Schizophrenie
von griechisch: s'chizein - abspalten; phren - Verstand, Geist
Englisch: schizophrenia
Definition
Der Begriff Schizophrenie beschreibt eine heterogene Gruppe von psychischen Erkrankungen, die den Psychosen zuzuordnen sind. Sie sind durch eine Reihe gemeinsamer Symptome gekennzeichnet.
siehe auch: affektive Psychose, endogene Psychose
Geschichte
Der Begriff "Schizophrenie" geht auf den Psychiater Eugen Bleuler zurück, der die Störungen 1911 zuerst charakterisierte und den älteren, auf Emil Kraepelin zurückgehenden Begriff der Dementia praecox damit ablöste. Kraepelins Beschreibung der Grundsymptome schizophrener Erkrankungen leben jedoch bis heute im "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (aktuell DSM-5) fort.
Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Medikamente entwickelt, mit denen man die Symptome einer schizophrenen Störung erfolgreich behandeln konnte. Die Entdeckung des ersten Neuroleptikums beruht auf einer Zufallsentdeckung. So wurde 1950 das Phenothiazin Chlorpromazin von Charpentier bei der Firma Rhône-Poulenc als Antihistaminikum synthetisiert und bereits 1952 von Delay und Deniker an 38 schizophrenen Patienten erfolgreich erprobt. In der Folgezeit wurden zahlreiche andere Substanzen der Phenothiazinreihe entwickelt. Auf der Suche nach stärker narkotisch wirksamen Pethidinderivaten entdeckte 1958 der Belgier Paul Janssen den ersten Vertreter aus der Reihe der Butyrophenone das Haloperidol. Seit seiner Entdeckung wurden mehr als 5000 Strukturanaloga evaluiert, jedoch blieb Haloperidol bis heute das weltweit am meisten verschriebene Neuroleptikum.
Epidemiologie
In Deutschland beträgt die Prävalenz der Schizophrenien zwischen 0,5 und 1 % der Gesamtbevölkerung; die jährliche Inzidenz wird mit 0,05 % angegeben. Die Lebenszeitprävalenz, also die Wahrscheinlichkeit, während des Lebens an Schizophrenie zu erkranken, beträgt zwischen 1 und 2 %. Prinzipiell sind Inzidenz und Prävalenz dieser Erkrankung in allen Teilen der Welt etwa gleich.
Generell unterscheiden sich Frauen und Männer nicht in der Erkrankungshäufigkeit. Bei männlichen Patienten tritt die Erkrankung jedoch typischerweise früher auf, mit einem ersten Erkrankungsgipfel zwischen Pubertät und dem 25. Lebensjahr, während Frauen üblicherweise zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr erkranken. In diesem Zusammenhang werden Östrogene als protektive Faktoren diskutiert. Etwa 10 % aller schizophrenen Patienten versterben durch Suizid.
Ätiologie
Die Ursachen der Schizophrenie sind bis heute nicht vollständig verstanden, so dass es mehrere wissenschaftliche Hypothesen zur Entstehung gibt. Früher ging man von einem intrapsychischen, organisch nicht begründbaren Prozess aus, der zur Entstehung des Krankheitsbildes führt, beispielsweise die schizophrenogene Mutter. Heute (2022) vermutet man eher ein multifaktorielles Geschehen, das sich aus dem Zusammenwirken hirnorganischer Dysfunktionen mit psychosozialen Einflussgrößen ergibt. In diesem Zusammenhang haben sich einige Hypothesen zur Ätiologie etabliert, u.a.:
Genetische Komponenten
Eine Häufung im Neuauftreten von Schizophrenie in Familien, die bereits erkrankte Mitglieder aufweisen, deutet auf eine genetische Komponente der Erkrankung. Bei eineiigen Zwillingen hat die Schizophrenie eine etwa 60-prozentige Konkordanz. Ein rein erbliches Geschehen ist damit wegen der fehlenden 100-prozentigen Auftretenswahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Daher wird eine multifaktorielle Entstehung mit anderen strukturellen und umweltbedingten Faktoren vermutet.
Dopamin-Hypothese
Häufig wird bei der Schizophrenie ein Ungleichgewicht zwischen der Wirkung des Neurotransmitters Dopamin im limbischen System und anderen Hirnarealen angenommen.
Diese Hypothese stützt sich auf die Beobachtung, dass antidopaminerg wirkende Medikamente, wie die typischen Neuroleptika, als D2-Antagonisten die Symptomatik vieler Schizophrenie-Formen zu lindern vermögen.
Allerdings ist hier noch nicht plausibel belegt, warum der Wirkungseintritt dieser Medikamente erst nach einigen Wochen erfolgt, während die Rezeptorwirkung bereits nach Minuten einsetzt.
Ein weiteres Argument gegen die Dopamin-Hypothese ist, dass im Rahmen von Studien festgestellt wurde, dass sich häufig auch bei gesunden Probanden ein erhöhter, teilweise sogar höherer Dopamin-Spiegel findet. Diese Probanden erkrankten jedoch nicht an Schizophrenie.
Andere Neurotransmitter-Hypothesen
Neben einer Störung im dopaminergen System oder einer veränderten Wirkung am D2-Rezeptor werden auch Einflüsse anderer Neurotransmitter in der Literatur diskutiert. Vor allem Serotonin und Histamin werden immer wieder als mögliche Verursacher der Schizophrenie genannt.
Auch diese Beobachtung stützt sich auf die Wirksamkeit verschiedener atypischer Neuroleptika, die beispielsweise an H1- oder 5-HT2A-Rezeptoren eine verminderte Wirkung entfalten sollen. Aber auch hier gelten die gleichen Vorbehalte wie bei der Dopamin-Hypothese.
Strukturelle Veränderungen
In einer Vielzahl von Studien wurden histopathologisch oder durch bildgebende Verfahren strukturelle Veränderung in den Gehirnen von an Schizophrenie erkrankten Patienten nachgewiesen. Neben der Erweiterung des dritten Hirnventrikels oder einer im PET beobachteten veränderten Durchblutung bestimmter Hirnareale ist auch eine Abnahme von Chromogranin-B-positiven Vesikeln im Hippocampus beschrieben.
Psychosoziale Faktoren
Wie bei den meisten psychischen Erkrankungen wird dem sozialen Umfeld des Patienten und seinem intrapsychischen Empfinden eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer Schizophrenie zugeschrieben. Hierbei wird die Bedeutung des Vulnerabilitäts-Stress-Modells noch kontrovers diskutiert.
Weitere Faktoren
Als weitere mögliche Faktoren, die zur Entstehung bzw. Auslösung einer Schizophrenie beitragen, werden diskutiert:
- Frühkindliche Infektionen (z.B. mit Herpes-simplex-Viren Typ II, Influenza-Viren oder Borna-Viren)
- Borreliose
- Frühkindliche Hirnschädigungen (Hypoxie)
- Drogen (THC, LSD, Kokain)
- Laktoseintoleranz
- Östrogenmangel
- Zöliakie
Symptomatik
Die Schizophrenien sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die durch eine Reihe gemeinsamer Symptome definiert sind. Hierbei wird die Symptomatik je nach Autor in verschiedene Klassen gefasst; das Auftreten bestimmter Zeichen kann dann gewertet und somit die Diagnose einer Schizophrenie gestellt werden. Einige gängige Symptomenklassifikationen sind im Folgenden vorgestellt.
Positiv- und Negativsymptomatik
In der Unterteilung von Positiv- und Negativsymptomatik bei den Schizophrenieformen wird grob zwischen sogenannten positiven, quasi zusätzlich zur "normalen" Persönlichkeit vorkommenden Zeichen und negativen, fehlenden Persönlichkeitsausprägungen unterschieden. Zu den Positivsymptomen gehören Wahn, Ich-Störungen oder andere Denkstörungen, während man Apathie, Affektverflachung, Alogie, Aufmerksamkeitsstörungen, Ambivalenz oder Anhedonie zu den Negativsymptomen zählt.
Rangsymptomatik
In der auf Kurt Schneider zurückgehenden Definition der Schizophrenien wird zwischen Erstrang- und Zweitrangsymptomen unterschieden. Dabei sollten nach neueren Diagnoseschemata zur Diagnose einer Schizophrenie mindestens zwei Symptome ersten Ranges und mehrere zweiten Ranges vorliegen.
- Erstrangsymptome
- Stimmenhören
- Dialogische Stimmen
- Kommentierende Stimmen
- Imperative Stimmen
- Wahnwahrnehmungen
- Verfolgungswahn
- Beeinträchtigungswahn
- Liebeswahn
- Beziehungswahn
- Gefühl des Gemachten
- Ich-Störungen
- Stimmenhören
- Zweitrangsymptome
- Halluzinationen
- Andere akustische Halluzinationen
- Optische Halluzinationen
- Olfaktorische Halluzinationen
- Wahn
- Wahneinfälle, Wahnideen
- Affektive Störungen
- Ratlosigkeit
- Depressive Verstimmung
- Euphorie
- Affektverflachung
- Parathymie
- Halluzinationen
Grund- und akzessorische Symptome
In der auf Eugen Bleuler zurückgehenden Definition der Schizophrenie (1911) wird prinzipiell zwischen den Grundsymptomen und den fakultativ auftretenden akzessorischen Symptomen unterschieden.
- Grundsymptome
- Affektstörungen
- Soziale Isolation
- Ambivalenz
- Parathymie
- Formale Denkstörungen
- Gedankensperrung
- Gedankendrängen
- Vorbeireden
- Neologismen
- Zerfahrenheit
- Ich-Störungen
- Affektstörungen
- Akzessorische Symptome
- Halluzinationen
- Wahnideen
- Wahnwahrnehmungen
- Katatonie
- Veränderung von Sprache und Sprachproduktion
Verlauf
Prinzipiell wird bei der Schizophrenie in Anlehnung an andere Krankheiten ein Krankheitsbeginn in vier verschiedenen Verlaufsformen angenommen. Beim perakuten Beginn tritt die Symptomatik innerhalb einer Woche auf, beim akuten Beginn innerhalb von 4 Wochen. Subakute Verläufe manifestieren sich in einem Zeitraum von 6 Wochen, während die schleichende Schizophrenie sich über eine Dauer von 6 Monaten manifestiert.
Bei langsamerem Krankheitsbeginn existieren vor dem Ausbruch einer klar definierbaren Schizophrenie sogenannte Prodromi, die auf die Entstehung einer Psychose des schizophrenen Formenkreises hindeuten. Dazu gehören beispielsweise Wahnstimmung, Angst und Schlaflosigkeit.
Der weitere Verlauf einer Schizophrenie kann schubweise oder chronisch sein, wobei die schubweise Verlaufsform häufiger vorkommt. Als Schub bezeichnet man die akute Krankheitsphase, die mehrere Wochen bis Monate dauern kann. Im Anschluss an den Schub kommt es zu einer mehr oder weniger vollständigen Remission, bis nach einem variablen Zeitintervall ein neuer Schub erfolgt. Üblicherweise folgt auf jeden Schub eine Residualphase mit Negativsymptomen. Das Auftreten eines einzelnen, "singulären" Schubs ist selten.
Systematik
Die Schizophrenien sind eine Gruppe von Erkrankungen, die als sogenannter Formenkreis zusammengefasst sind. Man unterscheidet in diesem Zusammenhang verschiedene Formen dieser Psychose, die sich nach ICD-10 wie folgt darstellen:
- Paranoide Schizophrenie
- Hebephrene Schizophrenie (Hebephrenie)
- Katatone Schizophrenie (Katatonie)
- Undifferenzierte Schizophrenie
- Schizophrenia simplex
- Schizophrenes Residuum
- Postschizophrene Depression
Vergleichende Klassifikation DSM-IV / ICD-10
DSM-IV | ICD-10 | ||
---|---|---|---|
295.30 | paranoider Typus | F20.0 | paranoide Schizophrenie |
295.10 | desorganisierter Typus | F20.1 | Hebephrenie |
295.20 | katatoner Typus | F20.2 | katatone Schizophrenie |
295.90 | undifferenzierter Typus | F20.3 | undifferenzierte Schizophrenie |
F20.4 | Postschizophrene Depression | ||
295.60 | residualer Typus | F20.5 | Schizophrenes Residuum |
F20.6 | Schizophrenia simplex |
Therapie
Die Heterogenität der Erkrankung hat im Verlauf der Geschichte eine Vielzahl von Therapieansätzen entstehen lassen. Die Therapie der Schizophrenie erfolgt heute multidimensional. Üblicherweise werden darunter psychotherapeutische und pharmakologische sowie supportive Verfahren zusammengefasst, die in der Behandlung kombiniert werden. Die Akutbehandlung der Schizophrenie erfolgt üblicherweise durch Neuroleptika, wobei die Wirkstoffklasse und Dosierung auf die Unterform und die Ausprägung abgestimmt werden sollten. Daneben erfolgt auch nach Remission zur Prophylaxe von Rezidiven eine dauerhafte Behandlung mit neuroleptischen Substanzen. Trotz der Behandlung mit diesen Medikamenten werden fortschreitende Veränderungen der Gehirnstrukturen beschrieben (Ho et al. 2003).
Daneben erfolgt eine Reihe von nicht medikamentösen Verfahren, die eine Therapie unterstützen sollen. Dazu zählen - je nach Krankheitsphase - die supportive Psychotherapie, die Psychoedukation (Aufklärung über die Erkrankung), kognitive und soziale Trainingsprogramme, Verhaltenstherapie, Betreuung der Angehörigen und die Weiterleitung an Selbsthilfegruppen.
Pflege
Die Pflegepersonen sollten keine Versuche starten, dem Betroffenen den Wahn auszureden, da dies die Symptomatik noch verstärkt. Dem Betroffenen erscheint das subjektive Erleben der Welt als absolut real. Wahninhalte sollten daher nicht besprochen, sondern hingenommen werden.
Weiterhin müssen die wichtigsten Bezugspersonen möglichst kontinuierlich verfügbar sein und nicht wechseln. Die Informationsweitergabe sollte einfach und präzise sein. Auch sollten dem Erkrankten genügend Rückzugsmöglichkeiten im Alltag geboten werden. Reizüberflutung, Äußerungen hoher Besorgnis oder Emotionalität sind zu vermeiden.
Prognose
Zur Einschätzung der Prognose bei der Schizophrenie bedient man sich der sogenannten Drittelregel. Diese besagt, dass im Durchschnitt ein Drittel der Patienten als geheilt oder deutlich gebessert angesehen werden können; ein Drittel bleibt in der Ausprägung der Erkrankung in etwa gleich oder verspürt nur leichte Verbesserung, während das letzte Drittel in der Erkrankung sich verschlechtert.
Bei der Einschätzung der Prognose von schizophrenen Patienten haben sich eine Reihe sogenannter protektiver Faktoren herausgestellt, die zu einer relativ gesehen günstigeren Prognose beitragen.
Als wichtige Faktoren werden dabei angesehen:
- Berufstätigkeit
- Einbindung in ein soziales Umfeld
- Höheres Alter
- Gute Compliance
- Akuter bis perakuter Krankheitsbeginn
- Kurzer Verlauf
- Nachweis von auslösenden Ereignissen
- Erstmanifestation
- Überwiegen der Positivsymptomatik
- Weibliches Geschlecht