Hypophysäres Koma
Englisch: hypophyseal coma
Definition
Das hypophysäre Koma ist eine potentiell letale Bewusstseinsstörung als Folge einer Hypophyseninsuffizienz. Es handelt sich um einen internistischen Notfall.
Ätiologie
Ein hypophysäres Koma entsteht durch eine schwerwiegende Hypophyseninsuffizienz. Dabei kann es sich um eine nicht erkannte oder bereits diagnostizierte hypophysäre Grunderkrankung handeln (z.B. einen Hypophysentumor oder eine Hypophysitis). Eine unzureichende Substitution tritt dann z.B. in Stresssituationen mit erhöhtem Glukokortikoidbedarf auf, z.B. bei Operationen oder Infektionen. Die vermutlich häufigste Ursache ist jedoch eine abrupte Unterbrechung einer Glukokortikoidsubstitution aufgrund von mangelnder Compliance.
Bei einer Strahlentherapie kann sich die Hypophyseninsuffizienz auch erst nach mehreren Jahren aufgrund einer zunehmenden Fibrosierung der Hypophyse entwickeln. Eine weitere Ursache ist z.B. das Sheehan-Syndrom.
Pathophysiologie
Die klinische Symptomatik des hypophysären Komas wird durch den kortikotropen (ACTH) und thyreotropen (TSH) Ausfall dominiert. Die Folge ist eine sekundäre Hypothyreose und eine sekundäre Nebenniereninsuffizienz. Die somatotrope, gonadotrope und laktotrope Insuffizienz sind nicht lebensbedrohlich.
Ein koinzident entgleister Diabetes insipidus centralis kann vorliegen. Häufig verbleibt aber eine Restsekretion der ADH-produzierenden Zellen in den hypothalamischen Nuclei supraopticus und paraventricularis.
Symptome
Prodromi des hypophysären Komas sind zunehmende Müdigkeit, Teilnahmslosigkeit, Leistungsminderung, Apathie, Schläfrigkeit und Kälteintoleranz.
Leitsymptome des hypophysären Komas sind:
- Vigilanzstörung: stuporöser bis komatöser Zustand
- Bradykardie, Hypotonie
- Hautblässe
- Muskelschwäche
- Übelkeit, Erbrechen, Obstipation
- Hypothermie
- Hypoventilation
- Krampfanfälle
Eine postpartale Agalaktie ist hinweisend auf ein Sheehan-Syndrom. Begleitsymptome können bei gonadotroper Insuffizienz mit Östrogen- und Testosteronmangel sowie durch den adrenalen Androgenmangel auftreten:
- Fehlen der Sekundärbehaarung und der lateralen Augenbrauen (Hertoghe-Zeichen)
- periorale oder periokuläre Hautfältelung
- Libidoverlust
- erektile Dysfunktion bzw. sekundäre Amenorrhö
Bei einem Hypophysentumor kann eine Kompression des Chiasma opticum zur bitemporalen Hemianopsie führen.
Labor
Basislabor
Das hypophysäre Koma verursacht eine Hyponatriämie. Sie entsteht durch eine sekundäre Stimulation der ADH-Sekretion als Reaktion auf den Volumenverlust, der mit dem Natriumverlust infolge des Cortisolmangels einhergeht. Das gleichzeitige Vorliegen eines Diabetes insipidus centralis bei Hypophysenhinterlappeninsuffizienz kann die Hyponatriämie maskieren. Ein Mineralokortikoidmangel tritt hingehen nicht auf, da Aldosteron primär durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und nicht durch ACTH reguliert wird.
Die Patienten können eine hypotone Normovolämie bis hin zur Exsikkose mit hypotoner Dehydratation aufweisen. Ein resultierendes prärenales Nierenversagen verursacht dann einen Kreatininanstieg.
Durch den somatotropen und kortikotropen Ausfall kann eine Hypoglykämie entstehen. Der Hämatokrit und die Kreatinkinase sind durch die Dehydratation und letztere durch die sekundäre Hypothyreose erhöht. Des Weiteren entsteht eine Rhabdomyolyse mit erhöhten Werten an LDH, GOT und GPT. Darüber hinaus besteht eine respiratorische und/oder metabolische Azidose.
Nach Bestimmung der routinemäßig erhobenen Laborparameter und entsprechendem klinischen Verdacht sollte nun bereits eine Therapie eingeleitet werden. Erst anschließend bzw. bei klinischer Besserung innerhalb weniger Stunden erfolgt eine weitergehende endokrinologische Diagnostik.
Erweiterte Labordiagnostik
Auffallend sind niedrige oder nicht nachweisbare Plasmaspiegel von ACTH und Cortisol. Des Weiteren sind TSH und die peripheren Schilddrüsenhormone (fT3, fT4) erniedrigt.
Der morgendliche Cortisolwert im Serum erlaubt es, eine Nebenniereninsuffizienz akut zu erkennen. Cortisolwerte < 3 µg/dl sprechen für eine Insuffizienz, bei Werten zwischen 3-18 µg/dl sollte ein CRH- bzw. Insulin-Hypoglykämie-Test (IHT) durchgeführt werden. Des Weiteren kann ein ACTH-Stimulationstest erwogen werden.
Die Messung von freiem Cortisol im Sammelurin ist nur von begrenztem Nutzen, da ca. 20 % aller Patienten mit Nebenniereninsuffizienz normale freie Urincortisolspiegel aufweisen.
Ein TRH-Test ist in der Regel entbehrlich. Weiterhin kann ein GnRH- und GHRH-Arginin-Test durchgeführt werden. Bei Verdacht auf einen Diabetes insipidus centralis kann ein Durstversuch erwogen werden. Eine Hyperprolaktinämie (> 200 ng/ml) weist auf ein Prolaktinom hin.
Differenzialdiagnosen
Die wichtigste Differenzialdiagnose des hypophysären Komas ist die primäre Nebennierenrindeninsuffizienz (Morbus Addison). Bei dieser Erkrankung führt die erhöhte POMC- und MSH-Sekretion zur Hyperpigmentation mit braunem Hautkolorit. Außerdem weisen Betroffene eine Hyperkaliämie auf.
Weiterhin müssen auch andere Komaursachen erwogen werden (z.B. diabetisches, urämisches, hepatisches oder Myxödemkoma). Auch zerebrale Störungen (z.B. Schlaganfall) oder Intoxikationen (z.B. durch Alkohol oder Drogen) kommen differenzialdiagnostisch in Frage.
Therapie
...in der Akutsituation
Die Therapie beim hypophysären Koma besteht in der sofortigen Gabe von Glukokortikoiden. Initial wird 100 mg Hydrokortison als Bolus i.v. verabreicht, anschließend 100 mg Hydrocortison pro Tag als Infusion. Alternativ kann auch Prednisolon oder Prednison appliziert werden. Gleichzeitig erfolgt eine Volumensubstitution: In den ersten 12 Stunden sollten 2-4 l isotone Kochsalzlösung verabreicht werden. Eine zu rasche Substitution birgt jedoch das Risiko einer kardialen Dekompensation. Bei Hypoglykämie sind zusätzliche Glukoseinfusionen indiziert.
In der Akutsituation dürfen keine Schilddrüsenhormone verabreicht werden, da sie den Glukokortikoidbedarf erhöhen und eine Nebenniereninsuffizienz verstärken. Erst nach 12-24 Stunden erfolgt die Gabe von L-Thyroxin.
Die Hyponatriämie sollte nicht mit hypertoner NaCl-Lösung ausgeglichen werden, da eine zentrale pontine Myelinolyse droht. Katecholamine sollten vermieden werden, da sie bei Patienten mit hypophysärem Koma vermehrt zu Herzrhythmusstörungen führen.
...im Intervall
Bei einer Raumforderung der Hypophyse kann eine neurochirurgische Resektion nötig sein. Im Falle eines Prolaktinoms kommen Dopaminantagonisten (Bromocriptin, Cabergolin) zum Einsatz.
Bei nachgewiesener gonadotroper Insuffizienz (GnRH-Test) ist im Verlauf eine Testosteronsubstitution indiziert. Die durch IHT oder GHRH-Arginin-Test nachgewiesene somatotrope Insuffizienz wird i.d.R. mit Wachstumshormonen behandelt.
Dem Patienten sollte nach hypophysärem Koma ein Notfallausweis ausgestellt werden, in dem die täglich einzunehmende Hormonsubstitution ersichtlich ist. Bei akuten, fieberhaften Erkrankungen oder anderen Stresssituationen muss die Dosis individuell z.B. auf das Doppelte bis Dreifache erhöht werden. Außerdem sollte der Patient eine Notfallampulle mit 100 mg Hydrokortison mitführen.
Prognose
Bei adäquater Therapie bessert sich das hypophysäre Koma in aller Regel innerhalb von 12-24 Stunden.
Literatur
- Kann PH Hypophysäres Koma, Med Klin Intensivmed Notfmed 107, 460–463 (2012), abgerufen am 08.06.2020
- Hermann BL, Mann K. Das hypophysäre Koma, Internist 44, 1253–1259 (2003), abgerufen am 08.06.2020