Calcitriol
Handelsnamen: Decostriol®, Osteotriol®, Renatriol®, Rocaltrol®, Silkis® u.v.a.
Synonyme: 1,25-Dihydroxycholecalciferol, 1,25-(OH)2-Vitamin-D3
Englisch: 1,25-dihydroxycholecalciferol, calcitriol
Definition
Als Calcitriol bezeichnet man das doppelt hydroxylierte Vitamin D3 (Cholecalciferol), das von tierischen Organismen aus Steroiden synthetisiert werden kann. Es entsteht aus Calcidiol durch Anhängen einer zweiten OH-Gruppe an das C1-Atom.
Biochemie
Calcitriol zählt zu den Calciferolen. Dabei handelt es sich chemisch gesehen um Steroidderivate, die primär als Hormone den Kalziumhaushalt des Körpers regulieren. Sie gehören eigentlich nicht zu den Vitaminen im engeren Sinne, da sie vom Körper in ausreichender Menge selbst produziert werden. Der Mensch deckt 80 bis 90 % des Vitamin-D-Bedarfs durch die endogene Synthese und nur 10 bis 20 % über die Nahrung.
Synthese
Calcitriol kann vom menschlichen Körper aus der Cholesterin-Vorstufe 7-Dehydrocholesterin synthetisiert werden.[1] Eine Zufuhr von außen ist daher in der Regel nicht notwendig.
Im ersten Schritt wird 7-Dehydrocholesterin aus der Cholesterinsynthese abgezweigt. Dieses gelangt in die Haut, wo ein Steranring des 7-Dehydrocholesterins mithilfe von UV-B-Strahlung aufgebrochen wird. Dadurch entsteht Prävitamin D3, das thermodynamisch instabil ist und spontan zu Cholecalciferol (Calciol) isomerisiert. Dieses Vitamin D3 gelangt in den systemischen Kreislauf und ist im Blut an das Vitamin-D-bindende Protein (Transcalciferin) gebunden.
Cholecalciferol wird in der Leber am Kohlenstoffatom 25 hydroxyliert, sodass 25-Hydroxycholecalciferol (Calcidiol) entsteht. Der letzte Schritt findet in der Niere statt: Hier wird 25-Hydroxycholecalciferol erneut hydroxyliert, diesmal am C1-Atom, und es entsteht das hormonell wirksame 1,25-Dihydroxycholecalciferol (Calcitriol).
Das katalysierende Enzym, die 1-α-Hydroxylase (CYP27B1), findet sich nicht nur in den Nieren, sondern auch in zahlreichen anderen Geweben, z.B. in der Haut, in Monozyten und Makrophagen, Osteoblasten und Prostatazellen. Im Gegensatz zum renal gebildeten Calcitriol dient die lokale Produktion nicht der Regulation des Kalziumhaushalts, sondern vielmehr pleiotropen Effekten – z.B. der Kontrolle von Proliferation, Differenzierung und Apoptose sowie von immunregulatorischen Prozessen).
Signalweg
Innerhalb der Zelle wird Calcitriol an ein spezielles Rezeptorprotein, den nukleären Vitamin-D-Rezeptor (VDR) gebunden. Dieser bindet als Heterodimer mit dem Retinoid-X-Rezeptor an DNA-Zielbereiche. Die Folge ist eine Induktion oder Suppression der Transkription verschiedener hormonsensitiver Gene und damit der von ihnen kontrollierten Proteinbiosynthese.
Da Vitamin-D-Rezeptoren in den meisten Geweben vorkommen, wirkt Vitamin D vermutlich auf fast alle Zellsysteme und Organe (z.B. Immunzellen, Gehirn, Prostata). Neben den genregulierenden Effekten besitzt Calcitriol auch schnelle Wirkungen wie die Erhöhung der intrazellulären Kalziumkonzentration und die Stimulation von Transportprozessen im Dünndarm. Diese Signaltransduktionsprozesse sind jedoch weniger gut charakterisiert.
Abbau
Als Steroidderivat wird Calcitriol via Biotransformation in der Leber unwirksam gemacht. Der Abbau erfolgt maßgeblich über CYP24A1 (24-Hydroxylase) in den Mitochondrien der Hepatozyten. Die Expression des Enzyms wird durch Calcitriol verstärkt induziert.
Physiologie
Regulation
Die Biosynthese von Calcitriol wird genau reguliert, insbesondere über Modulation der Expression der 1α-Hydroxylase im proximalen Tubulus:
- Enzyminduktion: durch Parathormon (PTH) und Hypophosphatämie
- Enzymhemmung: durch Phosphat, FGF23, Kalzium und Calcitriol selbst
Kalziumsensoren in der Nebenschilddrüse erkennen ein Absenken des Serumkalziumspiegels und schütten Parathormon aus. PTH aktiviert in renalen Tubuluszellen die Adenylatcyclase und erhöht somit den intrazellulären cAMP-Spiegel. Bei ausreichender Synthese von Calcitriol stimuliert es die Aktivität und Transkription von CYP24A1 über den Vitamin-D-Rezeptor. Dieses Enzym konkurriert mit der 1α-Hydroxylase und inaktiviert Vitamin D durch Umwandlung in 24,25-Dihydroxycholecalciferol. Calcitriol begrenzt also seine eigene biologische Wirkung. Mutationen von CYP24A1 können zur idiopathischen infantilen Hyperkalzämie führen.
Steigt der Serumkalziumspiegel, wird weniger PTH ausgeschüttet und die Calcitriolsynthese gebremst. Gleichzeitig setzt die Schilddrüse Calcitonin frei, das die Kalziummobilisierung aus dem Knochen hemmt und die Kalzium- und Phosphatausscheidung über die Nieren fördert.
Polare Metaboliten von Calcitriol werden über die Galle ausgeschieden und unterliegen dem enterohepatischen Kreislauf. Ist dieser gestört, kann es zu erhöhten Vitamin-D-Verlusten kommen.
Wirkungen
Calcitriol ist die biologisch aktive Form des Vitamin D3. Es reguliert die Kalziumhomöostase zusammen mit Parathormon und Calcitonin. Dabei erhöht Calcitriol den Serumkalziumspiegel durch:
- vermehrte intestinale Kalziumresorption
- vermehrte renale Kalziumreabsorption
- gesteigerte Kalziummobilisation aus dem Knochen
...auf dem Darm
Kalzium wird im Duodenum und Jejunum resorbiert. Der transzelluläre Transport basiert auf
- elektrogenen luminalen Kalziumkanälen (TRPV5 und TRPV6) und
- Calbindin-D9K, einem kalziumbindenden Protein, das Kalzium von luminal nach basolateral transportiert und
- einer basolateralen Kalzium-ATPase (PMCA1b).
Außerdem bewirkt Calcitriol eine gesteigerte intestinale Phosphatresorption u.a. über eine verstärkte Expression des intestinalen Natrium-Phosphat-Cotransporters.
...auf die Niere
Calcitriol bewirkt im dicken Teil der Henle-Schleife und im distalen Tubulus eine Steigerung der Kalziumresorption über den TRPV5-Kanal. Außerdem stimuliert es die Phosphatrückresorption im proximalen Tubulus.
Seine Wirkung ist an die Anwesenheit von Parathormon gebunden: Zwar stimuliert Calcitriol die Synthese von Proteinen für den Kalziumtransport, die Aktivität der Proteine muss jedoch durch PTH erhöht werden, um die Resorption signifikant zu erhöhen.
...auf den Knochenstoffwechsel
Calcitriol besitzt direkte und indirekte Effekte auf den Knochenstoffwechsel:
- indirekte Wirkung: Förderung der Knochenmineralisation und Synthese der Knochenmatrix über erhöhtes Kalziumangebot
- direkte Wirkungen:
- Osteoblasten: gesteigerte Synthese von Proteinen für den Knochenaufbau (z.B. kalziumbindende Proteine) und für den Knochenumbau (z.B. Matrix-Metalloproteasen)
- Osteoklasten: vermehrte Differenzierung von Osteoklasten aus Vorläuferzellen, jedoch nur in Gegenwart von Osteoblasten, die auf ihrer Oberfläche RANKL exprimieren und somit den zugehörigen Rezeptor RANK aus Osteoklasten-Vorläuferzellen aktivieren.
Insgesamt bewirkt Calcitriol ein Knochenwachstum (beim Kind und Jugendlichen) bzw. eine Homöostase (beim Erwachsenen) mit angepasstem Umbau des Knochens.
...auf die Nebenschilddrüse
Calcitriol hat antiproliferative Effekte auf die Zellen der Nebenschilddrüsen und hemmt die Transkription des Parathormongens.
Pleiotrope Wirkungen
Neben den erwähnten Hormonwirkungen besitzt Calcitriol auch pleitrope, d.h. autokrine und parakrine Effekte, z.B.:
- Stimulierung der Differenzierung von Zellen des hämatopoetischen Systems
- Stimulierung der Differenzierung epidermaler Zellen
- Modulation der Aktivität des Immunsystems
Diagnostik
Die Höhe des Calcitriolspiegels reflektiert nicht die Versorgung mit Vitamin D und ist daher auch nicht geeignet, einen Vitamin-D-Mangel nachzuweisen oder auszuschließen. Da PTH die 25-Hydroxylase stimuliert, kann trotz Vitamin-D-Mangel der Calcitriolspiegel im Serum normal sein. Um den Vitamin-D-Status des Körpers zu untersuchen, wird daher Calcidiol im Serum bestimmt. Calcidiol stellt die zirkulierende Form und Speicherform dar und besitzt eine Halbwertszeit von ca. 3 Wochen.
Die Bestimmung von Calcitriol spielt vielmehr eine Rolle bei der Abklärung einer unklaren Hyper- oder Hypokalzämie oder eines Hyperparathyreoidismus. Der Referenzbereich von Calcitriol beträgt 20 - 80 ng/l.
Klinik
Calcitriol-Mangel
Die Ursachen eines Calcitriol-Mangels sind vielfältig, z.B.:
- verminderte Synthese von Prävitamin D3 in der Haut bei mangelnder UVB-Exposition
- gestörte 1α-Hydroxylierung durch Niereninsuffizienz, Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ 1 oder Einnahme von Ketoconazol, Glukokortikoiden oder Hydroxychloroquin
- Zielorganresistenz durch Phenytoin oder bei Vitamin-D-abhängige Rachitis Typ 2
- beschleunigter Verlust: erhöhter Abbau durch Barbiturate oder Rifampicin, Verlust von Transcalciferin bei nephrotischem Syndrom oder gestörter enterohepatischer Kreislauf
Ein Calcitriol- bzw. Vitamin-D-Mangel führt zur mangelnden intestinalen Kalziumresorption. Während ein kurzzeitiger oder leichter Vitamin-D-Mangel meist asymptomatisch ist, verläuft ein chronischer Mangel mit Hypokalzämie, sekundärem Hyperparathyreoidismus, Rachitis bzw. Osteomalazie und proximaler Myopathie. Außerdem gilt ein Vitamin-D-Mangel als Risikofaktor für eine Osteoporose und erhöht die Gesamtmortalität, u.a. aufgrund eines höheren Sturzrisikos. Die Hypokalzämie kann selten zur akuten Symptomatik mit Hypästhesien, Parästhesien und Krampfanfällen führen.
Calcitriol-Überschuss
Ein erhöhter Calcitriol-Spiegel kann durch Überdosierung von Vitamin-D-Präparaten, bei primärem Hyperparathyreoidismus sowie bei einigen granulomatösen Erkrankungen (z.B. Sarkoidose, Tuberkulose) auftreten und zur Hyperkalzämie führen.
Pharmakologie
Bei Rachitis, Osteomalazie, Vitamin-D-Stoffwechselstörungen oder Osteoporose kann prophylaktisch oder therapeutisch Calcitriol (z.B. Rocaltrol®) verabreicht werden. Je nach Indikation kommen jedoch auch Vitamin-D-Analoga zum Einsatz (z.B. Cholecalciferol, Dihydrotachysterol, Paricalcitol).
Quellen
- ↑ Rassow et al., Duale Reihe Biochemie, Georg Thieme Verlag Stuttgart, 4. Auflage 2016, Seite 646