Sehvorgang
Definition
Unter dem Sehvorgang versteht man die zu einem Aktionspotenzial führende Reaktion der Fotorezeptoren auf einen Lichtreiz.
Ausgangssituation
Im Gegensatz zu vielen anderen Zellen des Körpers sind die Photosensoren bei Dunkelheit auf –30mV depolarisiert. Die Depolarisation resultiert aus der Öffnung von cGMP-abhängigen Natrium- und Calcium-Kanälen und der damit erhöhten Leitfähigkeit für Natrium- und Calciumionen. Diese führt zu einer Verschiebung des Membranpotenzials in Richtung des Natrium- und Calciumgleichgewichtspotenzials.
Ablauf des Sehvorgangs
Stäbchen
Entstehung
In den Stäbchen der Retina befindet sich Rhodopsin, das aus Opsin und 11-cis-Retinal besteht. Ein Lichtreiz bewirkt die Konformationsänderung des winkelförmigen 11-cis-Retinals zum gestreckten All-trans-Retinal und zur Umwandlung des Rhodopsins in Meta-Rhodopsin II über die Zwischenstufen Prälumirhodopsin, Lumirhodopsin und Meta-Rhodopsin I. Das Meta-Rhodopsin II aktiviert das G-Protein Transducin. Transducin wiederum führt zur Aktivierung einer Phosphodiesterase, welche cGMP zu GMP hydrolisiert.
Die Abnahme der cGMP-Konzentration führt zur Schließung der cGMP-abhängigen Natrium- und Calciumkanäle, so dass das Membranpotenzial nun stark von der Kalium-Leitfähigkeit beeinflusst wird. Da das Kalium-Gleichgewichtspotenzial etwa -90mV beträgt, kommt es zu einer Hyperpolarisation als Primärpotential.
Die Hyperpolarisation führt zu einer verminderten Ausschüttung von Glutamat an den Bipolarzellen, die an diesen Zellen ebenfalls zu einer Änderung des Membranpotenzials führt.
Die Ganglienzellen setzen das Rezeptorpotenzial in ein Aktionspotenzial mit einer bestimmten Frequenz um, die von der Größe der Hyperpolarisation der Stäbchen abhängt.
Beendigung
Durch die Hemmung der Natrium- und Calciumkanäle sinkt die Calciumkonzentration in den Photosensoren. Durch den Abfall der Konzentration kommt es zur Aktivierung einer Calcium-empfindlichen Guanylatzyklase, die vermehrt cGMP produziert. Das cGMP bewirkt die erneute Öffnung der Natrium- und Calciumkanäle, so dass die Zelle wieder depolarisiert und schließlich wieder ihren Ausgangswert von –30mV erreicht.
Im Pigmentepithel kann das All-trans-Retinal enzymatisch wieder in 11-cis-Retinal umgewandelt werden und wird danach wieder in die Photosensoren transportiert, wo es sich erneut mit Opsin zum Rhodopsin verbinden kann.
Zapfen
Der Sehvorgang in den Zapfen ähnelt dem in den Stäbchen. In den Zapfen gibt es jedoch drei verschiedene Opsine:
- Blau-Zapfen: Das Absorptionsmaximum dieser Zapfen liegt bei 420nm, sie absorbieren blau-violettes Licht.
- Grün-Zapfen: Das Absorptionsmaximum liegt bei 535nm, sie absorbieren blau-grünes bis gelbes Licht.
- Rot-Zapfen: Ihr Absorptionsmaximum liegt bei 565nm, sie absorbieren gelbes bis rotes Licht.
Das Verhältnis der Erregung der einzelnen Zapfen führt dabei zu einem bestimmten Farbeindruck.
Biochemische Abläufe im Sehzyklus
- Retinol wird an der äußeren Kapillarseite der Retina aufgenommen und an zelluläres Retinol-bindendes Protein (CRBP) fixiert.
- Anschließend erfolgt eine Übertragung des Retinols auf ein zelluläres Retinal-bindendes Protein (CRALBP), das bevorzugt die 11-cis-Form von Retinol bindet.
- Nach der Bindung an CRALPB wird 11-cis-Retinol zu 11-cis-Retinal oxidiert.
- Das 11-cis-Retinal wird in die Fotorezeptoren transportiert und dort an das Apoprotein Opsin gebunden, wodurch Rhodopsin entsteht.
- Nach Lichteinfall wird 11-cis-Retinal zu all-trans-Retinal isomerisiert und dadurch wieder vom Rhodopsin abgelöst.
- Die durch die Isomerisierung und Ablösung initiierte Konformationsänderung des Opsins führt über verschiedene Kaskaden zum Schließen des Kationkanals an der Oberflächenmembran des Fotorezeptors.
- Es kommt zu einer Hyperpolarisation mit der Folge eines Nervenimpulses, der zur Sinneswahrnehmung führt.