Anorexia nervosa
Synonyme: Magersucht, psychogene Magersucht
Englisch: anorexia nervosa
Definition
Unter einer Anorexia nervosa versteht man eine Verhaltensstörung bzw. Essstörung, bei der es zum beabsichtigten Gewichtsverlust durch verminderte Nahrungsaufnahme, induziertes Erbrechen, Laxantien-Abusus und Hyperaktivität kommt.
Abzugrenzen von der Anorexie ist die Bulimie, welche als Ess-Brechsucht mit anfallsartigen Ess-Brech-Anfällen durch die Angst vor dem Dickwerden gekennzeichnet ist.
Epidemiologie
In der Regel erkranken vorwiegend Mädchen und jüngere Frauen am Bild der Anorexie (w:m = 10:1). Der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr. Die Erkrankung wird bei etwa 1% der weiblichen Teenager beobachtet.
Psychodynamik
Mehrere psychogene Ursachen können das Bild der Anorexie auslösen, wobei die Gründe hauptsächlich in der Vergangenheit bzw. Kindheit zu suchen sind. Häufig standen oder stehen die Betroffenen unter einem erhöhten Leistungsdruck, der bereits von den Eltern vermittelt wurde. Vorrangig die Mutter-Tochter-Beziehung scheint hier eine große Rolle zu spielen. Meist handelt es sich um eine dominante Mutter, aber auch eine gestörte Vater-Tochter Beziehung, im Rahmen eines ödipalen Konfliktes, kann hier ursächlich sein.
Folgende Ursachen lassen sich beim Krankheitsbild der Anorexie differenzieren:
- Gestörte Mutterbeziehung
- Gestörte Vaterbeziehung
- Identifikationsprobleme: Betroffene nehmen ihre Rolle als Frau nicht an
- Gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper: Betroffene finden sich zu dick, häufig sind Leistungssportlerinnen und Models betroffen
- gestörte Sexualität: Betroffene haben Angst vor der Sexualität, leben asexuell
Klinik
Verhalten
Folgende Verhaltensweisen kennzeichnen das Bild der Anorexie:
- Weglassen ganzer Mahlzeiten
- Ersetzen der Nahrungsmittel durch mengenmäßig geringere Anteile
- Unterdrückung eines Hungergefühls durch Trinken großer Mengen Flüssigkeit
- Die Nahrungsaufnahme wird in einem teilweise stundenlangem Ritual zelebriert
- Erbrechen wird nach der Nahrungsaufnahme induziert
- Abusus von Laxantien
- Einnahme von Appetitzüglern oder Fettresorptionshemmern
- Hyperaktivität
- exzessive sportliche Aktivität, wie unter anderem Jogging und Fitness
- striktes Einhalten eines bestimmten Tagesablaufes
Betroffene zeigen keinerlei Krankheitseinsicht. Sie halten sich auch bei bereits bestehendem Untergewicht und dessen Folgen noch für zu dick. In den besonders dramatischen Fällen hungern sich die Erkrankten bis zum Tode.
Symptome
Neben den genannten auffälligen Verhaltensweisen eines Anorektikers, weisen bestimmte körperliche Symptome auf die Erkrankung hin. In den meisten Fällen handelt es sich um Mangelerscheinungen und körperliche Reaktionen auf den Nahrungsentzug, sowie beispielsweise:
- Allgemeinsymptome
- Hormonsystem
- Sekundäre Amenorrhoe
- weitere Hormonstörungen (T3↓, STH↑, Kortisol↑)
- Verlust der Libido
- Herz-Kreislauf-System
- Haut
- Bewegungsapparat
- Organe
- Speicheldrüsenschwellung (durch häufiges Erbrechen)
- Labor
- Elektrolytverluste
- Hyperurikämie
Diagnostik
Neben einer ausführlichen Anamnese und dem klinischen Bild der Erkrankten, dient besonders der BMI (body mass index) für eine Krankheitseinteilung. Ein BMI zwischen 19 und 25 gilt als normal, ein BMI kleiner 19 weist auf ein Untergewicht hin.
BMI | Beurteilung |
---|---|
< 17,5 | anorektisches Gewicht |
< 16,0 | stationäre Aufnahme empfehlenswert |
< 14,0 | kritisch niedrig; zunehmend organische Komplikationen |
< 12,0 | Lebensgefahr |
< 10,0 | in der Regel nicht mit dem Leben vereinbar |
Im Labor finden sich:
- niedrige Hormonwerte: LH, FSH, Östrogen
- Anämie
- Leukopenie
Differentialdiagnosen
- Bulimie
- Kachexie im Rahmen von malignen Erkrankungen
- Appetitverlust und Gewichtsabnahme im Rahmen von anderen psychiatrischen Erkrankungen (Depressionen, Schizophrenie)
- Endokrine Störungen (Diabetes mellitus, Hypothalamustumore)
Therapie
Die Therapie kann ambulant oder stationär erfolgen. In den schweren Fällen ist eine Hospitalisierung angezeigt. Bei der Behandlung stehen vor allem folgende Maßnahmen im Vordergrund:
- Gewichtszunahme (Ziel: kontinuierliche Gewichtszunahme von ca. 500-700 g/Woche)
- Verhaltenstherapie
- Psychotherapie bzw. Familientherapie
- Vermittlung in Selbsthilfegruppen
- ggf. Östrogen- und Antidepressiva-Gaben
Im Rahmen der Gewichtszunahme kann es bei besonders abgemagerten Patienten zu einem Refeeding-Syndrom kommen. Die entstehende Hyperinsulinämie führt zu einer Hypokaliämie und Hypophosphatämie und kann schließlich kardiale Symptome hervorrufen.