Neonatale Hypoglykämie
Englisch: neonatal hypoglycaemia
Definition
Eine neonatale Hypoglykämie liegt vor, wenn der Blutzuckerspiegel des Neugeborenen unter 47 mg/dl (2,6 mmol/l) liegt.
Epidemiologie
Die Inzidenz der neonatalen Hypoglykämie ist abhängig vom Ernährungszustand, dem Gestationsalter und dem Fütterungsbeginn. Eine neonatale Hypoglykämie tritt bei etwa 2 bis 4 % der reifen Neugeborenen und 5 bis 10 % der Frühgeborenen auf. Bei wachstumsretardierten Zwillingen und dystrophen Neugeborenen steigt die Rate auf bis zu 20 %.
Physiologie
Neugeborene haben aufgrund des großen Hirnvolumens im Vergleich zum Körpergewicht einen hohen Glukosebedarf.
Vor der Geburt erhält der Fetus die nötige Glukose über die Plazenta und mittels fetaler Glykogensynthese. Mit der Geburt beginnt eine komplexe Umstellung des Stoffwechsels, damit das Neugeborene in der Lage ist, Glukose zu produzieren und den Zuckerhaushalt zu regulieren. Dafür steigen postnatal die Katecholamin- und Glukagonspiegel an, was die Glykogenolyse anregt. Zudem wird über die Ausschüttung von Wachstumshormon und Kortisol die Glukoneogenese angekurbelt und die Insulinspiegel sinken. All dies hat einen Anstieg der Blutglukose zur Folge.
Auch wenn diese postnatale Umstellung problemlos abläuft, kann eine vorübergehende Hypoglykämie auftreten. Bei gesunden Neugeborenen wird im Falle einer Hypoglykämie mithilfe der Lipolyse Energie aus Laktat oder Ketonkörpern gewonnen. Bestimmte Risikofaktoren können jedoch dazu führen, dass der Blutzuckerspiegel postnatal stärker abfällt (z.B. durch einen relativen Hyperinsulinismus), bzw. anderweitig nicht ausreichend Energie gewonnen werden kann (z.B. zu wenig Körperfett, Mangel an Substraten für die Glukoneogenese oder leere Glykogenspeicher).
Ätiologie
Eine Hypoglykämie entsteht durch unzureichende Zufuhr bzw. Produktion von Glukose oder bei einem erhöhten Glukoseverbrauch. Mögliche Auslöser sind:
- geringe Glykogenreserven
- Dystrophie
- Frühgeburtlichkeit
- verzögertes Füttern
- erhöhter Glukoseverbrauch bei
- Hypothermie
- perinatalem Stress, z.B. bei Atemnotsyndrom
- Rhesusinkompatibilität
- Hyperinsulinismus oder Wirkung insulinähnlicher Faktoren
- maternaler Schwangerschaftsdiabetes
- familiäre Nesidioblastose
- Beckwith-Wiedemann-Syndrom (IGF-2-Wirkung)
- vorangehende Tokolyse mit β2-Agonisten[1]
- Stoffwechseldefekte
- Austauschtransfusionen
Klinik
In der Mehrzahl der Fälle wird die Hypoglykämie zwischen dem ersten und dritten Lebenstag beobachtet, seltener zwischen dem dritten und siebten Lebenstag. Viele Neugeborene zeigen keinerlei Symptome. Teils treten unspezifische Symptome, wie Zittern oder Unruhe auf, aber auch Krampfanfälle sind möglich. In schweren Fällen sind die betroffenen Neugeborenen komatös und leiden unter einer Zyanose und Apnoen.
Diagnostik
Wenn das Neugeborene ein erhöhtes Risiko für eine Hypoglykämie hat, wird der Blutzuckerspiegel in regelmäßigen Abständen bestimmt.
Differenzialdiagnose
Eine Hypoglykämie kann einerseits die Folge der postnatalen Umstellung sein, jedoch andererseits auch ein unspezifisches Symptom anderer Erkrankungen. Hierzu gehören:
Die unspezifischen klinischen Symptome können ebenfalls auf andere Erkrankungen hinweisen, z.B. auf Infektionen, Hypokalzämie oder einen Opioidentzug.
Therapie
Bei erhöhtem Hypoglykämierisiko wird bereits prophylaktisch darauf geachtet, dass bereits in der ersten Lebensstunde mit der Ernährung begonnen wird, zudem werden Dextrose-Gel und Zusatzernährung eingesetzt.
Wenn der Blutzuckerspiegel unter den Grenzwert von 47 mg/dl bzw. 2,6 mmol/l sinkt, wird ebenfalls zuerst eine enterale Therapie (Dextrose-Gel, Zusatzernährung) begonnen. Persistiert der niedrige Blutzucker, erfolgt eine intravenöse Dextrosegabe.
Persistiert die Hypoglykämie trotz intravenöser Glukosegabe, kann Glukagon verabreicht werden. Möglich ist ebenfalls die Gabe von Prednisolon.
Zusätzlich sollte der Calciumspiegel überwacht werden, da Hypoglykämie und Hypokalzämie häufig gleichzeitig auftreten.
Prognose
Die Prognose wird bestimmt von Dauer, Häufigkeit und Ursache der Hypoglykämie. Es gibt Hinweise, dass sich das Auftreten von neonatalen Hypoglykämien auf die langfristige neurologische Entwicklung negativ auswirken kann.
Ein erhöhtes Risiko für das Auftreten neurologischer Langzeitfolgen besteht bei einer schweren Hypoglykämie (< 36 mg/dl bzw. < 2,0 mmol/l), bei einer prolongierten Hypoglykämie über 4 Stunden oder beim wiederholten Auftreten von Hypoglykämien.
Prophylaxe
Bei Risikoneugeborenen sollte der Blutzuckerspiegel regelmäßig überprüft werden. Zudem wird auf eine frühzeitige (erste Lebensstunde) Ernährung geachtet. Des Weiteren werden Dextrose-Gel und Zusatzernährung innerhalb der ersten Lebensstunde eingesetzt.
Literatur
- Pädiatrieschweiz.ch – Leitlinie zur Prävention und Therapie der Hypoglykämie bei Neugeborenen ab 35+0 Schwangerschaftswochen auf der Wochenbettstation, abgerufen am 14.05.2024
- aerzteblatt.de – Neonatale Hypoglykämie: Häufiger als angenommen, aber meist ohne Folgen, abgerufen am 14.05.2024
- msdmanuals.com – Neugeborenen-Hypoglykämie, abgerufen am 14.05.2024
Einzelnachweise
- ↑ Fachinformation zu Partusisten® (Fenoterol) der Firma Hikma, Seite 7.
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