Frontotemporale Demenz
nach dem Prager Neurologen Arnold Pick (1851-1924)
Synonyme: Morbus Pick, Pick-Atrophie, Maladie de Pic
Englisch: Pick's disease
Definition
Die frontotemporale Demenz, kurz FTD, ist eine degenerative Hirnerkrankung aus der Gruppe der neurokognitiven Störungen, die hauptsächlich das Frontal- und Temporalhirn betrifft. Sie zählt zu den Tauopathien. Die Atrophie des Hirngewebes führt zur Frontalhirnsymptomatik und später zum demenziellen Abbau. Die Krankheit wurde erstmals 1892 von Arnold Pick beschrieben.
Systematik
Die frontotemporale Demenz gilt derzeit (2024) als eine klinische Form der frontotemporalen lobären Degeneration (FTLD). Die Systematik dieser Erkrankungen befindet sich jedoch aufgrund der unsicheren Zuordnungskriterien im Fluss.
Epidemiologie
Im Vergleich zu anderen Demenzerkrankungen, ist die Erkrankung mit einem Anteil von 1 - 2 % unter allen Demenzen relativ selten. Der Beginn der Erkrankung liegt im Präsenium, zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. Ein frühzeitiger Erkrankungsbeginn um das 40. Lebensjahr wird nur sehr selten beobachtet. Die durchschnittliche Krankheitsdauer beträgt etwa 7 Jahre im Mittel, die Extremwerte differieren zwischen 1 und 15 Jahren.
Ätiologie
Die genaue Ursache der Erkrankung ist nicht bekannt (Stand 2024). In 20-40% der Fälle findet sich eine familiäre Häufung, was auf eine genetische Ursache hinweist.[1] Etwa 13% aller und 25% der familiär gehäuften Fälle weisen ein Hexanukleotidexpansion (GGGGCC) im C9orf72-Gen auf, die sich auch bei einigen Fällen von ALS findet.[2][3] Eine FTD kann auch Teil eines Overlap-Syndroms mit einer ALS sein, hier finden sich C9orf72-Mutationen besonders häufig.[4][5] Die pathophysiologischen Konsequenzen dieser Expansion sind derzeit (2024) noch unklar, wahrscheinlich existieren mehrere pathogene Effekte. Weitere an der Krankheitsentstehung beteiligte Gene sind MAPT und GRN.[6]
Pathologie
Kennzeichnend für die Erkrankung ist eine makroskopisch starke Schrumpfung des Frontal- und Temporallappens mit Bildung des typischen Walnußreliefs. Betroffen sind der phylogenetisch und ontogenetisch spät reifende basale und frontale Neocortex. Ein Teil der degenerativ veränderten Hirnsubstanz gehört zum limbischen System und führt daher zu affektiven Symptomen. Die Projektionsareale sind nicht beteiligt.
Makroskopisch ist eine oft asymmetrische Hirnatrophie, frontal stärker als temporal und links stärker als rechts, nachzuweisen.
Mikroskopisch fallen Einschlüsse argentophiler Substanz - die sogenannten Pick-Körper - in den Nervenzellen auf. Plaques oder Alzheimer-Fibrillen sind nicht nachweisbar.
Symptome
Je nach initial vorwiegender Symptomatik unterscheidet man 3 klinische Typen, die im Verlauf ineinander übergehen können:[1]
- behaviorale Variante (bvFTD): Hier stehen Verhaltensstörungen im Vordergrund. Es besteht eine frontal betonte Hirnatrophie.
- primär progressive Aphasie (PPA): Hier steht die Aphasie im Vordergrund.
Behaviorale Variante
Hauptsymptom der behavioralen Variante sind Verhaltensstörungen und Persönlichkeitsveränderungen. Oft findet sich zu Beginn eine allgemeine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. Routinearbeiten, die ein Leben lang ausgeführt worden sind, können plötzlich nicht mehr bewerkstelligt werden. Wenig später kommt es zu Wesensveränderungen. Der Affekt ist anfangs entweder läppisch-euphorisch oder mürrisch-dysphor verändert, flacht aber bald im Sinne einer Affektarmut gänzlich ab. Das Wesen des Patienten scheint vergröbert, er agiert distanzlos und ist im geistigen Niveau gesenkt. Der Kranke ist aspontan, vernachlässigt sich selbst und andere, lebt nur noch elementare Bedürfnisse aus.
Primär progressive Aphasie
Bei der PPA finden sich initial vornehmlich Sprachstörungen. Andere Defizite können zunächst fehlen. Je nach Schwerpunkt der kortikalen Atrophie sind sowohl der Wernicke-Aphasie (svPPA), als auch der Broca-Aphasie (nfPPA) ähnelnde Sprachstörungen möglich.
Die svPPA stehen Sprachverständnisstörungen im Vordergrund. Dabei ist die Sprachproduktion weiterhin flüssig und die Grammatik bleibt korrekt, das Vokabular nimmt jedoch ab. Assoziiert sind außerdem eine assoziative Agnosie und Prosopagnosie.[1]
Bei der nfPPA zeigt sich primär eine Sprachproduktionsstörung mit angestrengter Sprechweise und Wortfindungsstörungen.[1] Oft liegt auch eine Sprechapraxie vor.[4]
Endstadium
Im Endstadium gehen beide Varianten ineinander über und werden von schweren weiteren neurologischen Störungen begleitet. Oft werden häufig primitive, frühkindliche Greifreflexe wieder auslösbar. Allgemeine Enthemmung wie Fresssucht, zwanghaftes Greifen, Störungen von Gedächtnis, Orientierung und Kognition und die Ausbildung eines hypokinetisch-rigiden Parkinson-Syndroms kündigen die Endphase der Erkrankung an.
Diagnostik
Folgende diagnostischen Möglichkeiten stehen zur Verfügung:
- Klinische Symptome: die Persönlichkeitsveränderung bei anfangs relativ gut erhaltener formaler Intelligenz und Orientierung ist der entscheidende Hinweis auf die frontotemporale Demenz
- Bildgebung: CT, MRT, HMPAO-SPECT
Differentialdiagnosen
- Demenzen anderer Ätiologie: z.B. Morbus Alzheimer
- Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung
- andere Formen der frontotemporalen Lobärdegeneration (FTLD)
Therapie und Verlauf
Die Erkrankung kann nicht kausal therapiert werden. Ein etabliertes Therapieschema gibt es zur Zeit (2024) nicht. Als symptomatische Therapie werden u.a. Nootropika und Antidepressiva eingesetzt. Die psychotischen Symptome lassen sich durch die Gabe von Neuroleptika (z.B. Levomepromazin) kontrollieren. Im weiteren Verlauf ist eine Dauerhospitalisierung in einer Pflegeeinrichtung erforderlich.
Die Erkrankung endet in der Regel nach wenigen Jahren letal.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Falkai et al. (Hrsg.). Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. 7., vollständig überarbeitete Auflage. Thieme Verlag Stuttgart, 2021.
- ↑ DeJesus-Hernandez et al. Expanded GGGGCC hexanucleotide repeat in noncoding region of C9ORF72 causes chromosome 9p-linked FTD and ALS. Neuron, 2011.
- ↑ Smeyers, Banchi, Latouche. C9ORF72: What It Is, What It Does, and Why It Matters. Frontiers in Cellular Neuroscience, 2021.
- ↑ 4,0 4,1 Mattle und Fischer. Kurzlehrbuch Neurologie. 5., überarbeitete Auflage. Thieme Verlag Stuttgart, 2021.
- ↑ Abramzon et al. The Overlapping Genetics of Amyotrophic Lateral Sclerosis and Frontotemporal Dementia. Frontiers in Neuroscience, 2020.
- ↑ Pippin MM, Gupta V. Pick Disease. [Updated 2023 Aug 17]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2024.
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