Liquordiagnostik
Synonyme: Liquoruntersuchung, Liquoranalyse
Englisch: cerebrospinal fluid diagnostic, CSF diagnostic, CSF analysis
Definition
Unter Liquordiagnostik bzw. Liquoruntersuchung versteht man eine labormedizinische Untersuchung des Liquor cerebrospinalis.
Indikationen
Nicht alle Krankheiten, die das Zentralnervensystem (ZNS) betreffen, können durch eine Blutuntersuchung nachgewiesen werden. Dies liegt an der Blut-Liquor-Schranke, die verhindert, dass bestimmte Stoffe frei zwischen Blut und ZNS wechseln können. Eine Liquordiagnostik ist unter anderem indiziert bei:
- Infektionen: z.B. akute Meningitis, Enzephalitis oder Myelitis durch Viren oder Bakterien, progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML), Neurolues, Neuroborreliose
- Autoimmunerkrankungen: z.B. chronische inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (CIDP), Multiple Sklerose (MS), Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung, Neurolupus, Neurosarkoidose
- neurodegenerativen Erkrankungen: z.B. Morbus Alzheimer, Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (CJK), Amyotrophe Lateralsklerose (AML)
- vaskulären Erkrankungen: z.B. Subarachnoidalblutung (SAB)
- Neoplasien: z.B. Meningeosis carcinomatosa
Vorgehen
Der zu untersuchende Liquor wird durch eine Liquorentnahme (i.d.R. mittels einer Lumbalpunktion) gewonnen. Anschließend wird er im Labor makroskopisch, mikroskopisch und laborchemisch analysiert. Für die Diagnostik entzündlicher Prozesse im ZNS ist die isoelektrische Fokussierung von Liquorproteinen die Methode der Wahl.
Material
Für die Untersuchung werden insgesamt 3 Liquorproben sowie 4 ml Serum benötigt.
Befunde
Übersicht
Parameter | Messmethode | Normalbefund |
---|---|---|
Beschaffenheit vor und nach Zentrifugation | Inspektion | klar, farblos |
Zellzahl | manuelle Zählung (Lichtmikroskopie, Fuchs-Rosenthal-Kammer) | < 5 Leukozyten/µl
Erythrozyten und Eosinophile Granulozyten nicht nachweisbar |
Differenzialzellbild | manuell (Lichtmikroskopie, Pappenheim-Färbung) | lymphomonozytär (Verhältnis 2:1 bis 3:1) |
Gesamtprotein | Nephelometrie, Turbidimetrie | < 500 mg/l (5-40 mg/dl) |
L-Laktat | enzymatisch | 0,9 - 2,7 mmol/l (altersabhängig) (< 2,1 mmol/l, < 19 mg/dl) |
Glukose | enzymatisch | > 0,50 Ratio Liquor/Serum (60-85 mg/dl) |
Albumin | Nephelometrie | < 5-10 Liquor/Serum x 10-3 (altersabhängig) |
Immunglobulin-Synthese im ZNS | Nephelometrie | kein Nachweis |
Erregernachweis | Gramfärbung, Kultur, Mikroskopie, PCR, Antigennachweis | kein Nachweis |
Erregerspezifische Antikörper, MRZ-Reaktion | Enzymimmunoassay | Kein Nachweis |
Hirnspezifische Proteine | Enzymimmunoassay |
|
Zytologie
Normalerweise enthält der farblose Liquor nur wenige kernhaltige Zellen, v.a. Lymphozyten und Monozyten. Dies wird im Normalbefund als "lymphomonozytäres Zellbild" bezeichnet. Bei bluthaltigem Liquor finden sich vermehrt Erythrozyten. Die Drei-Gläser-Probe ermöglicht dabei eine Unterscheidung zwischen artifizieller Blutbeimengung und Subarachnoidalblutung. Eine erhöhte Zellzahl (Pleozytose) findet sich bei entzündlichen Prozessen:
- granulozytäre Pleozytose bei bakterieller Meningitis (dabei meist weißlich-trüber Liquor)
- lymphozytäre Pleozytose bei viraler Meningitis
- eosinophile Pleozytose bei Parasitosen oder Tuberkulose
Glukose und Laktat
Eine Verringerung von Glukose und ein Anstieg von Laktat sprechen für eine bakterielle Infektion, tuberkulöse Meningitis oder Pilzinfektion. Dabei ist die Messung von Laktat diagnostisch aussagekräftiger, da seine Konzentration nicht so stark von der Serumkonzentration abhängig ist. Weiterhin kann Glukose im Liquor im Rahmen von Hirntumoren, akuten intrazerebralen oder subarachnoidalen Blutungen sowie Leukämien mit ZNS-Infiltrationen erniedrigt sein. Um den Einfluss der Blutglukose herauszurechnen, kann auch ein Liquor-Serum-Quotient für Glucose angegeben werden.
Proteine
Eine Erhöhung des Proteingehalts bzw. der Immunglobuline im Liquor kann zwei Ursachen haben:
- Störung der Blut-Liquor-Schranke z.B. bei
- Entzündungen (Meningitis)
- Guillain-Barré-Syndrom
- Polyneuropathie
- Neoplasien des ZNS
- Hirnmetastasen
- Meningeosis carcinomatosa
- Hirninfarkt
- Traumata oder Blutungen
- Liquorzirkulationsstörungen
- Intrathekale Synthese von Immunglobulinen durch Infektionen oder chronisch-entzündliche ZNS-Erkrankungen
- viral, z.B. CMV, Coxsackie-Viren, EBV, FSME, HIV, HSV, Masern, Mumps, Poliomyelitis, Röteln, VZV
- bakteriell und mykotisch, z.B. Hirnabszess, Neuroborreliose, Neurolues, tuberkulöse Meningitis
- chronisch-entzündlich, z.B. multiple Sklerose, subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)
- Protozoen, z.B. Toxoplasmose
- Tumoren, z.B. Dysgerminom, Hirnmetastasen, Lymphome, Meningealkarzinose
Immunglobuline
Für die Immunglobuline im Liquor gelten folgende Referenzbereiche:
Folgende Konstellationen intrathekal synthetisierter Immunglobuline können einen Hinweis auf die Ursache geben:
IgG | IgA | IgM | |
Ein-Klassen-Reaktionen (überwiegend) | |||
---|---|---|---|
multiple Sklerose | + | ||
HSV-Enzephalitis | + | ||
Neurolues | + | ||
HIV-Enzephalitis | + | ||
Zwei-Klassen-Reaktionen (überwiegend) | |||
eitrige Meningitis | + | + | |
tuberkulöse Meningitis | + | + | |
FSME | + | + | |
Drei-Klassen-Reaktionen (überwiegend) | |||
Neuroborreliose | + | + | + |
Mumps-Meningoenzephalitis | + | + | + |
opportunistische Infektionen (z.B. bei AIDS) | + | + | + |
Delpech-Lichtblau-Quotient
Um die Ursache weiter zu differenzieren, wird der Delpech-Lichtblau-Quotient (DLQ) berechnet. Er gibt das Verhältnis des Liquor-Serum-Quotienten von IgG (QIgG) zum entsprechenden Quotienten von Albumin (QAlb) an:
- DLQ = (Liquor-IgG × Serum-Albumin) / (Liquor-Albumin × Serum-IgG)
Eine Erhöhung des Delpech-Lichtblau-Quotienten über 0,7 spricht für eine – im Vergleich zu Albumin – erhöhte Konzentration von IgG im Liquor und somit eher für eine intrathekale Synthese von Immunglobulinen. Dies liegt darin begründet, dass Albumin nicht intrathekal gebildet wird. Wenn im Liquor eine relativ zur Serumkonzentration erhöhte Albuminkonzentration vorliegt, besteht i.d.R. eine Blut-Liquor-Schrankenstörung. IgG hingegen kann sowohl bei einer Schrankenstörung als auch bei intrathekaler Synthese im Liquor erhöht sein.
Diese Parameter können graphisch in einem Quotientendiagramm (Reiber-Schema) dargestellt werden. Dabei ergeben sich vier Situationen:
- QAlb und QIgG niedrig: Normalbefund
- QAlb erhöht, QIgG normal: Schrankenstörung (z.B. Guillain-Barré-Syndrom)
- QAlb normal, QIgG erhöht: intrathekale IgG-Synthese (z.B. multiple Sklerose)
- QAlb und QIgG erhöht: Schrankenstörung und intrathekale IgG-Synthese (z.B. akute Neuroborreliose, Neurotuberkulose)
Das Quotientendiagramm ist auch auf IgA und IgM übertragbar.
Referenzbereiche für QAlb sind:
Klientel | Referenzbereiche (x 10-3) | |
---|---|---|
Erwachsene | > 40 Jahre | < 8 |
< 40 Jahre | < 6,5 | |
Kinder | Neugeborene | < 28 |
Säuglinge 1 Monat | < 15 | |
Säuglinge 2 Monate | < 10 | |
Säuglinge 3 Monate | < 5 | |
Kinder 4 Monate – 6 Jahre | < 3,5 | |
Kinder 6–15 Jahre | < 5 |
Oligoklonale Banden
Oligoklonale Banden (OKB) finden sich als unspezifisches Zeichen bei subakut- und chronisch-entzündlichen ZNS-Erkrankungen. Man unterscheidet fünf verschiedene Befundmuster, wobei Typ 2 und 3 für eine intrathekale Immunglobulinsynthese sprechen:
- Typ 1: Normalbefund
- Typ 2: OKB im Liquor
- Typ 3: identische OKB im Liquor und Serum, zusätzliche isolierte OKB im Liquor
- Typ 4: OKB mit identischer Verteilung im Liquor und Serum
- Typ 5: Monoklonale Banden (i.d.R. identisch im Liquor und im Serum). Hinweis auf monoklonale Gammopathie.
Komplikationen
Bei der Entnahme des Liquors kann es zu verschiedenen Komplikationen kommen. Häufig treten selbstlimitierende postpunktionelle Kopfschmerzen auf. Seltene Komplikationen sind Infektionen (z.B. epiduraler Abszess) oder Blutungen.
Bei erhöhtem Hirndruck kann es zur zerebralen Einklemmung kommen. Daher muss bei entsprechendem klinischem Verdacht eine Bildgebung (meist mittels Computertomographie) vor der Lumbalpunktion durchgeführt werden.
Weiterführende Diagnostik
...bei Verdacht auf infektiöse Genese
Das Vorgehen folgt einer Stufendiagnostik.
- Basisdiagnostik:
- 2. Stufe:
- 3. Stufe:
- zusätzlich:
- bakteriologische Untersuchungen
- mykologische Untersuchungen
- Protozoendiagnostik
- aktivierte B-Lymphozyten
Bei fulminanten Verläufen ist die Stufendiagnostik obsolet, dann müssen alle in Frage kommenden Erreger umgehend untersucht werden.
Bei Verdacht auf Slow-Virus-Infektionen ist die Untersuchung der Neuronspezifischen Enolase indiziert.
...bei Verdacht auf Neoplasie
- CEA-Quotient (Serum, Liquor und Quotient)
- β2-Mikroglobulin
- zytologische Beurteilung
- Lymphozyten-Differenzierung
...bei Verdacht auf Rhinoliquorrhoe
Bei Rhinoliquorrhoe nach Schädelhirntrauma ist differentialdiagnostisch die Unterscheidung von Liquor oder Nasensekret notwendig:
Analyt | Liquor | Nasensekret |
---|---|---|
Beta-Trace-Protein | > 6 mg/l | < 1 mg/l |
Transferrin | nachweisbar | nicht nachweisbar |
Glucose | > 50 mg/dl | < 10 mg/dl |
Eiweiß | 40 mg/dl | 300 mg/dl |
Orientierend kann die Unterscheidung von Nasensekret und Liquor auch als POCT mit Blutzuckerteststreifen erfolgen.
siehe auch: Liquornachweis
Literatur
- DGN S1-Leitlinie Lumbalpunktion und Liquordiagnostik, abgerufen am 20.04.2020
- Laborlexikon.de; abgerufen am 02.06.2021