Therapie der chronischen myeloischen Leukämie
Definition
Die Therapie der chronischen myeloischen Leukämie umfasst alle kurativen und palliativen Maßnahmen zur Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie (CML).
Hintergrund
Die CML ist eine maligne klonale Erkrankung der hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark, deren molekularpathologische Grundlage die BCR-ABL1-Translokation bzw. das Philadelphia-Chromosom (Ph) bildet. Leitsymptom ist eine Leukozytose.
Idealisiert werden drei Phasen unterschieden:
- chronische stabile Phase
- Akzelerationsphase
- Blastenkrise
Nach Sicherung der Diagnose sollte die Therapie in hämatologischen Zentren unter Teilnahme an kontrollierten klinischen Studien stattfinden. Das Ziel ist der Therapie ist eine weitgehende Normalisierung des Blutbildes im Sinne einer Remission.
Unter Umständen erfolgt vor Einleitung der spezifischen Therapie eine Fertilitätsberatung bei jungen Patienten mit Kinderwunsch über die Möglichkeit einer Spermien- oder Eizellen-Kryokonservierung. Bei noch unklarem BCR-ABL1-Status und Gefahr eines Hyperviskositätssyndrom aufgrund der erhöhten Leukozytenzahl kann Hydroxyurea in einer Dosis von 40 mg/kgKG eingesetzt werden.
Einteilung der Remission
Es werden verschiedene Formen der Remission unterschieden:
Remissionsform | Kriterien |
---|---|
Komplette hämatologische Remission (CHR) |
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Zytogenetische Remission (CyR) |
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Molekulare Remission (CMR)‡ |
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‡ Die CMR wird in logarithmischen Stufen gemessen und standardisiert nach der internationalen Skala (IS) angegeben. Bei negativer PCR wird eine Mindestmenge an sogenannten Housekeeping-Genen definiert, nämlich ABL1 und β-Glucuronidase (GUS), um die Sensitivität der einzelnen Probe sicherzustellen.
Therapiemonitoring
Während der Therapie wird das Ansprechen durch ein hämatologisches, zytogenetisches und molekulares Monitoring überprüft:
Art des Monitorings | Verfahren | Zeitpunkt |
---|---|---|
Hämatologisches Monitoring |
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Zytogenetisches Monitoring | Heparinisiertes Knochenmark: Bestimmung des Anteils von Ph-positiven Zellen in mindestens 20 Metaphase-Zellen |
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Molekulares Monitoring | 10 ml EDTA-antikoaguliertes Blut und RT-PCR zur Bestimmung der Menge der BCR-ABL-Transkripte bis zur MMR |
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Erstlinientherapie
Bei BCR-ABL-positiver CML in der chronischen Phase erfolgt die Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKIs). Mögliche Präparate sind:
Imatinib ist ein TKI der ersten Generation, welcher spezifisch die BCR-ABL-Tyrosinkinase hemmt. Es wird in einer Dosierung von 400 mg pro Tag per os eingesetzt.
Die anderen TKIs gehören zur zweiten Generation:
- Nilotinib inhibiert zusätzlich PDGFR und KIT und wird in einer Dosierung von 2 x 300 mg/d p.o. verabreicht.
- Dasatinib ist ein Multikinase-Inhibitor mit Wirkung auf ABL1, Src, PDGFR und KIT. Die typische Dosierung beträgt 100 mg/d p.o.
- Bosutinib ist ein SRC/ABL1-Hemmer und wird in einer Dosierung von 400 mg/d p.o. eingesetzt.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Unter TKI-Therapie müssen zum Teil schwerwiegende Nebenwirkungen beachtet werden.
- Imatinib: insbesondere Myelosuppression (Anämie, Neutropenie, Thrombopenie), Erhöhung der Transaminasen, Fatigue, Diarrhö, Übelkeit, Muskelkrämpfe, Gelenkschmerzen, Flüssigkeitsretention mit periorbitalen Ödemen, Gewichtszunahme, Niereninsuffizienz
- Nilotinib: Neutropenie, Thrombopenie, Pankreatitis, Hyperglykämie, vaskuläre Komplikationen (KHK, pAVK)
- Dasatinib: Myelosuppression, Pleuraerguss, Perikarderguss, Pulmonale Hypertonie, höheres Blutungsrisiko bei gleichzeitiger oraler Antikoagulation
- Bosutinib: transiente Diarrhoen, Hepatotoxizität
- Alle TKI können zur QT-Verlängerung führen.
Die Wahl des Präparats ist abhängig vom Alter und Geschlecht, von Komorbiditäten, dem Nebenwirkungsprofil und der Risikoeinschätzung. Therapiekontrollen erfolgen durch das zytogenetische und molekulare Monitoring. Dabei wird fast immer eine CHR erreicht. Imatinib führt in ca. 60 % der Fälle zu einer MMR. Die neueren TKI führen zwar nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Überlebensrate, jedoch zu einer höheren Rate an molekularen Remissionen, bei Nilotinib z.B. in ca. 77 % der Fälle.
Die 1-Jahres-Überlebensrate unter Therapie liegt zwischen 91 und 99 %, die 5-Jahres-Überlebensrate bei 90 bis 92 %, die 10-Jahres-Gesamtüberlebensrate bei 80 bis 90 %.
Zur Verhinderung von Resistenzen müssen Unterdosierungen oder Unterbrechungen der TKI-Einnahme vermieden werden. Kombinationstherapien mit anderen Medikamenten (z.B. pegyliertes Interferon-alpha) werden aktuell (2019) in Studien untersucht.
Es existieren definierte Kriterien für ein Therapieansprechen: Im optimalen Fall ist die Lebenserwartung fast normal, bei Versagen des Therapieansprechens sollte rasch eine Mutationsanalyse, ein Absetzen des bisherigen TKIs und ein Wechsel auf ein alternatives Präparat erfolgen. Ein fünffacher Anstieg der BCR-ABL1-Transkripte mit Verlust der MMR bedeutet immer ein Therapieversagen.
Zeitraum | Optimales Ansprechen | Therapieversagen |
---|---|---|
Nach 3 Monaten | Ph < 35 % und/oder BCR-ABL1 < 10 % | Keine CHR und/oder Ph > 95 % |
Nach 6 Monaten | Ph 0 % und/oder BCR-ABL < 1 % | Ph > 35 % und/oder BCR-ABL1 > 10 % |
Nach 12 Monaten | Ph < 0,1 % | Ph > 1 % und/oder BCR-ABL > 1 % |
Bei CML-Patienten in chronischer Phase kann ein Absetzen der TKIs nach speziellen Mindestvoraussetzungen erwogen werden, unter anderem wenn eine CMR seit über 2 Jahren besteht. Dabei ist ein engmaschiges molekulares Monitoring wichtig. Nach ungefähr 5 Jahren schwankt die Rezidivrate zwischen 50 und 60 %. Bei 30 % der Patienten tritt nach Absetzen der TKI ein akutes Entzugssyndrom mit Muskel- und Gelenkschmerzen auf. Hierbei können nichtsteroidales Antirheumatika und Glukokortikoide helfen.
Zweitlinientherapie
Bei Versagen der Erstlinientherapie erfolgt eine BCR-ABL-Mutationsanalyse, um eine passende Zweitlinientherapie zu finden. Dabei kommen folgend Therapieansätze in Frage:
- Imatinib 400 - 800 mg/d
- Nilotinib 2 x 300 - 400 mg/d
- Dasatinib 100 mg/d
- Bosutinib 400 - 600 mg/d
- Ponatinib: 15 - 45 mg/d
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Ponatinib ist ein TKI, der neben BCR-ABL auch KIT hemmt. Bei Vorliegen der T315I-Mutation ist es aktuell (2019) das einzige wirksame Präparat. In chronischer Phase bei Patienten mit dieser Mutation kann Ponatinib in 70 % der Fälle eine CCyR erzielen, in der Akzelerationsphase in 56 %, bei Vorliegen einer Blastenkrise in 29 %. Typische Nebenwirkungen sind Thrombopenie, Erhöhung der Lipase bis hin zur Pankreatitis, Hautausschläge und arterielle Komplikationen (Myokardinfarkt, Schlaganfall, pAVK).
Auch für die Zweitlinientherapie existieren Kriterien für ein Therapieansprechen.
Allogene Stammzelltransplantation
Bei unzureichendem Ansprechen auf die Erst- und/oder Zweitlinientherapie kommt weiterhin als potentiell kurative Behandlung eine allogene Stammzelltransplantation (SZT) in Frage. Je früher sie durchgeführt wird, desto besser ist die Prognose. Daher sollte die Indikationsstellung möglichst früh in folgenden Situationen erfolgen:
Art der Indikation | Zeitpunkt |
---|---|
Familienspendersuche |
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Fremdspendersuche (falls kein Familienspender vorliegt) |
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Durchführung der SZT |
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‡ EMBT-Score (Gratwohl-Score): Kriterien sind der Spendertyp (HLA-identischer oder kompatibler unverwandter Spender), das Erkrankungsstadium, das Alter, die Geschlechtskombination sowie die Zeit von Diagnose bis Transplantation.
Die 10-Jahres-Überlebensrate nach allogener SZT beträgt ungefähr 55 %. Je nach Situation kann vorher eine myeloablative Konditionierung mittels hochdosierter Chemotherapie notwendig sein. Die Frühmortalität beträgt in diesem Fall 30 %, ohne myeloablative Konditionierung 15 %. Bei Fremdspendern ist die therapiebedingte Mortalität höher. Andere Stammzellquellen (z.B. Nabelschnurblut) kommen nur im Rahmen klinischer Studien in Frage.
Rezidiv nach Stammzelltransplantation
Bei einem Rezidiv nach SZT kommen folgende Maßnahmen zum Einsatz:
- Interferon-alpha
- weitere TKI
- Spenderlymphozyten (donor lymphocyte infusion im Sinne einer adoptiven Immuntherapie) zur Ausnutzung der Graft-versus-Leukämie-Reaktion
- bestimmte Chemotherapie-Protokolle
Akzelerationsphase
Bei Patienten, die sich in der Akzelerationsphase befinden und vorher bereits mit einem TKI vorbehandelt wurden, wird je nach Mutationsstatus ein alternativer TKI verwendet. Bei Patienten ohne Vorbehandlung kommen folgende Behandlungen in Frage:
- Imatinib 600 – 800 mg/d p.o.
- Bosutinib 400 - 600 mg/d p.o.
- Dasatinib 100 - 140 mg/d p.o.
- Nilotinib 2 x 400 mg/d
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Grundsätzlich kann bei geeigneten Patienten und Spenderverfügbarkeit eine allogene Stammzelltransplantation erwogen werden.
Blastenkrise
Bei myeloischer Blastenkrise helfen Hydroxyurea, Cytarabin und ggf. Anthrazykline, während bei der lymphatischen Form unter anderem Vincristin und Dexamethason eingesetzt werden.
Weiterhin kommen wie bei der Akzelerationsphase alle TKIs (außer Nilotinib) und eine allogene SZT in Frage.
Tumorlyse
Um ein Tumorlysesyndrom zu vermeiden, sollte je nach kardialer und renaler Situation initial 2,5 bis 3 Liter Flüssigkeit pro Tag getrunken bzw. intravenös appliziert werden. Mit Natriumbikarbonat kann der pH-Wert des Urins auf 6,4 und 6,8 eingestellt werden. Allopurinol erhöht das Risiko eines Nierenversagens aufgrund einer Akkumulation von Xanthin und sollte daher nur bei Patienten mit symptomatischer Hyperurikämie verwendet werden.
Schwangerschaft
Eine Schwangerschaft ist unter TKI-Therapie nicht möglich. Eine Therapieunterbrechung ist nur bei stabiler DMR zu empfehlen. Alternativ kann Interferon angewendet werden, sollte allerdings in der Stillzeit absetzen werden.
Omacetaxin
Omacetaxin-Mepessucinat (Synribo®) ist ein Proteinsynthesehemmer, der BCR-ABL1 vermutlich noch selektiver hemmt. In Deutschland ist es aktuell (2019) nicht zugelassen, in den USA zur CML-Behandlung in der chronischen und akzelerierten Phase bei Versagen vom mindestens zwei TKIs.
Literatur
- Harrisons Innere Medizin Suttorp N, Möckel M, Siegmund B et al.; 19. Auflage. 2016; ABW Wissenschaftsverlag
- Herold, G.: Innere Medizin 2019. Köln: Gerd Herold, 2018
- Onkopedia Leitlinie, Stand Juni 2018, abgerufen am 16.09.2019
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