Rheumatoide Vaskulitis
Synonym: Vaskulitis bei rheumatoider Arthritis
Englisch: rheumatoid vasculitis, systemic rheumatoid vasculitis (SRV)
Definition
Als rheumatoide Vaskulitis, kurz RV, bezeichnet man eine Vaskulitis vornehmlich kleiner Blutgefäße, die als extraartikuläre Manifestation einer rheumatoiden Arthritis (RA) auftritt.
Klassifikation
In der Chapel-Hill-Nomenklatur wird die rheumatoide Vaskulitis ähnlich der Lupus-Vaskulitis als "Vaskulitis bei Systemerkrankung" eingeordnet.
Geschichte
Eine Beteiligung von Vasa nervorum bei rheumatoider Arthritis wurde erstmalig 1896 vom britischen Arzt Gilbert A. Bannatyne beschrieben.[1]
Epidemiologie
Eine britische Registerstudie aus dem Jahr 2014 beziffert die jährliche Inzidenz auf etwa 4 Fälle pro Million Einwohner.[2] Im Vergleich zu früheren Daten wurde ein deutlicher Inzidenzrückgang beobachtet, was unter anderem der Verbesserung der immunmodulatorischen Behandlung bei RA zugeschrieben wird.
Die Geschlechterverteilung ist, im Gegensatz zur RA selbst, ausgeglichen. Das mittlere Erkrankungsalter lag in der genannten Registerstudie bei 72 Jahren.[2]
Ätiologie und Pathogenese
Die Erkrankung entwickelt sich auf dem Boden einer meist langjährigen, schweren RA. Begünstigt wird dies durch:[3][4]
- Vorhandensein des "Shared Epitope" (Aminosäurenmotive einiger HLA-DR4-Subtypen) sowie von HLA-C3
- Nachweisbarkeit von Rheumafaktoren (seropositive RA) und anti-CCP
- Felty-Syndrom
- Rauchen
- Atherosklerose
Die Pathogenese ist unvollständig verstanden. Es wird eine Ablagerung von Immunkomplexen mit nachfolgender Komplementaktivierung vermutet. Auch eine Aktivierung spezieller T-Lymphozyten (CD4+CD28null-Zellen) scheint eine Rolle zu spielen. Beides soll zur Entzündung vornehmlich kleiner, teilweise auch mittlerer und großer Gefäße führen, was Gewebsnekrosen und Thrombenbildung nach sich zieht.
Klinik
Meist geht der Vaskulitis ein über 10-jähriger Verlauf einer RA voraus.[2]
Initial finden sich häufig Prodromi wie Fieber und Gewichtsverlust.[3] Im Verlauf sind zahlreiche Symptome möglich, das Krankheitsbild ist sehr heterogen. Häufig sind:[3][4]
- Hautmanifestationen (90 % der Fälle), z.B.:
- palpable Purpura
- Nagelfalzinfarkte
- Gangrän von Fingern und Zehen
- Ulzera, v.a. am Fußrücken oder oberhalb der Knöchel
- Livedo reticularis
- Pyoderma gangrenosum
- Polyneuropathie (zweithäufigste Manifestation), distal-sensomotorisch oder als Mononeuritis multiplex
- Augenbeteiligung (16 %)
- Skleritis (anterior oder posterior, nodulär oder diffus, nekrotisierend oder nicht nekrotisierend)
- Episkleritis
- peripher-ulzerative Keratitis
- Retinalarterienvaskulitis
- Darmbeteiligung (10 %) mit Mesenterialischämie (v.a. Ileum, Sigmoid)
Selten finden sich Beteiligungen von:[3][4]
- Lungen (fibrosierende Alveolitis, Hämoptoe, Pleuritis)
- Nieren (pauciimmune Glomerulonephritis, interstitielle Nephritis)
- ZNS (epileptische Anfälle, Hirnnervenparesen, Hirninfarkte, Myelonschäden, Meningitis, epileptische Anfälle)
- Herz (Perikarditis, Koronararteriitis, Myokarditis)
- Aorta
- Hoden
- Leber, Pankreas, Gallenblase, Appendix
- Milz
Die Mortalität liegt bei 12 % innerhalb eines Jahres und 60 % innerhalb von 5 Jahren.
Diagnostik
Die Diagnosestellung beruht auf dem klinischen Bild und bioptischen Anzeichen einer Vaskulitis.
Im Labor finden sich keine spezifischen Hinweise, jedoch zeigen sich oft:[3]
- Erhöhung von BSG, CRP
- Thrombozytose
- Anämie (entsprechend einer Anämie bei chronischer Erkrankung)
- polyklonale Hypergammaglobulinämie
- Komplementfaktorenverbrauch
- Kryoglobuline
- ANCAs (40 % der Fälle) ohne MPO-/Proteinase-3-Spezifität in genaueren EIA
Das Vorhandensein von Rheumafaktoren und CCP-Antikörpern ist zwar unspezifisch, eine Seronegativität macht eine rheumatoide Vaskulitis aber eher unwahrscheinlich (Negativ prädiktiver Wert bis zu 90 %).[3][4]
Zur Diagnosesicherung erfolgt vornehmlich eine Biopsie der beteiligten Organe mit anschließender Pathohistologie. Insbesondere Hautbiopsate sind geeignet, aber auch andere Biopsate sind möglich (z.B. des Nervus suralis). In Gefäßbiopsaten ähnelt die rheumatoide Vaskulitis der Polyarteriitis nodosa, es finden sich Neutrophilen- und/oder lymphoplasmazelluläre Infiltrate über alle Gefäßschichten mit Wandnekrose, Leukozytoklasie und Zerstörung der Membrana elastica interna.[3][4]
Diagnosekriterien
Es gibt keine validierten oder standardisierten Diagnosekriterien. Häufig wird sich auf die von Scott und Bacon vorgestellten Kriterien berufen. Diese verlangen für die Diagnosestellung die Erfüllung von mindestens einem der folgenden Punkte:[5]
- Mononeuropathia multiplex oder periphere Neuropathie
- periphere Gangrän
- bioptisch festgestellte akut-nekrotisierende Arteriitis und systemische Krankheitszeichen (z.B. Fieber, Gewichtsverlust)
- tiefe Hautulzera oder aktive extraartikuläre Manifestationen (Pleuritis, Perikarditis, Skleritis) in Assoziation mit typischen Fingerinfarkten oder bei bioptischem Anhalt für eine Vaskulitis
Differenzialdiagnosen
Mögliche Differentialdiagnosen sind u.a.:
- Panarteriitis nodosa
- ANCA-assoziierte Vaskulitiden
- kryoglobulinämische Vaskulitis (Kryoglobuline können teils auch bei der RV nachweisbar sein)
- kutane leukozytoklastische Vaskulitis
- Purpura Schönlein-Henoch
- arterielle Hautulzera bei pAVK
Therapie
Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung existieren keine validierten Therapieschemata. Bei isolierten Nagelfalzinfarkten ist keine Therapie erforderlich.[4]
Bei schwerer Vaskulitis werden meist hochdosierte Glukokortikoide in Kombination mit Cyclophosphamid angewandt.[2][3] Auch andere immunsuppressive Substanzen finden Anwendung (z.B. Methotrexat, Azathioprin). Auch für Rituximab gibt es Wirksamkeitshinweise.[6]
Einzelnachweise
- ↑ Bannatyne, Rheumatoid arthritis: its pathology, morbid anatomy, and treatment. John Wright & Co., 1896. S65f.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 Ntatsaki et al., Systemic rheumatoid vasculitis in the era of modern immunosuppressive therapy. Rheumatology (Oxford), 2014.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 3,7 Ashima, Matteson, Warrington, Rheumatoid vasculitis - an update. Current opinion in Rheumatology, 2015.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 Kishore, Maher, Majithia, Rheumatoid Vasculitis: A Diminishing Yet Devastating Menace. Current Rheumatology Reports, 2017.
- ↑ Scott, Bacon, Intravenous cyclophosphamide plus methylprednisolone in treatment of systemic rheumatoid vasculitis. The American Journal of Medicine, 1984.
- ↑ Puechal et al., Rituximab therapy for systemic vasculitis associated with rheumatoid arthritis: results from the AutoImmunity and Rituximab Registry. Arthritis Care & Research, 2012.
um diese Funktion zu nutzen.