-Weg und stimuliert das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System. Dadurch kommt es zu glomerulären Störungen, z.B. zu Veränderungen von Strukturen der Podozyten (Podocalyxin, Dendrin). Ablagerungen von IgA, IgG und C3 in den glomerulären Kapillarwänden tragen zur Progression bei.
Die o.a. Prozesse führen zu Hypertonie, Hämaturie und Proteinurie in unterschiedlicher Ausprägung, die zur Progression der Erkrankung bis hin zum Nierenversagen beitragen. Weitere Risikofaktoren (z.B. Rauchen) bedingen über mikrovaskuläre Störungen eine weitere Verschlechterung der Nierenfunktion.[5]
Klinik
Eine IgA-Nephritis zeigt in der Regel nur diskrete Symptome. Häufig findet sich in der Anamnese ein vorausgegangener Atemwegsinfekt. Nach 1-3 Tagen kann es bei über 50 % der Betroffenen zu intermittierender Makrohämaturie kommen, die meist spontan verschwindet. 30 bis 40 % der Patienten haben eine asymptomatische Mikrohämaturie mit oder ohne Proteinurie.
Während 40 % der Patienten eine Hypertonie im Sinne eines nephritischen Syndroms aufweisen, kommt ein nephrotisches Syndrom nur bei bis zu 10 % der Patienten vor. Schweren Verlaufsformen gehen mit Kreatininerhöhung und akutem Nierenversagen im Sinne einer rapid progressiven Glomerulonephritis (RPGN) einher.
Diagnostik
Der Verdacht auf eine IgA-Nephritis ergibt sich durch den klinischen Befund. Neben einer Hämaturie finden sich Erythrozytenzylinder im Urinsediment. In der Phasenkontrastmikroskopie zeigen sich dysmorphe Erythrozyten. Meist besteht eine unselektiv glomeruläre Proteinurie von unter 3 g/d. Des Weiteren finden sich bei 30-50 % der Patienten erhöhte Gesamt-IgA-Spiegel im Serum. Die Serumspiegel von Gd-IgA1 sind ebenfalls erhöht, wobei die Messung weder routinemäßig durchgeführt wird, noch diagnostisch wegweisend ist.
Eine Nierenbiopsie kann die Diagnose sichern, wird jedoch in der Regel aufgrund möglicher Risiken (z.B. Blutungen) und der fehlenden Konsequenz für die Therapie nur bei schwerem Verlauf durchgeführt.
Pathohistologie
Im immunhistologischen Präparat zeigt sich die IgA-Nephritis durch charakteristische Ablagerung im Mesangium der Nierenzellkörperchen. Dieses baumartig verzweigte Muster, bestehend aus immunhistochemisch anfärbbaren IgA-Komplexen sichert die Diagnose.
Im Lichtmikroskop können weiterhin eine Reihe von Läsionen beobachtet werden:
- diffus-proliferative Glomerulonephritis mit Vermehrung der Mesangiummatrix und der Mesangiumzellen.
- segmentale Sklerose
- z.T. zelluläre Halbmondbildung (im Rahmen einer RPGN)
Pathohistologisch wird der Schweregrad der IgA-Nephritis anhand der MEST-Klassifikation (auch Oxford-Klassifikation genannt) eingeteilt:
Kriterium | Schweregrad |
---|---|
Mesangiale Hyperzellularität |
|
Endokapilläre Hyperzellularität |
|
Segmentale Sklerose, Adhäsionen |
|
Tubulusatrophie, interstitielle Fibrose |
|
Differenzialdiagnose
IgA-Ablagerungen im glomerulären Mesangium kommen auch sekundär bei bestimmten Grunderkrankungen vor. Es existieren jedoch keine histologischen Unterscheidungskriterien zwischen einer primären und einer sekundären IgA-Nephritis. Wenn in diesen Fällen aber keine klinisch bedeutsame glomeruläre Entzündung vorliegt, wird hier häufig nicht von einer IgA-Nephritis gesprochen. Außerdem ist unklar, ob es sich bei einigen sekundären IgA-Nephritiden um einen kausalen Zusammenhang oder um eine zufällige Komorbidität handelt. Zu diesen Erkrankungen zählen:[6]
- Leberzirrhose
- nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH)
- Morbus Crohn, Colitis ulcerosa
- Virusinfektionen: HIV-Infektion, CMV-Infektion, Hepatitis B, Hepatitis C
- Borreliose
- Malaria, Schistosomiasis, Lepra
- systemischer Lupus erythematodes
- Zöliakie, Dermatitis herpetiformis
- Psoriasis vulgaris
- Sjögren-Syndrom
- rheumatoide Arthritis
- Spondylitis ankylosans
- idiopathische interstitielle Pneumonie
- COPD
- Mukoviszidose
- Multiples Myelom
- Mycosis fungoides
Klinische, histologische und Laborbefunde der IgA-Nephropathie ähneln außerdem der IgA-Vaskulitis (Purpura Schoenlein-Henoch). Diese kann durch Auftreten in jüngerem Lebensalter (< 20 Jahre), vorausgehende Infektionen und abdominelle Beschwerden unterschieden werden. Ob es sich um zwei eigenständige Krankheitsentitäten handelt, ist derzeit (2020) umstritten.
Therapie
Die Therapie der IgA-Nephritis orientiert sich am prognostischen Risiko:[7]
- niedriges Risiko: isolierte Mikrohämaturie mit/ohne Proteinurie < 500 mg/d, normale GFR, keine Hypertonie
- mittleres Risiko: persistierende Proteinurie > 500 mg/d
- hohes Risiko: akute oder rasche GFR-Abnahme, Proteinurie > 1 g/d
Bei niedrigem Risiko ist keine spezielle Therapie notwendig. Neben Verlaufskontrollen alle 6-12 Monate sollte prophylaktisch versucht werden, das Risiko für Atemwegsinfekte zu reduzieren.
Bei mittlerem Risiko sind supportive Therapiemaßnahmen indiziert. Dazu zählt die Gabe von ACE-Hemmern oder Sartanen über 3-6 Monate. Der Zielbereich des Blutdrucks liegt bei < 130/80 mmHg. Eine immunsuppressive Therapie bewirkt keinen prognostischen Vorteil.[8]
Bei hohem Risiko ist die zusätzliche Gabe von Glukokortikoiden und Cyclophosphamid notwendig.
Forschung
In klinischen Studien werden derzeit (2024) sog. Targeted-release formulations (TRF) von Budesonid und Sparsentan untersucht. Darüber hinaus wird die Wirksamkeit von Anti-APRIL- und Anti-BLyS/BAFF-Antikörpern, Komplementinhibitoren, Tyrosinkinaseinhibitoren, Anti-CD40-Liganden und Anti-CD38-Antikörpern getestet.[9][10]
Prognose
5-30 % der Patienten zeigen Spontanremissionen. Bei den seltenen schwereren Verlaufsformen mit globaler glomerulärer Sklerose ist die Prognose ungünstiger; hier entwickeln ca. 50 % der Patienten im Verlauf der Krankheit eine Niereninsuffizienz. Nach 10 Jahren sind rund 10 % der Patienten dialysepflichtig.[11] Insgesamt entwickeln 25 % der Patienten innerhalb von 20 Jahren nach Diagnosestellung eine terminale Niereninsuffizienz. Nach Nierentransplantation beträgt das Rezidivrisiko 40 %.
Bei der IgA-Nephritis entscheidet v.a. das Ausmaß der Proteinurie über die Prognose. Patienten mit einer Proteinurie > 3 g/d weisen eine Reduktion der GFR von 9 ml/min pro Jahr auf, bei einer Proteinurie von 1,0-3,0 g/d nur 6-7 ml/min pro Jahr.
Quellen
- ↑ Julian BA et al. Familial IgA nephropathy. Evidence of an inherited mechanism of disease, N Engl J Med. 1985 Jan 24;312(4):202-8, abgerufen am 29.03.2020
- ↑ Neng Lai K. et al. IgA nephropathy, Nat Rev Dis Primers 2, 16001 (2016), abgerufen am 29.03.2020
- ↑ Thaiss F, Stahl RAK. IgA-Nephropathie, Deutsches Ärzteblatt, 97(41), 2000, abgerufen am 04.06.2020
- ↑ Rollino C et al. IgA nephropathy and infections, Journal of Nephrology volume 29, pages463–468(2016), abgerufen am 28.03.2020
- ↑ Bollin R, Haller H Pathophysiologie und Therapie der IgA-Nephropathie, Der Internist volume 59, pages736–740(2018), abgerufen am 28.03.2020
- ↑ Saha M et al. Secondary IgA Nephropathy, Kidney Int. 2018 Oct; 94(4): 674–681, abgerufen am 28.03.2020
- ↑ Sommerer C. Behandlung der IgA-Nephropathie, Arzneiverordnung in der Praxis, Band 43, Heft 4, 2016, abgerufen am 04.06.2020
- ↑ Rauen T et al. Intensive Supportive Care plus Immunosuppression in IgA Nephropathy, N Engl J Med 2015; 373:2225-2236, abgerufen am 29.03.2020
- ↑ Selvaskandan H et al. Novel Treatment Paradigms: Primary IgA Nephropathy. Kidney Int Rep. 2023
- ↑ Del Vecchio L et al. Drugs in Development to Treat IgA Nephropathy. Drugs. 2024
- ↑ Berthoux, F., Mohey, H., Laurent, B., Mariat, C., Afiani, A., & Thibaudin, L. (2011). Predicting the Risk for Dialysis or Death in IgA Nephropathy. Journal of the American Society of Nephrology : JASN, 22(4), 752–761.
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