Bogengangsdehiszenz
Synonyme: obere Bogengangsdehiszenz, Syndrom des dritten mobilen Fensters, innere Perilymphfistel
Englisch: superior semicircular canal dehiscence(SSCD), dehiscence of the superior semicircular canal
Definition
Die Bogengangsdehiszenz, kurz SSCD, ist ein seltenes Krankheitsbild, bei dem es zum Verlust der knöchernen Abdeckung des oberen Bogengangs im Innenohr kommt. Sehr selten ist der hintere oder horizontale Bogengang betroffen. Treten Symptome auf, spricht man auch von einem Bogengangsdehiszenz-Syndrom (SSCDS).
Epidemiologie
Die genaue Inzidenz und Prävalenz der Bogengangsdehiszenz ist derzeit (2020) unklar. Möglicherweise handelt es sich bei einem Großteil der früher angenommenen (äußeren) Perilymphfisteln im Mittelohr tatsächlich um innere Fisteln des anterioren Bogengangs, da diese indirekt auch zu einer pathologischen Beweglichkeit der Mittelohrfenster (rundes Fenster, ovales Fenster) führen können. Daher wird die Bogengangsdehiszenz auch als Syndrom des dritten mobilen Fensters bezeichnet.
Ätiopathogenese
Wenn der vordere bzw. obere Bogengang an der höchsten Stelle nicht komplett von Knochen umhüllt ist, kann hier eine Verbindung zum Schädelinneren entstehen. Durch veränderte Schalldruckweiterleitung kann es zu einer Störung der Innenohrfunktion mit entsprechenden Symptomen kommen.
Die Ursache des SSCD ist derzeit (2020) unklar. Vermutet werden angeborene Knochendefekte durch Ossifikationsstörungen des Felsenbeins oder degenerative Erkrankungen. Nur ein Fünftel der Patienten mit einer SSCD entwickeln auch ein SSCDS, sodass eine kongenitale Prädisposition in Kombination mit einer erworbenen Schädigung (z.B. Kopftrauma, intrakranieller Druckanstieg) denkbar ist.
Symptome
Ein SSCDS zeigt provozierbare kurzzeitige Dreh- oder Schwankschwindelattacken beim Pressen, Husten, Druckausgleich oder lauten Geräuschen (Tullio-Phänomen). Außerdem treten vertikale Oszillopsien beim Laufen oder Treppensteigen auf. Weitere Beschwerden sind Autophonie, Hyperakusis, pulssynchroner Tinnitus und eine Hörminderung in den tiefen Frequenzen. Fingerdruck im äußeren Gehörgang kann zur Auslösung von Augenbewegungen führen (Hennebert-Zeichen).
Diagnostik
Durch eine gezielte Anamnese kann bei Vorliegen der vestibulären und/oder audiologischen Symptome die Verdachtsdiagnose einer Bogengangsdehiszenz gestellt werden. Typischerweise zeigt sich ein rotierender vertikaler Nystagmus. Die Otoskopie ergibt keinen pathologischen Befund.
Wegweisend sind die Tonschwellenaudiometrie und die vestibulär evozierten Potentiale (VEMPs). Die Audiometrie zeigt dabei i.d.R. eine gabelförmige Tieftonschallleitungsschwerhörigkeit auf dem betroffenen Ohr, während die Knochenleitungskurve normal oder sogar verbessert ist. Die VEMP-Befunde sind im klassischen Fall auf dem betroffenen Ohr früher und in stärkerer Amplitude ableitbar (erniedrigte Schwelle).
Zur Diagnosesicherung dient eine hochauflösende Computertomographie des Felsenbeins mit Rekonstruktion des oberen Bogengangs in seinem Verlauf.
Therapie
Eine Therapie der Bogengangsdehiszenz ist i.d.R. nur bei ausgeprägten Beschwerden notwendig. In einigen Fällen kann die symptomatische Einlage eines Paukenröhrchens erwogen werden, um den Ohrdruck oder die Autophonie zu reduzieren. Ein Versuch mit Carbamazepin ist ebenfalls möglich.
Eine kausale Therapie ist durch neurochirurgische Deckung des Knochendefekts ("roofing") oder Okklusion des Bogenganges ("plugging") möglich. Der operative Zugang zum oberen Bogengang erfolgt subtemporal oder transmastoidal.
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