Vitamin A
Definition
Als Vitamin A wird eine Gruppe von fettlöslichen Verbindungen bezeichnet, die im Körper vielfältige Funktionen ausüben. Chemisch gesehen handelt es sich um Retinoide, zu denen auch synthetische Vitamin-A-Analoga gezählt werden.
Chemie
Als Vitamin A werden beim Menschen u.a. folgende Verbindungen zusammengefasst:
- Retinol (Vitamin A1)
- Retinal (Vitamin-A-Aldehyd)
- Retinsäuren (Vitamin-A-Säuren)
- Retinylester: v.a. Retinylpalmitat (Vitamin-A-Ester)
- 3-Dehydroretinol (Vitamin A2)
Vitamin A besteht aus 4 Isopreneinheiten (20 C-Atomen), von denen die ersten 6 zu einem Iononring geschlossen sind. Es weist 5 Doppelbindungen und eine polare Gruppe am azyklischen Ende auf, die ein Alkohol (Retinol), ein Aldehyd (Retinal) oder eine Säure (Retinsäure) sein kann.
Als Provitamin A werden Carotinoide bezeichnet, die 8 Isopreneinheiten besitzen. Das wichtigste Carotinoid ist Beta-Carotin.
Vorkommen
In tierischen Nahrungsmitteln (v.a. Leber, Milch, Eier, Fisch) liegt Vitamin A in Form langkettiger Fettsäureester von Retinol (v.a. Retinylpalmitat) vor. Pflanzliche Quellen enthalten Carotinoide (v.a. Karotten, Spinat, Grünkohl). Moderates Kochen des Gemüses verstärkt die Freisetzung der Carotinoide für die Resorption im Darm. Durch Fett im Essen kann die Resorption weiter verstärkt werden.
Der Vitamin-A-Gehalt in Nahrungsmitteln wird einheitlich als Retinoläquivalent (RAE) angegeben. Äquivalent zu 1 µg Retinol sind ca. 12 µg Beta-Carotin bzw. 24 µg anderer Carotinoiden mit Provitamin-A-Aktivität (z.B. Cryptoxanthin, Alpha-Carotin).
- Lebertran: 30.000 µg/100 g
- Leberwurst: 4.220 µg/100 g
- Karotten, roh: 800-850 µg/100 g
- Butter: 680 µg/100 g
- Milch 46 µg/100 g
Häufig werden Vitamin-A-Werte auch durch internationale Einheiten (IU) ausgedrückt, wobei 1 RAE ca. 3,33 IU Retinol und 20 IU Beta-Carotin entspricht.
Biochemie
Resorption
Retinylester werden nach Nahrungsaufnahme im Duodenum und oberen Jejunum durch Pankreaslipasen oder Esterasen (z.B. Retinylesterase) gespalten. Für die intestinale Resorption bzw. Mizellenbildung sind Gallensäuren notwendig, da die Resorption analog zur Fettresorption erfolgt. Innerhalb der Zelle wird Vitamin A v.a. an das zelluläre Retinolbindeprotein Typ 2 (CRBP-II) gebunden. In den Enterozyten wird Retinol wieder verestert. Die beteiligten Enzyme sind:
- Lecithin-Retinol-Acyltransferase (LRAT): verestert nur an CRBP-II gebundenes Retinol
- Acyl-CoA-Retinol-Acyltransferase (ARAT): verestert zusätzlich auch freies Retinol
Beta-Carotin wird durch die 15,15'-Deoxygenase zu 2 Molekülen all-trans-Retinal gespalten, die zu 11-cis-Retinal isomerisieren können. Durch Oxidation der Aldehydgruppe (Retinaloxidase) entsteht all-trans-Retinoat, das zu 9-cis-Retinoat isomierisiert werden kann. Alternativ kann durch Reduktion der Aldehydgruppe all-trans-Retinol gebildet werden (Retinoldehydrogenase). All-trans-Retinol wird durch LRAT und ARAT verestert. Wie viel des aufgenommenen Beta-Carotins in Vitamin A umgewandelt werden kann, hängt von genetischen Polymorphismen ab.
Retinylester werden in Chylomikronen eingebaut und in die Lymphe sezerniert. Freies Retinol kann weiterhin direkt über die Vena portae zur Leber transportiert werden, wo es u.a. in den Ito-Zellen gespeichert wird.
Metabolismus
An der Zellmembran der Leber werden Retinylester gespalten und freigesetztes Retinol an CRBP-I gebunden. Entweder wird gebundenes Retinol zur Speicherung mit Palmitat verestert oder zu den metabolisierenden Enzymen transportiert. Die Speicherung erfolgt in den Ito-Zellen oder in den Pankreassternzellen.[1] Eine kurzfristige Speicherung ist auch in den Hepatozyten mittels intrazellulärer Retinol-binde-Proteine möglich.
Zur Verteilung in periphere Zellen wird Retinol entweder an das retinolbindende Protein (RBP) oder an Präalbumin gebunden und ins Blut abgegeben. Der RBP-Retinol-Komplex wird im Blut mit Transthyretin assoziiert, damit eine glomeruläre Filtration verhindert wird. RBP wird von Leber- und peripheren Zielzellen mittels RBP-Rezeptor (STRA6) erkannt und Retinol in die Zelle aufgenommen. Der intrazelluläre Transport von all-trans-Retinsäure in den Zellkern erfolgt durch das zelluläre Retinsäurebindeprotein Typ 1 (CRABP-I) und Typ II (CRABP-II).
Funktionen
In den Zellen wird Retinol in die benötigte funktionelle Form umgewandelt:
- verestertes Retinol: Transportform im Plasma, Speicherform in Geweben
- Retinal: für den Sehvorgang
- Retinsäure: Regulation von Genaktivitäten, Wachstum und Entwicklung von Zellen
Sehvorgang
Vitamin A ist in Form des 11-cis- bzw. all-trans-Retinals Bestandteil des Sehpigments Rhodopsin in den Stäbchen. Dabei ist Retinal kovalent an die ε-Aminogruppe eines Lysylrests des Opsins gebunden.
Genexpression
Viele biologische Vorgänge sind Vitamin-A-abhängig, v.a.:
- Reproduktion
- Embryogenese
- Morphogenese
- Wachstum und Differenzierung von Zellen: insbesondere bei der Immunabwehr und der Aufrechterhaltung der Integrität epithelialer Barrieren der Haut, im Gastrointestinaltrakt, in der Lunge und im Genitaltrakt.
Retinsäure (und z.T. Retinol) ist notwendig für eine ungeestörte Implantation des Embryos bis zur Geburt lebensfähiger Nachkommen. Insbesondere die Entwicklung von Herz, Lunge, Skelett, Gefäß- und Nervensystem ist auf Retinsäure angewiesen. Konzentrationsgradienten von Retinsäure regulieren die Ausbildung von Extremitäten und die Polarisierung der Körperachse. Weiterhin sorgt Retinsäure für eine ungestörte Spermatogenese. Außerdem fördert es die Erythropoese und den Einbau von Eisen.
Retinsäure ist ein Ligand für verschiedene Kernrezeptoren, die als Transkriptionsfaktoren agieren. Dabei existieren zwei Rezeptorfamilien (RAR- und RXR-Rezeptoren), die als Dimer an responsive Promotorregionen binden und die Genexpression stimulieren oder unterdrücken. RAR bindet all-trans-Retinsäure und 9-cis-Retinsäure, RXR nur 9-cis-Retinsäure. Die Retinrezeptoren spielen eine wichtige Rolle bei der Zellproliferation und -differenzierung. RXRs dimerisieren auch mit anderen Zellkernrezeptoren und dienen als Coregulatoren von Genen, die auf Retinoide, auf Schilddrüsenhormonen und Calcitriol ansprechen. Weiterhin ist RXR ein Kofaktor für PPAR, der den Fettsäure- und Kohlenhydratstoffwechsel vermittelt. Insgesamt werden über 500 Gene direkt oder indirekt von Retinsäure reguliert.
Tagesbedarf
Der empfohlene Tagesbedarf von Vitamin A liegt bei Erwachsenen zwischen 0,8 und 1,0 mg (2.600 - 3.300 IU).
Klinik
Vitamin-A-Mangel
Ein Vitamin-A-Mangel entsteht v.a. in Entwicklungsländern aufgrund einer unzureichenden Zufuhr von Vitamin A bzw. von Carotinoiden. Insbesondere in Südostasien ist er endemisch, da dort Reis (enthält kein Beta-Carotin) als Hauptnahrungsmittel gilt. In Industrieländern ist ein Vitamin-A-Mangel selten und findet sich meist bei Patienten mit Malabsorption oder Maldigestion z.B. im Rahmen einer Zöliakie oder einer exokrinen Pankreasinsuffizienz.
Ein Vitamin-A-Mangel führt v.a. zu einer erhöhten Infektanfälligkeit sowie zu okulären Symptomen (Nachtblindheit bis hin zu Xerophthalmie, Keratomalazie und Erblindung).
siehe Hauptartikel: Vitamin-A-Mangel
Toxizität
Eine akute toxische Wirkung von Vitamin A wurde erstmalig in der Arktis bei Forschungsreisenden nach dem Verzehr von Eisbärenleber beobachtet. Weiterhin tritt eine Toxizität bei Aufnahme von 150 mg Vitamin A (Erwachsene) bzw. 100 mg (Kinder) auf. Als Akutsymptome imponieren:
- erhöhter Hirndruck
- Schwindel
- Doppelbilder
- Anschwellen der Fontanellen bei Kindern
- epileptische Anfälle
- exfoliative Dermatitis
Eine chronische Vitamin-A-Intoxikation findet sich v.a. in Industrieländern bei Personen, die 15 mg/d (Erwachsene) bzw. 6 mg/d (Kinder) Vitamin A über mehrere Monate aufnehmen. Symptome sind:
- trockene Haut und Hyperkeratose
- Photophobie
- Geruchsstörungen
- Haarausfall
- Cheilosis
- Glossitis
- Erbrechen
- Alopezie
- Entmineralisierung des Knochens, Skelettschmerzen, Hyperkalzämie
- Schwellungen des Periost
- Hämorrhagien
- Lymphadenopathie
- Hyperlipidämie
- Amenorrhö
- Merkmale eines Pseudotumor cerebri mit gesteigertem Hirndruck und Papillenödem
- Leberfibrose mit portaler Hypertension
- Spontanaborte
- angeborene Missbildungen beim Kind (z.B. kraniofaziale Dysmorphien, Herzvitien)
In der Schwangerschaft sollte die tägliche Dosis 3 mg nicht überschreiten. Auch Retinoidderivate incl. 13-cis-Retinsäure sind toxisch und werden mit angeborenen Fehlbildungen assoziiert.
Hohe Dosen von Carotinoiden führen nicht zu toxischen Symptomen, sollten aber von Rauchern aufgrund eines gesteigerten Lungenkrebsrisikos vermieden werden (s.u.). Sehr hohe Beta-Carotin-Dosen (ca. 200 mg/d) werden zur Behandlung von Hautausschlägen bei erythropoetischer Protoporphyrie verwendet. Nach einer regelmäßigen täglichen Aufnahme von über 30 mg Beta-Carotin kann es zu einer Carotinämie, also einer reversiblen Gelbfärbung der Haut (v.a. palmar, plantar), aber nicht der Skleren kommen. Anfällig sind Patienten mit Hypothyreose aufgrund der unvollständigen Aufspaltung von Carotin zu Vitamin A.
Labormedizin
Die Bestimmung des Vitamin-A-Spiegels kann im Rahmen von Malabsorptionssyndromen, Nachtblindheit sowie bei Verdacht auf Überdosierung indiziert sein.
Material
Für die Untersuchung werden 2 ml Serum benötigt. Nach der Blutentnahme muss die Monovette lichtgeschützt (bspw. in Alufolie gewickelt) ins Labor transportiert werden, da sonst falsch-niedrige Werte die Folge sein könnten.
Referenzbereich
Der Vitamin-A-Spiegel liegt normalerweise zwischen 40 und 150 µg/dl.[2] Die Referenzbereich ist methodenabhängig. Deshalb finden sich in der Literatur auch andere Werte. Im Einzelfall ist der vom Labor angegebene Wert ausschlaggebend.
Pharmakologie
All-trans-Retinsäure (Tretinoin) wird bei der akuten Promyelozytenleukämie sowie topisch bei Akne vulgaris verwendet.
Eine präventive Wirkung von Beta-Carotin gegen Krebs wurde aufgrund von epidemiologischen Studien postuliert. Interventionsstudien an Rauchern mit hohen Beta-Carotin-Dosen erbrachten jedoch eher eine Häufung von Lungenkrebs.
Carotinoide ohne Provitamin-A-Funktion (z.B. Lutein, Zeaxanthin) werden als Schutz vor einer Makuladegeneration empfohlen, wobei nur begrenzte Daten vorliegen. Lycopin wird eine Schutzfunktion gegen Prostatakrebs zugeschrieben.
Literatur
- Laborlexikon.de; abgerufen am 21.04.2021
Quellen
- ↑ Omary MB et al.:The pancreatic stellate cell: a star on the rise in pancreatic diseases. In: Journal of Clinical Investigation. Band 117, Nr. 1, Juni 2007, S. 50–59, doi:10.1172/JCI30082, PMID 17200706.
- ↑ Labor Wisplinghoff, abgerufen am 08.05.2023
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