Galaktosämie
von altgriechisch: γαλάκτωσις ("galaktosis") - Verwandeln in Milch; αίμα ("häma") - Blut
Englisch: galactosemia, galactosaemia
Definition
Die Galaktosämie ist eine angeborene, autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselstörung, die den Galaktose-Metabolismus betrifft. Sie ist durch eine erhöhte Konzentration von Galaktose im Blut gekennzeichnet.
Hintergrund
Laktose ist das wesentliche Kohlenhydrat in der Muttermilch sowie in Säuglingsanfangsnahrungen. Es liefert ca. 40 % der Kalorien, die ein Neugeborenes aufnimmt. Laktose wird durch die Laktase der Enterozyten in Glukose und Galaktose gespalten. Anschließend wird Galaktose zur Energiegewinnung in drei enzymatischen Schritten in Glukosemetabolite überführt.
Eine Akkumulation von Galaktose findet man bei angeborenen Defekten dieser Enzyme, aber auch bei gestörter Aufnahme von Galaktose in die Hepatozyten (Fanconi-Bickel-Syndrom) oder bei Umgehung der Leber durch einen portosystemischen Shunt (z.B. bei persistierendem Ductus venosus hepatis).
Einteilung
Man unterscheidet folgende Störungen des Galaktosestoffwechsel:
- klassische Galaktosämie (Galaktosämie Typ 1)
- Galaktokinasemangel (Galaktosämie Typ 2)
- Uridindiphosphat-Galaktose-4-Epimerase-Mangel (Galaktosämie Typ 3)
Klassische Galaktosämie
Epidemiologie
Die Prävalenz der klassischen Galaktosämie beträgt ca. 1/40.000 mit regionalen Unterschieden.
Genetik
Die klassische Galaktosämie wird durch homozygote oder compound-heterozygote Mutationen im GALT-Gen verursacht, das auf Chromosom 9 (Genlokus 9p13) lokalisiert ist. Das Gen kodiert für das Enzym Galaktose-1-Phosphat-Uridyltransferase (GALT). Die häufigsten Mutationen in Deutschland sind p.Q188R und p.K285N (70-90 % d.F.).
Noch häufiger ist ein Allel, das eine Deletion im Promotorbereich des Gens trägt und mit dem Polymorphismus p.N314D assoziiert ist. Es kodiert für ein Enzym mit nur leicht verminderter Aktivität, das als Duarte-D2-Variante bezeichnet wird. Ungefähr 5-6 % der Normalbevölkerung sind heterozygote Träger mit ca. 75 % der normalen Enzymaktivität. Homozygote Träger (D2/D2) zeigen eine Aktivität von 50 %. Bei dieser benignen Variante ist i.d.R. keine Therapie notwendig. Trotzdem empfehlen einige Zentren eine Galaktoserestriktion für einige Monate.
Pathophysiologie
Bei praktisch völligem Fehlen der GALT-Aktivität kann Galaktose-1-Phosphat nicht zu Glukose-1-Phosphat epimerisiert werden. Die Folge ist eine Schädigung von Leber, Niere, Gehirn, Ovar und Augenlinse, wobei die genaue Ursache für die Organschäden nicht endgültig geklärt ist. Vermutet wird eine Akkumulation von Metaboliten wie Galaktitol, Galaktonat, Galaktosamin und Galaktose-1-Phosphat mit der Folge des "trappings" von Phosphat und der Verarmung an ATP, einer Hemmung von Enzymen des Glukosestoffwechsels sowie einer gestörten Glykosylierung und Galaktosylierung von Proteinen.
Klinik
Patienten mit klassischer Galaktosämie sind bei Geburt meist unauffällig und fallen erst in den ersten beiden Lebenswochen auf. Sie zeigen einen progredienten, oft lebensbedrohlichen Verlauf. Die Krankheitszeichen treten mit der Zufuhr von Laktose auf. Die ersten Symptome sind:
- Gewichtsverlust
- Muskelhypotonie
- Erbrechen, Diarrhö
- Hypoglykämie
- Trinkschwäche
- Hepatosplenomegalie
- Neugeborenenkrämpfe
- Lethargie
- akutes Leberversagen mit Ikterus, Gerinnungsstörungen und Purpura
Weiterhin besteht ein erhöhtes Risiko einer neonatalen Infektion mit Escherichia coli (z.B. Meningitis). Das Bild kann daher einer Sepsis ähneln. Parallel kann sich eine Katarakt entwickeln.
Zu den Langzeitfolgen, die durch eine galaktosereduzierte Ernährung nur begrenzt vermeidbar sind, gehören eine mäßiggradige Retardierung (v.a. Sprachstörungen) und bei Mädchen ein hypergonadotroper Hypogonadismus mit Infertilität (POF-Syndrom). Die Pubertätsentwicklung und Fertilität bei Jungen ist vermutlich normal.
Diagnostik
Die Erkrankung kann im Neugeborenenscreening (3. Lebenstag) erfasst werden. Dabei wird ein Tropfen Blut an der Ferse entnommen und die Galaktosekonzentration bestimmt (Beutler-Test). Bei der klassischen Galaktosämie steigt die Galaktosekonzentration im Blut beim Neugeborenen und beim älteren Kind nach Genuss von Milch bis auf über 10 mg/dl an.
Aufgrund des Leberschadens finden sich erhöhte Transaminasen, eine Hyperbilirubinämie, eine Hypalbuminämie, gestörte Gerinnungsparameter und erhöhte Konzentrationen bestimmter Aminosäuren im Plasma (Phenylalanin, Tyrosin, Methionin).
Die tubuläre Nierenschädigung zeigt sich als renales Fanconi-Syndrom mit Hyperaminoazidurie, Glukosurie, Proteinurie und metabolischer Azidose (Bikarbonatverlust). Dabei kommt es auch zur Ausscheidung von Galaktose im Urin, was zu einer positiven Reduktionsprobe führt.
Die Diagnose wird durch die Messung der GALT-Aktivität in Erythrozyten, den Nachweis der erhöhten Spiegel von Galaktose und Galaktose-1-Phosphat und ggf. eine molekulargenetische Analyse gesichert. Bis zum 3. Lebensjahr muss alle 6 Monate, danach jährlich eine Spaltlampenuntersuchung der Augen durchgeführt werden.
Differenzialdiagnosen
Zu den Differenzialdiagnosen der klassischen Galaktosämie zählen alle Krankheiten, die sich als neonatales Leberversagen oder schwere Cholestase manifestieren. Dazu zählen insbesondere konnatale und erworbene Infektionen, eine neonatale Hämochromatose oder andere Stoffwechselerkrankungen (z.B. Tyrosinämie).
Therapie
Bereits bei Verdacht einer klassischen Galaktosämie muss auf eine laktosefreie, galaktosearme Ernährung umstellt werden. Nach Diagnosestellung erfolgt eine lebenslange Ernährungsumstellung. Möglich ist eine parenterale oder orale galaktosearme Ernährung mit laktosefreier Formelnahrung, i.d.R. mit einem auf Sojabasis aufbauenden Präparat. Viele Elementarnahrungen enthalten Spuren von Galaktose, die vermieden werden sollten. Jedoch ist eine absolut galaktosefreie Ernährung praktisch dauerhaft nicht möglich. Galaktose kommt vorrangig als Bestandteil der Laktose in Milch und Milchprodukten vor. Bei handelsüblicher "laktosefreier Milch" ist die Laktose nur in Galaktose und Glukose gespalten worden (für Patienten mit Laktoseintoleranz). Diese Milchprodukte eignen sich nicht für Galaktosämiepatienten. In Hülsenfrüchten (z.B. Nüsse, Erbsen) sind Raffinose und Stachyose enthalten, die von Bakterien der Darmflora in Galaktose zersetzt werden können. In Obst und Gemüse kann Galaktose in freier Form vorkommen, die später jedoch toliert wird, da sie unter der Menge der endogen produzierten Galaktose liegt. Weiterhin ist auf eine ausreichende Calciumaufnahme zur Verhinderung einer Osteoporose zu achten.
Bei Mädchen wird ab dem 9. Lebensjahr eine endokrinologische Betreuung und eine rechtzeitige Hormonsubstitution (anfangs Östrogentherapie, nach Abschluss der Brust- und Uterusentwicklung Kombinationsbehandlung) eingeleitet.
Prognose
Die Prognose ist abhängig vom Zeitpunkt der Diagnose und Beginn der Ernährungsumstellung. Die endogene Produktion von Galaktose-1-Phosphat ist vermutlich ursächlich für zerebrale Schäden, Sprachentwicklungsverzögerungen, Störungen der Feinmotorik und hypergonadotropen Hypogonadismus, trotz Einhaltung der Diät.
Galaktokinasemangel
Epidemiologie
Diese seltene autosomal-rezessive Störung zeigt regionale Häufungen (z.B. auf dem Balkan). Die Prävalenz beträgt 1/40.000 bis 1/100.000.
Ätiopathogenese
Ursächlich ist ein Mangel an Galaktokinase aufgrund von Mutationen im GALK1-Gen auf Chromosom 17 (Genlokus 17q23-q25). Als Folge kann Galaktose nicht phosphoryliert werden und akkumuliert. Weiterhin wird es z.T. durch die Aldosereduktase in Galaktitol umgewandelt. In der Augenlinse führt Galaktitol durch osmotische Wirkung zu Schwellung und Denaturierung von Proteinen und somit zu einer nukleären Form der Katarakt, die sich um die 3. bis 5. Lebenswoche entwickelt. Weitere Symptome entstehen im Gegensatz zur klassischen Galaktosämie nicht.
Diagnostik
Betroffene Neugeborene können im Neugeborenenscreening erfasst werden, wenn sie mit Galaktose ernährt werden und die Gesamtgalaktose (Galaktose und Galaktose-1-Phosphat) gemessen wird. Galaktose lässt sich weiterhin als reduzierender Zucker im Urin nachweisen. Die endgültige Diagnose erfolgt durch enzymatische Tests oder durch Mutationsnachweis.
Therapie
Die Therapie besteht in einer laktosearmen Diät (Elimination von Milchprodukten). Kleinere Mengen Galaktose aus anderen Quellen werden toliert. Dabei kann es zur vollständigen Rückbildung der Katarakt kommen.
UDP-Galaktose-4-Epimerase-Mangel
Bei dieser seltenen Erkrankung ist die Aktivität des Enzyms UDP-Galaktose-4-Epimerase vermindert. Ursächlich sind Mutationen im GALE-Gen auf Chromosom 1 (Genlokus 1p36). Dabei unterscheidet man zwei Formen: Bei der peripheren Form ist der Enzymdefekt nur in Erythrozyten nachweisbar. Unter normaler Ernährung kommt es dabei zu einer Erhöhung von Galaktose-1-Phosphat. Die Patienten sind klinisch gesund, fallen aber im Neugeborenenscreening durch eine erhöhte Gesamtgalaktose auf.
Bei der schweren, generalisierten Form ist die Enzymaktivität in Leber und Fibroblasten reduziert. Dabei ist UDP-Galaktose auch bei geringer Galaktosezufuhr mit der Nahrung erhöht, während Galaktose-1-Phosphat nur nach exzessiver Galaktosezufuhr ansteigt. Die schwere Form verläuft ähnlich wie die klassische Galaktosämie.
Patienten mit UDP-Galaktose-4-Epimerase-Mangel sind auf eine exogene Galaktosezufuhr angewiesen, da eine endogene Bildung nicht möglich ist. Bei einer Zufuhr von 1-2 g/d bleibt die Galaktose-1-Phosphat-Konzentration in Erythrozyten im Normalbereich, die UDP-Galaktose ist dabei gering erhöht. Die zusätzliche Zufuhr von N-Acetylgalaktosamin sollte erwogen werden.
Weblinks
- [1] - Galaktosämie e.V. - Gemmeinnützige Elternitiative
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