Fragiles-X-assoziiertes Tremor-/Ataxie-Syndrom
Synonym: FXTAS
Englisch: fragile X-associated tremor/ataxia syndrome
Definition
Das Fragiles-X-assoziierte Tremor-/Ataxie-Syndrom, kurz FXTAS, ist eine neurodegenerative Erkrankung, die durch eine X-chromosomal-dominant vererbte Triplettexpansion im FMR1-Gen entsteht.
Hintergrund
Das FXTAS ist mit dem Fragiles-X-Syndrom verwandt. Beide Syndrome werden durch eine Triplettexpansion im FMR1-Gen verursacht. Physiologischerweise finden sich weniger als 40 CGG-Repeats.
- Bei 41 bis 55 Repeats erkranken die Träger nicht, die Vererbung ist jedoch instabil, sodass die nachfolgende Generation möglicherweise mehr Repeats hat.
- Zwischen 56 und 200 Repeats, spricht man von einer Prämutation, die zu einem FXTAS führen kann.
- Wenn mehr als 200 Repeats vorhanden sind, manifestiert sich, vor allem bei Männern, ein Fragiles-X-Syndrom (Vollmutation).
Geschichte
Die Erkrankung wurde erstmalig 2001 durch Hagerman et al. in einer Fallserie an 5 älteren Männern beschrieben.[1]
Epidemiologie
Die Prävalenz wird auf 1 zu 4.000 bei Männern bzw. 1 zu 7.800 bei Frauen über 55 Jahre geschätzt.[2]
Die Penetranz der Erkrankung ist vom Geschlecht und vom Alter abhängig. Etwa eine von 200 bis 300 Frauen und einer von 400 Männern tragen das Prämutationsallel. Etwa 40 % der männlichen, aber nur 13 bis 16 % der weiblichen Prämutationsträger entwickeln ein FXTAS.[3] Die Erkrankung manifestiert sich meist nach dem 50. Lebensjahr. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit steigt mit zunehmendem Alter an. Bei männlichen Trägern sind z.B. nur 20 % der 50- bis 60-Jährigen, jedoch über 75 % der über 80-Jährigen betroffen.[4]
Ätiopathogenese
Ursache des FXTAS ist eine X-chromosomal-dominant vererbte Prämutation im FMR1-Gen am Genlokus Xq27.3. Es handelt sich um eine CGG-Trinukleotidexpansion im 5'-untranslatierten Bereich des Gens. Liegen 55 bis 200 Repeats vor (Prämutation), besteht ein Risiko für FXTAS. Im Gegensatz zur Vollmutation (> 200 Repeats), die zum Fragiles-X-Syndrom führt, kommt es nicht zu einer Abschaltung des Gens. Die Verlängerung des Gens und entsprechend der mRNA kann jedoch neurotoxische Effekte haben kann. Als schädigende Mechanismen werden dabei diskutiert:[3]
- Translationsfehler durch Trinukleotidexpansion (sog. RAN-Translation) führt zur Bildung eines Peptids, das die Kernlamina schädigen kann
- Sequestration von RNA und Proteinen mit Bildung von intranukleären Einschlüssen
- DNA-Schädigung durch Bildung von R-Loops (lange RNA-DNA-Hybridstränge) bei der Transkription
Klinik
Die klinische Symptomatik entwickelt sich schleichend. Je nach Anzahl der Repeats sind die Symptome unterschiedlich schwer ausgeprägt und treten zu verschiedenen Zeitpunkten auf. Leitsymptome sind:[3][4]
- Tremor, häufig Initialsymptom
- Intentionstremor (häufigster Befund)
- Haltetremor
- Ruhetremor
- Titubation
- Stimmtremor
- zerebelläre Gangataxie
Weitere mögliche Symptome sind:[3]
- sensomotorische und autonome, axonale Polyneuropathie (80 % der Fälle)
- oft ausgeprägte autonome Dysfunktion
- Parkinsonismus (30 bis 60 %)
- Störungen der Okulomotorik (z.B. Störung des optokinetischen Nystagmus in der Vertikalen, sakkadierte Blickfolge, Square-Wave-Sakkaden), ähnlicher Phänotyp wie bei progressiver supranukleärer Blickparese
- kognitive und neuropsychiatrische Störungen
- eingeschränkte Exekutivfunktionen
- Kurzzeit- und Langzeitgedächtnisstörungen
- kognitive Einschränkungen bis Demenz
- Depression und Angststörungen
- obstruktives Schlafapnoesyndrom
- Restless-Legs-Syndrom
- migräneartiger Kopfschmerz (insbesondere Frauen)
- Gleichgewichts- und Hörstörungen
- Hyposmie
Weibliche Betroffene leiden gehäuft unter Autoimmunerkrankungen, Hypothyreose oder Fibromyalgie.
Diagnostik
Diagnostisch richtungsweisend sind zunächst die klinische Symptomatik und die Stammbaumanalyse. Bei Verdacht auf FXTAS sollten Patienten nach Söhnen mit einer geistigen Behinderung (Fragiles-X-Syndrom) oder ähnlichen Symptomen der Eltern gefragt werden. Dabei muss der X-chromosomale Erbgang beachtet werden. Männer können die Mutation entsprechend nur von der leiblichen Mutter, nicht vom Vater geerbt haben.
In der neuroradiologischen Bildgebung kann eine bilaterale T2-Hyperintensität der Pedunculi cerebellares medii in der cMRT ("MCP-sign") beobachtet werden. Auch an anderen Stellen können T2-Hyperintensitäten auftreten. Häufig wird eine allgemeine Hirnatrophie mit Schwerpunkt im Kleinhirn und im Corpus callosum beobachtet.
Die Diagnose wird mittels molekulargenetischer Untersuchung gesichert.
Diagnosekriterien
Zur Diagnosestellung muss eine FMR1-Prämutation nachgewiesen werden. Weitere Diagnosekriterien sind:[5]
Kategorie | Major-Kriterien | Minor-Kriterien |
---|---|---|
klinische Kriterien |
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neuroradiologische Kriterien |
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neuropathologische Kriterien |
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Die Diagnose gilt als gesichert, wenn ein klinisches Major-Kriterium und entweder ein neuroradiologisches Major-Kriterium oder Zellkerneinschlüsse vorliegen.
Bei zwei klinischen Major-Kriterien oder beim Vorliegen von Zellkerneinschlüssen in Kombination mit einem klinischen Minor-Kriterium gilt die Diagnose als wahrscheinlich.
Liegen je ein klinisches Major- und ein radiologisches Minor-Kriterium vor, ist die Diagnose möglich.
Therapie
Eine Kausaltherapie ist bislang (2024) nicht verfügbar. Die Behandlung ist rein symptomatisch ausgerichtet.
Einzelnachweise
- ↑ Hagerman et al.: "Intention tremor, parkinsonism, and generalized brain atrophy in male carriers of fragile X" Neurology, 2001.
- ↑ Hall, Mailick: "The Epidemiology of FXTAS" in Tassone, Hall (Hrsg.): "FXTAS, FXPOI, and Other Premutation Disorders". Springer Verlag, 2016.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Cabal-Herrera et al.: "Fragile X-Associated Tremor/Ataxia Syndrome (FXTAS): Pathophysiology and Clinical Implications" International Journal of Molecular Sciences, 2020.
- ↑ 4,0 4,1 Schaaf und Zschocke. Basiswissen Humangenetik. Kapitel 31.10.3 Fragiles-X-Syndrom, S. 414ff.. 3. Auflage. Springer Verlag. 2018.
- ↑ Hall et al.: "Emerging topics in FXTAS" Journal opf Neurodevelopmental Disorders, 2014.
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