Einschlusskörpermyositis
Synonyme: sporadische Einschlusskörpermyositis, Einschlusskörperchen-Myositis
Englisch: inclusion body myositis(IBM)
Definition
Die Einschlusskörpermyositis, kurz IBM oder sIBM, ist eine entzündliche Muskelerkrankung, die überwiegend Männer im höheren Lebensalter betrifft.
Epidemiologie
Ätiologie
Die Ursache der Einschlusskörpermyositis ist noch (2023) unbekannt. Diskutiert werden eine Infektion mit einem unbekannten Virus, eine Autoimmunreaktion oder eine primär degenerative Muskelerkrankung mit sekundärer Entzündung.
In mindestens 15 % d.F. ist die IBM mit einer systemischen Autoimmunerkrankung bzw. einer Kollagenose assoziiert. Eine familiäre Häufung kann vorkommen (familiäre Einschlusskörpermyositis). Des Weiteren besteht eine Assoziation zu HLA-DR3, HLA-DR52 und HLA-B8.
Symptome
Die Einschlusskörpermyositis beginnt meist schleichend und zeigt einen chronisch progredienten Verlauf. Typisch ist eine Schwäche und Atrophie der proximalen und distalen Muskeln (v.a. Fußheber, Fingerbeuger und Musculus quadriceps femoris). In einigen Fällen können die Muskelgruppen asymmetrisch betroffen sein.
In 60 % d.F. sind die oropharyngealen Muskeln einbezogen, was sich als Dysphagie äußert. Wie bei den meisten entzündlichen Myopathien bleiben die Augenmuskeln ausgespart, was jedoch nicht für den Rest der Gesichtsmuskulatur gilt.
Die Muskeleigenreflexe bleiben i.d.R. erhalten, in schwer paretischen bzw. atrophischen Muskeln können sie fehlen. Sensible Defizite werden i.d.R. nicht berichtet.
Diagnose
- CK und andere Muskelenzyme normal oder leicht erhöht
- Serologie: Mup44-Autoantikörper (gegen zytosolische 5'-Nukleotidase 1A im Muskel) in bis zu 60 % d.F.; SMI-31- und SMI-310-Antikörper
- EMG: myopathisch-neurogenes Mischbild
- pathologische Spontanaktivität (Fibrillationspotenziale, positive scharfe Wellen)
- myopathische Einheiten
- pseudomyotone Entladungen
- in 10 % d.F. unauffällig
- MRT: Atrophien, Muskelödem in T2- und STIR-Sequenzen
- Muskelbiopsie:
- Pathohistologie: Infiltrate mit CD8-positiven T-Zellen mit Invasion in nicht-neurotische, MHC-I-positive Muskelfasern; felderförmige Atrophie, Hypertrophie der verbleibenden Fasern, Einschlusskörperchen ("rimmed vacuoles" u.a. gefüllt mit Amyloid)
- Elektronenmikroskopie: pathologische Filamente, COX-negative Fasern ("ragged red fibers")
Die Diagnose einer IBM kann bei Patienten über 50 Jahre nach einer Erkrankungsdauer von über 12 Monaten gestellt werden, wenn sie eine Parese der Kniestrecker und/oder der Fingerbeuger bei einer maximal 15-fach über die obere Norm erhöhten Serum-CK aufweisen. Zusätzlich findet sich immunhistopathologisch und elektronenmikroskopisch mindestens eins der folgenden Kriterien:
- endomysiales Entzündungszellinfiltrat
- Hochregulation von MHC-I auf Muskelfasern
- geränderte Vakuolen (rimmed vacuoles) innerhalb der Muskelfasern
- Nachweis von Beta-Amyloid und anderen Neurodegenerations-assoziierten Proteinen oder Tubulofilamenten bzw. Fibrillen in Sarkoplasma und Kernen der Muskelfasern
Differenzialdiagnosen
Einschlusskörperchen und pathologische Filamente können auch bei anderen Muskelerkrankungen beobachtet werden, z.B. bei metabolischen Myopathien, bei der fazioskapulohumeralen Muskeldystrophie oder bei myofibrillären Myopathien.
Unter klinischen Gesichtspunkten sind folgende Differenzialdiagnosen zu erwägen:
- myofibrilläre Myopathie
- sporadische Form der Muskeldystrophie vom Gliedergürteltyp
- Polymyositis, Dermatomyositis: eher subakuter Verlauf, wobei die Feinmotorik bzw. die distalen Muskeln erst spät betroffen sind; im Gegensatz zu anderen entzündlichen Myopathien treten bei der IBM weder kardiale noch pulmonale oder dermale Manifestationen auf. Auch eine erhöhte Inzidenz von Malignomen ist nicht beschrieben. Übergänge einer IBM zu einer Polymyositis sind möglich.
- hereditäre Einschlusskörpermyopathie (hIBM): heterogene Gruppe meist autosomal-rezessiv vererbter Defekte, Musculus quadriceps femoris meist ausgespart, bei 60 % d.F. milde faziale Schwäche, wenig entzündliche Anteile in der primären Biopsie, fehlendes Therapieansprechen
- nekrotisierende Myositis: klinisch nicht von der Polymyositis zu unterscheiden, histopathologisch nekrotische Areale ohne entzündliches Infiltrat und ohne Hochregulation von MHC-I; anti-Anti-SRP oft positiv (dann häufig tumorassoziiert), ggf. Exposition zu myotoxischen Medikamenten (z.B. Statinen)
- periphere motorische Neuropathie
- Motoneuronerkrankung
Charakteristika | Polymyositis | Dermatomyositis | Einschlusskörpermyositis |
---|---|---|---|
Manifestationsalter | > 18 Jahre | 5 - 15 und 45 - 65 Jahre | > 50 Jahre |
Familiäre Belastung | nein | nein | möglich |
Verlauf | akut bis subakut | akut bis subakut | chronisch |
Paresen | proximal > distal symmetrisch | proximal > distal symmetrisch | distal und proximal, asymmetrisch |
Muskelatrophien | v.a. bei chronischen Formen | gering | fast immer |
Myalgien | gelegentlich | häufig | selten |
EMG | myopathisch | myopathisch | myopathisch-neurogen |
CK | bis 50x erhöht | normal bis 50x | normal bis < 15x |
Muskelbiopsie |
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Immunhistologie | v.a. CD8-T-Zellen, Makrophagen; Invasion in MHC-I-exprimierende intakte Muskelfasern | v.a. CD20-B-Zellen, Makrophagen und CD4-T-Zellen, Komplementablagerung an Gefäßen | v.a. CD8-T-Zellen, Makrophagen; Invasion in MHC-I-exprimierende intakte Muskelfasern, Beta-Amyloid |
Elektronenmikroskopie | - | tubulovesikuläre Einschlüsse im Gefäßendothel | Tubulofilamente bzw. Fibrillen im Sarkoplasma und in Zellkernen, autophagische Vakuolen |
Hautveränderungen | nein | ja | nein |
assoziierte Erkrankungen | Myokarditis, interstitielle Lungenerkrankungen, Kollagenosen, selten Malignome | Myokarditis, interstitielle Lungenerkrankungen, Malignom, Vaskulitis, Kollagenosen | milde Neuropathie |
Ansprechen auf Immunsuppressiva | ja | ja | minimal |
Therapie
Die Einschlusskörpermyositis gilt als relativ therapierefraktär. Eine kausale Therapie existiert zurzeit (2022) nicht. Im Vordergrund steht die regelmäßige Physiotherapie, die einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf zeigt. Häufig wird ein Therapieversuch mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG) und Prednisolon für ca. 6 Monate empfohlen. Bei jüngeren Patienten mit rasch progredientem Verlauf kann Antithymozytenglobulin und Methotrexat für 12 Monate verabreicht werden. Für die Empfehlung von Alemtuzumab sowie eine Kombinationstherapie aus Rapamycin und Sirolimus fehlen derzeit (2022) noch weitere Studiendaten.
Bezüglich der symptomatischen Behandlung einer Dysphagie gibt es experimentelle Therapieansätze, die einer Einzelfallentscheidung unterliegen. Dazu gehören lokale Botulinumtoxininjektionen, Ballondilatation oder Myotomie.
Prognose
Die IBM zeigt die ungünstigste Prognose innerhalb der entzündlichen Myopathien. Zwar ist die Lebenserwartung nicht wesentlich verkürzt, jedoch zeigt sich unbehandelt ein progredienter Rückgang der Muskelkraft um ca. 14 % pro Jahr (in MRC-Graden). Die meisten Patienten benötigen nach ca. 5 bis 10 Jahre Krankheitsdauer eine Gehhilfe. Je höher das Alter zum Manifestationszeitpunkt war, desto schneller schreitet die Krankheit voran. In fortgeschrittenen Stadien kann die Lebensqualität durch Ateminsuffizienz, Dysphagie, Aspiration und Kachexie schwer beeinträchtigt sein.
Literatur
- Wiendl H et al. DGN S2k-Leitlinie Myositissyndrome, 09.2014, abgerufen am 28.11.2019