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Tinnitus

(Weitergeleitet von Ohrgeräusch)

von lateinisch: tinnere - klingeln
Synonyme: Tinnitus aurium, Enechema, Susurrus aurium, Ohrensausen, Ohrgeräusch, Ohrenrauschen, Ohrenklingeln
Englisch: tinnitus

1. Definition

Als Tinnitus bezeichnet man Geräuscheindrücke, die nicht durch ein Schallereignis ausgelöst werden. Es handelt sich um Phantomgeräusche. Vom Tinnitus abzugrenzen sind akustische Halluzinationen oder das Hören von Stimmen.

2. Einteilung

2.1. ...nach Objektivierbarkeit des Befunds

Grundsätzlich erfolgt die Unterscheidung nach der Wahrnehmbarkeit:

  • Objektiver Tinnitus: Der Patient hört Schallaussendungen einer körpereigenen physikalischen Schallquelle im Ohr bzw. in der Nähe des Ohres.
  • Subjektiver Tinnitus: Es liegt weder eine externe noch eine körpereigene Schallquelle vor. Der Tinnitus entsteht durch abnormale Aktivität im Innenohr und/oder im Zentralnervensystem (ZNS).

Für beide Formen gibt es unterschiedliche Ursachen.

2.2. ...nach Verlaufsdauer

Es werden nach ihrer Verlaufsdauer verschiedene Formen des Tinnitus aurium unterschieden:

  • akutes Ohrgeräusch (bis 3 Monate nach Auftreten)
  • chronisches Ohrgeräusch (ab 3 Monaten).

Diese Einteilung basiert auf klinischen Erfahrungswerten und teilweise auf unterschiedlichen pathophysiologischen Abläufen, wobei die Übergänge fließend sind. Bei der chronischen Form spielen neurophysiologische Lernprozesse, kognitive Sensibilisierungen und neuroplastische Prozesse eine größere Rolle.

Die Einteilung nach Verlaufsdauer ist auch prognostisch relevant: Akute Ohrgeräusche zeigen in der Regel häufiger eine Spontanheilung oder Besserung als ein Tinnitus mit chronischem Verlauf. Die Bezeichnung "subakutes Ohrgeräusch" wird in der aktuellen Leitlinie nicht mehr verwendet.

2.3. ...nach Begleitbefund

2.4. ...nach Schweregrad

Die Einteilung des Tinnitus anhand des Schweregrades berücksichtigt primär die Auswirkungen des Ohrgeräusches im beruflichen und privaten Bereich. Man unterscheidet:

  • kompensierter Tinnitus: Der Patient kann mit dem Ohrgeräusch umgehen, sodass kein oder ein nur geringer Leidensdruck besteht. Die Lebensqualität ist nicht wesentlich beeinträchtigt.
  • dekompensierter Tinnitus: Auswirkungen auf private und berufliche Lebensbereiche. Führt zur Entwicklung oder Verschlimmerung einer Komorbidität. Hoher Leidensdruck und wesentliche Beeinträchtigung der Lebensqualität.

3. Klassifikation

Nach Biesinger lässt sich der Tinnitus in vier Schweregrade einteilen:[1]

  • Grad I: Die Belastung durch den Tinnitus ist gering. Trotz der Ohrgeräusche besteht kein Leidensdruck.
  • Grad II: Der Tinnitus tritt hauptsächlich bei Stille auf. In bestimmten Situationen oder bei Stress wird er als belastend erlebt.
  • Grad III: Der Tinnitus führt zu einer dauernden Beeinträchtigung im privaten und beruflichen Bereich. Es treten emotionale, kognitive und körperliche Störungen auf.
  • Grad IV: Der Tinnitus ist vollständig dekompensiert. Die Betroffenen sind erwerbsunfähig. Es können Suizidgedanken oder -versuche vorliegen.

4. Ätiologie

Die möglichen organischen Ursachen eines Tinnitus sind vielfältig. Die Symptomatik kann dabei direkt vom Hörorgan bzw. der Hörbahn ausgehen ("otogen") oder durch Störungen außerhalb des Hörorgans ("nicht-otogen") bedingt sein.

4.1. Otogene Ursachen

4.2. Nicht-otogene Ursachen

Eine wichtiger Tinnitus-Auslöser sind ototoxische Medikamente, die den Vestibularapparat und die Cochlea schädigen. Dazu zählen z.B. Aminoglykoside, bestimmte Zytostatika, Schleifendiuretika oder Salicylate.

Weitere nicht-otogene Ursachen sind:

5. Symptomatik

Die Geräuscheindrücke bei einem Tinnitus sind interindividuell sehr vielfältig und können unter anderem folgenden Charakter haben:

  • Brummen
  • Klingeln
  • Pfeifen
  • Zischen
  • Rauschen
  • Knacken

Die Störung kann dabei eine konstante Intensität besitzen oder einen rhythmischen bzw. pulsierenden Charakter haben. Den Patienten gelingt es nicht immer, ihre subjektiven Wahrnehmungen mit einem realen Geräusch zu verbinden.

6. Komorbiditäten

Im Zusammenhang mit einem Tinnitus finden sich gehäuft psychiatrische Komorbiditäten, insbesondere Angststörungen, Depressionen und Schlafstörungen. Diese stellen zusätzlich einen Risikofaktor für die Tinnitusentstehung dar und können diesen verstärken.

7. Diagnostik

7.1. Anamnese

Die Anamnese stellt die Grundlage der Tinnitus-Diagnostik dar und ermöglicht eine Einschätzung des Schweregrades sowie der Komorbiditäten. Wichtige Aspekte sind:

  • Lokalisation: rechts, links, beidseits, "im Kopf"
  • Pulsierendes Ohrgeräusch?
  • Verlauf: Plötzlicher Beginn? Schwankende Lautstärke? Unterbrechungen?
  • Maskierung durch Umgebungsgeräusche?
  • Begleitende Hörstörung oder Gleichgewichtsstörungen?
  • Beeinflussung durch bestimmte Kopf- oder Kieferhaltungen?
  • Medikamentenanamnese
  • Vorerkrankungen

7.2. Weitere Diagnostik

Folgende HNO-ärztliche Untersuchungen sollten durchgeführt werden:

Individuell kommen noch folgende diagnostische Methoden in Frage:

8. Differentialdiagnosen

9. Therapie

Die Behandlung des Tinnitus richtet sich nach der Ursache und nach der Dauer und Schwere der Erkrankung.

9.1. Akuter Tinnitus

Beim akuten Tinnitus werden durchblutungsfördernde Maßnahmen (beispielsweise die rheologische Therapie), Kortikoidtherapie und ionotrope Therapien durchgeführt. Beide sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit umstritten, da keine beweiskräftigen Studien existieren. Das trifft in höherem Grad für Nahrungsergänzungsmittel, Antioxidantien oder Phantasiearzneimittel ("Hörpille") zu. Für die Wirksamkeit von Glutamatantagonisten besteht eine schwache Evidenz.

9.2. Chronischer Tinnitus

9.2.1. Basistherapie

Entscheidend beim chronischen Tinnitus ist das sogenannte Counseling, d.h. eine ausführliche Beratung des Patienten hinsichtlich der Ätiopathogenese, der persönlichen Verarbeitung, der Prognose sowie tinnitusverstärkender Faktoren. Eine zusätzliche Beratungsfunktion übernehmen Selbsthilfegruppen (z.B. die Tinnitusliga).

Bei gleichzeitig nachweisbarem Hörverlust kann eine Audiotherapie wirksam sein. Hörgeräte oder Cochleaimplantate nur aufgrund der Indikation Tinnitus werden aber nicht empfohlen. Die Evidenzlage für Rauschgeneratoren, die den Tinnitus überdecken (Masking), sogenannte Noiser, ist schwach. Auch die Kombination aus Counseling und frequenzunmoduliertem Rauschen mittels Noiser als sogenannte Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT) wird nicht empfohlen.

Weiterhin denkbar - aber ebenfalls schwach belegt - sind manualmedizinische oder physiotherapeutische Behandlungen der HWS sowie zahnärztliche bzw. kieferorthopädische Therapien.

9.2.2. Kognitive Verhaltenstherapie

Eine spezifische kognitive Verhaltenstherapie kann bei chronischem Tinnitus die Lebensqualität nachweislich verbessern. Sie soll dazu führen, dass dem Ohrgeräusch weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird, Ängste abgebaut werden und der Patient somit Bewältigungsstrategien erlernt.

9.2.3. Medikamentöse Therapie

Eine spezifische medikamentöse Therapie mit nachgewiesener Wirksamkeit zur Behandlung eines chronischen Tinnitus steht derzeit (2021) nicht zur Verfügung. Keine Wirksamkeit weisen z.B. Ginkgo biloba, intratympanale Glukokortikoide, Glutamatantagonisten (z.B. Memantin), Melatonin, Gabapentin oder Zink auf.

9.2.4. Weitere Therapien

10. Prophylaxe

Um einem otogenen Tinnitus z.B. im Rahmen einer Lärmschwerhörigkeit vorzubeugen, sollten geeignete Maßnahmen zum Lärmschutz getroffen werden (Tinnitus-Prophylaxe).

11. Leitlinie

12. Quellen

  1. E. Biesinger, H. Iro (Hrsg.): Tinnitus. Springer-Verlag, Heidelberg 2005, ISBN 3-540-27491-X

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