Repeatexpansionserkrankung
Englisch: repeat expansion disease, repeat expansion disorder
Definition
Als Repeatexpansionserkrankung bezeichnet man eine heterogene Gruppe genetischer Erkrankungen, die durch übermäßige Wiederholungen kurzer DNA-Abschnitte (sogenannte Tandem Repeats) verursacht werden. Derzeit (2024) sind über 40 Erkrankungen bekannt, die sich überwiegend durch neurologische Symptome äußern.
Epidemiologie
Es wird geschätzt, dass etwa 1 von 3.000 Personen an einer Repeatexpansionserkrankung erkrankt sind.
Hintergrund
Sich wiederholende, kurze DNA-Sequenzen sind essenzieller Bestandteil des menschlichen Genoms. Am häufigsten handelt es sich dabei um Basentripletts. Die Anzahl an Wiederholungen ist individuell verschieden und hat in den meisten Fällen keine phänotypische Auswirkung. Eine erhöhte Anzahl an Repeats in bestimmten Regionen im Genom führt jedoch zur Entstehung von Repeatexpansionserkrankungen.
Einteilung
Repeatexpansionserkrankungen können nach verschiedenen Merkmalen eingeteilt werden:
... nach Nukleotidzahl
- Trinukleotiderkrankungen: Expansion eines Basentripletts, häufigste Art der Repeatexpansionserkrankung (z.B. Chorea Huntington)
- Tetranukleotiderkrankungen: Expansion einer Vierersequenz (z.B. PROMM)
- Pentanukleotiderkrankungen: Expansion einer Fünfersequenz (z.B. einige SCA-Formen)
- Hexanukleotiderkrankungen: Expansion einer Sechsersequenz (z.B. C9orf72-assoziierte Frontotemporale Demenz/ALS)[1]
- Dodekamer-Repeatexpansionserkrankungen: Expansion einer Zwölfersequenz (z.B. progressive Myoklonus-Epilepsie Typ 1)
... nach betroffenem Genmaterial
Man unterscheidet zwischen Repeatexpansionserkrankungen mit Repeats in kodierenden DNA-Anteilen und solchen mit Repeats in nicht-kodierenden DNA-Anteilen.
Bei einer Repeatvermehrung in einer kodierenden Sequenz (Exon, meist Basentripletts) kommt es zu einem mehrfachen Einbau der kodierten Aminosäure in das Genprodukt. Die entstandenen Proteine können dann z.B. aggregieren und zytotoxisch wirken. Je nach kodierter Aminosäure unterscheidet man Polyglutaminerkrankungen (z.B. Chorea Huntington) und Polyalaninerkrankungen (z.B. Undine-Syndrom).
Repeatexpansionserkrankung in nicht-kodierenden Bereichen können dagegen z.B. Spleißvorgänge bzw. die Genexpression beeinflussen oder pathologische Effekte durch verlängerte mRNA hervorrufen. Die Expansionen können dabei in Introns (z.B. Friedreich-Ataxie), im 3'UT-Bereich (z.B. Myotone Dystrophie 1 und 2), im 5'UT-Bereich oder im Promotor (z.B. Fragiles-X-Syndrom und Fragiles-X-assoziiertes Tremor-/Ataxie-Syndrom) liegen.
Sowohl Expansionen in kodierenden als auch nicht-kodierenden DNA-Anteilen können außerdem eine RAN-Translation (Repeat-assoziierte Non-AUG-Translation) induzieren. Dabei kommt es zu einer nicht-kanonischen Übersetzung der RNA, die aufgrund der Repeats zur Produktion funktionsloser oder schädlicher Polypeptidketten führt.
Eigenschaften
Repeatexpansionserkrankungen besitzen meist charakteristische Eigenschaften.
Die Krankheitsschwere und der Krankheitsbeginn sind i.d.R. von der Repeatzahl abhängig. Bei einigen Krankheitsbildern lassen sich für die Repeatzahl Schwellenwerte definieren, ab denen die Erkrankung auftritt. Teils gibt es dabei einen Bereich, in dem nur wenige Symptome oder ein verwandtes, weniger schweres Krankheitsbild auftreten. In diesem Fall spricht man von einer Prämutation (z.B. beim fragilen-X-Syndrom und dem fragiles-X-assoziiertes Tremor-/Ataxie-Syndrom).
Repeatexpansionserkrankungen sind häufig meiotisch instabil. Das bedeutet, dass während der Meiose die Repeatzahl zunehmen kann. Dadurch ist in nachfolgenden Generationen ein früherer Krankheitsbeginn oder ein schwererer Verlauf möglich (Antizipation).
Ein großer Teil der Repeatexpansionserkrankungen folgt einem autosomal-dominanten Erbgang.
Vertreter
Häufige Vertreter der Repeatexpansionen sind (Auswahl):
Erkrankung | Nukleotid | Gen | Mechanismus |
---|---|---|---|
Chorea Huntington | CAG | Huntingtin | Polyglutaminerkrankung mit Aggregation |
diverse spinozerebelläre Ataxien (SCA1, SCA2, SCA3, SCA6, SCA7, SCA8, SCA12, SCA17) | CAG | verschiedene | Polyglutaminerkrankungen |
Spinobulbäre Muskelatrophie Typ Kennedy | CAG | AR | Polyglutaminerkrankung mit unklarer Pathogenese |
Fragiles-X-Syndrom | CGG | FMR1 | Hypermethylierung des Promotors |
FXTAS | CGG | FMR1 | unklar |
Fuchs-Endotheldystrophie | CTG | TCF4 | evtl. veränderte Genexpression |
Myotone Dystrophie Typ 1 | CTG | DMPK | mRNA-Verlängerung mit Sequestration von mRNA-Bindeproteinen |
Myotone Dystrophie Typ 2 | CCTG | ZNF9 | wie Typ 1 |
Friedreich-Ataxie | GAA | Frataxin | Spleißstörungen |
frontotemporale Demenz | GGG-GCC (G4C2) | C9orf72 | unklar |
Amyotrophe Lateralsklerose | GGG-GCC | C9orf72 | unklar |
Progressive Myoklonus-Epilepsie Typ 1 | CCC-CGC-CCC-GCG | CSTB | unklar |
Diagnostik
Die Diagnosestellung von Repeatexpansionserkrankungen erfolgt molekulargenetisch. Je nach Wiederholungszahl sind möglich:
- allelspezifische PCR mit nachfolgender Fragmentanalyse (z.B. per SDS-PAGE) oder NGS bei geringer Wiederholungszahl
- Southern Blot bei hoher Wiederholungszahl
Quellen
- Paulson. Repeat expansion diseases. Handbook of Clinical Neurology, 2018.
- Schaaf und Zschocke. Basiswissen Humangenetik. Kapitel 3.5 Dynamische Mutationen, DNA-Repeats, S. 58ff. 3. Auflage. Springer Verlag. 2018.
Literatur
- ↑ Raguseo et al., The ALS/FTD-related C9orf72 hexanucleotide repeat expansion forms RNA condensates through multimolecular G-quadruplexes, Nature communications, 2023
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