Spinobulbäre Muskelatrophie Typ Kennedy
nach dem amerikanischen Neurologen William R. Kennedy
Synonyme: Kennedy-Krankheit, spinobulbäre X-chromosomale Muskelatrophie, SMAX1, X-chromosomale BSMA, X-chromosomale bulbo-spinale Muskelatrophie, X-chromosomale spinale und bulbäre Muskelatrophie
Englisch: spinal and bulbar muscular atrophy, Kennedy's disease
Definition
Bei der spinobulbären Muskelatrophie Typ Kennedy, kurz SBMA, handelt es sich um eine X-chromosomal-rezessiv vererbte, neurodegenerative Erkrankung. Sie geht mit einem progressiven proximalen und bulbären Muskelschwund einher. SBMA zählt zu den Polyglutaminerkrankungen.
Geschichte
Die Erkrankung wurde zum ersten Mal im Jahr 1968 durch William R. Kennedy beschrieben.
Abgrenzung
SBMA, die häufig auch als Kennedy-Krankheit bezeichnet wird, ist abzugrenzen vom Kennedy-Syndrom. Dieses Krankheitsbild ist nach Robert Foster Kennedy benannt und zeichnet sich durch die Kombination von ipsilateraler Optikusatrophie und kontralateraler Stauungspapille aus.
Epidemiologie
Aufgrund des Vererbungsmusters sind vorwiegend Männer betroffen. Frauen fungieren als Konduktoren und zeigen in der Regel keine Symptome. Es handelt sich um eine seltene Erkrankung, die Prävalenz liegt bei etwa 1:40.000. Die Inzidenz symptomatischer Fälle beträgt ca. 1:520.000 Männer pro Jahr. Dabei liegt das Hauptmanifestationsalter zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr.
Ätiologie
Ursächlich für SBMA ist eine Expansion des Polyglutaminbereichs im Androgenrezeptor-Gen. Im translatierten N-terminalen Bereich von Exon 1 findet sich in vielfacher Wiederholung das Basentriplett CAG (Triplett-Repeat). Im Zuge der Replikation kann es zur Expansion kommen, die dann an die Tochterzellen weitergegeben wird. Während man bei einer gesunden Person zwischen 9–36 Tripletts findet, weisen SBMA-Patienten 38–53 CAG-Kopien auf.
Zudem wurde ein SBMA-ähnlicher Phänotyp beschrieben, der jedoch mit distal-betonter Muskelschwäche und -atrophie der Gliedmaßen einhergeht. Grundlage dieser Sonderform ist eine Mutationen im DCTN1-Gen, das für eine Untereinheit des Dynactins kodiert.
Pathogenese
Die exakte Pathogenese der SBMA ist bislang (2024) nicht geklärt. Durch die Expansion des Polyglutaminbereiches verliert der Androgenrezeptor seine ursprüngliche Struktur und damit seine physiologische Funktion in den spinal und bulbär lokalisierten Motoneuronen.
Vermutlich handelt es sich um eine Gain-of-Function-Mutation, bei welcher der mutierte Rezeptor eine verstärkte Aktivität aufweist. Da bei Frauen die Testosteronlevel niedriger sind, bleibt die Aktivierung des Androgenrezeptors aus. Sie sind daher in der Regel asymptomatisch.
Auf der anderen Seite zeigen sich bei einigen betroffenen Männer eine Gynäkomastie und ein Hypogonadismus, was auf eine partielle Insensitivität des Rezeptors für seine Liganden hinweist.
Ein Kennzeichen von SBMA ist die intranukleäre und zytoplasmatische Aggregation des mutierten Androgenrezeptors. Es ist jedoch nicht klar, ob die Proteinaggregate selbst neurotoxisch wirken oder einen Schutzmechanismus der Zelle darstellen, um das toxische Monomer unschädlich zu machen.
Symptome
SBMA äußert sich zunächst durch das Auftreten von Tremor, Muskelkrämpfen, Myoklonien, Mattigkeit und undeutlicher Sprache. Die Betroffenen entwickeln daraufhin eine zunehmende Muskelschwäche und Muskelatrophie, die vorwiegend die Extremitäten und die Zungen- und Schlundmuskulatur betrifft. Zudem treten begleitend Faszikulationen auf. Aus der Muskelschwäche resultieren Dysphagie, Dysarthrie und Dysphonie sowie eine eingeschränkte Mobilität.
Neben den neurologischen Symptomen können, bedingt durch die Dysfunktion des Androgenrezeptors, bei Männern eine Gynäkomastie und Hypogonadismus auftreten, der zum Teil zur Infertilität führt.
Insgesamt zeigt das Krankheitsbild eine langsame Progredienz.
Diagnose
Die Diagnose der SBMA setzt sich aus mehreren Teilaspekten zusammen. Die Anamnese und klinische Untersuchung liefern dabei erste Hinweise. Diese werden gestützt durch labormedizinische Parameter. Dabei finden sich erhöhte Spiegel von Kreatinkinase, Testosteron, Progesteron, follikelstimulierendem Hormon (FSH) und luteinisierendem Hormon (LH). Ein Elektroneurogramm zeigt reduzierte Nervenleitgeschwindigkeiten oder verminderte Amplituden der Aktionspotentiale. Im Elektromyogramm sind Zeichen der akuten oder chronischen De- und Reinnervierung sichtbar.
Abschließend ist der Nachweis der Genmutation mittels molekulargenetischer Untersuchung für die Diagnose entscheidend.
Therapie
Derzeit (2024) existiert keine Kausaltherapie der SBMA, die Behandlung erfolgt symptomatisch. Bei Tremor und Myoklonien kann durch Physiotherapie und rehabilitative Maßnahmen eine Verbesserung erzielt werden. Die Gynäkomastie wird hormonell oder chirurgisch behandelt. Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf können die Ernährung über eine Sonde (z.B. PEG-Ernährung) und eine Atemunterstützung erforderlich sein.
Klinische Studien
Der Einsatz der Antiandrogene Leuprorelin und Dutasterid wurde im Rahmen klinischer Studien getestet, lieferte jedoch bislang keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Ebenfalls wird derzeit der therapeutische Effekt von Sport auf SBMA anhand klinischer Studien untersucht.
Weblink
- Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V. – Spinobulbäre Muskelatrophie (SBMA) Typ Kennedy, Informationen für Betroffene, abgerufen am 10.06.2024
Quellen
- orpha.net - Kennedy-Krankheit, abgerufen am 18.07.2022
- rarediseases - Kennedy disease, abgerufen am 18.07.2022
- Arnold und Merry Molecular Mechanisms and Therapeutics for SBMA/Kennedy’s Disease Neurotherapeutics 2019
- Grunseich et al. Spinal and bulbar muscular atrophy: pathogenesis and clinical management Oral Dis 2014
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