Schwangerschaftsdiabetes
Synonyme: SS-Diabetes, Gestationsdiabetes, Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diabetes mellitus Typ 4, Typ-4-Diabetes
Englisch: gestational diabetes
Definition
Der Schwangerschaftsdiabetes, kurz GDM, ist eine Störung des Glukosestoffwechsels, die erstmals während einer Schwangerschaft diagnostiziert wird. Der Begriff bezieht sich auf den Zeitpunkt der Erstdiagnose und umfasst verschiedene Diabetesformen.
Vom Schwangerschaftsdiabetes abgegrenzt wird ein Diabetes mellitus während der Schwangerschaft, der vorher schon bestand.
ICD-10-Code
Nach ICD-10 wird der Schwangerschaftsdiabetes unter der Ziffer "O24.4" kodiert.
Epidemiologie
Der Schwangerschaftsdiabetes ist eine weltweit zunehmende Erkrankung. Er ist relativ häufig und tritt (je nach Definition) in bis zu 20% aller Schwangerschaften auf. Daher ist ein konsequentes Screening aller Schwangeren erforderlich.
Risikofaktoren
Ein hohes Risiko für die Entstehung eines Schwangerschaftsdiabetes haben Schwangere mit Übergewicht, familiärer Diabetesanamnese, gestörter Glukosetoleranz in der Vorgeschichte, Glukosurie, Makrosomie des ersten Kindes und deutlicher Gewichtszunahme in der vorangegangenen Schwangerschaft. Für diese Gruppe ist ein frühestmögliches Glukosescreening angezeigt.
Pathogenese
Durch die Hormonveränderung in der Schwangerschaft verändert sich der gesamte Metabolismus. Die Zellen entwickeln unter dem Einfluss verschiedener Hormone (u.a. Östrogen, Progesteron, Humanes Plazentalaktogen, HCG, plazentares Wachstumshormon, Prolaktin und Kortisol) sowie proinflammatorischer Signalstoffe (z.B. TNF-alpha) eine Insulinresistenz. Um die Insulinresistenz auszugleichen, muss der Körper die Insulinsekretion erhöhen. Wenn eine latente Störung der Beta-Zellen bestand, wird dies durch die Schwangerschaft aufgedeckt.
Symptome
Folgende Auffälligkeiten während der Schwangerschaft können Hinweise auf einen Gestationsdiabetes sein:
- Rezidivierende Harnwegsinfekte oder Scheidenentzündungen durch die vermehrte Zuckerausscheidung im Urin
- Polyhydramnion (erhöhte Fruchtwassermenge)
- übermäßige Gewichts- und Größezunahme des Fetus
- Bluthochdruck
Risiken
Mutter
- Das Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie oder Eklampsie während der Schwangerschaft ist signifikant erhöht.
- Durch das erhöhte Geburtsgewicht des Kindes ist die Rate an Kaiserschnitten und vaginal-operativen Entbindungen mit Saugglocke oder Zange erhöht.
- Bei erneuter Schwangerschaft tritt häufiger eine Glukosetoleranzstörung auf.
- Das Risiko für die spätere Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ II ist gesteigert.
Kind
- Dem Embryo im Mutterleib droht eine Fetopathia diabetica. Durch den erhöhten Blutzucker im Blut der Schwangeren, welches das Kind versorgt, hypertrophieren und hyperplasieren die Beta-Zellen des Kindes. Es werden vermehrt Wachstumsfaktoren ausgeschüttet, was zu einer Makrosomie des Kindes führt.
- Postpartal können Hypoglykämie, Hyperbilirubinämie, Polyglobulie oder ein Atemnotsyndrom auftreten.
- Schwerste Komplikation eines unbehandelten Gestationsdiabetes ist der plötzliche intrauterine Fruchttod.
- Langzeitfolgen: Die Kinder können eine Fehlsteuerung gegenüber Stoffwechselreizen entwickeln, sodass ihr Risiko für Diabetes und Übergewicht erhöht ist.
Diagnostik
Die Diagnose erfolgt in der Regel über eine Screeninguntersuchung, die Teil der Schwangerenvorsorge ist. Zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche wird ein Blutzuckertest durchgeführt. Dabei trinkt die Schwangere ein Glas Wasser mit 50 g Glukose. Eine Stunde später wird der Blutzuckerwert gemessen. Ein Wert von 135 mg/dl oder höher gilt als positiver Wert im Screening. Das früher durchgeführte Screening der Urinausscheidung im Urin ist weniger sensitiv und gilt deshalb als überholt.
Bei einem positiven Screening-Ergebnis wird zur Bestätigung ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) durchgeführt. Wenn Risikofaktoren vorliegen, sollte der orale Glukosetoleranztest sofort bei Bekanntwerden der Schwangerschaft erfolgen.
Die Diagnose eines manifesten Schwangerschaftsdiabetes wird gestellt bei[1]
- einer Nüchternblutglukose von 92 bis 125 mg/dl im venösen Plasma bzw. einem 120-Minuten-Wert von 153 bis 199 mg/dl oder
- einem HbA1c-Wert von über 6,5%.
Therapie
Zu den Allgemeinmaßnahmen zählen Schulung und Aufklärung über die Krankheit, Ernährungsumstellung, Sport und die Blutzuckerselbstmessung.
Für die Einstellung des Blutzuckers werden folgende Zielwerte angestrebt:
- nüchtern: 65-95 mg/dl
- 1h postprandial: < 140 mg/dl
- 2h postprandial: < 120 mg/dl
Die medikamentöse Behandlung erfolgt mit Insulin. Orale Antidiabetika sind bei Schwangeren sowie in der Stillzeit kontraindiziert. Die Indikation zur Insulinbehandlung sollte unter Ausschöpfung der konservativen Maßnahmen zügig innerhalb von zwei Wochen gestellt werden. Sie besteht, wenn pro Woche an mindestens zwei Tagen mindestens zwei Werte prä- oder postprandial erhöht sind.
Prophylaxe
Bei Schwangeren mit Gestationsdiabetes empfiehlt sich eine monatliche Ultraschallkontrolle, um eine Makrosomie des Kindes frühzeitig zu entdecken. Des Weiteren soll die Indikation zur Gabe von Kortison zur Lungenreifung und Betamimetika zur Tokolyse enger gestellt werden. Nach der Geburt muss das Neugeborene besonders im Hinblick auf Atemnot und Hypoglykämien überwacht werden.
Frauen mit Kinderwunsch sollten bereits vor der Schwangerschaft für ein normwertiges Gewicht, und normale Blutwerte, sowie einen normalen Blutdruck sorgen. Dies lässt sich durch ausgewogene Ernährung, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Bewegung positiv beeinflussen.
Prognose
Zumeist kommt es nach der Schwangerschaft zu einer Normalisierung der Stoffwechselsituation. Da das Risiko der Frau, später an einem Diabetes mellitus zu erkranken, erhöht ist, empfiehlt sich eine regelmäßige Kontrolle der Blutzuckerwerte.
Quellen
- ↑ Deutsche Diabetes Gesellschaft, Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Schwangerschaft der DGG und Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Arbeitsgemeinschaft Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der DGGG: S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge 2. Auflage Praxisempfehlung AWMF-Registernummer: 057–008
Literatur
- Diabetes und Schwangerschaft, 2. Auflage, Springer, 2012, Simone Claudi-Böhm, Bernhard O. Böhm
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