(Weitergeleitet von Amyotrophische Lateralsklerose)
von griechisch: myos - Muskel, trophe - Ernährung
Synonyme: amyotrophische Lateralsklerose, myatrophe Lateralsklerose, Charcot-Syndrom, Lou-Gehrig-Syndrom, MAL
Englisch: amyotrophic lateral sclerosis
Die amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, ist eine chronisch-degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die mit einer Atrophie der Skelettmuskulatur und Pyramidenbahnzeichen einhergeht. Es werden mehrere Verlaufsformen unterschieden.
Die Ursachen der amyotrophen Lateralsklerose sind bis heute (2022) nicht vollständig geklärt. Eine typischerweise beobachtbare familiäre Häufung von Krankheitsfällen weist auf eine genetische Disposition hin (z.B. Mutationen im Gen für TDP-43 oder SOD1), aber auch andere Faktoren wie Virus- oder Autoimmunerkrankungen werden diskutiert. Neueste Forschungen weisen darauf hin, dass Störungen der DNA-Reparatur ein wesentlicher Auslösefaktor der amyotrophen Lateralsklerose sind.[1]
Die Symptomatik der Erkrankung resultiert aus dem Zugrundegehen der Motoneurone des Rückenmarks, die wiederum auf eine Degeneration bestimmter Hirnareale zurückgeführt werden kann. Auch ein Schwund von Ganglienzellen in motorischen Hirnnervenkernen und dem medullären Vorderhorn lässt sich regelmäßig nachweisen. In diesen Neuronen ist das Auftreten von Bunina-Körpern typisch für eine ALS.
Durch die nervalen Degenerationen kommt es sekundär zu einer Atrophie der innervierten Muskulatur, besonders an den Extremitäten; die Symptome ähneln denen einer spinalen Atrophie. Ausfälle motorischer Hirnnerven führen zur Atrophie der Gesichtsmuskulatur und führen zum Krankheitsbild einer progressiven Bulbärparalyse (PBP).
Die amyotrophe Lateralsklerose manifestiert sich üblicherweise in der zweiten Lebenshälfte und weist einen Häufigkeitsgipfel um das 7. Lebensjahrzehnt auf; Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Die Literatur gibt eine Inzidenz von 1 - 2 Fällen auf 100.000 Personen an, die Prävalenz liegt bei etwa 5:100.000.
Anmerkung: Für die amyotrophe Lateralsklerose sind Endemiegebiete beschrieben, beispielsweise auf Guam im Westpazifik. Die Inzidenz für die Erkrankung ist hier bis zu fünfzigfach erhöht. Kausal ist vermutlich die von Cyanobakterien gebildete Aminosäure β-Methylamino-L-Alanin (BMAA).[2] Sie wird unter anderem durch den Verzehr von Flughunden aufgenommen.
Bisher sind drei Formen der amyotrophen Lateralsklerose bekannt:
Die amyotrophe Lateralsklerose manifestiert sich zuerst an den Akren durch unkontrollierte Faszikulationen und später schlaffe Lähmungen. Von den kleinen Hand- und Fußmuskeln schreitet die Erkankung nach proximal fort, wo sie die Muskelgruppen an Armen und Beinen atrophieren lässt. Neben den schlaffen Paralysen nehmen viele Patienten äußerst schmerzhafte Muskelkrämpfe wahr.
Die Atrophie der Gesichtsmuskulatur lässt das Gesicht ausdruckslos und eingefallen erscheinen. Schließlich manifestieren sich Lähmungen der Muskulatur an Zunge, Gaumen, Pharynx und Larynx (Symptomatik der Bulbärparalyse), die schließlich zum Tod durch Aspiration von Fremdkörpern oder Erstickung führen.
Sensibilität, Sensorik und Bewusstsein sind während des gesamten Krankheitsverlaufs voll erhalten.
Anmerkung: Eine Sonderform der amyotrophen Lateralsklerose führt zu spastischen Lähmungen besonders der Beine, Rigidität und positiven Pyramidenbahnzeichen; sie wird als Erb-Sklerose bezeichnet.
Zur Zeit (2022) existiert keine ursächliche Therapie für die amyotrophe Lateralsklerose. Neben einer physiotherapeutischen Betreuung wird gegen die Lähmungen Pyridostigmin gegeben. Auch das TRH hat einen positiven Effekt auf die Symptomatik der amyotrophen Lateralsklerose.
Der seit 1996 zugelassene Glutamat-Antagonist Riluzol ermöglicht die Verzögerung des Fortschreitens der Krankheit. Ggf. kann Riluzol mit dem Anti-Parkinsonmittel Rasagilin kombiniert werden.[5] Einen starken Einfluss auf die Mortalität haben die verfügbaren Wirkstoffe nicht.
Der Arzneistoff Edaravon (3-Methyl-1-phenyl-5-pyrazolon) soll ebenso wie Riluzol zu einer leichten Verzögerung des Krankheitsprozesses führen (wenige Monate). Der Wirkmechanismus ist bisher (2022) unbekannt. Edaravon ist nur in Japan, der Schweiz und den USA zugelassen.
Bei progressiven Formen der amyotrophen Lateralsklerose müssen eine invasive Unterstützung der Atmung sowie eine Sondenernährung zur Aspirationsprophylaxe vorgenommen werden.
In Tierversuchen führte das Antibiotikum Minocyclin zu einer deutlichen Lebensverlängerung erkrankter Tiere. Die Anwendung des Präparats bei ALS-Patienten zeigte jedoch in einer Studie eine destruktive und krankheitsbeschleunigende Wirkung.[6]
Weil eine kurative Therapie zur Zeit nicht möglich ist, kommt der symptomatischen Therapie eine sehr wichtige Rolle zu. Nach der Bildung der bulbären Symptomatik ist für die meisten Patienten die Hypersalivation das größte Problem. Der Patient kann den Speichel nicht mehr richtig schlucken und verschluckt sich dauernd. Hier kommen anticholinerg wirksame Medikamente wie Amitriptylin, Scopolamin oder Methionin zum Einsatz, deren "Nebenwirkungen" man nutzt, um die Hypersalivation zu vermindern. Ersatzweise bietet sich eine Injektion von Botox in die Speicheldrüsen an.
Eine Bestrahlung der Speicheldrüsen kann versucht werden, wenn die pharmakologische Behandlung keine Erfolge erzielt.
Bei Angst und Unruhezuständen werden schnell wirksame Benzodiazepine eingesetzt. Dazu eignet sich sublingual und buccal applizierbares Lorazepam, da die Patienten im fortgeschrittenen Stadium nicht mehr schlucken können. Es können aber auch Diazepam-Tropfen über die PEG gegeben werden.
Wichtiger Bestandteil der Therapie ist die psychologische, vor allem neuropsychologische und psychotherapeutische Betreuung der Patienten, die das Fortschreiten bei vollem Bewusstsein erleben. Die Psychotherapie kann zur Stärkung des Lebenswillens beitragen und ermöglicht dem Patienten einen besseren Umgang mit der Krankheit.
Bei der bulbären Verlaufsform kann eine Logopädie Symptome wie Schluckstörungen oder Bisse in die Zunge bzw. Wangen mildern und hilft bei der Sprechstörung.
In der terminalen Krankheitsphase ist die Angst zu ersticken eines der größten Probleme. Ihr wird mit niedrig dosierten Opiaten wie Morphin begegnet. Opiate wirken anxiolytisch und unterdrücken das Atemzentrum in Medulla oblongata. Dadurch wird der zentrale Sollwert für Sauerstoff heruntergesetzt und die Patienten kommen subjektiv mit weniger Sauerstoff aus.
Ein weiterer Behandlungsansatz ist die Stammzelltherapie. Dabei werden autologe Stammzellen eingesetzt, die dem Patienten entweder aus dem Knochenmark oder dem Blut entnommen, gezüchtet und dann in geschädigte Areale des Großhirns und des Rückenmarks eingepflanzt werden. Die aktuelle Studienlage berichtet bei einigen Patienten vom Stillstand der Progression und von einer subjektiven Lebensqualitätsverbesserung. Eine abschließende Beurteilung ist zur Zeit (2018) nicht möglich, da die Datenlage ungenügend ist. Diese Form der Therapie ist in Deutschland nicht zugelassen.
Die amyotrophe Lateralsklerose führt üblicherweise innerhalb weniger Jahre zum Tod durch eine respiratorische Insuffizienz, die zu einer Hypoxämie und Hyperkapnie führt. Durch die verminderte Lungenbelüftung treten häufig Pneumonien auf, die den Zustand des Patienten akut verschlechtern können.
Die mittlere Überlebensdauer nach Diagnosestellung beträgt 3 Jahre, es sind aber auch Fälle mit einem deutlich längeren Überleben geschildert. Das bekannteste Beispiel hierzu ist sicherlich der Astrophysiker Stephen Hawking, der seit seiner Diagnosestellung 1963 über fünfzig Jahre überlebte und erst im Jahr 2018 verstarb.
Tags: Degenerativ, Muskelatrophie, ZNS
Fachgebiete: Neurologie
Diese Seite wurde zuletzt am 6. März 2022 um 23:30 Uhr bearbeitet.
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